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Goethe's mannigfache Beschäftigungen und Studien. Seine Liebe zum Volke. Seine Verachtung gegen den Preußischen Hof. Friedrich der Große. Goethe's Gutheit. Seine zarte Wohlthätigkeit gegen Kraft, seine Briefe an diesen. Seltsamer Vorwurf, daß Goethe kalt und herzlos gewesen. Menzel's Angriffe. Goethe's liebenswürdige Natur.
Es ist ein wunderbares Schauspiel, das Goethe's Leben in dieser Epoche bietet. Seine Beschäftigungen sind mannichfach, aber jede von ihnen, sein Zeichnen, sein Radiren, seine Theaterproben, betreibt er, als wenn es die einzige wäre. In dieser unendlichen Thätigkeit und Hingebung an das Verschiedene zersplittert er die Kräfte, die ein großartiges Werk hätten schaffen können; allein er gewinnt dafür die Fülle des Stoffs, deren er so dringend bedarf. Er schreibt um diese Zeit am Wilhelm Meister und Egmont; auch Iphigenie gestaltet sich in seiner Seele. Sein Amt giebt ihm viel zu thun; und Gervinus, der wohl wissen mußte, wie große Ansprüche an seine Zeit gemacht wurden, hätte sich besinnen sollen, ehe er den Vorwurf diplomatischer Grobheit aussprach, weil Goethe einen Brief seines Schwagers durch seinen Secretair beantworten ließ. Soll man sich mit einem Verwandten nicht eine Freiheit der Art erlauben dürfen? Selbst an Frau von Stein hat er in der Schweiz einige Briefe dictirt.
Der Mann, dessen diplomatische Kälte und aristokratischer Stolz den Stoff zu so manchen rednerischen Ergüssen geliefert haben, war von allen Deutschen am eifrigsten demokratisch gesinnt, bis ihn, wie andere auch, die Schreckensregierung in Frankreich in strengere Ansichten hineintrieb. Er liebte es nicht allein, mit dem Volke zu verkehren und dessen einfaches Leben, mit dem sein eigener bescheidener Geschmack so viel Berührungspunkte hatte, zu theilen, sondern wir finden auch in seinen vertrautesten Aeußerungen seine Zuneigung für das Volk in den herzlichsten Worten ausgesprochen. Bei einem Besuche in den Bergwerken schreibt er an die Geliebte: »Wie sehr ich wieder auf diesem dunkeln Zug Liebe zu der Klasse von Menschen gekriegt habe, die man die niedere nennt! die aber gewiß für Gott die höchste ist. Da sind doch alle Tugenden beisammen, Beschränktheit, Genügsamkeit, gerader Sinn, Treue, Freude über das leidlichste Gute, Harmlosigkeit, Dulden, – Ausharren in un – – un … ich will mich nicht in Ausrufen verlieren.« Beim Schreiben der Iphigenie stört ihn das Elend der Arbeiter in Apolda. »Hier will das Drama gar nicht fort,« schreibt er; »es ist verflucht, der König von Tauris soll reden, als wenn kein Strumpfwirker in Apolda hungerte.«
In schneidendem Gegensatze dazu steht der Ausdruck seiner Verachtung für die sogenannte große Welt, wie er sie bei Besuchen an den benachbarten Höfen kennen lernte. Wenn ihn dankbare Zuneigung an Karl August, den er bildete, und an die Herzogin Louise knüpfte, für die er eine zarte, begeisterte Verehrung empfand, so war er deshalb nicht blind für die innere Hohlheit anderer Fürsten und ihrer Umgebungen. »Gute Gesellschaft hab' ich gesehn,« sagt er,
– – man nennt sie die gute,
Weil sie zum kleinsten Gedicht keine Gelegenheit giebt.«
Die ungünstigsten Eindrücke empfing er auf einer Reise nach Berlin mit dem Herzoge, im Mai 1778. Er blieb nur wenige Tage, sah den König zwischen seinen Affen, Papageien und Hunden und lernte das Treiben dieser Welt verachten. Vor den Menschen in Berlin verschloß er sich ganz und verkehrte mit niemandem. Er erzählt, er habe in Preußen kein Wort gesprochen, das nicht hätte veröffentlicht werden können; deshalb nenne man ihn stolz und so weiter. Die Verstimmung, die sein zurückhaltendes Wesen und die Versäumniß der Besuche bei den Schriftstellern gegen ihn erregten, war, wie Varnhagen bemerkt, so groß, daß er selbst sich noch in späten Jahren nur ungern an diese Reise erinnern ließ. Was hatte auch Goethe, fragt Varnhagen, mit einem Nicolai, Ramler, Engel, Zöllner und ihren Genossen gemein? Friedrich der Große würdigte ihn keiner Beachtung. Der Geschmack des Königs ging in anderer Richtung. Seine ganze Bildung war französisch; seine Ansichten über deutsche Literatur hatte er in demselben Jahre mit großer Offenheit ausgesprochen und dabei Götz von Berlichingen als ein Beispiel der herrschenden Geschmacklosigkeit angeführt. Die Stelle ist zu merkwürdig, um sie nicht herzusetzen. »Man sieht auf der nationalen Bühne,« sagt er, »die elenden Stücke von Shakespeare in deutschen Uebertragungen, und das ganze Publikum ist außer sich vor Vergnügen über diese lächerlichen Farcen, die der Wilden von Canada würdig wären.« Das findet er indeß noch nicht am schlimmsten. Man kann einem Shakespeare seine Fehler verzeihen, »denn die Künste sind nicht gleich bei ihrer Geburt auf dem Gipfel der Reife. Aber nun erscheint neuerdings ein Götz von Berlichingen auf der Bühne, eine abscheuliche Nachahmung dieser schlechten englischen Stücke, und das Parterre klatscht Beifall und verlangt mit Enthusiasmus die Wiederholung dieser ekelhaften Plattheiten.« De la literature allemande. S. 46. Von dem neuentdeckten Nibelungenliede erklärte er mit gleicher Verachtung, er würde einen solchen Plunder nicht in seinem Hause leiden.
