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Wer hätte es auch ahnen können, daß die schöne Tänzerin Maria Dolores von Porris y Montez aus Andalusien, die am 14. Oktober 1846 im Hoftheater zum erstenmal vor dem Münchener Publikum auftrat, vom Schicksal als Werkzeug ausersehen war, dem bayerischen Volk die Freiheit zu geben, von der es nur zu träumen wagte!
Wer hätte geahnt, daß Mädchenfüße mit schönen Knöcheln eine weltgeschichtliche Mission haben könnten, und daß die göttlichen Tanzbeine über den Geist der Schwere siegen würden, der der allmächtige Herr der Welt ist und es im ganz besonders verschärften Maße im Vormärz war!
Der Intendant des Hoftheaters ahnte es nicht, der wenige Tage vorher das Auftreten der Tänzerin abgelehnt hatte. Vielleicht aber kannte er seinen königlichen Herrn und dachte: ein tanzendes Weib ist eine zu gefährliche Versuchung, gegen die sich nicht einmal der heilige Augustin stark genug fühlte. Tänzerinnen haben meistens mehr Glück als Sängerinnen. Was würden also die Lizius, die Späth, die Dahn, die Vespermann dazu sagen? Sind das nicht Favoritinnen genug? Die kämen ja als Furien über mich, wenn ich ihnen diese Konkurrenz vorsetzte, und gar eine Person mit dieser Vergangenheit! Mit dieser Vergangenheit! Das riskier' ich nicht! Der König, unser gnädigster Herr, begnüge sich mit den Sängerinnen! Kosten ohnehin Geld genug! Überhaupt, was brauchen wir bei uns in Bayern eine spanische Tänzerin? Was brauchen wir bei uns in Bayern diese Ausländerei? Was brauchen wir bei uns in Bayern ...
Wahrscheinlich aber dachte er gar nichts und funktionierte automatisch im Geiste der Staatsmaschine, die jede Neuheit mit einem kategorischen Nein! abwehrt.
»... ich bedauere also, Sennora; Sie müssen bedenken, daß wir eine Hofbühne haben, daß wir es dem Ansehen des Staatsinstitutes schuldig sind ...«
»Und Sie müssen bedenken, mein Herr, daß ich Künstlerin bin,« versetzte gereizt die Spanierin und nestelte mit nervöser Hand an dem Gürtel ihres Reitkleides, als suche sie die Gerte, diesem Idioten eins übers Gesicht zu ziehen. »Künstlerin von Weltruf – wie wäre es möglich, daß eine Kunststadt und ein kunstliebender König ...«
Eine Meldung unterbrach den Redeschwall.
»Es tut mir aufrichtig leid, kann es aber nicht ändern ...« Achselzucken, steif höfliche Verbeugung, die Tänzerin war verabschiedet.
»Imbécile – – – – – – – –!«
Auch der Adjutant Ludwig I. war ahnungslos, der das Audienzgesuch der Sennora Lola Montez seinem Herrn überreichte.
Aber der König war ärgerlich: »Ich kann mich doch nicht um jede hergelaufene Tänzerin kümmern!«
»Wär' aber schon der Mühe wert, Majestät,« erwiderte treuherzig der Adjutant, »sie ist nämlich ein sehr sauberes Weibsbild.«
»So? Sauber ist sie? Nun dann in Gottes Namen!«
Der alternde König, der sich als Beschützer der Musen fühlt, hat ein für weibliche Reize sehr empfängliches Gemüt. Sie nimmt ihn sofort gefangen, diese mit Sinnlichkeit gesättigte Schönheit, die mit dem Kinderblick der verfolgten Unschuld um Hilfe fleht. Sie hat Tränen in der Stimme, wenn sie will, und kann sich mit holderrötender Scham so gut kleiden, wie eine junge Nonne mit dem Schleier. Eine Züchtigkeit, die den Zyniker fromm und den Tugendhaften begehrlich macht. Eine heilig-schöne Sündhaftigkeit, eine verruchte Heilige, eine Mischung von Weib und Kind, von Hetäre und Jungfrau, liederlich und madonnenhaft sittsam, verwegen und furchtsam, raffiniert, ausbeuterisch und uneigennützig, gefühllos und roh und voll zarter edler Regungen, gemein wie ein Fischweib und Dame vom höchsten adeligen Anstand, lasterhaft und ehrbar, egoistisch, selbstlos und hingebungsvoll, in jeder Hinsicht menschlich und allzu menschlich, kurz, ein Ausbund bizarrer Launen – kein Wunder also, daß ihretwegen die Männer einander mordeten, und daß der Triumphzug ihrer siegreichen Schönheit durch Spanien, Indien, Rußland, England, Italien, Frankreich eine blutige Opferstraße hinter sich zurückließ.
