Pierre Loti
Ein Seemann
Pierre Loti

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Vierzehntes Kapitel

Im Juli kam er in Antibes an, ohne daß er vorher einen weiteren Brief erhalten hätte.

Der schweigsame Kapitän, der eine Art Zuneigung zu ihm gefaßt hatte, erlaubte ihm, sofort an Land zu gehen, ohne sich um die Löschung zu bekümmern, und in dem alten Anzug, der wohl sauber gehalten, aber verschossen und verwaschen war, eilte er mit einer an ihm ganz neuen Bescheidenheit durch die Straßen, ohne die Vorübergehenden anzusehen, ohne auch nur an die Armseligkeit seiner Erscheinung zu denken.

Ueber Antibes brütete hochsommerliche Hitze und Stille. So rasch ihn die Füße tragen wollten, eilte Jean seines Weges, aber die Kniee zitterten ihm vor Hast und Ungeduld, und er war in einer Aufregung, wie er sie noch bei keiner Heimkehr empfunden hatte.

Die Hausthür stand offen bis auf den in Südfrankreich üblichen Fliegenvorhang, und die alte Miette, die im kühlen Hausflur stand, sagte nichts als: »Ach, Herr Jean . . . ,« aber in einem Ton, der ihm das Herz erstarren ließ, einem Ton, der ihm sofort die Erinnerung wachrief an ihren Empfang, als er durchs Examen gefallen war.

»Der Großvater . . .« fragte er leise und bittend, wie wenn er um zehn Jahre jünger, wieder zum Kind geworden wäre. »Wo ist der Großvater?«

Das Schluchzen, das ihm zur Antwort ward, sagte ihm die ganze Wahrheit . . . Von oben kam die Mutter, die seinen Schritt gehört hatte, und auf der Treppe trafen sie sich und hielten sich lange umschlungen. Sie weinte nur, sie sagte ihm nichts, denn sie sah ja, daß er die Thatsache schon von Miette erfahren hatte . . .

Mit einem Sausen im Kopf wie von einem schweren Stoß, betrat er den kleinen Salon im ersten Stock, wo ein widerlich aussehender Mensch in fettig glänzendem schwarzen Rock vor dem Tisch stand, auf dem die silbernen Eßbestecke in Reih und Glied lagen.

»Nehmen Sie's eben zu dem Preis,« sagte die Mutter, der für den Augenblick nur daran lag, den eingeleiteten Handel zu raschem Abschluß zu bringen.

Jean stand stumm und wie angefroren dabei, als der Mann jetzt schmieriges Papiergeld auf den Teppich zählte und dann das Silber in seine Taschen packte – die Bestecke der Sonntagsmahlzeiten, wovon jedes Stück Großvaters Namenszug trug.

»Ja, mein armer Junge!« sagte die Mutter, als der Händler hinausgegangen war, indem sie Jean an beiden Händen nahm. »Das und alles übrige – wir müssen verkaufen, Haus und Garten und alles, was wir haben. Solang' er da war, konnte ich mich mit Hilfe seiner Pension durchbringen . . . jetzt, da ich ihn nicht mehr habe . . . kann ich nicht mehr!«

Sie sprach aufgeregt und doch gleichgültig, fast wie eine Geisteskranke; die grausame Wahrheit, deren Erkenntnis sie so lang mit Verzweiflung erfüllt hatte, mußte gesagt werden, aber ihre Gedanken waren nicht dabei, die waren nur bei Jean, bei der Freude, ihn wieder zu haben, ihn ansehen und bewundern zu können, ihren Jungen, der gewachsen, gekräftigt, blühend und schön vor ihr stand!

Er aber warf sich in die Arme der Mutter und legte seinen Kopf auf ihre Schulter, als ob er bei ihr Zuflucht suchte vor so viel Unglück, dem Zusammenbruch ihres ganzen Daseins.


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