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In einer der schönsten Uferpartieen des Sundes besaß Kapitän Beck eine Villa – ein kleines, einstöckiges, graues Haus mit schrägem Ziegelsteindach, aus welchem zwei kleinscheibige Mansardenfenster hervorlugten, dahinter ein schönes Wäldchen, das sich auf der Rückseite des Hauses den Felshang hinanzog. In den Jahren, in denen Kapitän Beck auf Reisen war, hielt sich die Familie während des Sommers gern hier draußen auf; – nun aber hatte der Kapitän im Sinne, sich in einiger Zeit von der See zurückzuziehen und mit seinem Vermögen eine Schiffswerfte zu gründen.
Wenn die Becks draußen waren, so hatte man die ganze Woche über alle Hände voll zu thun; – Madame Beck saß gern selbst beim Rocken in der Stube; der Stiefsohn, der Liebling aller Damen, der als Mitglied der Küstenkommission mit Reisen und Arbeiten beschäftigt war, kam in der Regel Sonnabends in seinem schönen Segelboot heraus und blieb über den Sonntag. An diesem Tage kam dann wohl auch eine oder die andre Familie oder ein Lustboot mit Herren und Damen zu ihnen oder in die Nachbarvilla zu Besuch, und dann verbrachte man den Nachmittag meist gemeinschaftlich.
Unter den Familien, die häufig herauskamen, war auch die des Postmeisters Forstberg. Dieselbe bestand außer den Eltern aus einem halbwüchsigen Sohn und der achtzehnjährigen Tochter Marie, einem blonden Mädchen von stillem Wesen und ungewöhnlich klugem Gesicht. Niemand sagte, daß sie schön sei, aber die meisten, die sie kannten, hielten sie dafür. Ueber ihrer vielleicht etwas zu kleinen Gestalt und über allem, was sie that, lag eine unbewußte Anmut und Harmonie. Dagegen hieß es immer, daß sie sehr viel Verstand habe. Unter den Freundinnen war unbedingt sie es, der man sich anvertraute, wenn etwas los war. Daß sie ihnen nie etwas wieder vertraute, bemerkten sie, sonderbar genug, niemals. Was sie selbst betraf, so war sie, meinte man, viel zu »korrekt und regelrecht«, um Herzensangelegenheiten zu haben. Sie war die vertraute Freundin von Karl Becks Schwestern, besonders von Mina, die erklärte, größere Stücke auf sie zu halten, als auf irgend eine andre Person, die sie kannte, und im stillen meinte, gerade Marie sei die rechte Partie für den Bruder.
Das einzige junge Mädchen in diesem Kreise, mit dem Karl Beck nicht schon von Kindheit auf bekannt und befreundet war, war Marie Forstberg.
Es hatte einige Zeit gebraucht, ehe er entdeckte, daß dies stille Mädchen einer Unterhaltung wert war. Dann hatte es ihn heimlich gekränkt, daß im Gespräch mit ihr das, was er sagte, so leicht zu unbedeutendem Geschwätz zusammenschrumpfte; sie war so klar und wahr und besaß ein ganz merkwürdig schönes Lächeln für das, was ihren Beifall gewann. Vor ihr trug er immer die volle Männlichkeit zur Schau, die er so liebenswürdig darzustellen verstand, und damit verband er eine Koketterie, die ihre Wirkung nicht verfehlte; es war ja sein Talent oder seine Schwäche, sein warmes Wesen für den Moment nur allzusehr ganz dem hinzugeben, der ihn eben in Anspruch nahm. Sie hatte davon den schmeichelhaften Eindruck, daß sein leichtes Verhalten, um nicht zu sagen seine Liebeleien mit Damen nur darin seinen wahren Grund habe, daß er unter ihnen noch keine gefunden, die den vollen Ernst eines Mannes verdient hätte, sie waren ihm nur ein Zeitvertreib müßiger Stunden. Und Marie war nur allzu willig, die Dinge in diesem Lichte zu sehen, denn Karl Beck war schon einige Jahre hindurch der Held ihres Herzens. Während dieser Zeit hatte sie von Freundinnen manches anvertraut erhalten, womit diese sich, wenn sie klar gesehen hätten, wohl zu allerletzt an sie gewendet hätten.