Die beiden deutschen Kaiser, Fritz und Wolfgang, haben also keine freundschaftliche Zusammenkunft gehalten; vielleicht hätte ihre Begegnung auch nichts wesentliches fruchten können. Sie blieben jeder in seiner Sphäre die herrschenden Naturen. Fritz förderte die Literatur seines Volkes nicht unmittelbar; allein der Klang seiner Trommeln weckte Deutschland aus dem Schlafe und rief die Gelehrten von ihren Arbeitstischen ans Fenster; die Nation bekam eine Ahnung von der lebendigen Welt des Handelns, in die er so mächtig eingriff. Griepenkerl, der Kunstgenius der deutschen Literatur des letzten Jahrhunderts. I. 52.
Nach Weimar zurückgekehrt, beschäftigte sich Goethe mit verschiedenen architektonischen Studien, die auf den Neubau des Schlosses Bezug hatten, und legte die erste Hand an die Umgestaltung des Parks, aus der dessen jetzige Schönheit hervorging. Ich übergehe indessen manche Einzelheiten seiner Thätigkeit, um eine Episode einzuschalten, die gewiß das Herz jedes Lesers gewinnen wird. Man wird bemerkt haben, daß ich in meiner Erzählung nie versucht habe, Mängel zu beschönigen oder Schwächen zu verdecken. Was die Quellen mir darboten, Gutes und Schlimmes, habe ich mitgetheilt. Mängel und Unvollkommenheiten, selbst beklagenswerthe Irrthümer entfremden einem Freunde unser Herz nicht; wie sollten sie einen Helden in unsern Augen erniedrigen? Das Sprichwort, für Kammerdiener giebt es keine Helden, ist von Hegel tiefsinnig dahin erläutert worden: nicht darum, weil dieser kein Held, sondern weil jener ein Kammerdiener ist Philosophie der Geschichte. S. 40. Goethe hat es als Epigramm wiederholt und Carlyle hat es Hunderten eingeprägt; aber der ursprüngliche Ausspruch ist von Hegel.. Wer nicht mit den Augen des Kammerdieners sieht, wird keinen makellosen Helden verlangen. Ich habe den ganzen Goethe hinzustellen gesucht und in der Zuversicht, daß seine Persönlichkeit als Ganzes nicht weniger Liebe als Bewunderung einflößt, keine einzelnen Züge seiner Liebenswürdigkeit und Güte hervorgehoben.
Die in Rede stehende Episode jedoch ist so charakteristisch für die Zartheit, die Größe und den Adel seiner Natur, daß schwerlich jemand, der sie gelesen hat, ihm seine Liebe versagen wird. Von edlen Handlungen im gewöhnlicheren Sinne bietet sein Leben Beispiele genug, und Riemer hat einige davon zusammengestellt Mittheilungen I. 102-5.; doch das sind Aeußerungen des Mitgefühls, wie man sie bei einem wohlhabenden Dichter nicht anders erwartet. Daß er wohlthätig, theilnehmend, uneigennützig war und seine Güte ganz ebenso in kleinen Zügen wie in großartiger Freigebigkeit zeigte, das weiß jeder, der mit der deutschen Literatur ein wenig bekannt ist. Allein ein Herz, wie es diese eine Geschichte offenbart, würden wenige unter der würdevollen Klugheit und ruhigen Selbstbeherrschung des Mannes gesucht haben, den man so oft als gemüthlos bezeichnet hat.