Wahrhaftig ein Kind! denkt gerührt der König; eine vollendete Jungfrau! Und ein Eroberergelüst wird rege, während sie in der Audienz ebenso leidenschaftlich als anscheinend verzagt dem huldreich gestimmten König erklärt:
»Sire, ich bin Spanierin und von adeliger Abkunft – es war mir an meiner Wiege nicht gesungen, daß ich als Ballettänzerin Europa durchirren soll. Meine Jugend – wie Sie sehen – erlaubt mir nicht, von Vergangenheit zu reden, trotzdem weiß ich von Ungemach viel zu erzählen – ah; als Tänzerin bin ich auf Dornen gegangen, nicht auf Rosen. Die Götter lieben mich wahrscheinlich und haben Großes mit mir vor, sonst würden sie mich nicht so unaufhörlich quälen und verfolgen. Ich habe auf diese Weise schon ein großes Guthaben im Schicksalsbuch und hoffe mich dereinst für meine Duldungen reichlich belohnt zu sehen. Was mich in dem Ungemach standhaft macht, ist das Vertrauen auf Gott und auf die Güte jener Höchsten unter den Menschen, die der Allmächtige als die Glücklichen auserwählt hat, damit sie Gnade an den Unglücklichen üben.«
Gut gespielte Sentimentalität! Ludwig fühlt eine verwandte Saite schwingen; er ist Romantiker und schwelgt in Sentiments.
»Na, na«, gibt sich der geschmeichelte König leutselig, »was das Glück betrifft, so wollen wir lieber nicht davon reden. Aber so glücklich bin ich doch, Ihnen, liebe Donna, Ihren Wunsch gewähren zu können.«
Der König beschäftigt sich seit einiger Zeit mit der spanischen Sprache – es ist eine Fügung, einer der unmerklichen Schachzüge des Schicksals, die zum Matt führen. Er nimmt also ein weiteres Interesse an der Tänzerin, läßt sich von ihr korrigieren, unterhält sich über spanische Sprache und Literatur und schließlich über spanische Politik, über Frommheit und Bigotterie und findet, daß sie ein sehr, sehr gescheites Frauenzimmer ist.
Endlich wagt der lüstern gewordene Schönheitssinn einen Vorstoß.
»Erlauben Sie, Sennora,« dabei deutet eine malende Handbewegung des Königs auf Lolas Büste, »kann so viel Schönheit Natur sein?«
»Sire –!«
Ein Wetterleuchten in der blauen Nacht ihrer Augen. Lolas Hand zückt einen Dolch; der König prallt zurück, erschreckt, daß er etwa ihrer jungfräulichen Ehre zu nahe getreten sei ...
Ritsch! hat Lola ihr Samtkleid vom Hals bis zum Gürtel mit der scharfen Klinge geschlitzt, und verblüfft starrt der zweifelsüchtige König auf die schwellenden Brüste, die hurtig aus der Kleiderhülle springen
»Äh – – – äh – – –!«
Vor seinem Hirn steht jetzt ein Bild, leibhaft geworden, dessen er sich dunkel aus einem italienischen Vers entsinnt, den er auch schon vergessen hatte, aber von Italien her – er war in der Jugend viel in Italien – kannte und oft rezitierte – – Von wem ist doch der Vers? – Ja richtig, von Marino achter Gesang des Adone, 78. Stanze, wo es von der Liebesgöttin heißt:
»Vedeansi accese entro le gianci belle
Dolci flamme di rose e di rubini,
E nel ben sen per entro un mar di latte
Tremolando nutar due poma intatte.«
oder:
»Man sah auf den schönen Wangen
süße Flammen von Rosen und Rubinen
glühen und im Busen
in einem Milchmeere
zwei unberührte Äpfel zitternd schwimmen.«
Dieses Bild behielt Ludwig in seiner Erinnerung an die Audienz und sah nichts, als »in einem Milchmeere zwei unberührte Äpfel zitternd schwimmen.«
*
Gastspiel auf der Hofbühne; das Haus zum Erdrücken voll. In der vordersten Reihe Lady Jane Ellenborough mit nackten Schultern, die Vielbeneidete, die der König für seine Schönheitsgalerie malen ließ. Sie selbst zum Porträt erstarrt, ihr Antlitz findet sich nicht mehr zurück; so stellt sie sich im Parkett zur Bewunderung aus. Bierderbe Biersiedersgattinnen, handfeste Charcutiersfrauen, züchtige Haustöchter, die auf die Lady schielen, wie futterneidische Hühner; eine scharfe Konkurrenz von entblößten Schultern und Busen, ein Andrängen gegen die Loge des Königs, ein stummes Werben und Betteln um einen königlichen Gnadenblick, und in allem brünstigen Gebaren die ewige stumme Frage »Bin ich nicht schön genug für die Schönheitsgalerie? Bin ich nicht schöner als die Lady Ellenborough, oder die Lady Spence, oder die Sedlmayer, oder die Schindling, oder die Hillmayer oder sonst eine von den vielen, die der König für sich malen ließ?
