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Fünfzehntes Kapitel.

Vor einer leichten Nachmittagsbrise glitt die »Juno« aus dem Meer in den engen Einlauf von Rio Janeiro, einen der schönsten der Welt; die wunderbare Pracht der Natur machte auf Salve einen so gewaltigen Eindruck, daß ihn eine Art Reue über seinen Entschluß zu entfliehen überkam.

Als die Hafenbeamten an Bord kamen, arbeitete der Brasilianer ruhig unter den andern Matrosen, und sie merkten nicht, daß in der vom Kapitän angegebenen Mannschaftszahl ein Ueberschüssiger war. Salve hatte ihm Kleider geliehen.

Der Hafenlotse, ein aufgeblasener Mulatte in einem Panamahut mit Tuff, und mit Schild und Stab, merkte jedoch bald, daß unter der Besatzung Unzufriedenheit herrschte; und gewiß fanden sich auf seinen Wink schon am gleichen Abend Quai Runners Runner (vom englischen to run, rennen) sind ungern gesehene Agenten, welche die Matrosen verlocken, zu entweichen, ihr Geld zu verthun etc. bei ihnen ein.

Kapitän Beck war mit sich und der Mannschaft unzufrieden. Im warmen Klima war er immer heftig; oft suchte er sich in anerkennenswerter Weise zu beherrschen, doch folgten darauf häufig nur um so heftigere Ausbrüche.

Jener Brief seines Sohnes hatte ihn erbittert, und nun, da er seine Autorität gekränkt glaubte, war er unbeugsam geworden.

Die Matrosen, die daran dachten, das Schiff zu verlassen, hielten es für angemessen, zu warten, bis sie, wie es im Hafen gewöhnlich geschieht, einen Teil ihrer Heuer ausgezahlt bekamen, doch Salve und der Brasilianer waren schon in der zweiten Nacht verschwunden.

Man stellte unter dem Beistand der Hafenpolizei scharfe Nachforschungen an, insbesondre bei jenem Runner, den man mit der Mannschaft hatte sprechen sehen. Allein dieser zeigte bei der Hausdurchsuchung ein so freies Gewissen, daß die Polizei meinte, daß er nicht dabei beteiligt sein könne.

Von nun an verstärkte Beck in der Nacht die Wachen mit den verläßlichsten seiner Leute, holte jeden Abend weiter weg vom Quai und verweigerte jeglichen Urlaub. Nun habe er seinen Lohn dafür, bemerkte er bitter, daß er jenem rotjackigen Gaudieb geholfen, der ihm zum Entgelt seinen besten Mann mitgenommen habe.

Daß Salve entwichen, ärgerte den Kapitän mehr, als er sich zugestand. Er hatte seinem Versprechen gemäß dafür gesorgt, daß jener bei der Ausfahrt vom ersten Steuermann die Navigation erlernte, und dabei hatte er den Plan gehabt, Salve zum Führer der »Juno« zu machen, sobald er sich einmal zurückzog. Denn er fühlte wohl, daß er nie einer redlicheren, verläßlicheren Natur begegnet war, und überdies besaß Salve eine ungewöhnliche Begabung.

Seine Hoffnung, der Brasilianer sei der Mann, ihm fortzuhelfen, sobald sie im Hafen waren, hatte Salve bald bestätigt gefunden, und er hatte verstanden, sich denselben auf mannigfache Art zu verpflichten. Ehe sie das Schiff verließen, nahm er seine silberne Uhr, ritzte in dieselbe mit der Messerspitze »Zur Erinnerung an Salve Kristiansen« und steckte sie Nils Buvaagen in die Westentasche. Dieser schnarchte laut und vernehmlich in der Nebenkoje. Von der Deckwache nicht bemerkt, kletterten die beiden Männer dann in der stillen Nacht über das Landtau auf den Quai.

Salves Begleiter schien mit den Lokalitäten wohl vertraut und zugleich sehr furchtsam zu sein; denn sie mieden alle erleuchteten Straßen und hielten oft an dunkeln Plätzen an, um nach der Nachtwache zu spähen.

