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Industry and Idleness
The industrious 'Prentice a Favorite and intrusted by his Master
Fleiß und Faulheit
Der Fleißige, der Liebling seines Prinzipals und im Besitz von dessen Vertrauen
Spruch: Du frommer und getreuer Knecht,
du bist über Weniges getreu gewesen;
ich will dich über Viel setzen.
Matth. Cap. 25. V. 21
Man hat unserem Künstler, und wohl nicht ganz mit Unrecht, vorgeworfen, daß sein Genie auf diesem und den beiden folgenden Blättern nicht in dem vorteilhaften Lichte erscheine, das man an ihm gewohnt sei, und worin es sich auch, selbst in dieser Geschichte, weiterhin sogleich wieder zeige. Über diesen Vorwurf in allgemeinerer Form habe ich mich bereits oben in der Einleitung zum ersten Blatte dieses Hefts S. 993, 994 u. f. erklärt: hier mögen nur noch einige Bemerkungen stehen, die denselben in dieser eingeschränkteren treffen. Hogarth hat, nach einem gewiß sehr überlegten Plane, der Lebensgeschichte eines jeden seiner Helden sechs Blätter zugedacht. Weniger konnten es ihrer nicht wohl sein, wenn leichte und natürliche Übergänge erhalten werden sollten. Da fand es sich denn bei der Ausführung, daß das, was nun einmal nötig war, seinem Genie eben nicht immer behagte. Er erfüllte also zwar bei solchen Gelegenheiten seine Pflicht treu und redlich, war aber auch herzlich froh, wenn er sie erfüllt hatte, und eilte nun den Szenen zu, wo diese Erfüllung zugleich Bedürfnis für seinen Geist war. Sein Werk wird also immer reichhaltiger, jemehr sich die Geschichte ausbreitet, und das Genie des Künstlers erscheint schier in seiner völligen Glorie da, wo diese Familien-Geschichte endlich (und das will in London schon was sagen) zur Stadtgeschichte wird. Bei einem geschriebenen Roman, wo gewöhnlich weder der Blätter- noch selbst der Kapitel-Wechsel von sonderlicher Bedeutung für das Stück selbst ist, würde man so etwas kaum bemerkt, vielweniger Nachlässigkeit genannt haben. Aber bei dem in Kupfer gestochenen verhält sich alles ganz anders. Wer da ein Blatt umschlägt, glaubt einen Vorhang aufzuziehen, der vor dem nächst folgenden hing. Das neue Blatt läßt wie ein neuer Aktus des Schauspiels, und von dem gleichen Format erwartet man gleiche Fülle in der Darstellung. Bei gedruckten Werken merkt man es bei weitem nicht so leicht, wenn der Herr Verfasser, um ein Kapitelchen voll zu kriegen, zwei Drittel davon mit leerem Papier ausstopft. – Bei einer künftigen Theorie der hogarthischen Romane, die, so viel ich weiß, noch nicht entwickelt ist, wird vielleicht ausgemacht, daß es nötig wäre, manche Übergänge von einem Folio-Blatt zum andern durch Duodez-Blättchen in Vignetten-Form zu machen, und wenn denn doch nun einmal in menschlichen Kunstwerken dieser Art leere Räume nicht zu vermeiden sind, sie wenigstens so klein zu nehmen, als möglich.
Um indessen nicht ungerecht zu sein, muß man bedenken, daß der Tadel, von dem hier die Rede ist, doch nur dieses vierte Blatt hauptsächlich trifft, das fünfte und sechste schon sehr viel weniger, und von allen bleibt, wie mich dünkt, das oben gegebene Urteil wahr: das Korn ist immer gut, nur an Schrot scheint es zu fehlen. –
Hier stehen sie nun beide im Comtoir, Herr West, der Prinzipal, und Gutkind, der getreue Knecht, der in Wenigen getreu gewesen ist, und nun über Viel gesetzt wird. Dieses alles ist sicherlich mit großer und gefälliger Deutlichkeit ausgedrückt. Wests Gesicht, Figur und Stellung haben etwas sehr Edles, und, was mehr wert ist, als alles das, etwas sehr Gutes. Sein linker Arm sanft auf Gutkinds Schulter gelehnt, als Zeichen, nicht allein von Vertrauen, sondern auch von Vertraulichkeit, das nicht so leicht verschwendet wird, und, gottlob! noch nicht so häufig verfälscht in der Welt herumläuft, als Umarmung und Bruderkuß. Mit der Rechten weist er sprechend auf den stäten und richtigen Gang der Maschine hin, die ihn zu dem Manne gemacht hat, der treue Diener belohnen kann, auf die Fabrik. Der Gestus bedarf keiner Erklärung. Man sieht wohl, der Knoten, dessen Schürzung vielleicht in der Kirche den Anfang nahm, wird immer stärker angezogen. Miß West ist hier freilich nicht gegenwärtig, auch würden wir schwerlich einmal ihren Namen nennen hören, wenn wir hören könnten, was hier gesprochen wird. Allein die sanften Lichtblicke von Zufriedenheit und Vertrauen, die hier wechselseitig von Auge zu Auge und von Herz zu Herz auf dem kürzesten Wege überzugehen scheinen, sind sicherlich zum Teil ihr Werk, und gelangen wenigstens, erst von ihr reflektiert, von dem einen zum andern; und man versteht sich hier leichter, und nähert sich leichter, weil sie die stille Vermittlerin ist. Dieses weibliche Geschöpf ist nämlich, wiewohl hier unsichtbar, dennoch das Aneignungs-Mittel bei dem Herzens-Verein, den wir hier erblicken. Mit beiden Teilen durch Liebe verschiedener Art verwandt, vereinigt sie beide durch das Band einer dritten Art, und also sich selbst und sie, zu dem Glückseligkeits-Triangel, der wohl mit größerem Recht den Namen des gleichseitigen verdiente, als der berüchtigte italiänische.Triangolo equilatero heißt in Italien das häusliche Glückseligkeits-System aus Mann, Frau und Amant. Denn dort wird die Stelle des letztern nicht durch den Mann selbst versehen, wie bei uns und in England.