Die Schönheitsgalerie, dieser siebente Himmel weiblicher Eitelkeit, von dem die Gehirne träumten! Sie entfesselte den Blößenwahnsinn dieser Ehrbarlichen, die mit spießbürgerlich geziertem Anstand ihre Reize ausstellen und ihre Freigebigkeit in süße Pose kleiden.
Der König kümmert sich wenig darum; kaum ein Blick geht ins Publikum – was sind diese Liebesmühen doch für hausbackene Philisterwitzchen gegen die geistsprühende und temperamentvolle Grazie einer Lola Montez!
Die kam jetzt, nachdem der erste Akt des sentimental langweiligen Schwankes »Der verwunschene Prinz« vorüber war, und tanzte in den Zwischenakten; bald gab es mehr als einen verwunschenen Prinzen im Hause!
Der Raum war schier geladen mit elektrischer Spannung, die Männer von der verderblichen Schönheit des fremden Weibes bezaubert und liebestoll; die Frauen instinktiv von Haß ergriffen und unversöhnlich. Die Komödie begann, doch wurde sie vom Publikum gespielt. – – – – –
Das Auftreten Lolas war schon gegen jedes Herkommen. Aufreizend. Nicht etwa in Trikots und Ballettröckchen, wie man's gewöhnt war; nein, in spanischer Tracht, in Seide und Spitzen, schier ehrbar. Welche Anmaßung! Die großen schwermütigen Augen breiteten einen blauen Glanz aus; es schien, als hätte niemand Augen außer ihr: solche blaublickende Augen, die behexen konnten.
»Spanische Nationaltänze,« stand auf dem Theaterzettel.
Es war dies und zugleich etwas anderes, Neues, nie Gesehenes. Keine bestimmten Tänze von feststehender schematischer Form, sondern der vollkommene rhythmische Ausdruck allgemein menschlicher Empfindungen von der Schalkhaftigkeit bis zur fiebernden Leidenschaft, jede Bewegung war Ausdruck beseelten Lebens, Leben im höchsten Sinne, gesteigerte Natürlichkeit, gesteigert bis zur Kunst, Selbstdarstellung. Sie tanzte sich selbst, und so erhob sich der Tanz von der Figurine zum Drama ...
Die Leute saßen andächtig wie in der Kirche und starrten atemlos auf dieses Wunder. Es war schier unfaßlich und schien ein verzückter Traum unter dem blaugeöffneten Nachthimmel dieser Augen. Aus der Königsloge waren ein paar Operngläser unverwandt auf die Bühne gerichtet, kein Blick ging ins Parkett ...
Ah, da saß der Stachel ...!
Sonst war es üblich, daß der König dem Publikum zugewendet saß. Vergebens schielten die schmucken Töchter nach dem großen Wappen und den Operngläsern empor, die in ihrer erregten Phantasie größer und größer wurden, sich zu mächtigen Fernrohren auswuchsen, zu Fernrohren unter diesem blaugeöffneten Himmel ... Ein Unbehagen entsteht, eine Hysterie, die epidemisch wird.
Man denkt an den Splitter im Auge des Königs.
Das Volk sieht den Splitter, weil es den Balken im eigenen Auge trägt.
Der Vorhang fällt, und der Spektakel geht los. Trotz allem kein unbestrittener Erfolg. Das Publikum ist mit inneren Widerständen gewappnet, besonders die Frauen.
Das Parkett klatscht und zischt.
»Der verschiedenen Gerüchte wegen,« flüstert eine Nachbarin der anderen ins Ohr, das Zischen zu erklären. Man hat nichts in den Zeitungen gelesen, die unter strengster Zensur des Absolutismus und der Jesuitenherrschaft stehen, aber man ist »unterrichtet«. Klatsch, Skandalsucht, Spitzelwesen blühen in dieser Stickluft. Es wird gezischelt und getuschelt, man spitzt die Ohren, nickt verständnisinnig, reißt erstaunt die Augen auf, ist sittlich entrüstet und flüstert das Gehörte wieder dem Nachbar zu, der wieder Augen und Maul aufreißt.