Eine Stunde lang waren sie durch enge Gassen gewandert; da begannen die Häuser mit Gartenmauern abzuwechseln. Zweige von Pomeranzenbäumen hingen über dieselben und verbreiteten ihren starken Duft in der stillen Nacht. Sie waren in der Vorstadt Catumby angelangt und sollten nun über einen offnen Platz in die andre Vorstadt Mata-Porcas. Auf einer Seite erblickte man ein festungähnliches, mit Steinmauern umgebenes Gebäude auf einer Anhöhe. Salves Kamerad zeigte sich überaus ängstlich und sagte, dies sei die Strafanstalt, um welche stets eine Patrouille streife. Nach einem weiteren halbstündigen Marsch hielt er endlich vor einer Gartenmauer, durch die ein kleines Pförtchen führte. Er schaute sich vorsichtig um und sagte fieberhaft erregt: »Hier müssen wir hinüber, – dann sind wir in Sicherheit!«

Er stieg auf Salves Rücken und zog den Freund nach sich auf die Mauer. Mit einem Sprung war er im Garten unten und begann sich nun wie wahnsinnig im Gras zu kugeln, indem er fortwährend rief: » Salvado! Salvado!« – hierauf eilte er zu dem kleinen Haus, das von Bäumen halb versteckt da lag, klopfte auf eigentümliche Art an die Thüre und rief: »Paolina! – Paolina!«

Ein Frauenzimmer im Nachtgewand, mit einer jugendlichen, wenngleich etwas tiefen Stimme, öffnete die Jalousieen und steckte den Kopf heraus.

»Federigo!« sagte sie zitternd, und nun wechselten die beiden in spanischer Sprache ein paar hastige Fragen und Antworten, die Salve nicht verstand. Er merkte bloß, daß sie stutzte, als sie einen Fremden sah, und daß jener sie durch das Wort » amigo« und eine kurze Erklärung beruhigte.

Eilend schloß sie auf, fiel Federigo leidenschaftlich um den Hals, küßte ihn auf beide Wangen und schluchzte. Dann bot sie nach Landesbrauch auch Salve die Wange hin und schien erstaunt, als dieser ihr nur seinen Gruß zunickte und halb englisch, halb spanisch zurief: » Good evening, Señorita!« Nun erinnerte sie sich erst, daß sie in der Aufregung ihre Mantilla vergessen, und lief hastig weg.

Paolina war die Schwester von Federigo Nunez. Sie, ihre alte Mutter und eine noch ältere Mulattin, die einst ihre Amme gewesen, bewohnten das Haus ganz allein. Bald trat sie wieder ein und brachte auf einem Brette Licht, Brot, Wein und Früchte. Sie setzte sich an den Tisch, legte den Arm auf die Schulter des Bruders und hörte teilnehmend an, was jener mit lebhaften Gebärden erzählte. Sie mußte wohl meinen, daß die beiden halb verhungert seien; denn unaufhörlich schob sie ihnen das Brot zu.

Während Federigo erzählte, schien ihr Gesicht der lebende Spiegel seines Berichtes. Plötzlich überzog eine leidenschaftliche Blässe ihr Antlitz und die schwarzen Augen blitzten. Sie stieß gewaltsam mit der Hand in die Luft, als ob sie jemand einen Dolchstoß versetze, und lachte, mit zurückgeworfenem Nacken höhnisch triumphierend, so daß ihre Zähne hervorschimmerten. Salve merkte, daß der Bruder in Montevideo ein oder den andern getötet habe, vermutlich um sich zu retten, und daß er befürchtete, die Polizei in Rio sei davon unterrichtet.

Salve saß und betrachtete Paolina. Sie war ein elastisch schlankes Weib, anmutig, mit schwellenden Formen, eine dunkle Schönheit von jenem Schlag, den nur der Süden besitzt, mit wundersamer Lebhaftigkeit im Antlitz und in den funkelnden Augen. Allein das Mienenspiel, das an den Bruder erinnerte, schien ihm unweiblich, und schon die Art, wie sie mehrmals den Blick auf ihm ruhen ließ, hatte ihn abgestoßen. Wie es geschah, wußte er nicht; jedoch plötzlich wurde ihm Elisabeths tiefes, reines, nordisches Gesicht so gegenwärtig, daß er es hätte zeichnen können.