Die Geschichte ist folgende: Ein Mann von eigenthümlich reizbarem und argwöhnischem Charakter, dessen wirklicher Name noch immer ein Geheimniß ist, war theils durch unglückliche Umstände, theils durch eigene Schuld ins Elend gekommen. Er wandte sich, wie manche andere, mit der Bitte um Beistand an Goethe und schilderte seine Lage mit der vollen Beredtsamkeit der Verzweiflung. Goethe erwiderte:
»In den Vorstellungen, die ich mir von Ihnen aus den Briefen mache, glaub' ich mich nicht zu betrügen, und was mir am wehsten thut, ist, daß ich einem Mann, der so genügsam verlangt, weder Hülfe noch Hoffnung geben kann. Um diesen Teich, den ein Engel nur selten bewegt, harren Hunderte viele Jahre her, nur wenige können genesen, und ich bin der Mann nicht, zwischen der Zeit zu sagen: Steh auf und wandle. Nehmen Sie das wenige, was ich Ihnen geben kann, als ein Brett, das ich Ihnen in dem Augenblick zuwerfe, um Zeit zu gewinnen. Bleiben Sie in der Jahreszeit, wo Sie sind, ich will in der Folge gern für eine kleine Beihülfe sorgen. Melden Sie mir die Ankunft des Geldes und wie weit Sie damit zu reichen denken. Ist Ihnen mit einem Kleid, Ueberrock, Stiefeln, warmen Strümpfen gedient, so schreiben Sie, ich habe zu entbehren.
»Nehmen Sie diese Tropfen Balsams aus der kompendiösen Reiseapotheke des dienstfertigen Samariters, wie ich sie gebe.«
Diese Antwort war vom 2. November 1778. Am 11. schreibt er schon wieder; wir ersehen aus seinem Brief, daß er sich entschlossen hatte, dem armen Schiffbrüchigen nicht blos ein Brett für den Augenblick zuzuwerfen; nein, er nahm es auf sich, ihn dauernd zu erhalten. Goethe schreibt ihm:
»Einen Ueberrock, Stiefel und Strümpfe erhalten Sie in diesem Pack und etwas Geld. Mein Plan für Sie diesen Winter ist folgender:
»In Jena ist wohlfeil leben. Ich will mich umthun lassen nach einem Quartier, Tisch u. s. w., auf's genaueste eingerichtet für jemanden (will ich sagen), der mit einer geringen Pension, die er zu genießen hat, in der Stille leben will. Wenn das geschehen ist, schreib ich's Ihnen und Sie gehen hin, ziehen ein und ich schicke Tuch und Futter und Geld zu einem Rocke, den lassen Sie sich machen, und ich will dem Rektor sagen lassen, Sie wären mir empfohlen, wünschten auf der Akademie in der Stille zu leben einige Zeit, und möchten eingeschrieben sein.
»Dann müssen Sie einen leidlichen Roman erfinden, allenfalls den Titel Sekretair beibehalten u. s. w., sich einschreiben lassen und dann fragt niemand mehr nach Ihnen, kein Bürgermeister und Amtmann. Einen Rock von mir hab ich Ihnen darum nicht geschickt; weil man den in Jena erkennen möchte. Schreiben Sie mir erst über die Idee und wofür Sie sich allenfalls ausgeben wollen.«
Die hervorgehobenen Worte zeugen von großer Vorsorglichkeit. Ja, alle diese Briefe Goethe's beweisen die zarteste Rücksicht für die Gefühle seines Schützlings. In der Nachschrift ruft er ihm zu: »Fassen Sie wieder Fuß auf der Erde! Man lebt nur einmal. Ich weiß im ganzen Umfang, was das heißt: sich das Schicksal eines Menschen mehr zu den übrigen Lasten aus den Hals binden, aber Sie sollen nicht zu Grunde gehen.« Und am 23. schreibt er:
»Ihre Briefe vom 17. und 18. November habe ich heute den 23sten zusammen erhalten, und bin ihrem Inhalt soweit zuvorgekommen, daß ich mich für jemanden, der mir empfohlen sei, der in Jena eng und still unter dem Schutze der Akademie leben wolle, um das Genaueste erkundigt habe. Bis die Antwort kommt, bleiben Sie ja in Gera ruhig, übermorgen will ich ein Päckchen an Sie abschicken und Ihnen mehr sagen.
»Sie sind mir nicht zur Last, vielmehr lehrt mich's wirthschaften, ich vertändle viel von meinem Einkommen, das ich für den Nothleidenden sparen kann. Und glauben Sie denn, daß Ihre Thränen und Ihr Segen nichts sind? Der da hat, darf nicht segnen, er muß geben, aber wenn die Großen und Reichen dieser Welt Güter und Rangzeichen austheilen, so hat das Schicksal dem Elenden zum Gleichgewicht den Segen gegeben, nach dem der Glückliche zu geizen nicht versteht.«
Edle Worte das! In dem Munde eines Pharisäers von Philanthropen, der, statt zu geben, Worte macht, würde eine solche Sprache etwas Empörendes haben, aber nun da wir wissen, daß die Hand, welche so schrieb
hold wie der Tag sich öffnete der Liebe,
da wir wissen, daß Goethe, trotz aller sonstigen Ansprüche, auf mehrere Jahre den sechsten Theil seines Gehaltes hingab, um diesen Unbekannten aus der Noth zu retten, da aus den unwiderleglichen Beweisen von Schriftstücken feststeht, daß was er schrieb, nicht hohle Worte waren, sondern der tiefe und feierliche Ausbruch eines durch und durch menschlichen Herzens, nun, sage ich, machen diese Worte unsere Herzen lauter schlagen und rufen ein Gefühl liebender Verehrung für den hervor, der sie schrieb.
