Oskar Loerke
Atem der Erde
Oskar Loerke

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Gebirge wächst

              Gebirge wächst, wo sonst nur Angst gedeiht,
In mir: ein Sturm der Felsen, Wurzeln, Äste,
Und mittenein mein Haus für Menschengäste
Im Labsal und im Wehsal Ewigkeit.

Das Haus liegt hoch in der Lawinenbahn;
Auf Dolomiten drüber wetzt die Krallen
In jeder Frühe Gottes roter Hahn –
Vielleicht wird er es wieder überfallen.

Einst sprang es auf, da sah es hingewühlt
Im Tal und schon verstummt die Donnerwalze;
So fährt man aus dem Albtraum, und man fühlt
Am Kinn die Rinne scharfer Tränensalze.

Nun starrt die Bahn voll Fels in Wurzelpranken,
Als reichten hingemähte Beterscharen
Dem Schicksal Stein in letzten Bittgedanken,
Die rasch vorüber, tiefer Tod schon waren.

Daneben aber, vielgeflügelt, schwebt,
Erzengelheer, der Wald, von älterm Wald verborgen,
Und unter seinen tiefsten Flügeln hebt
Die Flügel schon der Wald von morgen.

Wie sich hier Zeiten, Schicht in Schicht,
Bewohnt von Laub und Tier, in Tier und Laub verschanzen!
Sich selber weiß – ich frage nicht –
Das Reich der Tiere in mir und der Pflanzen.

Ein Blatt sinkt hin,
Ein Falke hebt sich aus den Eichen:
Es ist kein deutbar banges Zeichen,
Es ist mein letzter offner Sinn.

Dann regt sich nichts, bis zwischen Gletscherwall
Und Lärchenhag ein Bär des Weges trottet
Zu dem Jahrtausend, das als Wasserfall
Hinschlägt und blinden Stein zerschrottet.

Der sprachlos ist und ungeliebt,
In Zungen tönt der Fels, der kahle.
Ich frage nicht, doch Antwort gibt
In mir das Reich der Minerale.

»Du hörst uns Berge, hörst uns ohne List,
Ach, sag es nicht den Leuten.
Sie fassen schwer, was einfach ist
Und doppelt nicht zu deuten.

Wie jung ist alten Menschenhaares Schnee –
Auf unsern Häuptern ist er älter.
Wir stehn am ewig zugefrornen See:
Steig auf! Wer ist hier wärmer, wer ist kälter?

Wir fallen in den Spiegel, doch wohin?
Wir können unsren Scheitel nur erreichen.
Die Nacht darunter liest uns nicht als Zeichen
Und nicht als Sinn.

Tief unten liegen Tannen abgeschieden,
Gerollt gleich einer Herde grüner Igel,
Der Mond vertieft im Eis die vielen Kratertiegel,
Die nicht einmal vom Klang der Stille sieden.

Kühlt unser Wesen dich in Eingeweiden
Und Blut, und wirst du Menschen rufen hören
Von fern, die unsre Macht nicht leiden
Und dich hinab ins Tal beschwören,

So sagst du wohl: Ihr wollt, ich solle
Mein Ewiges wie Rock und Schuh zerschleißen?
Den Gott wie einen Bissen Brot zerbeißen?
Statt meines Sternes bringt ihr eine Scholle?

So sagst du wohl, doch unsre Urgewalt
Ist eurer Ungewalt gewichen,
Und unsre Stirnen sind verblichen
Und unsre Stimmen sind verhallt.«

 


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