Das wenig Schmeichelhafte, das Salves Miene unwillkürlich ausdrückte, während er diesen Vergleich anstellte, ward zufällig von Paolina bemerkt, die ihm eben in ihrer feurigen Art für alles danken wollte, was er, wie sie gehört, für ihren Bruder gethan. Einen Augenblick stutzte und schwankte sie; etwas Bleiches, Heftiges zuckte in ihren Zügen auf und das Auge blickte ihn ganz eigentümlich an. Sie trat zu ihm hin, ergriff seine Hand, so wie sie es ihn bei der Begrüßung hatte thun sehen, und sprach dann ziemlich kalt einige Worte, die ihren Dank ausdrücken sollten. Sie sah ihn auch nicht an, als sie ihm gute Nacht wünschte, sondern weckte bloß das alte Mulattenweib, das ihnen im Nebengemach ein paar Binsenbetten bereitete. Federigo war indessen zu seiner Mutter gegangen, und Salve hörte, daß eifrig gesprochen wurde.

In Salves Gemüt war nun unerwartet wieder heraufbeschworen, was er am liebsten vergessen hätte, und lange Zeit lag er mit seinen schweren Gedanken an Elisabeth wach. Dann aber träumte er, er sei in ein Schlangennest geraten und bestehe einen ernsten Kampf mit einer großen Schlange, die aus der Luft herab, von Dach und Wänden nach ihm stach und in deren funkelnden Augen er schließlich die Augen Paolinas erkannte.

*

Die Señorita war diesen Vormittag mit der alten Mulattin ausgegangen, um Einkäufe zu machen und zu beobachten, inwieweit man Nachforschungen anstellte.

Geleitet von dem Wunsche, sich seiner Umgebung anzupassen, zeigte sich Salve in dem seinen, blauen Tuchanzug, den er in seinem Bündel zugleich mit andern Sachen und dem Gelde mitgebracht, das er sich von der in Montevideo ausgezahlten Löhnung erübrigt hatte. Daß er sich in der schmucken Seemannstracht gut ausnahm, bemerkte er an der Ueberraschung, mit welcher ihn Federigos Mutter betrachtete, als er ihr vorgestellt wurde. Offenbar hatte sie in diesem Freund ihres Sohnes einen rohen brasilianischen Matrosen zu finden erwartet, eine Menschengattung, die dort meistens der niedrigsten Hefe des Volkes angehört.

Die Mutter selbst war ein eingefallenes, pergamentfarbenes altes Weib mit dickem, grauem Haar, das im Nacken zu einem einzigen Knoten zusammengebunden war. Sie trug an den Fingern massive Ringe und schwere Gehänge in den Ohren. Die kleinen, stechenden Augen sprachen von ausgebrannter Leidenschaft, und ihr Gesicht trug in noch höherem Maße den spähenden Ausdruck, den manches Mal auch die Miene des Sohnes zeigte.

Uebrigens hatte Salve bald entdeckt, daß die Alte dem Trunke zugethan sei. Den größten Teil des Tages verbrachte sie auf der Schattenseite des Hauses oder auf der kleinen Veranda, hatte stets Acachacas mit Wasser neben sich, während sie unablässig rauchte und Cigaretten rollte. Die Geschwister behandelten sie dennoch mit Ehrerbietung, denn offenbar war sie es, die die Fäden der Unternehmungen leitete, in die ihre Kinder verwickelt waren. Am Abend um das Ave-Maria-Läuten lag sie oft berauscht auf den Knieen, drehte den Rosenkranz und murmelte ihre Gebete, worauf sie sich dann gleich ins Bett begab.

Als die Señorita nach Hause kam, vermied sie es immer noch, sich an Salve zu wenden. Wie er bemerkte, übergab sie dem Bruder ziemlich viel Geld, und nun wurde dessen Antlitz, das den ganzen Vormittag über traurig gewesen, wieder heiter.

»Was hast du meiner Schwester gethan?« fragte Federigo eines Tages lachend. »Sie ist dir nicht gut. Sie ist gefährlich,« sagte er ernsthaft; doch fügte er gleichsam überlegend, hinzu: »Solange du in diesem Hause bleibst, bist du jedenfalls sicher, allein gewarnt habe ich dich.«

Inzwischen begann sich Federigo ebenso wie Salve in dem langen Hausarrest zu langweilen. Am Abend ging er, trotz der Ueberredungskunst seiner Schwester, aus und kam spät heim. Dann war er in düsterer, aufgeregter Laune, und Salve entnahm aus seinen abgebrochenen Aeußerungen, daß er all sein Geld im Spiel verloren habe.