Wie weise und gütig sind auch Sätze wie diese: »Vielleicht findet sich bald, wo Sie mir nützlich sein können, denn nicht der Projektmacher und Versprecher, sondern der im Geringen treue Dienste anbietet, ist dem willkommen, der so gern was Gut's und Dauerhaftes thun möchte.
»Hassen Sie die armen Menschenfreunde mit Clauseln und Kautelen nicht, man muß recht fleißig beten, um bei so viel widrigen Erfahrungen den jugendlichen guten Willen, Muth und Leichtsinn (die Ingredienzien des Wohlthuns) zu erhalten. Und es ist mehr eine Wohlthat von Gott, wenn er uns, da man so selten was thun kann, einmal einen wirklich Elenden erleichtern heißt.«
Der nächste Brief, vom 11. Dezember, spricht für sich selbst:
»Ihren Brief vom 7. Dez. erhalte heut Freitags früh. Und zuerst zu Ihrer Beruhigung, Sie sollen in nichts gezwungen sein, Sie sollen die hundert Thaler haben, wo Sie sich aufhalten, nun aber hören Sie mich.
»Ich weiß, daß dem Menschen seine Vorstellungen Wirklichkeiten sind, und obgleich das Bild, das Sie sich von Jena machen, falsch ist, so weiß ich doch, daß sich nichts weniger als solch eine hypochondrische Aengstlichkeit wegräsonniren läßt. Jena hielt ich aus viel Ursache für den besten Aufenthalt für Sie. Die Akademie und Stadt hat lang ihre alte Herrlichkeit und Wildheit verloren, die Studenten sind nicht schlimmer wie überall und viele darunter recht hübsche Leute. Man ist das Auf- und Abgehen so mancher Menschen gewohnt, daß ein einzelner nicht merkwürdig ist. Es leben zu viele Leute kümmerlich daselbst, daß Armuth kein Merkzeichen und Verachtung ist. Es ist doch immer eine Stadt, wo das nothwendige eh zu haben ist. Der auf dem Lande im Winter krank würde ohne Wartung, wie elend wäre das. Ferner die Leute, zu denen ich Sie wies, sind gute Hausleute, die auch um meinetwillen Ihnen gut würden begegnet sein. Bei allem, was Ihnen vorkommen konnte, war ich im Stand, Ihnen durch diesen oder jenen zu helfen. Sodann saßen Sie gewiß fest. Ich konnte Ihnen bei Ihrer Einrichtung behülflich sein, brauchte jetzt nur für Wohnung und Tisch gut zu sagen und erst nachher zu bezahlen. Ich hätte Ihnen auf Neujahr ein Weniges gegeben, das Uebrige mit Kredit gemacht, Sie wären mir näher gewesen. Jeden Markttag konnte ich Ihnen was schicken, manchmal an Wein, Viktualien, Geräthe, das mich nicht mehr kostete und Ihnen leidliches Leben machte, ich hatte Sie an meine Haushaltung näher anknüpfen können. Wie fatal ist die Kommunikation mit Gera, nie kommt was zur rechten Zeit an und kostet Geld, das Niemand genießt. Sie wären vielleicht ein halb Jahr in Jena gewesen, ohne daß Sie jemand bemerkt hätte. Dies ist die Lage, die mir Jena vor allem vorziehen ließ. Sie würden eben das thun, wenn Sie das Verhältniß mit ungetrübten Augen sahen. Wie wär's, wenn Sie eine Probe machten? Doch ich weiß, daß den Menschen von zitternder Nerve eine Mücke irren kann und daß dagegen kein Reden hilft.
»Ueberlegen Sie's, Sie würden sich's und mir erleichtern, ich verspreche, daß Sie in Jena gut aufgehoben sein sollen. Können Sie's aber nicht über sich gewinnen, so bleiben Sie in Gera. Auf Neujahr sollen Sie 25 Thaler haben und so die Vierteljahre jederzeit pränumerirt, Ostern, Johanni und Michael. Anders kann ich meine Einrichtung nicht machen; da es mir an meinem Platz so leicht ist, Geld zu haben, muß ich desto strenger in meiner Wirthschaft sein. Auch das, was ich Ihnen bisher gegeben habe, da es am Ende des Jahres und ganz unerwartet kam, hat mir eine Lücke gegeben, die ich wieder flicken muß. Schreiben Sie mir doch, wie viel's war? ich habe einen Posten nicht aufgeschrieben und finde einen Verstoß in meiner Rechnung.
»Wenn Sie in Jena wären, könnt ich auch eher einigen Auftrag und vielleicht einiges Geschäft Ihnen geben, Sie persönlich kennen lernen und so weiter.
