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VII.

Der geistige Drahtzieher der ultramontanen Politik war Professor Josef von Görres, die fünfte Großmacht, wie ihn Napoleon einst genannt hatte. Er hatte sich auf allen Tummelplätzen des politischen und geistigen Lebens herumgetrieben, immer in führender Rolle: zuerst als begeisterter Anhänger der französischen Revolution mit dem Plan, die Rheinlande an Frankreich zu bringen, dann als Erwecker des deutschen Sinnes in Preußen, wegen liberaler Ideen von der Regierung verfolgt, und schließlich mit dem Aufblühen der Romantik als fanatischer Anhänger des Papsttums und Verfechter religiöser Ideen. Der Saulus ward zum Paulus, er pflückte die blaue Blume als Dichter und Sagenerzähler, als Mystiker und Philosoph. Er war das Hirn der ultramontanen Partei, eine magnetische Kraftstation, die einen belebenden Strom von Gedanken und Ideen den Politikern und Ministern zuführte, damit diese ihr Licht leuchten lassen konnten. Sein Wort glich der Ausgießung des heiligen Geistes: die Apostel konnten nicht gläubiger beisammensitzen mit feurigen Zungen, die sich über sie herabsenkten, als die Freunde und Machthaber um ihn, die politischen Heilkünstler, Emigranten und Sendlinge aller Länder. Sie vereinigten sich in dem bescheidenen einstöckigen Häuschen des einfachen Gelehrten am englischen Garten zu anscheinend zwanglosen Abendgesprächen, als Generalstab des kirchlich-politischen Kampfes. Generalstabschef war der von göttlichen Instinkten geleitete alte Görres, das ungekrönte Haupt, vielleicht sogar heimlicher deutscher Papst, auch ohne Heiligsprechung in den Augen seiner Jünger mit einem ewigen Glorienschein umleuchtet.

Scharf geschnittene, intelligente Theologen- und Diplomatengesichter den großen grünen Tisch entlang, in der ungewissen Atmosphäre des schlecht erleuchteten Studierraums, nebelhaft verschleiert von bläulichen Rauchringen, leicht hingetuscht, mystisch entrückt und mit zunehmender impressionistischer Unbestimmtheit, Kopf an Kopf bis in die dunklen Schatten des Zimmers.

Es ging wider die neuen Kirchenfeinde und Klosterstürmer in Bayern her.

Ein schmächtiger Mann mit eingekniffenen Lippen setzte den Aufhorchenden auseinander:

»Ich bin verhext, sagte er und schlug sich an die Stirn. Verhext, ja, das ist das richtige Wort. Verhext und von Mißtrauen erfüllt gegen uns, gegen die Klosterfrage. Ein böser Geist hat es ihm angetan ...«

»Wissen wir längst,« fuhr der immer leidenschaftliche Görres dem Minister von Abel ins Wort, »und wissen Sie wer?«

Die dünne Stimme ließ sich wieder vernehmen: »Seine Majestät sagte es mir selbst: eine reine, edle Seele, ein Engel in Menschengestalt, ein Schutzgeist ...«

Gelächter und Ausrufe der Entrüstung, ein aufgeregtes schwärzliches Wogen mit Wellenkämmen von weißen Gesichtern um die grüne Insel des Tisches.

»Diese Tochter Babels, die Bayern den Becher der Wollust kredenzt!« donnerte Görres in den Aufruhr.

Mit einer Stimme wie Öl, die Wogen zu glätten, erhob sich jetzt der Bischof Diepenbrock, der Vertraute der Königin Therese und langjähriger Freund der königlichen Familie:

»Unser König ist der katholischen Kirche innig ergeben, er wird sich mit Gottes Beistand aus der Umschlingung des Bösen befreien, so gewiß er ein guter Christ ist. Ich kenne sein Herz, das rein ist von dem Wurmfraß, ich bürge euch dafür!«

Aber Görres als Vater Boreas gab keine Ruhe und schnaubte kalt und rauh:

»Er will uns abschütteln, seine Freunde, einer Buhlerin zuliebe. Man befreie den König aus den Banden des Weibes und eröffne den Kreuzzug gegen die Götzendiener der gottleugnenden Vernunft, gegen die Sendboten der Fleischbefreiung und ihres orgastischen Kultus! Man predige in unseren Blättern den Kreuzzug wider diese babylonische Hure!«

»Könnte sie nicht im Dienste der Kirche Gutes wirken, wie sie jetzt Böses anstiftet? Es wäre zu versuchen, ein Weib ist leicht zu bekehren,« wagte sich ein sehr kluges Maulwurfsgesicht hervor.