Schon am zweiten Morgen hatte Salve bemerkt, daß im Hause Geldmangel herrschte.

Eines Tages waren beide Geschwister in sehr schlechter Laune. Er hörte sogar, daß sie heftig stritten. Nun führte er in einem passenden Augenblick seinen Entschluß, den er schon vorher gefaßt hatte, aus und übergab Federigo sein ganzes Geld bis auf einen einzigen Silberpiaster, weil er unter diesen Verhältnissen seinen Aufenthalt bezahlen wollte.

Dies wurde, wenn auch zögernd, angenommen, und am Abend war Federigo wieder fort, während Paolina auf der Veranda daheim sitzen blieb.

Die Verschiedenheit der Sprache verhinderte sie und Salve, miteinander zu reden, worüber er eigentlich froh war. Doch hatte Paolina ihn in der letzten Zeit öfters mit einem gewissen Interesse angeschaut und durch den Bruder Fragen an ihn gerichtet. Ihr Vorstellungskreis schien aber alles eher als reich; denn ihre Fragen liefen stets auf ein und dasselbe hinaus, nämlich wie die Frauen in seinem Lande aussähen, so daß er bald alle zu der Beantwortung derselben nötigen spanischen Worte auswendig wußte.

Während er diesen Abend, in seinen Stuhl gelehnt, dasaß, ging sie hinter seinem Rücken vorbei und strich wie zufällig mit der Hand leicht durch sein Haar. Wäre dasselbe elektrisch gewesen, es hätte Funken gesprüht wie das einer Katze so zornig war er über diese Annäherung.

Als Federigo heim kam, schleuderte er seinen Hut wütend auf einen Stuhl und trank mit einem einzigen hastigen Zug das Glas Rum aus, das auf dem Tisch stand. Er trug den hübschen Mantel nicht mehr, mit dem er fortgegangen war.

»Ich habe all dein Geld verspielt!« rief er, ohne sich länger Zwang aufzulegen, Salve auf englisch zu und äußerte dann mit unangenehmem Gelächter etwas zur Schwester, deren Gesicht bewies, daß sie den Zusammenhang sogleich begriffen hatte.

»Hier ist mein letzter Piaster,« sagte Salve rasch und reichte Federigo das Silberstück. »Vielleicht läßt sich damit etwas versuchen?«

»Er hat Glück in der Liebe,« bemerkte Paolina verdrießlich und naiv abergläubisch; – »er ist verlobt.«

Der Bruder balancierte den Piaster auf dem Zeigefinger und übersetzte lachend diese Worte dem Freunde; doch dieser fiel ihm ins Wort und antwortete mit einem ungeduldigen Blick auf die Señorita: »Ich bin nicht verlobt – werde es nie sein!«

»Unglücklich in der Liebe!« rief sie jubelnd, »und der letzte Piaster! – Morgen gewinnen wir hundert, zweihundert, Federigo!«

Es klang wie ihres Herzens tiefste Ueberzeugung. Sie ergriff eine Mandoline und tanzte einige Schritte vor und zurück, während ihre Augen mit einem eigentümlichen Blick auf Salve ruhten.

»Beeile dich, Federigo, – noch heute abend!« unterbrach sie sich plötzlich lachend und warf die Mandoline aufs Sofa; – »bis morgen kann er wieder Pech haben!«

Sie ergriff des Bruders Hut, drückte ihn ihm auf die Stirne und trieb ihn lebhaft zur Thür hinaus.

Während sie und Salve allein dasaßen und in dem von der Lampe erleuchteten Gemache warteten, dessen Fenster und Thüren sich der dufterfüllten Mondnacht öffneten, die über den dunklen Bäumen glitzerte, schenkte ihm Paolina Rum und Wasser ein und begann ihm Cigaretten zu drehen, eine Kunst, in der sie ihn, nach ihrem Gelächter und ihrer Miene zu schließen, sehr ungeschickt fand. Sie war fieberhaft erregt und lief alle Augenblicke zum Gartenpförtchen hinunter.