»Handeln Sie aber ganz nach Ihrem Herzen, und wenn meine Gründe nicht in Ihr Herz übergehen, Ihnen mit der Ueberzeugung nicht auch Ruhe und getrosten Muth in Jena versprechen, so bleiben Sie in Ihrer jetzigen Stille. Fangen Sie bald an, Ihr Leben zu beschreiben und schicken mir's stückweise und sein Sie überzeugt, daß mir alles recht ist, was Sie beruhigen und zufriedenstellen kann, und daß ich Jena blos wählte, weil ich auf die bequemste und leichteste Art für mich, Ihnen das leidlichste Leben zu verschaffen hoffte.«
Der arme Hypochonder konnte seiner eingebildeten Befürchtungen nicht Herr werden, und statt nach Jena ging er nach Ilmenau, wo Goethe ihm eine ruhige Stätte verschaffte und Bücher und Geld zugehen ließ. Nachdem er so für seine äußeren Bedürfnisse gesorgt, forderte er ihn auf, zu geistiger Beschäftigung seine Erlebnisse und was er auf seinen Reisen beobachtet habe, niederzuschreiben, und zugleich eines andern Schützlings von Goethe, des Knaben Peter Imbaumgarten, sich anzunehmen.
»Mir ist sehr lieb (schreibt Goethe am 13. Juli 1779) daß der Kontract für Sie fest gemacht ist. Ihre Wirthsleute verlangen hundert Thaler jährlich, und ich will vierteljährlich die 25 Thaler garantiren, und auch sorgen, daß Sie mit Ende Juli ein bestimmtes Taschengeld empfangen. Was ich in natura schicken kann, als Papier, Federn, Siegellack u. s. w. will ich auch thun; hier sind indeß Bücher, die ich nach der Designation zurück erbitte.
»Für Ihre Nachrichten danke ich, fahren Sie fort. Der Wunsch, Gutes zu thun, ist ein kühner, stolzer Wunsch; man muß schon sehr dankbar sein, wenn einem ein kleiner Theil davon gewährt wird.
»Nun hab ich einen Vorschlag. Wenn Sie in Ihrem neuen Quartier sind, wünscht ich, daß Sie einem Knaben, für dessen Erziehung ich zu sorgen habe, und der in Ilmenau die Jägerei lernt, einige Aufmerksamkeit widmeten. Er hat einen Anfang im Französischen, wenn Sie ihm darin weiter hülfen! Er zeichnet hübsch, wenn Sie ihn dazu anhielten. Ich wollte Zeiten bestimmen, wenn er zu Ihnen kommen sollte; Sie würden mir viel Sorge, die ich oft um ihn habe, benehmen, wenn Sie ihn in freundlichen Unterredungen ausforschten, mir von seinen Gesinnungen Nachricht gäben und auf sein Wachsthum ein Auge hätten. Alles kommt darauf an, ob Sie eine solche Beschäftigung mögen. Wenn ich von mir rechne, der Umgang mit Kindern macht mich froh und jung. Wenn Sie mir darauf antworten, will ich Ihnen schon nähere Weisung geben. Sie würden mir einen wesentlichen Dienst erzeigen, und ich würde Ihnen von dem, was zu des Knaben Erziehung bestimmt ist, monatlich etwas zulegen können.
»Möchte ich doch im Stande sein, Ihren trüben Zustand nach und nach auszuhellen und Ihnen eine beständige Heiterkeit zu erhalten.«
Es verdient Beachtung, mit welcher Zartheit hier Goethe andeutet, daß er Kraft's Zeit nicht in Anspruch zu nehmen denke, ohne ihn dafür zu entschädigen. Wenn man die betreffenden Worte gehörig erwägt, so sprechen sie laut für die hohe Herzensgüte Goethe's. Nur wenige würden sich nicht für berechtigt gehalten haben, von jemand, dem sie die Existenz gesichert, solch einen Dienst geradezu zu fordern, und dafür zu bezahlen wäre ihnen kaum in den Sinn gekommen. Aber Goethe fühlte, daß einen vielleicht beschwerlichen Dienst verlangen, gewissermaßen Wohlthätigkeit verkaufen heiße, und daß, wenn er Kraft's Zeit in Anspruch nähme, er ihn auch so dafür bezahlen müsse wie jeden andern Lehrer. Auf der andern Seite bewahrte ihn sein natürlicher Takt vor der Unzartheit, eine wirkliche Lohnarbeit daraus zu machen. Daß die Stunden bezahlt werden würden, mußte er nothwendig andeuten; aber zugleich gab er zu verstehen, daß Kraft durch die Uebernahme jener Aufgabe ihm eine Verpflichtung auferlegen werde, und so konnte Kraft seine Dankbarkeit beweisen, konnte seinem Wohlthäter wohlthun und doch auch seinerseits wieder eine Wohlthat empfangen. Ja, nach Lesung solcher Worte hätte auch ich, wie Wieland, »Goethe vor Liebe fressen können!«