»Ist bereits versucht worden,« wandte sich ein fremd aussehender Mann in halb geistlicher Tracht gegen ihn. »Nützte aber nichts. Sie ist des Teufels ...«

»Ich bin durchaus ein Gegner solcher schmutzigen Werkzeuge,« begann wieder Görres, der neben dem Fremden saß, »sie bringen nie Glück. Ich bin jedenfalls der Ansicht, daß man ganz entschieden und unverhüllt gegen dieses Schandweib auftreten soll.«

»Wie gedenkt nun der Herr Minister von Abel den Klosterantrag durchzubringen?« kam eine Frage vom anderen Ende des Tisches.

Der Minister zuckte die Achsel.

»Der Herr Professor Döllinger frägt mich zu viel. Es hängt davon ab, inwieweit ich die Zustimmung der Krone erlange – oder bedarf.«

»Keinesfalls kann auf den Antrag verzichtet werden,« griff Görres ein; »ebensogut könnte die Kirche auf ihr Erstgeburtsrecht verzichten. Die Kirche hat ein Recht, das um ein halbes Jahrtausend weiter zurückreicht als die älteste Dynastie.«

Die Kirchengelehrten mit den unsichtbaren Bäffchen am unteren Ende des Tisches, wo außer Lassaulx, dem Germanisten, Höfler, Phillips, von Moy de Sons, Döllinger, Deutinger, Sepp, Meyer, Merz saßen, begannen der Reihe nach Steine zu schleppen.

»Das Konkordat,« hieß es von unten, »spricht klar genug. Sind nicht Prärogative darin gewährleistet? Rechte, welche die Kirche nach göttlicher Anordnung zu genießen hat? Man berufe sich auf die kanonischen Satzungen!«

Görres faßte alle Zurufe zusammen und prägte sie auf die Formel:

»In strittigen Fragen ist zu untersuchen, ob die heiligen Rechte der Kirche höher stehen als die Wünsche der Krone. In der Reichsratskammer hat der Herr Minister von Abel die Majorität. Es ist Ihnen ganz leicht, sich über diese Rechtsfrage zu vergewissern und für Ihre Verantwortlichkeit eine Deckung zu erlangen, indem Sie einfach abstimmen lassen – abstimmen über die Frage, ob das Konkordat oder die Verfassung den Vorzug verdient. In dieser Form retten Sie die Klostersache und bringen den Antrag glücklich durch.«

»Und der König?« Der Bischof Diepenbrock hatte sich wieder erhoben. Die pergamentenen Gesichter rückten zusammen wie eine Reihe Folianten und hielten dem Minister die stumme Frage entgegen:

»Und der König?«

Görres löste die Spannung wieder auf, indem er zuvorkam: »Der König wird nicht anders können ...«

Hätte dem Minister in diesem Augenblick nicht die biblische Erleuchtung gefehlt, so hätte er auf die Frage der Schriftgelehrten geantwortet: dem König was des Königs ist und Gott was Gottes ist. Statt dessen aber entschied er: »Gott was Gottes ist und dem Volk was des Volkes ist – im Notfall gegen den König.«

Aber da fuhr schon wie ein Bauernknüttel die grobe Stimme des Bischofs Diepenbrock dazwischen: »So geht's nicht! Der Handel gefällt mir nicht. Gegen den König! Revolten, meine Lieben in Gott, bedenkt, Revolten! Das kann zu Revolten führen!«

»Mag's immerhin führen,« piepste das Maulwurfsgesicht.

Jetzt schwang der graue Görres, in dem der Jüngling nicht zur Ruhe kommen konnte, die Sturmfahne:

»Wenn der Geruch der Verwesung durch die Gesellschaft geht und der Übermut keine Grenzen mehr kennt, dann tun sich die Brunnen des Abgrunds auf und Fluten brechen über sie herein. Das nennen die Menschenkinder eine Revolution; in der Sprache der Überirdischen aber heißt es ein Umschwung, der nach Richtmaß der ewigen Ordnung von der Vorsehung zugelassen ist!«

Der vom heiligen Geist geleitete göttliche Instinkt des Görres hatte gesprochen!

Das grüne Eiland des Tisches war wieder von Aufruhr umwogt, einem schwärzlichen Meer mit weißem Gischt.