Salve saß ruhig da, rauchte und nippte an seinem Glas, während sie sich in einem Rohrstuhl wiegte und ihn ansah. Er hörte sie seufzen und mit leiser Schmeichelstimme sagen: »Ich fürchte, Federigo hat Unglück!«

Salve war nicht so dumm, um nicht den geheimen Sinn dieser Worte zu verstehen. Er sah auch, daß sie schön war, wie sie so mit den Händen ums Knie da saß und den anmutig geformten Fuß vorstreckte; aber er empfand nur Aerger darüber, daß solch eine brasilianische Dirne es wagen konnte, sich mit Elisabeth in eine Linie zu stellen. Er schleuderte plötzlich die Cigarre weg und ging, ohne seinen Unwillen zu verhehlen, in den Garten hinab.

Er haßte die Weiber, seitdem ihn die eine, die er geliebt, getäuscht hatte; er ging mit seinen gewöhnlichen hastigen Schritten noch im Garten auf und ab, als Federigo triumphierend und erhitzt heimkam.

»Nahezu dreihundert Piaster!« rief er und durchmaß den Garten in drei, vier Schritten. Im Gemach lag die Schwester und schlief.

Bei dieser Mitteilung sprang sie erregt empor, und Salve sah die beiden Geschwister das Silber mit kindischer Freude auf einen Tisch ausbreiten und in drei Teile teilen. Da aber Salve durchaus nicht zu bewegen war, mehr als seinen einen Piaster zurückzunehmen, kam in den Blick der Señorita etwas fast demütig Bewunderndes. Sie begriff diese Aufopferung nicht; doch ahnte sie darin eine verborgene Ueberlegenheit. Nach kurzem Bedenken streckte sie ihm die Hand hin und sagte: »Señor, geben Sie mir den Piaster, den Sie in der Hand haben; ich gebe Ihnen einen andern dafür.«

Salve gab ihr denselben und sie küßte die Münze zu wiederholten Malen.

»Mit diesem spiele ich morgen abend!« rief sie froh und barg den Piaster im Busen.

Sie gewann auch wirklich und kam strahlend zurück.

Salve nahm an, daß die Familie geradezu vom Spiel lebe. Außerdem hatte der Sohn Verbindungen mit irgend welcher Partei und schien Aussicht zu haben, in einem Freikorps Offizier zu werden, falls eine Erhebung zustande kam.

Ehe die Señorita mit ihren Aufmerksamkeiten begann, hatte sich Salve in der Einsamkeit des Landgutes ziemlich wohl befunden; aber nun, da sie augenscheinlich seinethalben den ganzen Tag daheim blieb und sich schmückte, wurde ihm der Aufenthalt unerträglich. Deshalb erklärte er, sobald die »Juno« abgesegelt war, er wolle zum Hafen hinab und eine Heuer suchen.

Die Señorita erbleichte, faßte sich aber bald und versuchte sogar zu scherzen.

Ihr Bruder überredete jedoch Salve, seinen Beschluß erst drei Tage später zur Ausführung zu bringen und vorher der Zusammenkunft eines Teiles seiner Parteifreunde beizuwohnen, die sich bei Nacht in einer Vorstadt treffen wollten.

Am Abend, als der Bruder, wie gewöhnlich, fortgegangen war, um zu spielen, saß Paolina auf der Thürschwelle. Ihr reiches Haar war aufgelöst: sie sah schmachtend aus und klimperte ab und zu auf der Guitarre, und heftete, leise summend, ihre schwarzen Augen auf ihn.

Salve, der in der Stube saß, fühlte sich gewissermaßen belagert; er hatte die größte Lust, an ihr vorbei in den Garten hinabzugehen, allein sie nahm den ganzen Platz in der Thür ein und er wußte, es würde übel aufgenommen werden. Das einzige Zeichen, daß ihm seine Lage nicht gefiel, war, daß er heftig dampfte.

»Du willst fort?« sagte sie endlich mit wehmütigem, fast flehendem Tone.

»Ja, Señorita!« antwortete er so recht aus Herzensgrund, denn er war ärgerlich und gelangweilt.