Obgleich stets beschäftigt, fühlte sich Elisabeth hier auf dem Lande doch freier. Nachgerade hatte sie begonnen, mit dem Hauswesen zurecht zu kommen, für das sie überhaupt leichte Fassungskraft zeigte, und Madame Beck verließ sich in vielem auf sie. Besonders verstand sie, was man am wenigsten von ihr erwartet hätte, hübsch aufzuwarten, und wenn das schlanke Mädchen mit dem ausdrucksvollen Gesicht am Sonntag nachmittags in seinem kleidsamen gestreiften Kattunanzug und der weißen Schürze den Gästen Thee oder Kaffee ins Lusthaus brachte, glitt mancher bewundernde Blick über Elisabeth hin, denn sie war eine nicht zu übersehende Schönheit.
Marie Forstberg war auf Elisabeth, deren Geschichte sie kannte, aufmerksam geworden, und oft suchte sie dieselbe zu leiten und ihr behilflich zu sein. Trotz der Verschiedenheit ihrer Naturen und ihrer gesellschaftlichen Stellung fühlten die beiden sich rasch zu einander hingezogen. Im Anfang war das Dienstmädchen der jungen Dame etwas mopsig und unzugänglich erschienen. Es hatte zuerst die verschiedenen Handreichungen und Gefälligkeiten nicht sehen wollen, welche die andre in ihrer stillen, bedachten Art ihm hatte zu teil werden lassen, aber schon am nächsten Sonntag dankte dasselbe mit einem freundlichen Blick.
Doch des Mädchens Vertrauen zu gewinnen, war nicht leicht: dies fühlte Marie Forstberg.
Selten war mehr aus ihr herauszubekommen als »ja« und »nein«, doch um so mehr schweigende Dienstwilligkeit legte sie an den Tag. Nur das Gesicht wechselte manchmal rasch die Farbe und zeigte, daß Elisabeth sich auch ihren Teil dachte; und etwas kraftvoll Jähes, fast Verletzendes in der Art, wie sie sich wegwendete und die Dinge nach dem eignen Kopf ausführte, wenn sie manchmal nicht verstand, was die andre meinte, verriet, daß sie schwerlich so fügsam war, wie die Becks glaubten. Und dann mußte sie ja merken, daß Elisabeth ein wunderbares, natürliches Geschick habe, sich gefällig zu kleiden und das schwere, lichte Haar einfach aufzustecken, ohne auch nur ein Band über ihren Stand hinaus zu tragen. Fast schien es, als wäre sie kokett, und doch konnte Marie Forstberg, eine feine Beobachterin, nichts derartiges an ihr entdecken.
Elisabeth hinwieder wußte ganz genau, daß unter allen jungen Damen Marie Forstberg am meisten Aussicht hatte, nicht nur um ihres eignen Wertes willen, sondern auch, weil die Hauspolitik, für die Elisabeth einen scharfen Blick hatte, auf dies Ziel lossteuerte, die Braut des Seeoffiziers zu werden. Obgleich sich Elisabeth nur für eine unbeteiligte Zuschauerin hielt, sammelten sich im Lauf der Woche doch stets Gefühle bei ihr an, die sich am Sonntag, wenn Marie kam, erst nach einiger Zeit verwischten. Dann empfand sie aber auch tief und leidenschaftlich, daß Marie Forstberg, die eine ganz besondre Art besaß, die Menschen zu gewinnen, die einzige war, an der ihr etwas lag, und bald konnte Marie merken, daß sie sich eine Freundin erobert hatte.
Ihr gegenüber konnte Elisabeth, gegen ihre sonstige Gewohnheit, sogar mitteilsam werden. Scheinbar drehte sich das Gespräch in aller Bescheidenheit nur um das Aufdecken und Anrichten, aber sie wußte dabei der andern mit sehr viel Feinheit vom Lieutenant und von allem, was ihn betraf, zu erzählen. Hie und da konnte sich Marie Forstberg nicht enthalten, ihre klugen blauen Augen forschend auf sie zu richten, um sich zu vergewissern, ob dies nicht absichtlich geschah; doch schien Elisabeth so in ihre Arbeit vertieft, daß daran nicht zu denken war.