Dem eben genannten pathognomischen Zeichen des Zutrauens von Seiten des Prinzipals, hat Hogarth noch sehr starke merkantilisch-praktische beigefügt; und so etwas war des Publikums wegen nötig, für welches er hier hauptsächlich arbeitete. Gutkind hat, wie man sieht, den Beutel, die Schlüssel und die Bücher. Das ist alles Mögliche, zumal wenn es unter dem sanften Einfluß des Gestirns geschieht, das wir aus dem Widerschein von diesen Gesichtern kennen, und das nun für dieses Familien-Leben die schöne Jahrszeit allmählig heraufführt. Außer diesen hat Hogarth, vermutlich für eine gewisse Klasse von Beschauern, noch ein Zeichen dieses Vertrauens angebracht, das bei weitem der feinere Teil seiner Verehrer nicht bloß für einen Überfluß, sondern für einen Mißgriff halten wird. Auf der herabgeschlagenen Klappe des Bureau liegen ein Paar rechte Handschuh (man sieht nicht gleich, wie sie hierher kommen), die sich in ihrer Leerheit so anfassen, als wären es volle, warmblütige Hände. Ein sehr gemeines Sprichwort im Englischen sagt von sehr Vertrauten: they are hand and glove (sie sind Hand und Handschuh), aber nicht they are glove and glove. Gäben sich hier ein Paar Betrüger die natürlichen Hände, und ihre Handschuhe machten es auf dem Tische nach, so wäre der Einfall hogarthisch gewesen. O! so was können wir auch, hätte es geheißen. Wenn warmer Händedruck Fülle der Freundschaft bezeichnet, so bezeichnen diese Bälge da puls- und freundschaftsleeren Raum, ein Herzlichkeits-Vakuum, und was soll das hier? Handschuhe sind Masken. Beim Eide werden sie nicht geduldet. Ja, die Ohrfeige sogar mit dem Handschuh gegeben, soll, wie ich höre, sich mehr Wertes vergeben als geben. Solche Zartgefühle muß man nicht töden; lieber neue zu erwecken suchen. Es hat mich daher unendlich gefreut, einst selbst unter meinem Fenster zu sehen, wie wenig deutscher Biedersinn, bei Geschäften, die Maske duldet, nicht einmal die maskierte Hand. Ein Fremder fragte, wo nicht einen Einwohner unserer Stadt, doch jemanden der die Stadt kannte, nach einer gewissen Straße. Der Befragte hatte Finger-Handschuh an, und einen Stock in der Hand, damit hätte die Marschroute leicht gezeichnet werden können, aber das war dem ehrlichen Manne nicht genug. Er zog seinen rechten Handschuh, mit Mühe, unter vermutlich gleichgültigen Gesprächen, ab, und zeichnete nun den Weg nach der verlangten Straße mit dem bloßen Zeigefinger in die Luft. So recht, dachte ich, und werde sicherlich diese wahrhaft deutsche Zurechtweisung nie in meinem Leben vergessen.
In dem Blick des jungen Lieblings ist sehr viel Treuherzigkeit und hoffnungsreiche Gesetztheit, obgleich in Figur und Anstand weniger Eleganz, als bei dem Prinzipal. Sie wird aber durch bedeutungsvolle Stämmigkeit ersetzt, die sich besonders in den untern Extremitäten zeigt. Es gibt aber sicherlich, wo nicht gar eine elegante, doch gewiß eine edle Stämmigkeit. – Nicht wahr Madam?