In demselben Augenblick griff sie in den Busen und sprang auf. Ein Stilett, das sie schleuderte, sauste knapp an seinem Ohr vorbei und blieb gerade neben seinem Kopfe zitternd in der Wand stecken. Noch war ihr elastischer Körper in Bewegung, das Antlitz bleich, mit blitzenden Augen – da beugte sie sich plötzlich rückwärts und lachte.

»Bist du erschrocken?« rief sie. Salve sah eben nicht so aus; er war ruhig, aber erbittert. Doch außer stande, sich im Kampf mit einem Weibe zu denken, ließ er das Stilett in der Wand stecken, obgleich er es anfangs hatte ergreifen wollen.

»Nun schau her!« sagte sie, indem sie rasch herzusprang und das Messer herausriß. Und nun begann sie lachend ein ums andre Mal das Stilett nach verschiedenen Stellen der Mauer zu werfen, die sie auch immer haarscharf traf.

»Du warst erschrocken – gesteh es nur!« sprach sie neckend und setzte sich, noch heiß von der Bewegung, neben ihn. Sie schaute ihm ins Gesicht. »Vorhin bist du erschrocken und nun bist du böse. Sind die Frauen in deinem Lande denn nicht so?«

Salve sah sie kalt und abweisend an. »Nein, Señorita!« versetzte er kurz und ging in den Garten hinab.

Drinnen ergriff sie wieder die Guitarre und begann für sich selbst heftig zu derselben zu summen. Es war kein Tanz mehr, sondern etwas Drohendes, wie es auch in ihren Augen lag, während sie die Melodie gewissermaßen durch die Zähne zischte.

Später am Abend kam sie indes mit kokettem Lächeln zu ihm und reichte ihm nach Landesbrauch eine Cigarette, die sie selbst angeraucht hatte. Als er dieselbe etwas ungalant zurückwies, rief sie wild, indem sie mit dem Fuße aufstampfte: »Señor!«

Allein gleich faßte sie sich wieder und sagte mit scheinbar gutmütigem Lächeln etwas, das heißen sollte, sie merke, auch dies sei nicht Brauch in seinem Lande.

Salve fühlte sich wahrhaft erleichtert, als der Bruder wieder heimkam und erzählte, jene Zusammenkunft werde am nächsten Abend stattfinden.

*

Federigo führte seinen Freund in eine elend erleuchtete Kneipe mit mehreren nebeneinander liegenden Zimmern. Männer von sehr verschiedenen Gesellschaftsklassen, darunter viele von militärischem Wesen, in zerschlissenen Uniformen, füllten die zwei innern Räume.

Im äußern Gemache jedoch sah Salve sogleich beim Eintreten mehrere Seeleute, die ihm wegen seiner Seemannstracht zunickten – es schienen Yankees zu sein.

Alle tranken Acachacas, und der Tabaksrauch schwebte über dem Ganzen wie ein Nebel, aus dem ein betäubender Lärm und Stimmengewirr ertönte.

Salve wurde von seinem Freund an einen langen Tisch gesetzt, zwischen braune, bärtige Männer mit großen Hüten, Lederhosen und Sporen. Die Gesellschaft gefiel ihm nicht – die Leute glichen alle berittenen Ochsentreibern, wie er sie in Montevideo gesehen, oder vielleicht gar Banditen.

»Sie gehören zu Mendez' Freikorps,« flüsterte Federigo und stellte Salve dem Anführer vor. Dieser war ein kräftiger Geselle mit rotbraunem Gesicht, dickem, schwarzem Knebelbart und lebhaften, kleinen Augen, die Salve wiederholt musterten. Hier und da stießen die andern ihre Gläser zusammen und riefen »Nieder mit Tejo!« – doch hielten sie sich vorläufig noch ruhig; sie warteten auf den »Capitano«.

Allein bald wurden sie unter dem Einfluß des Getränkes lauter, und mehrere von ihnen begannen miteinander zu spielen.

An verschiedenen Tischen saßen Leute desselben Kalibers. An andern, welche von teilweise besser gekleideten Personen aus der Stadt besetzt waren, führte man nur leise geflüsterte Gespräche und schien ängstlich. Man war offenbar ungeduldig, weil der Capitano nicht kam.