Kraft unterzog sich der ihm gestellten Aufgabe, und Goethe, der ihm zunächst, »Leinwand zu ein halb Dutzend Hemden,« »Tuch zu einem Kleide« geschickt und dabei gebeten hatte, ihm »alles was ihm vorkomme ohne Furcht zu beleidigen« zu schreiben, sandte ihm am 9. September folgenden Dankbrief:
»Was Sie an Petern thun, dank ich Ihnen eilends, denn der Junge liegt mir am Herzen, er ist ein Vermächtniß des unglücklichen Lindaus. Thun Sie nur gelassen Gutes an ihm. Wie Sie ihm ankommen können! Ob er liest, ob er französisch treibt, zeichnet u. s. w., mir ist alles recht, nur daß er für die Zeit etwas thue und daß ich von ihm höre, wie Sie ihn finden und was Sie über ihn denken. Gegenwärtig lassen Sie ihn ja den Jägerstand als sein erstes und letztes betrachten und hören Sie von ihm, wie er sich dabei benimmt, was ihm behagt, was nicht und was weiter. Denn glauben Sie mir, der Mensch muß ein Handwerk haben, das ihn nähre. Auch der Künstler wird nie bezahlt, sondern der Handwerker. Chodowiecki der Künstler, den wir bewundern, äße schmale Bissen, aber Chodowiecki der Handwerker, der die elendesten Sudeleien mit seinen Kupfern illuminirt, wird bezahlt.«
In dem nächsten Briefe, vom 13. Januar 1780, dankt ihm Goethe für die Besorgung einiger Aufträge mit den Worten: »Durch Ihre Aufmerksamkeit auf diese, und Ihre Bemühungen mit Petern, leisten Sie mir einen wahren Dienst und vergelten mir reichlich alles was ich etwa für Sie gethan habe. Sein Sie wegen der Zukunft ohne Sorgen, es werden sich gewiß Gelegenheiten finden, wo Sie nützlich sein können, indeß fahren Sie wie bisher fort.« Und dies schrieb er an demselben Tage, wo er gerade von seiner Schweizerreise nach Weimar zurückkehrte! Wenn das seine Aufmerksamkeit für den Schützling bezeugt, so lehrt uns einer der nächsten Briefe, daß Goethe selbst auf den Fall seines Todes für ihn Vorkehrungen traf; »ich will Sie, schreibt er, unter diejenigen aufzeichnen, deren Versorgung ich nach meinem Tode meinen Freunden hinterlasse.« Auch muß erwähnt werden, daß Goethe über das Gute, das er that, ein tiefes Geheimniß bewahrte; nicht einmal in seinen vertrauten Briefen an Frau von Stein findet sich eine Andeutung, daß Kraft auch nur existirte. Kurz, es fehlt nichts, um seine wahrhafte Güte voll zu machen.
Zu Anfang 1781 erhöhte er den jährlichen Zuschuß für Kraft; er sicherte ihm 200 Thaler, dann aber sollte Kraft für Alles stehen. »So viel kann ich entbehren; Sie brauchen nicht bei jeder Kleinigkeit ängstlich zu sein und können eintheilen wie Sie wollen. Leben Sie wohl und lassen Sie mir bald wissen, daß Ihre Schmerzen Sie gänzlich verlassen haben.« Diese Zulage scheint eine Forderung um weitere Erhöhung veranlaßt zu haben, auf die dann folgende charakteristische Antwort erging.
»Sie haben wohl gethan, mir den ganzen Zustand Ihrer Seele zu entdecken; ich lege gewiß alles zu rechte, so wenig ich im Stande bin, Sie ganz zu beruhigen. Mein Etat, über den ich halten muß, wenn ich am Ende des Jahres nicht selbst Andern Verbindlichkeiten haben will, die sich für meinen Platz am wenigsten schicken, erlaubt mir nicht das mindeste über die 200 Thaler für Sie zu thun. Diese sollen Sie richtig erhalten, damit suchen Sie auszukommen und sich nach und nach das Nöthige zu schaffen.
»Ausdrücklich behalt ich mir vor, daß Sie ohne mein Wissen und Einwilligung nicht Ihr Quartier noch den Ort Ihres Aufenthalts verändern. Jeder Mensch hat seine Pflicht, machen Sie sich das zur Pflicht Ihrer Liebe zu mir und es wird Ihnen leicht werden.
