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Das erste Mal, daß sie ihn erblickt hatte, ihn, den Mann, war der Tag nach ihrer Ankunft, beim » pardon« der Isländer, der am 8. December ist, dem Tage von unserer Lieben Frau der frohen Botschaft, der Fischer Schutzpatronin! – Kurz nach der Procession; die düsteren Straßen waren noch mit weißen Tüchern behängt, auf die man Epheu und Stechpalme, des Winters Blüthen und Blätter, gesteckt hatte.
Bei diesem pardon war die Freude schwerfällig und ein wenig wild unter einem trüben Himmel. Es war eine Freude ohne Heiterkeit, die sich zusammensetzte aus Sorglosigkeit und Herausforderung, aus Körperkraft und Alkohol, und auf welcher, unverhüllter als überall sonst, das allgemeine Todesdrohen lastete.
Großer Spectakel in Paimpol; Glockenklang und Priestersang, eintönige rohe Lieder in den Schenken, alte Melodien zum Einwiegen der Matrosen, alte Klagelieder, aus dem Meer gekommen, von Gott weiß wo gekommen, aus der tiefen Nacht der Zeiten. Matrosengruppen, die sich den Arm gaben, die durch die Straßen hin- und herschwankten aus Gewohnheit zu rollen und in beginnender Trunkenheit, den Frauen lebhaftere Blicke zuwerfend, nach der langen Enthaltsamkeit der hohen See.
Gruppen von Mädchen in ihren nonnenhaften weißen Hauben, die schöne Brust eingeschnürt und bebend, die schönen Augen mit dem Sehnen eines ganzen Sommers erfüllt. Alte Granithäuser, die das Gewimmel einschlössen; alte Dächer, die ihre Kämpfe mehrerer Jahrhunderte gegen die Westwinde erzählten, gegen die Brandung, die Regenströme, gegen Alles, was das Meer entsendet; welche aber auch von heißen Geschichten sprachen, die sie beschützt, von alten Abenteuern voll Kühnheit und Liebe.
Und dabei ein religiöses Gehobensein, ein Gefühl des Vergangenen, das über dem allen schwebte, eine Ehrfurcht vor dem alten Gottesdienst, vor den schützenden Symbolen, vor der weißen und unbefleckten Jungfrau. Neben den Schenken die Kirche, deren Eingang mit Laub bestreut war, weit geöffnet wie eine große, düstere Grotte, mit ihrem Weihrauchduft, mit ihren Kerzen in der Dunkelheit, mit den ex voto's der Seeleute, die allenthalben aus dem geheiligten Gewölbe herabhingen. Neben den verliebten Mädchen die Bräute verschwundener Matrosen, die Wittwen der Schiffbrüchigen, die in ihrem langen Trauershawl und ihren kleinen, glatten Hauben aus den Todtenkapellen herauskamen; schweigsam, mit gesenktem Blick, gingen sie durch des Lebens lauten Lärm dahin wie eine schwarze Warnung. Und dort, ganz nahe, ewig die See, die große Ernährerin, das gewaltige Ungethüm, das alle diese kräftigen Geschlechter verschlang, das sich ebenfalls rührte und Lärm machte und seinen Antheil nahm an dem Feste ...
Von all' diesen Dingen bekam Gaud einen verwirrenden Eindruck. Aufgeregt und lachlustig, aber im Herzensgrund beklommen, fühlte sie sich von heimlicher Angst übermannt, bei dem Gedanken, daß dies nun wieder ihre Heimath sei, für immer. Auf dem Platze, wo Seiltänzer ihr Wesen trieben, ging sie mit ihren Freundinnen auf und ab, die ihr rechts und links die jungen Leute nannten, von Paimpol und Ploubazlanec.
