Oskar Loerke
Atem der Erde
Oskar Loerke

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Die große Klage

        Beim Trümmertempel, unweit südlicher See,
Brüllen Büffel im Brennesselfelde.
Sie wecken mein Auge, die halben Säulen
Zu zählen, am graugelben Giebel zu nisten.
Eines Meisters großer Gedanke
Gibt geduldig der Erde den Marmor zurück,
Reicht ihn der wetzenden Sonne hinauf.
»Unnütz war ich den Priestern und Hökern,
Die sich in meinem verweslichen Teile
Schallend grüßten und mich übersahen.
Unnütz war ich den Normannen,
Die mich zerschlagen kamen – aber
Nicht spürten und trafen, – ich lebe.
Unnütz den Büffelherden im Felde,
Wenn sie brüllen, mich preisen sie nicht.
Unnütz bin ich, unnütz, weil ewig.
Ewiges ist kein Eigentum.
Und es kann hingehn, wie niemals gewesen
Aus den Dingen ohne Dauer.
Aber noch bin ich bei den Menschen,
Heute baut mich einer auf,
Er heilt mir Trümmer und Verfall,
Aus qualmiger Ferne reist er zu mir,
Er betritt mich, und ich höre,
Was er mir klagt, ich klag es ihm wieder,
Abscheidend er, ich abgeschieden.«

»Meine Augen sind längst erloschen
Und brannten noch der Jahre viele,
Während vom Spargelkraut Stare schwirrten
Und feuchte Herbste ihre Pilze brachten.

Mein Herz ist der geschenkten Tage
Selten froh geworden.
Die Zähne mahlten am einsamen Brot.
Zu sprechen haben sie einmal verstanden
Mit dem Gotte, der windet und erntet.
Ich tröstete ihn: ›Die Welt ist hetzerisch,
Zürne nicht, denn jeder wahre Gedanke,
Ist er nicht ketzerisch?
Und bricht der Sturm zu dir nicht jede Schranke?
Sie sagen ja, Gedicht sei nur Gedicht
Und ein Gedicht nicht wahr.
Du sagst zu deinen Söhnen: Ihr wißt!‹

So altern wir am Werke.

Dann aber befiel mich die Wahrheit.
Eine Erscheinung strich durch mich hin,
Alles verwandelnd.
Die Zeit ist niemals reif,
Ist reif und unreif immer zugleich.

Ich kann meine Flamme nicht aufrecht bannen,
Nun sie schon ungenährt ringend auszuckt.

Ich liege verdunkelt, hütet euch.
Zertretet die Augen mir nicht,
Den Blick auf ein mondenfremdes Handwerk,
Die lahmgemühten Finger,
Das erschöpft noch sich ballende Herz!

Wolkenflachs fliegt um das Sonnenspinnrad,
Erscheinen denn Sterne bei Tage?
Wieder schwingt sich der ganze Inhalt des Alls
Über die Rundung des Himmels,
Der Umsturz an einem einzigen Tage.
Will sein Brand meine Wehmut
Um den Erdball fortberichten?
Es klingt wie ein Beweinen.

Fern im Zenite liegt vereist die Kimme
In Bergen, ich muß hin, mich ruft die Stimme.
»Es ist die Stunde, du hast dich zu wenden
Von deiner Qual, sie kann doch niemals enden.«

 


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