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Draußen auf Lille-Torungen waren merkwürdige Dinge geschehen, die man sich drinnen in der Stadt geschäftig berichtete.
Vor einer Woche hatte den alten Jakob der Schlag getroffen und in der Nacht, in der die »Juno« ihr Wagestück ausführte, war er gestorben. Während der letzten paar Tage hatte man aus dem Sturm heraus Notschüsse gehört, und Elisabeth hatte in dieser Zeit ganz allein das Feuer unterhalten; sie versäumte es nur in jener Stunde, in welcher der Alte seinen letzten Seufzer that und sie, alles andre vergessend, neben ihm saß.
Dies war der Augenblick, der Salve auf der »Juno« so schwere Unruhe bereitete.
Am nächsten Tag hatte das junge Mädchen in seiner Verzweiflung einen lebensgefährlichen Gang über die dünne Eisdecke gewagt, um Leute zu holen; ein Boot hatte dasselbe aufgenommen und nach Arendal geführt.
Die arme Elisabeth war allzusehr von der Trauer um den Großvater eingenommen, als daß sie auch nur entfernt daran gedacht hätte, ihre Erzählung interessant zu machen.
Doch der Lieutenant Carl Beck wußte in seiner Schwärmerei den Begebenheiten einen Schimmer von Romantik zu verleihen, so daß Elisabeth plötzlich zur Heldin des Tages erhoben wurde. Es ging dies vom Hause des Amtmanns aus, der zwei schone Töchter besaß und den der Lieutenant Beck daher täglich besuchte – und nun sprach man von nichts anderem mehr, als von jenem einsamen Mädchen auf Torungen, das neben dem sterbenden Großvater die »Juno« gerettet und sich dann über das Eis getraut habe. Alle sahen ihr an, daß sie ein merkwürdiger Charakter sein müsse. Ueber ihre seltene Schönheit dagegen herrschten in der Frauenwelt geteilte Meinungen – schade, daß sie so vernachlässigt war. Becks hatten nun, wie man sagte, die moralische Verpflichtung, sich ihrer anzunehmen.
Das erste, was die Becks thaten, war auch wirklich, dem alten Jakob ein anständiges Begräbnis zu besorgen.
Dem jungen Mädchen, das in einer der engen Straßen oben bei der Muhme wohnte, flossen, offen und anonym, freundschaftliche Ratschläge, schwarze Kleider und Schmuckgegenstände zu, besonders von jungen Männern und Handlungsbediensteten, und werkthätige Frauen der Stadt waren sogar in eigner Person bei der Muhme gewesen und hatten von Elisabeths Zukunft gesprochen.
Als jedoch der Seeoffizier geäußert, er betrachte diese Geschenke als eine Beleidigung für sich und die Seinigen, hörten dieselben auf.
Er selbst war nur ein einziges Mal mit seiner Schwester oben gewesen. Sein Wesen war überaus einnehmend; er zeigte so treuherzig gewinnend und dabei so bescheiden seinen Anteil an Elisabeths Trauer, und mit einer Rührung, die er nicht zu verbergen vermochte, bemerkte er zum Abschied, daß sie alle ihr es verdankten, wenn ihr Vater noch lebe.
Nachdem er gegangen war, rückte die Schwester mit dem eigentlichen Auftrage hervor. Sie machte der Muhme den Vorschlag, daß Elisabeth zu ihnen ins Haus kommen möge, mit dem Zwecke, bei ihnen nach und nach so viel zu lernen, daß sie eine tüchtige Haushälterin würde; sie sollte nicht der Notwendigkeit ausgesetzt sein, als einfaches Dienstmädchen ihren Unterhalt suchen zu müssen. Der Bruder sei es, fügte sie hinzu, der diesen Plan für Elisabeths Zukunft ausgeheckt.
Der Antrag war für ihre Verhältnisse großartig und wurde von der Muhme mit ungeteilter Freude aufgenommen. Ueber Elisabeths Stirn zog eine flüchtige Wolke; sie fühlte, sie wußte selbst nicht, warum, eine Beklommenheit, mit dem Marinelieutenant in nähere Berührung zu kommen, und doch würde sie es nicht um viel aufgegeben haben.
Schon am folgenden Tag zog Elisabeth in das Becksche Haus.