Die heftigen Ausrufe, das Gelächter, der Lärm nahmen zu. Schon sah man berauschte Gesichter, hörte da und dort streiten und auf den Tisch schlagen.

Federigo, der viele Bekannte hatte, mischte sich unter die Menge und Salves Nachbarn spielten eifrig Würfel. So viele niederträchtige, geldgierige Gesichter meinte Salve noch niemals auf einem Fleck beisammen gesehen zu haben, und damit war auch sein Entschluß gefaßt, mit diesen Leuten nichts zu thun haben zu wollen. Es galt nur, ihnen mit heiler Haut zu entschlüpfen, und Salve tastete nach der Brusttasche, wo sein Messer stak.

Einer der Nordamerikaner, die ihn vorhin gegrüßt, kam nun auf ihn zu und lud ihn ein, sich zu ihnen zu setzen; allein Salve fühlte sich unter Aufsicht und lehnte ab.

Da sah er zu seiner Ueberraschung die Señorita in elegantem Kopfputz beim Spieltisch stehen. Sie spielte sehr leidenschaftlich und verlor einen Einsatz nach dem andern. Der Wirt, der selber dem Spieltische präsidierte, war ein großer, magerer Portugiese mit langem, gelbem Gesicht und nahezu haarlosem Kopf. Er betrachtete Paolina die ganze Zeit mit demütig süßem Bedauern. Aergerlich hielt sie endlich inne und winkte ihn trotz aller Eile ziemlich gebieterisch auf die Seite.

Sie redeten beide eifrig miteinander, und Salve fing dabei einen Blick auf, den sie ihm hastig zugeworfen, und dieser Blick machte ihn nachdenklich. Sie war von unnatürlicher Blässe. Salve sah noch, wie sie dem Portugiesen zum Schluß ihre Hand gab, die dieser mit glückseliger Miene küßte, und dann war sie plötzlich verschwunden.

Das Gesicht des Wirtes leuchtete den ganzen Abend, und er verbeugte sich schelmisch vor Federigo, als er am Spieltisch vorbei ging. Als Federigo wieder einen Augenblick zu Salve kam, flüsterte er etwas höhnisch: »Ich glaube, meine Schwester hat heute abend ihre Seele verkauft und sich mit dem reichen Antonio Varez verlobt: gratuliere uns, mein Freund!«

Salve bemerkte, daß der Wirt nun wiederholt mit dem Mann am Tischende sprach und ihn freihielt, sowie auch, daß dieser ihm verstohlene Blicke zusandte, die für Salve alles eher als behaglich waren.

Inzwischen verlor der Amerikaner, ein großer, kräftiger Mann mit einem blonden Bart um das harte Yankeegesicht und einem Stückchen Goldtresse auf dem Jackenärmel, beim Spieltisch eine Dublone um die andre.

»Das ist falsches Spiel, Junge!« rief er auf englisch Salve zu, dem er sich offenbar nähern wollte.

»Glaube selbst,« antwortete Salve: »schlimmes Nest, das!«

»Was für ein Landsmann bist du?«

»Norweger!«

»Ah … Norwayman! … Gute Seeleute! … In Rio durchgebrannt?« fragte er lachend, als ob sich das von selbst verstehe. »Soll ich für dich spielen?«

»Habe kein Geld.«

»Da hast du eine Guinee auf die Heuer an Bord von ›Star and Stripes‹ nach Valparaiso und Chincas!« rief der Yankee immer noch lachend, soweit man das durch den Lärm hören konnte, und warf ein Goldstück auf den Tisch, das aber gleich verloren ging.

Er wendete sich um, und indem er die Hand an den Mund legte, rief er: »Noch eins auf die Heuer!« – Das nächste Goldstück hatte das gleiche Geschick.

»Noch eins auf die Heuer!« erscholl es, und mit demselben Erfolg.

