Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die jungen Becks – wie man sie im Gegensatz zur Familie des Kapitäns nannte – machten in Arendal ein ziemlich großes Haus, und sie konnten es; die Schiffswerft brachte hübsch runde Summen ein.
Der stattliche Marinelieutenant war ein einnehmender Gesellschafter. Sein lockiges, schwarzes, frühzeitig grau gesprenkeltes Haar fiel eigentümlich hübsch um seine Stirn, und wenn man beim Glase von ihm sprach, waren alle darüber einig, daß nicht leicht ein schönerer Mann zu finden sei. Sein Auftreten war voll Vornehmheit und seine Tüchtigkeit von jedermann anerkannt.
So konnte es ihm nicht entgehen, sowohl eine gesellschaftliche als eine kommunale Macht zu werden.
Weit weniger beliebt als Beck war seine Frau. Das Urteil, daß sie in jeder Beziehung so korrekt sei, war eigentlich nicht als Lob gemeint, doch enthielt es eine Art Anerkennung ihrer gesellschaftlichen Macht. In der Stille war sie das ausgleichende Moment für ihren Mann. Ohne ihren Takt hätte er in all der »Gemütlichkeit«, in der er sich bewegte, schwerlich immer die Sicherheit seiner Haltung bewahren können.
Im Verhalten gegen seine Frau schien Beck ein wahrer Ritter zu sein; nie vernachlässigte er die mindeste Aufmerksamkeit und man lobte ihn stets als das Muster eines Ehemannes.
Allerdings wollten die nächsten Freunde ihres Hauses im Verhältnis der Gatten etwas Auffallendes gefunden haben, etwas sonderbar kühl Zurückhaltendes bei beiden, und es verlautete, die Frau verstehe ihren Mann nicht nach voller Gebühr zu schätzen. Es schien, als sprächen die beiden in Gegenwart Fremder am häufigsten und freundlichsten miteinander.
Und dann war Frau Beck so seltsam blaß; ihre Ruhe erinnerte manchmal an Fühllosigkeit und sie begegnete seinem warmen Wesen mit abgemessener Kälte.
Als sie als neuvermählt nach Frederiksvärn gekommen, da war Maries Farbe frisch gewesen und ihre Züge hatten das Glück der ersten Liebe widergestrahlt. Seine gewinnende Persönlichkeit übte einen fast bedingungslosen Einfluß auf sie, und sie fühlte sich sicher im Besitze seiner Neigung.
Einige Fehler, die nicht ganz in Einklang zu bringen waren mit dem Bild, das sie sich von ihm gemacht, traten allerdings nach und nach zu Tage. Er besaß einen außerordentlich großen Grad von Eitelkeit und war vom Urteil der Welt abhängig bis zur Lächerlichkeit. Allein so lange die Hauptsache in Ordnung war und sie fühlte, daß er sie liebe, waren diese Enttäuschungen für sie nur etwas Untergeordnetes. Ja, sie meinte sogar, sie liebe ihn womöglich noch mehr um der Schwachheiten willen, die auszurotten sie sich insgeheim vorgenommen.
Der liebenswürdige Lieutenant Beck wurde in allen Häusern gesucht, und als Liebling der Damen stand er bald zu der ganzen schönen Hälfte des Ortes in einer Art von sentimentalem Courmacherverhältnis.
Wenn er nach Hause kam, trug er meist eine Blume im Knopfloch und er erhielt bald von dieser, bald von jener Dame kleine Geschenke. Sie legten förmlich Beschlag auf ihn wie auf einen gemeinsamen Bewunderungsgegenstand.
Es war ja durchaus nichts darüber zu reden. Die einzige, die sich in aller Stille beiseite geschoben fühlte, war seine Frau. Sie sah, wie sich dieses ganze schwärmende Heer zwischen sie und ihren Gatten drängte.
Sie wurde mit der Zeit minder lebhaft; doch hörte sie, wie es schien, mit Interesse die Berichte an, die er ihr nach solch einer Gesellschaft zu Hause erstattete. Doch wurde ihr Anzug immer gewählter und sie bildete ihre natürliche Unterhaltungsgabe und ihre gesellschaftlichen Talente systematisch aus.