Das Männlein mit den zusammengekniffenen Lippen suchte dem unwilligen Bischof klar zu machen:

»Fürs Volk und selbstverständlich auch für den König, was dasselbe ist. Auch wenn er's nicht gleich einsieht, doch dankt er's nachher, wie so oft.«

»Die Abstimmung in der Kammer!« mahnte Görres mit erhobenem Finger, »die Abstimmung vergessen Sie nicht!«

*

Gesagt, getan.

Mitten in der Debatte über die Klosterfrage in der Reichsratskammer wurde der Antrag gestellt, ob in Streitfragen die Verfassung entscheide oder das Konkordat. Die Majorität der kirchlichen Partei schien gesichert. Damit war der Wille der ultramontanen Partei über den Willen des Königs und über die Verfassung gestellt. Pathetisch erklärte der Minister:

»In dem Konflikt der Staatspflichten gilt der Appell an das Gewissen als der höchsten menschlichen Instanz, die zugleich ein Göttliches ist und in sichtbarer Form durch die Kirche dargestellt wird.«

Wie ein Mann sprangen der protestantische Staatsrat von Maurer, der liberale Staatsrat von Berks und die anderen freisinnigen Mitglieder der Kammer auf.

»Was ist das für ein Schwindel mit dem Gewissen?« rief Maurer. »Es gibt ein gutes, ein böses, ein enges, ein weites, ein strenges, ein zartes, ein leichtsinniges, ein schlafendes, ein wachendes und auferwecktes, ein protestantisches und katholisches, ein freisinniges und konservatives, ein liberales und demokratisches Gewissen! Was entscheidet also? Im Staatsleben gibt es nur ein Gewissen, das wir anzurufen haben, und das ist die Verfassung! Wenn die Abstimmung vorgenommen wird, verlassen wir den Saal!«

Der Rumpf blieb zurück.

*

Spornstreichs lief Staatsrat von Berks zu Lola Montez.

»Was will mein dummer deutscher Bär? Tanzen lernen? Ach, schon wieder eure langweilige Politik?«

»Allerschönste Donna, freuen Sie sich! Ihre Freunde, die Jesuiten, werden siegen. Der kirchliche Absolutismus steht vor der Tür. Dann bleibt Ihnen nichts übrig, als in ein Kloster zu gehen, Lola Ophelia. Geh' in ein Kloster ...«

»Mein lieber Berks, Sie halten sich wohl für geistreich, indem Sie sich schlechte Scherze erlauben?«

»Sche–erze? Sche–erze? Nun, Sie werden ja bald sehen, was es für Scherze sind!«

»Der König wird niemals zugeben, daß ...«

Berks lachte. »Wenn's dann noch darauf ankäme! Unser gnädiger Herr hat keine Ahnung von diesem jesuitischen Komplott. Die Gefahr ist vorderhand abgewendet – auf wie lange? Die Kammer gesprengt und der Schachzug gegen den König vereitelt. Sitzen Sie fünf Minuten lang ruhig, wenn Sie können, spitzen Sie Ihr allerliebstes Ohr und lassen Sie sich den Hergang kleinweis erzählen.«

Mit einer jener prachtvollen Bewegungen schöner wilder Katzen oder Schlangen, die plötzlich aus der schläfrigen Ruhe hervorschießen, schnellte Lola von der Causeuse auf, noch ehe der Staatsrat zu Ende war. Es war das viel bewunderte Ungestüm, mit dem sie ein verblüffendes Wort in die Unterhaltung warf.

»Das ist ja Verrat,« rief sie, »Verrat an dem König!«

Der Staatsrat wiegte bedächtig den Kopf hin und her und meinte nach einiger Überlegung:

»Ja, wenn man's so ansieht, ist es Verrat.«

»Und da sitzt ihr dabei und seht alles ruhig kommen, und keiner von euch hat das Herz, dem König reinen Wein einzuschenken. Was seid ihr für Männer! Schämt euch!«

»So einfach geht das nicht, wie ein gewisses eigensinniges kleines Frauengehirn sich die Sache vorstellt. Alles hat seinen Weg. Man wird sich doch nicht um Kopf und Kragen reden wollen!«

»Es wär' auch wirklich schade um diesen Kopf,« spottete Lola, indem sie seine Glatze zu tätscheln anfing, eine Liebkosung, die alsbald in ziemlich unsanfte klatschende Streiche überging.