»Wenn Sie von irgend Jemand borgten, würde mir es sehr unangenehm sein; eben diese unselige Unruhe, die Sie jetzt martert, hat das Unglück Ihres ganzen Lebens gemacht, und Sie sind mit 1000 Thalern nie zufriedener gewesen als jetzt mit den 240, weil Ihnen immer noch was zu wünschen übrig blieb, und Sie sich nie gewöhnt haben, Ihre Seele in den Gränzen der Nothwendigkeit zu halten. Ich mache Ihnen darüber keine Vorwürfe, ich weiß leider zu gut wie es in Ihnen zusammenhängt, und fühle, wie das Unverhältniß Ihres jetzigen und vorigen Zustandes Sie plagen muß. Genug aber, Ein Wort für Tausend: am Ende jedes Vierteljahrs erhalten Sie Ihre fünfzig Thaler, für's gegenwärtige soll Ihnen Seidel [Goethe's aus dem elterlichen Hause mitgebrachter vertrauter Schreiber und Diener] etwas voraus geben. Schränken Sie sich alsdann ein: das Mußist hart, aber beim muß kann der Mensch allein zeigen, wie's inwendig mit ihm steht. Willkürlich leben kann jeder.«
Der nächste Brief (vom 11. November 1781) bedarf keiner Erläuterung: »Wenn Sie meinen letzten Brief nochmals unbefangen ansehen wollen, so werden Sie deutlich sehen können, daß Sie ihn falsch gedeutet haben. Sie sind weder in meiner Achtung gesunken, noch hab ich einen schlechten Begriff von Ihnen, noch hab ich die gute Meinung fahren lassen, noch hat Ihre Denkungsart in meinen Augen einen Flecken bekommen; dies sind alles übertriebene Ausdrücke, die sich ein gesetzter Mann gar nicht erlauben sollte. Indem ich auch freimüthig meine Gedanken sage, indem ich einige Züge Ihrer Denk- und Handelsart anders wünsche, heißt das gleich Sie für einen schlechten Menschen halten und das bisherige Verhältniß aufheben?
»Eben diese hypochondrische allzuweiche und gleich aus dem Maas schreitende Sinnesart, die Ihnen den letzten Brief wieder eingegeben, ist's die ich tadle und bedaure. Ist's schicklich, daß Sie mir sagen: ich soll befehlen, in was für einem Ton Ihre Briefe künftig sein sollen. Befiehlt man das einem ehrlichen und verständigen Manne? Ist's artig, daß Sie mir bei dieser Gelegenheit unterstreichen, daß Sie mein Brod essen? Ist's einem moralischen Menschen anständig, wenn man ganz leise etwas an ihm tadelt oder ihn von einer Seite krank nennt, gleich oben aus zu sein oder zu thun, als wenn ihm das Haus über dem Kopf einfiele?
»Verdenken Sie mir doch nicht, wenn ich Sie mit dem, freilich Wenigen, was ich für Sie thun kann, auch [gerne] vergnügt und zufrieden wüßte.
»Es bleibt also, wenn Sie wollen, beim alten; ich wenigstens werde in meinem Betragen gegen Sie nichts ändern.«
Der Unglückliche scheint hierdurch zur Einsicht seines Unrechts gebracht zu sein; denn obgleich von weiteren Briefen nur noch einer, aus dem September 1783, vorliegt, so dauerte das Verhältniß doch sechs Jahre lang. Wie es sich löste, wird nicht berichtet, und es ist unbekannt, ob der Tod Kraft's den Dichter von seiner Verpflichtung befreite, oder ob Kraft's Umstände durch eine regelmäßige Beschäftigung sich besserten. Als Goethe das Leben des Herzogs Bernhard zu schreiben beabsichtigte, ließ er durch Kraft Auszüge aus den Archiven machen; indeß fand sie Luden, als er Einsicht von ihnen nahm, gänzlich werthlos. Die letzten Worte, die uns von Goethe an Kraft erhalten sind, lauten: »Sie haben mir schon Dienste geleistet und es findet sich auch wohl noch Gelegenheit dazu. Keine Gnade habe ich auszutheilen und meine Gunst ist nicht so wandelbar. Leben Sie wohl und genießen des Wenigen in Frieden.«
Ich beneide niemanden um seine Philosophie, der diese Briefe ohne Bewegung lesen kann. Nach meinem Gefühl enthüllen sie uns eine Natur von so ausgesucht fürsorglichem Zartgefühl, von so innig menschlicher Theilnahme für das Unglück, von einer solchen Bereitwilligkeit, dem Leiden durch Opfer abzuhelfen, wie man sie selten für Freunde, geschweige denn für Fremde bringt, daß, wenn man sie gelesen hat, die Beinamen »kalt« und »herzlos«, die so oft auf Goethe angewandt werden, wie Lästerungen gegen die edelsten Gefühle der Menschheit klingen. Man beachte wohl, dieser Kraft hatte kein romantisches Interesse für die Empfindung; er hatte keine Geschichte zu erzählen, die das Herz gewaltsam ergreifen konnte; man hatte keine Subscription für ihn eröffnet; er hatte keine Coterie für sich, die sein Schicksal beweint hätte. Freundlos und unbekannt, mit sich selbst und der Welt zerfallen, enthüllte er sein Elend insgeheim dem großen Dichter, und insgeheim drückt ihm dieser die Hand, trocknet ihm die Thränen und sorgt für seine Bedürfnisse. Und das ist nicht eine einzelne Handlung, eine vorübergehende Regung des Mitleids, sondern eine sechs Jahre lang wirksame Gutheit.