Sie wollte die schöneren Nebenbuhlerinnen, denen sie aber an Geist überlegen war, in den Schatten stellen, was ihr auch gelang.
Der einzige, welchem gegenüber sie die Schlacht nicht gewann, war der Gatte. Die mannigfachen kleinen Schmeicheleien und Huldigungen, deren Gegenstand er war, nahmen seine Eigenliebe zu sehr in Anspruch, um die große Schmeichelei zu verstehen, die in dem Benehmen seiner Frau lag. Er war ja mit ihr verheiratet, und sie gehörte ihm schon ohnehin.
Von daher schrieb sich Maries Einfluß in den Gesellschaftskreisen, in denen sie sich bewegte, und gestützt auf ihres Mannes Wohlhabenheit und Stellung, wußte sie sich denselben auch zu bewahren, als sie nach Arendal zogen.
In den ersten Jahren ihrer Ehe war es einmal zu einer ernsten und für Marie eigentlich endgültigen Auseinandersetzung gekommen. Den Anlaß bot Becks Verhältnis zur Frau eines hochgestellten Offiziers, das Maries Stolz nicht vertragen konnte, obwohl sie einsah, daß dasselbe bei ihrem Mann halb auf Eitelkeit, halb auf Berechnung beruhte. In einer Gesellschaft war sie der Dame auffallend kalt begegnet, und dies warf ihr Beck vor, als sie nach Hause kamen.
Bisher hatte er ruhig auf sein unerschütterliches Verhältnis zu seiner Frau gebaut und in blindem Egoismus nichts von allem gesehen, was diese bewegte. Sie antwortete auch diesmal wenig auf seine Vorwürfe, blieb nur eine Weile ruhig vor ihm stehen, blickte ihm derart in die Augen, daß ihm schlimm zu Mute wurde, und verließ dann ruhig das Gemach. Er hörte sie langsam die Treppe hinaufgehen.
Nach einer Stunde etwa kam sie mit einem Licht in der Hand wieder herein. Ihre Miene war kalt und sie blickte ihn nicht an, während sie nach ihrer Gewohnheit alles aufräumte und für die Nacht in Ordnung brachte. Beck suchte sie zu besänftigen, indem er sie bat, es sich nicht zu Herzen zu nehmen. Er wollte sie liebevoll umfassen und sah plötzlich ein zornentbranntes, leichenblasses Weib vor sich.
Nun nahm sie kein Blatt mehr vor den Mund, und was der Lieutenant zu hören bekam, hätte er gewiß auch dem besten Freunde nicht wiederholt, denn es traf ihn ins Herz, weil es wahr war, obgleich er sich dessen nicht lange erinnerte.
Sie schalt ihn einen erbärmlichen Schwächling, der für eine Schmeichelei sie und alles, was sie gemeinsam teures besaßen, an den ersten besten verschleudere. Es sei, sagte sie mit einer verächtlichen Handbewegung, von seinem zwischen hundert Koketten hin und her flatterndem Wesen nicht ein Stückchen übrig, nach dem ein Weib sich bücken würde, das noch etwas Ehre und Wahrhaftigkeit besäße.
Als sich Beck nun aufs Sofa warf und sentimental ausrief, er sei ein unglücklicher Mann, wiederholte sie ein paarmal im Ton unsäglicher Verachtung: »Ein Mann! Ein Mann! – Ja, wärst du ein Mann, du besäßest noch meine Liebe, – wenigstens noch einen Funken davon: nun aber ist zwischen uns alles erloschen, wie dies Licht hier,« und sie blies die Kerze aus.
Und damit verließ sie das Zimmer.
Beck war überwältigt und förmlich betäubt von dem Schlage, der sein häusliches Glück betroffen, und hatte schreckliche Angst, daß es wirklich ihr Ernst sei.
Marie saß die ganze Nacht beim Bett ihres Kindes und Beck wußte, daß er sie nicht stören durfte.
Trotz der Ueberwindung, welche es seinem Stolz kostete, war er in den nächsten Tagen fast demütig gegen sie und gestand sein Unrecht aufrichtig und herzlich zu. Er suchte sie sogar von seinen ernsten Absichten zu überzeugen, indem er sich eine Zeitlang mit den Damen des Kreises auf einen andern Fuß stellte, und erreichte auch wirklich, daß sie ihn scheinbar wie früher behandelte, das heißt ruhig und freundlich, wie in den letzten Jahren.