Karl Beck hatte die ganze Zeit über in eigentümlich stiller Weise Elisabeth Aufmerksamkeiten erwiesen. Sie fühlte, daß sein Auge eigentlich nicht von ihr wich, solang sie im Zimmer war, wenn er auch noch so sehr von andern in Anspruch genommen schien, und daß sie es war, die seine Blicke suchten, wenn er heim kam. Doch nie fiel ein Wort, das seine Empfindungen verraten hätte. War irgend ein Auftrag zu geben, so wendete er sich nie an die Schwester allein, sondern stets auch an sie. »Sie vergißt nie etwas,« sagte er, und Elisabeth begriff, daß er glaubte, sich ganz besonders und unbedingt auf sie verlassen zu können.
Hie und da kam der Lieutenant am Sonntag den Weg herauf und schwang einen Brief mit vielen Poststempeln in der Hand. Der Brief war vom Vater an die Stiefmutter, und Madame Beck pflegte ihn erst für sich allein und dann den andern vorzulesen. Elisabeth hörte immer sehr beklommen zu, denn sie hatte solch eine unsagbare Angst, es könnte etwas Schlimmes von Salve darin stehen.
Obgleich der Jüngste in jener Kommission und nur hineingekommen, um die Zahl voll zu machen, war Karl Beck doch so glücklich gewesen, sich auszuzeichnen, so daß schließlich nach vielem Ueberlegen sein abweichender Vorschlag vom Vorsitzenden der ganzen Arbeit zu Grunde gelegt wurde. Dieser, der wie die meisten Leute für den jungen Lieutenant sehr eingenommen war, hatte es im Vertrauen dessen Vater mitgeteilt. Die Kommission sollte bis zum Schluß des Jahres sich auflösen, und die Schwestern meinten nun, es könnte sogar von einem Orden die Rede sein.
Während Marie Forstberg zu Besuch war, hatte das Gespräch der Damen dieses Thema behandelt, – jene war ja schon längst im Vertrauen der Familie, – und Elisabeth, die zuhörte, war bei sich selbst der Meinung, ein Orden würde dem Lieutenant gut stehen.
Als Karl Beck später eintrat, wurde die Ordensfrage wieder scherzhaft berührt.
»Ach, ich schere mich nicht ein Gran um den Flitterstaat auf dem Frack!« erwiderte er gedehnt und wie gelangweilt, davon zu hören.
Elisabeth meinte, dies klinge männlich. Die Wahrheit jedoch war, daß Beck sich jenen »Flitterstaat« ganz außerordentlich wünschte und sich über Marie Forstbergs Gleichgültigkeit in dieser Sache heimlich ärgerte. Gewöhnlich war sie in ernsten Angelegenheiten seine Vertraute, doch hatte er ihr seine Aussichten in dieser Sache verhehlt, und nun wollte er thun, als wäre es ihm ganz gleichgültig.
Nach der Miene zu urteilen, mit der Marie dasaß und nähte, war auch sie nicht ganz befriedigt.
Eines Sonntags bemerkte Elisabeth, daß der Lieutenant eine Feldblume, die sie weggelegt, im Knopfloch seiner Uniform trug. Es konnte ja reiner Zufall sein, allein sie wußte, daß er sie in ihrer Hand gesehen.
Zu Mittag aß man Walderdbeeren; – es waren keine Gäste da.
»Ja,« rief Karl plötzlich aus, »tausendmal lieber Walderdbeeren als Gartenerdbeeren! – Das ist doch ein ganz andrer Duft und Geschmack.«
Elisabeth schien es, als habe er sie dabei seltsam angeschaut. Sie fühlte, daß sich diese Aeußerung auf sie beziehe, und überhaupt war an diesem Tag etwas an ihm, was sie beunruhigte: er starrte sie so häufig an.