Vor einem Bänkelsänger stand eine Gruppe Isländer, ihr den Rücken kehrend. Zuerst war ihr der Eine von ihnen durch seine Riesengestalt und seine fast zu breiten Schultern aufgefallen, und sie hatte unbefangen, sogar mit einem Anflug von Spott gesagt:
»Da ist aber Einer, der ist groß!«
Die verborgene Meinung in ihrem Satze war ungefähr die folgende:
»Die den heirathet, der wird das Haus zu eng, mit einem Mann von solcher Breite!«
Er hatte sich umgedreht, als wenn er sie gehört hätte, und hatte sie von Kopf bis zu Füßen in einen raschen Blick gehüllt, der zu sagen schien:
»Wer ist denn die da mit der Haube von Paimpol, die so elegant ist und die ich noch nie gesehen?«
Und dann hatten sich seine Augen rasch gesenkt aus Höflichkeit, und er schien wieder sehr mit den Sängern beschäftigt, nichts mehr von seinem Kopfe zeigend als die schwarzen Haare, die ziemlich lang und im Nacken lockig waren.
Sie hatte ohne Scheu nach den Namen von einer Menge Anderer gefragt, bei diesem wagte sie es nicht. Das kaum erblickte schöne Profil, dieser imponirend stolze, etwas wilde Blick, diese hellbraunen, leuchtenden Augensterne, die so rasch in dem bläulichen Opal des Auges rollten, das alles hatte auf sie Eindruck gemacht und sie auch eingeschüchtert.
Und das war gerade der »Sohn Gaos«, von dem sie bei den Moans hatte sprechen hören, als Sylvesters großem Freunde; an dem nämlichen Abende waren Sylvester und er, Arm in Arm gehend, ihr und ihrem Vater begegnet; sie waren stehen geblieben, um sie zu begrüßen.
Der kleine Sylvester war ihr sofort wieder zum Bruder geworden: Als Vettern hatten sie fortgefahren, sich zu duzen; freilich hatte sie zuerst ein wenig gezaudert vor dem großen bärtigen Jungen von siebzehn Jahren, aber da seine guten sanften Kinderaugen sich nicht verändert hatten, kam er ihr bald wieder so vertraut vor, als hätte sie ihn nie aus den Augen verloren. Wenn er nach Paimpol kam, hielt sie ihn Abends zum Essen zurück; das war unbedenklich, und er aß mit großem Appetit, da er zu Hause manchmal etwas schmale Kost hatte.
Eigentlich war dieser Yann nicht sehr galant gegen sie gewesen, bei dieser ersten Vorstellung, – in der Ecke der kleinen grauen Straße, die ganz mit grünen Zweigen bedeckt war. Er hatte sich damit begnügt, den Hut vor ihr abzunehmen, mit einer etwas schüchternen, wenn auch sehr vornehmen Bewegung; dann hatte er seinen raschen Blick über sie hinschweifen lassen und hatte ihn weggewandt, als wäre er mit der Begegnung unzufrieden und hätte Eile, weiterzugehen. Eine starke Westbrise, die sich mährend der Procession erhoben, hatte die Buchszweige auf den Boden gesäet und über den Himmel grauschwarze Hüllen geworfen ...
Gaud sah in ihrer Träumerei das alles ganz deutlich wieder: das traurige Sinken der Nacht über des Festes Ende; die weißen Tücher mit Blumen besteckt, die im Winde längs der Mauer flatterten; die lärmenden Gruppen der wetterharten Isländer, die singend in die Wirthshäuser einkehrten, sich vor dem nahenden Regen zu schützen; besonders den großen Burschen, der vor sie hingepflanzt stand, den Kopf abgewandt mit einem Ausdruck von Verdruß und Verwirrung über ihre Begegnung. – Welch tiefe Veränderung hatte sich seit jener Zeit in ihr vollzogen! Und welcher Unterschied zwischen dem lärmenden Festesschluß und dieser Stille. Wie war das nämliche Paimpol heute Abend so schweigsam und leer, während der langen, lauen Maidämmerung, die sie an ihrem Fenster festhielt, einsam, träumend und liebend! –