»Aus sicherer Quelle!«
»Hm! Ah! So? Aus sicherer Quelle? Hm, hm! – Also eine Missionärin der englischen Freimaurer, eine Feindin der Jesuiten, schlimm, schlimm! – Wie? In ausländischen Blättern? Wie? Liebesabenteuer in allen Weltteilen?! Unerhört! – Skandal! Kokette? Wohl, wohl! Hi, hi!«
Der König will noch immer nichts sehen! Muß also die Schönheit einsam darben, weil das Auge des Bewunderers fehlt oder nichts sehen will! Diese nackten Schultern, diese entblößten Busen – diese saftigen Schinken für die Schönheitsgalerie!
Daran ist der Splitter schuld!
Die sittliche Empörung gewinnt Oberhand. Die Eifersucht, die gekränkte Eitelkeit, die enttäuschte Gefallsucht, Rivalinnengefühle dieser frauenzimmerlichen Seelen verdichten sich zur Massenhysterie. Jetzt handelt, denkt und fühlt nicht mehr eine einzelne Frau oder ein einzelnes Mädchen, sondern an ihrer Stelle erhebt sich ein Kollektivwesen, das diese schier unbewußten Regungen des Hasses sammelt, steigert und zum herrschenden Instinkt aller macht. Die Tänzerin hat einen König zum Freund gewonnen – zugleich ist ihr in diesem Kollektivwesen, in dieser Masse, diesem Volk ein Hasser entstanden. Zunächst sind's nur die Frauen. Aber das ist das Gefährliche. Sie sind es aus Gründen, die unnennbar sind, aus hysterischen Ursachen, und das ist noch gefährlicher. Nicht die einzelne Frau, sondern dieses Kollektivwesen von Frauen schließt ein unausgesprochenes stillschweigendes Bündnis mit dem umschleichenden Jesuitismus, und das ist das Gefährlichste. Indessen träumen die Männer von Befreiung aus geistigem Druck und träumen wohl auch von den göttlichen Tanzbeinen der Lola – diese Racker!
Sie sind der Sünde gar nicht abhold, doch bleiben sie klug verschanzt hinter der Prüderie – diese Tugendheuchler! Sie gestikulieren eifrig und ritterlich mit den entrüsteten Frauen und verfallen ihrer Hypnose, Massenhypnose. –
»Saltatio est diaboli circumferentia« zitiert einer von den Herren, die eine Gruppe bilden und ihre Eindrücke flüsternd austauschen; ein gelehrt tuender Herr Jakob, der sich moralisch entrüstet, unter der lebhaften Zustimmung seines Freundes, des Kaufmanns Nußbaum und einiger Gleichgesinnter: »Die Sittlichkeit ist in Gefahr! Gehören diese Schamlosigkeiten auf die Hofbühne? Gatten und Väter! Denkt an eure Frauen, eure Töchter, eure Söhne!«
»Aber sie hat eine Intelligenz der Bewegung!« warf ein Schwarzbärtiger ein, halb Don Juan, halb Marquis Posa, der Kunsthändler Boligiano.
»Intelligenz der Bewegung!« das gefiel wieder den anderen Herren, vor allem dem feisten Schokoladefabrikanten Meyerhofer und dem grauköpfigen Cafétier Tamboli, die es mit dem Freisinn hielten und unter dem Widerspruch des übrigen Publikums wütend applaudierten.
Die Rollen sind verteilt – die Geschichte hat ihr Satyrspiel klug eingefädelt. Sie ist ein trefflicher Regisseur.
An dem zweiten und dritten Abend, da Lola Montez wieder tanzt, herrscht bedenkliche Unruhe. Ein offener Theaterskandal will sich vorbereiten. Nur die Anwesenheit des Herrschers beugt dem Ausbruch vor.
Doch der König merkt es kaum. Wie an den vorhergehenden Abenden starrt er unverwandt durch die Gläser. Es scheint, als tanze die Montez nur für ihn. Er hat vergessen, daß er im Theater sitzt. In seiner Loge ist er ganz nahe unter den weitfliegenden Röcken der Tänzerin, ist ganz zärtlich hingesunken in diesem Windhauch des Tanzes, der ihn umarmt, liebkost und mit Traumseligkeiten erfüllt, wie der Tropenwind, der aus exotischen Gärten weht.
Den Hunderten aus dem Parkett heraufschielender und scheel blickender Augen will's wieder erscheinen, als ob das Wappen sich zur Riesenwand gegen sie dehnte und die schwarzen Gläser zu ungeheueren Fernrohren wüchsen, die die Blicke des Königs weit wegführten, weit, weit in diese veilchenblaue Nacht dort oben, zu den Ekstasen einer Tänzerin ...
Aber der König sieht noch mehr durch sein Glas, als die braven Untertanen ahnen: unter diesem blaugeöffneten Nachthimmel sieht er als Vision »in einem Milchmeere zwei unberührte Äpfel zitternd schwimmen«, und automatisch murmeln seine Lippen:
»E nel ben sen per entro un mar di latte
Tremolando nutar due poma intatte.«