Pierre Loti
Ein Seemann
Pierre Loti

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Sechsundzwanzigstes Kapitel

»Mutter, laß mich das Hütchen vom Osterfest ein wenig sehen . . .«

Er sprach's mit einem Anflug der Mundart von Antibes, die er mitunter im Scherz wieder hervorsuchte, wie auch die drollige Aussprache eines kleines Kindes, deren er sich zuweilen der Mutter gegenüber bediente, um ihr ein Lächeln zu entlocken.

So schloß sie denn den Reliquienschrein auf, nahm einen grünen Pappkasten von ganz veralteter Form heraus und zeigte ihm das Hütchen, das, in einen Gazeschleier gewickelt, darin lag.

Jean war heute erst von der langen Fahrt auf der »Resoluta« zurückgekehrt, und es gehörte zu den wehmütigen Freuden der Heimkehr, daß man all die alten Andenken hervorsuchte. Auch das Engelshemdchen, Großvaters Rock und Stock wurden besichtigt, dann legte man die bescheidenen Schätze wieder sorgfältig an ihren Platz.

Die Mutter hatte aber auch Neues zu zeigen, Verschönerungen, die vornehmlich in seinem Stübchen angebracht worden waren, namentlich eine gehäkelte Bettdecke, die sie für ihn gearbeitet hatte, nachts zwischen elf und zwölf Uhr, wenn ihre ermatteten Augen die Goldfäden der Stickereien nicht mehr recht sahen.

»Es ist ja wohl ein wenig Armeleutstil, diese gehäkelten Decken,« bemerkte sie dabei, »das gebe ich gerne zu, aber sie sind praktisch und reinlich und sehr dauerhaft . . . Du wirst dich in späteren Zeiten noch daran erinnern, daß deine Mutter sie dir gemacht hat.«

Jean fand alles wunderschön; nach der derben Einfachheit der Schiffseinrichtung kam ihm die zierlich gehaltene Wohnung mit den frisch aufgesteckten bläulich weißen Vorhängen fast elegant vor. Und doch sah er sie an einem trüben Tag wieder, denn zur Feier seiner Ankunft goß es in Strömen: ein Sommerregen, fast so kalt als anderwärts der winterliche, rieselte unaufhörlich über dieses vorher schon trübselige Brest.

Mit Bewunderung sah die Mutter den Sohn an, der im Jugendglanz seiner einundzwanzig Jahre, hochgewachsen und geschmeidig, mit breiten Schultern und schlanken Hüften vor ihr stand, das fein geschnittene Gesicht im Rahmen des schwarzen Barts warm und gesund gefärbt. Das Liebste an ihm waren ihr aber doch die Augen, diese großen ehrlichen Augen, die sich nicht veränderten und die unter der orientalischen Samtfassung von Wimpern und Brauen für die Mutter wenigstens den reinen sonnigen Blick des Kindes bewahrt hatten.

Sie durfte auch im übrigen zufrieden sein; er war wohl gelitten bei seinen Vorgesetzten und hatte ihr richtig die Jacke des Obermatrosen mit heimgebracht, die in der Marine nicht leichtfertig vergeben wird. An Bord hatte man sein rasches Fassungsvermögen, seine Geschicklichkeit, Entschlossenheit und Kraft zu schätzen gewußt, und trotz seiner schweigenden Zurückhaltung hatten die Offiziere wohl herausgefühlt, daß er neben seinen Matrosentugenden auch noch Eigenschaften und Interessen hatte, die über diesen Stand gingen, und er war von allen mit besonderer Rücksicht behandelt worden.

Seit der Abfahrt von Quebek hatte die »Resoluta« zweimal angelegt, ohne daß Jean einen Brief an Marie abgeschickt hätte. Von Zeit zu Zeit mahnte ihn freilich sein Gewissen, und es war ihm schmerzlich, ihr weh zu thun. An diesem Tag der Heimkehr nahm er sich denn auch fest vor, gleich morgen den etwas peinlichen Brief nach Kanada zu schreiben. Nicht schreiben, selbst wenn man liebt, ist wohl ein bezeichnender Zug jener Matrosenart, die Jean mehr und mehr annahm, außerdem hatte er aber auch noch persönlich jene besondere Art der Trägheit, die man Briefscheu nennen könnte und die eine der seltsamsten und unüberwindlichsten Eigenheiten ist.

Er ließ denn auch eine unbestimmte Anzahl von »morgen« verstreichen, das Bild des blonden Mädchens rückte ihm von Tag zu Tag ferner . . . er schrieb ihr nie.


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