Es hat für mich etwas schmerzlich Erschütterndes, daß solch ein Mann so lange Jahre hindurch als kalt und herzlos bezeichnet, ja verschrieen worden ist. Ein etwas zurückhaltendes und förmliches Betragen, ein gewisser Mangel an politischem Enthusiasmus im höheren Alter und einige in verkehrtem Sinne gedeutete Aussprüche – das sind die Thatsachen, auf die man die wunderbare Ansicht baut, er habe wie ein olympischer Jupiter über der Menschheit gethront und auf das Leben herabgeblickt, ohne es mitzuempfinden; sein Herz sei todt für jedes edle Gefühl, sein ganzes Leben berechnende Selbstsucht gewesen. Wie ein so herzloses Wesen der erste Dichter der neuern Zeit werden, wie ein blutloser, eisiger Diplomat in seinen Werken das ganze menschliche Leben vor uns ausbreiten konnte, dies Wunder zu deuten fiel niemandem ein, bis Menzel auftrat und mit beispielloser Frechheit die Behauptung aufstellte, Goethe sei kein Genie, sondern nur ein Talent gewesen und die ganze Wirkung seiner Werke beruhe auf ihrem Stil – auf einem gewissen Geschick der Darstellung! Menzel ist ein Mann, an den es vielleicht überflüssig ist eine Zeile zu verschwenden; indeß der kecke Ton seiner Schrift und der Schein einer gewissen männlichen Würde bei seinen Anklagen haben diesen eine von dem Buche unabhängige Verbreitung verschafft. Meinem Urtheil nach ist er völlig unfähig, einen Dichter zu würdigen. Ich würde eben so gern den ersten besten Landjunker über seine Ansicht vom Parthenon fragen. Der Landjunker würde sicher einige Kraftausdrücke in Bereitschaft haben, um seine Verachtung gegen das Gebäude an den Tag zu legen, nur würde die Rohheit seiner Sprache nicht Gefühl, Geschmack und Kenntnisse ersetzen können, und ebensowenig kann Menzel's Rohheit die Lücken in seiner Naturanlage und seiner Erziehung ausfüllen, die ihn zum Verständniß der Kunst ein für allemal unfähig machen. Ich erinnere mich eines Spaziergangs, wo ich mit Carlyle über das berüchtigte »Büchlein von Goethe« sprach. Carlyle blieb plötzlich stehen und sagte mit seinem eigenthümlichen Nachdruck in Blick und Ton: »Ja, es ist der Schrei des Entsetzens aller Dummköpfe, daß der Titan nicht auch ein Dummkopf war! Ein göttliches Genie und keine Faser von einem Dummkopf!«
Das Räthsel bleibt also stehen, dem Kritiker zum Trotz: ein großer Dichter, dem alle Empfindungen, welche die Dichtung darstellt, fremd sind; – ein mächtiger Geist ohne Seele; – ein Mensch, der den Werther, den Egmont, den Faust, Wilhelm Meister, Hermann und Dorothea schreibt und die Freuden und Schmerzen der Menschheit nicht kennt! Will jemand im Ernste solche Lächerlichkeiten vertheidigen? Noch ist es eigenthümlich, daß jeder, der Goethe kannte, ihn lieb hatte; Kinder, Frauen, Schriftsteller, Gelehrte, Dichter, Fürsten – alle liebten ihn in einer Weise, wie nur ein Wesen, das der Liebe würdig ist, geliebt werden kann. Selbst Herder, der gegen alle Welt verbittert war, sprach mit einer Verehrung von ihm, die Schiller in Erstaunen setzte: »Goethe wird von sehr vielen Menschen (auch außer Herder) mit einer Art von Anbetung genannt und mehr noch als Mensch denn als Schriftsteller geliebt und bewundert. Herder giebt ihm einen klaren universalischen Verstand, das wahrste und innigste Gefühl, die größte Reinheit des Herzens.« Man hätte das alles aus seinen Werken entnehmen können, wenn nicht die vorgefaßte Meinung von seiner Kälte und Gleichgültigkeit den Blick getrübt hätte. »In keiner Zeile,« sagt Carlyle, »spricht er mit Härte über einen Menschen, kaum über eine Sache. Er kennt das Gute und liebt es; er kennt das Schlechte und Gehässige und verwirft es, aber beides ohne Heftigkeit. Seine Liebe ist ruhig und schöpferisch, seine Verwerfung mehr angedeutet als ausgesprochen.« Ausnahmen, wie jenes rückhaltlose Wort über Kotzebue und Böttcher: »die gründlichsten Schufte die Gott erschuf«, beweisen eben nur, daß er auch rechtschaffen hassen konnte, wie es einer tüchtigen Natur zukommt.
Aber so ist es im Leben; ein Gerücht, das vielleicht aus Unkenntniß oder Gedankenlosigkeit entsprang, wird durch geschäftige Bosheit verbreitet und aller Gegengründe ungeachtet zuletzt geglaubt. Gewisse Namen umschwebt ein günstiges oder ungünstiges Vorurtheil, dem man sich hingiebt, ohne nach dem Ursprunge zu fragen. Vielleicht darf ich hoffen, daß die redenden Thatsachen, welche ich angeführt habe, allmälig eine richtigere Ansicht über Goethe's Charakter verbreiten werden.