Zur Linken tritt so eben ein Packträger der Altstadt (City-porter)) mit vier Ballen Zeug, vermutlich aus einer entferntem Westischen Fabrik herein. Vielleicht ist es die Probe von einem neuen glücklichen Versuch, den man gemacht hat. Daß der Kerl privilegiert ist, zeigt das Stichblatt vor der Brust. Es ist kein Ritter-Kreuz, sondern ein Ableiter gegen den fürchterlichen Strahl der Zwang-Wetter (Press gangs), die zuweilen im Lande der Freiheit aufsteigen und große Verheerung anrichten. Über der Weste sieht man bei uns, außer dem militärischen Ringkragen, der nicht hierher gehört, dergleichen Amulette nicht; unter derselben aber sollen sie häufig, sogar auf bloßem Leibe, getragen werden; nicht von Freien, als Privilegium gegen Gewalt, sondern gerade umgekehrt, von armen Geschöpfen, die Amor gepreßt und verhandelt hat. Deutlich kann ich das Zeichen davon nicht angeben; ich habe nur ein einziges einmal flüchtig angesehen. Ein Kreuz war es, aber kein solches, wie gegenwärtiges, auch kein Malteser-Kreuz, und noch viel weniger ein Andreas-Kreuz, sondern wo ich nicht irre, ein kleines, niedliches – – Haus-Kreuz.
Außer den vier Ballen, die der tätige Mann schleppt, werden unsere Leser noch ein Päckchen bemerken, das fast aussieht, wie ein sub No 5 zum Beischluß. Es ist aber des Kerls Nase, eigentlich eine von den schwefelkiesartigen Excrescenzen, die sich leicht an Menschenköpfen, worin viel körperlichen Geistes destilliert wird, in dieser Gegend ansetzen. Die Punkte auf derselben sind nicht, wie einige geglaubt haben, Nägel oder Schrauben-Köpfe, den Krystall fest zu halten, sondern vielmehr das Gegenteil, nämlich Beweise, wie fest dieses Wesen sitzen müsse, indem jede innere Kraft, anstatt es abzusprengen, sich bloß in kleinen Eruptionen an der Oberfläche zeigt, ohne die mindeste Erschütterung des Ganzen. Es sind bloß so genannte Nasen der zweiten Ordnung (nez secondairs). Ganz wohl mag es indessen dieser Nase nicht behagen, sich in der Gesellschaft von solchen Formen zu finden, als sie hier an den beiden Männer-Köpfen antrifft. Es ist kaum möglich, hier nicht an ein Nos poma etc. zu denken. – Bei sich hat der Kerl seinen Hund, dessen Nase eine weit größere Gefahr, als die einer bloß symbolischen Vergleichung, läuft. Der Hund wird nämlich von der Hauskatze mit instinktmäßiger Etikette und der Miene einer Art von bewaffneter Neutralität empfangen, die bedenklich aussieht. Die Katze ist im Besitz des Terrains und der Anhöhen, denen sie noch mit ihrem Rücken eine Gebirgs-Etage zulegt, und wirklich scheint es, über diesem Drohungs-Pomp, zu Traktaten zwischen ihr und einem Mächtigeren zu kommen. – Wie diese Neben-Szene hierher kömmt, ist nicht so ganz leicht auszumachen. Vielleicht sind Katzen als nächtliche Fädenhüter gegen Mäuse in diesen Fabriken gebräuchlicher, als ich weiß; oder deutet die Katze hier auf Whittingtons Rips und Glück, oder steht sie als Äußerung von Mißtrauen hier zum Kontrast von dem Vertrauen dort bei dem Bureau. Hund und Katze sind wenigstens nicht Hand and glove, so viel ist gewiß. Vielleicht ist es hier, wie überhaupt bei epinösen Dingen, am besten getan, nicht allzu weise zu sein. Es wäre nämlich eben so möglich, daß Hund und Katze hier bloß als Attentions-Fänger (Captatio attentionis) für die handelnde Jugend von Cheapside und CornhillNamen von Londonschen Straßen, die statt aller dienen können, wo erfreuliches Handels-Gewühl durch Namen von Straßen ausgedruckt werden soll. ständen. Schriftsteller mögen hieraus lernen, was für ein wichtiger Artikel in ihrem ganzen Leben die Attentions-Jägerei ist, aber zugleich auch, wie gefährlich, sie episodenweise, ohne Verschmelzung mit dem Hauptwerke, bloß an dasselbe anzukleben. Selbst der Almanach an dem Bureau, so flüchtig er auch da aufgehängt erscheint, hängt fester mit der Geschichte zusammen. Der Kupferstich auf demselben stellt eine personifizierte Industrie vor, die die fliehende Zeit mit der Linken bei den Haaren faßt, und zugleich mit der Rechten die Sense pariert, womit diese jener die Beine abmähen oder das Knie lähmen will. Gut und verständlich. – Dieses Blatt wäre vielleicht noch einer andern Deutung fähig, zumal wenn der Kupferstecher noch ein wenig hätte nachhelfen oder der Leser ein Auge zudrücken wollen. Aus den Webern an den Webstühlen, dort im Hintergrunde, hätten sich leicht Weber am Schreibpulte, und so die Zeugfabrik in eine deutsche Übersetzerei verwandeln lassen. Doch wir lassen dieses, um nicht, was Hogarth leer gelassen hat, mit bloßem Papier, und am Ende gar mit Makulatur auszustopfen.