Salve fühlte plötzlich Abscheu vor diesem flotten Spieler, der ungebeten auf seine Rechnung verlor – des Mannes Physiognomie kam ihm in all ihrer Lustigkeit durchaus nicht ansprechend vor und er rief scharf protestierend hinüber: »Spiel' für dich selber, Yankee!«

Dieser schien aber auf diesem Ohr nicht hören zu wollen, sondern wiederholte bloß mit kaltblütigem Nicken: »Noch eins auf die Heuer!«

Nun war Salves Geduld zu Ende. Die ganze Zeit über war er in den engen Raum zwischen Bank und Wand geklemmt und von den Leuten zu beiden Seiten eingeengt dagesessen, so daß er nicht heraus konnte. Doch nun sprang er mit einem gewaltigen Griff nach der Schulter seines Nebenmanns zu dem unverschämten Yankee über den Tisch: er fühlte einen unbändigen Drang, sich zu befreien und auf die Straße durchzuschlagen.

In diesem Augenblick ertönte vom äußersten Zimmer der Ruf: »Die Polizei!« und die Lichter verlöschten draußen. Gleich darauf gingen sie auch in dem Raum aus, als Salve gerade auf den Amerikaner losfallen wollte, der sehr überrascht war, ihn vor sich stehen zu sehen.

Aber dies feindliche Verhältnis verwandelte sich gleich in ein freundliches. Denn Salve, der den Wirt eilfertig auf sich hatte zukommen sehen, fühlte sich mitten in der Verwirrung und im Dunkel von ein paar Männern ergriffen und nach einer andern Thür gedrängt, als zu derjenigen, aus der, wie er merkte, die übrigen hinausgingen.

»Yankee, zu Hilfe! Hier gibt's Schurkenstreiche! … Die kleine Thür rechts!« rief er voll Geistesgegenwart, während man hinter ihm die Thür zuschlug.

Man befestigte ein Tuch um seinen Mund, schlug ihn zu Boden, band ihm Hände und Füße und schob ihn in einen dunkeln Seitenraum – wie ihm schien, hinter einem Kasten, den man aufschloß und der den Eingang bildete.

»Hm,« sagte der Yankee gelassen zu sich selbst, »ich will doch nicht hoffen, daß die Heuer flöten geht!« dann begab er sich ruhig hinaus, um Hilfe von der Polizei zu erlangen.

Salve war überzeugt, die flüsternde Stimme der Señorita vernommen zu haben.

Gleich darauf hörte er das Schloß des Schrankes öffnen und sah sie selbst dastehen und auf ihn herableuchten. Sie schaute ihn schadenfroh an und ließ ihm mit Hohn heißes Oel ins Gesicht tröpfeln. Während sie ihn betrachtete, nahmen ihre Züge den Ausdruck einer rachgierigen Tigerin an, die es aufschieben muß, sich ihrer Raserei hinzugeben; sie warf die Thür ins Schloß und eilte hinaus.

Salve lag da, die Hände fest auf den Rücken gebunden; allein endlich gelang es ihm doch das Messer aus der Brusttasche fallen zu machen und damit seine Bande aufzuschneiden.

Er stand nun mit dem Messer in der Hand und lauschte.

Nicht lange dauerte es, so hörte er die Stimme des Amerikaners und die Polizei, die ihn zu suchen schien. Darauf begann er zu rufen und im nächsten Augenblick war er befreit.

»Es ist ein Mann von unserm Schiff … von ›Star und Stripes‹,« sagte der Yankee, indem er Salve in Beschlag nahm, der nun überall lieber hingehörte als in diese Stadt, und der sich deshalb ruhig in alles fand.

»Nun … sie haben dich ganz ordentlich geschunden, Junge!« äußerte der Yankee spöttisch, als er Salves Gesicht im Lichte sah.

»Ich hätte auch Lust, vorher noch ein bißchen nach dem Wirt zu schauen,« sagte er kalt. Er empfand eine verzehrende Rachgier.

»Ja, aber wir haben keine Lust dazu,« versetzte der Amerikaner, der, wie sich zeigte, der Bootsmann des Schiffes war, in trockenem Befehlston; »wir wollen keine Händel mit der Polizei … Außerdem habe ich schon einmal das bißchen Heuer gerettet!«

Die Yankees umgaben Salve in dichtem Ring und ihm blieb nichts übrig, als zu folgen. Doch ein Blick auf den Bootsmann besagte, daß die Verhandlungen über die Heuer an Bord schon noch einmal aufgenommen werden würden.


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