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An einem schwülen Juniabend saß ein prächtiger Knabe, fast schon ein Jüngling, dem seine Schüleruniform zu kurz und zu eng geworden war, mit offenen Augen träumend in einer Schulstube, die von der Abendsonne durchflutet wurde.
Der Unterricht war zu Ende, die Stadtschüler nach Hause, die andern Pensionäre in einen entlegenen Hof gegangen, um Spiele zu machen. Er aber, Jean, der zu der kleinen Zahl der Hausschüler der provençalischen Lateinschule des Marienordens gehörte, kurzweg »Maristenschule« genannt, genoß heute abend die Vergünstigung, sein eigner Herr zu sein, denn sein Name hatte an diesem Tag im Amtsblatt gestanden: »Jean Berny, zur Aufnahmeprüfung der Marineschule zugelassen.« Er hatte sich in dem jetzt einsamen Schulzimmer abgesondert, um ungestört die große Thatsache zu überdenken, die eine abenteuerreiche Zukunft vor ihm aufschloß.
Daß die Mutter all ihren lang und innig gehegten Plänen und Wünschen entsagt hatte, ist selbstverständlich. Weil er's wollte, hatte sie eingewilligt, ihn den gefürchtetsten Beruf ergreifen zu lassen, und sich die äußersten Entbehrungen auferlegt, nur daß ihm der Eintritt gelinge!
Zugelassen zur Marineschule! Und doch hatte er gehörig gefaulenzt und geschwänzt all die Schuljahre hindurch, seine Zeit mit Kindereien aller Art vergeudet, während die Mama und der alte Großvater, ja sogar die treue Miette gespart und geknausert, sich unsäglich eingeschränkt hatten, um das Schulgeld und die Nachhilfestunden zu erschwingen.
Jetzt natürlich, wo er zugelassen war, nahm er sich vor, die zwei Monate Gnadenfrist, die ihm vor der entscheidenden Aufnahmeprüfung blieben, tüchtig zu »büffeln«, aber für heute abend und auch noch für morgen hatte er sich Ferien gegeben, um Luftschlösser zu bauen und seinen Gedanken nachzuhängen. Zuerst hatte er sich den Spaß gemacht, auf all seine Hefte unter den Namen das Datum dieses aufregenden Freudentags zu setzen, und jetzt sah er im Geist die fernen, märchenhaften Länder, die das Meer umspült . . .
Um ihn her trat allmählich die abendliche Stille des Schulhauses ein; die leeren Säle, die verlassenen Gänge füllten sich mit dem klangvollen Schweigen der Sommernacht; das Gold der sinkenden Sonne, die durch weitgeöffnete Fenster breit hereinfiel, zerstreute sich rings, die kahlen, gelbgetünchten Wände in Glut tauchend, und durch die Luft schossen Schwärme von schwarzen Schwalben, die, von Licht und Bewegung trunken, hin und her schwirrten und im Vorüberfliegen ihre Schreie wie einen Lauf durch das stille Kloster tönen ließen.
Das war wieder eine der Stunden, wo persönliche Stimmung und die ganze Umgebung sich tief einprägten in Jeans Gemüt und Gedächtnis, gerade wie an jenem Ostersonntag. Seine Seele legte ein Kapital von Erinnerungen an, von dem sie später zehren konnte, nur daß dieses Mal noch mehr fremdartige Elemente und geheimnisvolle Schwermut, noch mehr Unbewußtes dazukam . . .
Bis zu der Stunde, wo die ersten Fledermäuse sachte unter dem alten, sonndurchbähten Dach vorschwirrten, blieb er ruhig und ungestört in seiner Einsamkeit, von der Marine träumend, die ihm plötzlich so nahegerückt schien, als ob er nur die Hand danach hätte ausstrecken dürfen, und durch die leuchtende Abendluft gaukelten Bilder von sonnverbrannten und von nebeligen Ländern, von der Pracht des Orients, von unerforschten Gestaden, darunter auch noch ganz verschwommen von der Liebe.