Er suchte sich der etwas schmerzhaften Berührung dadurch zu entziehen, daß er ihre Hände zu erfassen und zu küssen versuchte. Mit plumper Zärtlichkeit wollte er auf sie eindringen.

Sie stieß ihn zurück und zog augenblicklich die Klingel, das Kammermädchen erschien.

»Die Reitpeitsche!« befahl Lola.

»Was?« Der Staatsrat war verdutzt.

»Ah, dieser Mannesmut, der nur hinter Weiberröcken entflammt!« Verächtlich warf sie die Peitsche hin.

Berks tat kläglich, nicht ohne Perfidie:

»Ich bin nicht schön, bin nicht jung und kann nicht in Gedichten säuseln. Aber ich liebe Sie!«

Lola bereitete sich zum Ausgehen vor und ließ sich von dem Mädchen helfen. Sie tat sich dabei gar keinen Zwang an und ließ bei dieser Aus- und Ankleideszene den Hausfreund ruhig zusehen wie einen Sklaven oder wie einen Hund, den die Peitsche im Zaume hält. Er stöhnte wie ein Tier beim Anblick der halb entblößten Reize und wagte doch nicht zu mucksen. Wenn er zu laut oder unverschämt wurde, befahl sie mit der Stimme einer Bändigerin:

»Ruhe!« funkelte ihn mit zornigen und harten Blicken an, mit Blicken hart und blau wie eine angelaufene Stahlklinge in einem Griffe von weißen Opalen und machte eine geschmeidige pantherartige Bewegung nach der Peitsche hin. Da duckte er schon wieder nieder.

»Über eine Lola Montez haben mehr als einer den Kopf verloren ...« und wie um die freche Anspielung zu verstecken, ergänzte er schnell, anscheinend harmlos: »– auch ich. Mehr als einen Kopf hat der Mensch nicht zu riskieren. Darum bleibt halt so wenig für die Politik übrig.«

Sie achtete gar nicht auf sein Geschwätz und zog die Handschuhe an.

»Aber wohin, Allerschönste?«

»Zum König!«

»Um Gottes willen, Vorsicht ...«

»Ach, was! Ein gewisses, eigensinniges, kleines Frauengehirn ist entschlossen zu tun, was euer Staatsmännergehirn nicht fassen kann.«

Der Staatsrat erschrak. »Übereilen Sie nichts, Lola, für alles kommt seine Zeit. Bedenken Sie: Staatsgeheimnis! Wenn's schief geht, kommt's auf mich. Bin Familienvater und habe Kinder. Kann weder Kopf noch Kragen riskieren, den Kopf, den ich übrigens an die schönste Frau verloren habe ... Judith!«

Sie überhörte gänzlich, was er sagte, nahm die Peitsche und warf die Frage leicht hin:

»Sie stehen also gut für das, was Sie mir erzählt haben?«

»Ja, ja, aber ... übrigens ist es besser, Sie berufen sich auf Staatsrat von Maurer ...«

»So, nun an die Luft!«

Indem sie ihm bedeutete, daß er gehen könne, hielt sie ihm die Peitsche vor, um ihn darüberspringen zu lassen, und rief:

»Also hoppla!«

Sein Mannesstolz wollte sich regen:

»Ich bin kein Pferd, kein Hund, kein Clown, kein Zirkusaffe ...«

»Na, wird's?« wurde sie ungeduldig. Und als er sich immer noch widersetzte, flötete sie süß, indem sie ihn mit einem zärtlichen Blick blau umleuchtete:

»Aber wenn ich beim König Ihre Verdienste ins hellste Licht setze?«

»Um diesen Preis, ja!« schrie er außer sich, »mit Gott für König und Vaterland!« und faßte die Schöße seines Staatsrockes zusammen, nahm einen Anlauf und – hoppla! war der massige Körper drüber.

Über die Peitsche gesprungen.

»Ach, wie possierlich!« Sie lachte wie besessen und klatschte übermütig in die Hände. »Ich bin kein Pferd, kein Hund, kein Clown, kein Zirkusaffe ... Geben Sie acht, Herr Staatsrat, daß Sie den Zopf nicht verlieren!«

Ärgerlich wandte er sich um:

»Der Zopf? Was für ein Zopf?«

»Der Zopf, der hinten hängt!«

Wütend schoß er davon, verfolgt von ihrem Spott, der um seine Ohren gellte: »Ich bin kein Pferd, kein Hund, kein Clown, kein Zirkusaffe ...«


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