Zu einer wahren Aussöhnung kam es nie. Dafür sah sie zu klar, und er war zu egoistisch, als daß eine wahre, ernste Liebe in ihm auch nur hätte Wurzel schlagen, geschweige zu einem gemeinsamem Lebensbaum emporwachsen können.
Gefühlvoll, anständig und gutmütig, wie er war, würde er jede Gattin ausgezeichnet behandelt haben, sogar wenn sie sich ihm nicht so unentbehrlich gemacht hätte, wie die seinige. Sie aber fühlte gut, daß sie in ihrer gesellschaftlichen Macht eine Art von Verteidigungswaffe besitze; denn dies brachte ihn dazu, zu ihr aufzuschauen. Mit Verzweiflung im Herzen erkannte sie, daß sie mit ihrer Liebe zu ihm einen Fehlgriff gethan, daß in ihm nichts Wahres und Treues war, woran man sich halten konnte, nichts von alledem, was sie einst an ihm zu bemerken geglaubt hatte.
Sie kannte das Geheimnis dieses für die Welt so glänzenden Mannes – daß er nämlich kein Mann war.
Es blieb ihr nur noch übrig, klug zu sein, sich an einer bequemen, in äußerer Hinsicht angesehenen Existenz genügen zu lassen und sich das Zusammenleben möglichst erträglich zu machen.
Ihr einziges, tieferes Interesse war ihr Sohn Frederik, den sie streng erzog, weil sie des Vaters Natur in ihm zu entdecken glaubte.
Für Elisabeth hatte sie stets eine warme Empfindung bewahrt und sich jedesmal gefreut, wenn sie von ihr Grüße empfing. In ihrer Erinnerung stand das schlanke Mädchen als eins der Geschöpfe, zu denen sie sich am meisten hingezogen gefühlt hatte. Nach der großen Enttäuschung, die sie erlebt hatte, sah sie oft ganz klar das ausdrucksvolle Gesicht vor sich, das so viel Thatkraft und Gemüt verriet.
Sie hatte Elisabeth hier und da in Arendal gesehen und glaubte zu wissen, warum diese einer Begegnung stets auszuweichen schien; Marie hatte nämlich einmal in ihres Mannes Lade unter alten Briefen den Zettel gefunden, den Elisabeth ihm einst geschrieben.
Für sie war das kein Schlag, – sie kannte ihres Mannes flüchtige Natur viel zu gut, und sie hatte ja leider jedes tiefere Verhältnis zu ihm aufgegeben.
So oft aber Marie die Frau des Lotsen flüchtig auf der Straße erblickte, spähte sie forschend in ihrem Gesicht, ob sie auch glücklich aussehe; doch sie meinte, sie entdecke an ihr eher etwas Gedrücktes. Und als sie dann vernahm, daß der Lotse so hart und unzugänglich sei, da glaubte sie die Gewißheit zu haben, daß auch Elisabeth in ihrer Ehe nicht glücklich sei. Sie fühlte den Drang, sich gegen Elisabeth, wie keinem andern Menschen gegenüber, auszusprechen, von ihr zu hören, daß sie nicht die unglücklichere von beiden sei.
Auch Elisabeth hatte sich gesehnt, die alte Freundin wiederzusehen. Aber das Becksche Haus war für sie aus mancherlei Ursachen verbotenes Gebiet. Allein sie hatte bemerkt, daß Marie auffallend bleich geworden.
Besonders einmal hatte sie diesen Eindruck, als sie, im Begriff heimzureisen, mit ihrem Sohn unten bei der Landungsbrücke stand. Da kam in einiger Entfernung Frau Beck am Arm ihres Mannes vorbei und sah lange nach ihr zurück. Ihr Blick weilte so traurig und zögernd auf ihr, als ob er ihr etwas sagen oder anvertrauen sollte, und unwillkürlich grüßten sich beide.
Darauf vergingen Jahre, ohne daß sie sich wiedersahen, denn Elisabeth kam in jener Zeit fast nie nach Arendal.