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XIV.

Alles, was Menschensinn an äußeren Glücksgütern wünschen mag, hatte Lola erreicht. Dazu hatten ihr die Feinde verholfen. Sie lebte verschwenderisch, hatte stets eine gefüllte Schatulle, besaß Silberzeug und Dienerschaft, Equipage und Pferde, eine studentische Leibgarde und einen Anhang von Straßenvolk, eine gräfliche Krone und ein eigenes neues Palais, darin sie wohnte wie eine Prinzessin. Wie eine Märchenprinzessin in glänzenden Zimmern mit Spiegeln, Kristall, Silber und Blumen. Sie hielt schöne seltene Tiere, besonders aber exotische Vögel, die den Wintergarten belebten und deren bunte Gefieder Gleichnisse von leuchtenden Sonnenauf- und -untergängen über südlich blauen Meeren und tropischen Gestaden waren. Über eine gläserne Treppe stieg man in ihren Salon hinauf und in ihre Wohnräume, die mit den Erlesenheiten aller fremden Länder erfüllt waren. Der Putztisch glich einem Thron, jedes Strumpfband einem Diadem.

Der Höhepunkt ihrer Macht. Sie war die interessanteste und einflußreichste Persönlichkeit des Landes; sie stand der Politik fern, und dennoch bestimmte ihr Wille den Kurs. Kein Minister war mächtig genug, entgegenzusteuern; wer nicht an Lolas Hof erschien, fiel in Ungnade.

Die Feinde lagen in der Tiefe zerschmettert; groß und gesichert stand sie da. Und doch von innerer Unrast getrieben, die sie nicht ruhen ließ. War es Furcht? War es Unersättlichkeit?

Groß und gesichert stand sie da, wie eine Königin – auf wie lange? Das war die Pein. Königin! Das war ein zauberhaftes Wort. Es klang wie ein altes Märchen, sie schlief damit ein und wachte damit auf und träumte es fort. Alte Märchen lügen nicht. Sie sind der Dichtermund der Wahrheit, und die Geschichte wimmelt von solchen Beispielen ...

Der ungeheuerliche Gedanke war erwacht. Was Wunder? Der Rausch, den die Erfolge erzeugten, war zu Kopf gestiegen und übersah die Schranken. Die Grafenkrone – was schien sie? Ein Übergang, eine Brücke zu einer höheren Krone.

Königskrone!

Dieses Wort hat erst den rechten Klang.

*

Der Wille der Nation, des Volkes, wo spricht er am deutlichsten?

In der Hauptstadt? Die Stadt ist nicht die Nation.

Und wenn er in der Stadt nicht zu erfragen ist, wo erfährt man ihn, den Willen des Volkes? Wer macht ihn?

Das Land, das Land! Mußt das Land fragen! Dort wird das Schicksal des Reichs geschmiedet, dort wächst dieses geheimnisvolle, unwiderstehliche, mächtige Etwas, das man den Willen des Volkes nennt, dem sich die Herrscher, die Regierungen, die Machthaber, die Städte beugen müssen!

Der König erfährt den Willen der Nation auf seiner Sommerreise nach dem Bad Brückenau, wo er schon in der Jugend am liebsten verweilte.

Von dort aus schreibt er an seinen Sekretär Kreuzer:

»Mit meinem Empfang auf der ganzen Herreise war ich sehr zufrieden. In Mittelfranken, wie nie früher, innig, freudig begrüßt.«

Wohin er kommt, jubelt ihm das Volk in aufrichtiger Begeisterung zu. Er schreibt darüber einige Zeit später:

»Wie noch nie, in Kissingen gestern empfangen worden, wie ich denn überhaupt in der Meinung durch den Ministerwechsel, und was seitdem geschah, sehr gewonnen!«

Eine neue Genugtuung bringt ihm im August 1847 ein Abstecher in die Pfalz. Diese Provinz hatte durch Unruhen, die schließlich zur Verhaftung und Verurteilung Behrs führten, früher viel zu schaffen gemacht. Ludwig drückt seine Freude über die veränderte Stimmung in der Sprache des Souveräns aus:

»Überrascht, freudig überrascht war ich in der Pfalz von in Augenschein genommener jubelnder Begrüßung.«

*

Auch die Gräfin Landsfeld reist ins Bad nach Brückenau. Zur selben Jahreszeit. Berks ist Reisemarschall. In einem zweiten Wagen sitzt ein Gendarmerieoberst mit zwei Unteroffizieren. Der König besteht darauf, daß sie unter Bedeckung reist. Die Vorsicht will ihr gar übertrieben erscheinen. Aber sie lernt bald einsehen, daß es eine kluge Maßregel war. In allen Orten und Städten ist sie der Gegenstand einer oft recht lästigen Neugierde; ihr Name hat das Volk elektrisiert.

Sie will die größeren Städte unterwegs genauer besichtigen und die Reise da und dort unterbrechen. Ihre Begleiter raten ab, »die Stimmung sei nicht freundlich«.

Aber die Gräfin hat Äußerungen vernommen, die dieser Ansicht widersprechen.

»Das ist sie, die uns von den Jesuiten befreit hat.«

»Wär' sie nicht gekommen, wir säßen noch im Dr...!« hört sie einen Bauer aus der Würzburger Gegend sagen.

Dazwischen gab es freilich auch Worte, die weniger schmeichelhaft waren. Sie denkt: das Volk nimmt es nicht so genau, im Grunde ist es nicht so bös gemeint. Und eigentlich müßte es ja auch dankbar sein.

In Nürnberg geht es leidlich. Obwohl sie kein rechtes Behagen findet. Das liebe Mittelalter blickt über die grünenden Mauern; das Leben drinnen ist eng und kleinlich, aber groß ist der mystische Gedanke der Kunst, der wie ein heimliches Licht die altersschwarzen Steine erhellt. Ein Kehrichtfaß und eine Rumpelkammer erscheint ihr die Stadt, nüchtern angesehen, und die Menschen sind nicht nach ihrem Geschmack.

Wie anders Würzburg und Bamberg, dieser steingewordene üppige Traum des achtzehnten Jahrhunderts, dieser Sinnenkult kirchlicher Residenzen mit steinernen Göttinnen, Nymphen und Faunen in fürstlichen Gärten, Schauplätze galanter Idyllen im Stil Bouchers und Watteaus! Aber der Traum ist aus, die Haine sind entgöttert, der olympische Frühling ist dahin! Die Melancholie sitzt auf den verwitterten Stufen. Im übrigen schleicht ein kleines Leben. Viel Buße und Kirchengängerei. Jäher Schreck erfüllt die Gräfin, als sie in den Fenstern der bischöflichen Residenz zu Bamberg das Gesicht des geheimnisvollen Fremden erblickt, dessen Besuch ihr noch immer in klarer und schreckhafter Erinnerung ist. Diese starr lächelnde fromme Maske mit den satanischen Zügen!

Zugleich ist Geschrei hinter dem Wagen, ein Pöbelhaufen ist hinterher: Kot, Steine, unflätiger Schimpf. Der Kutscher schlägt in die galoppierenden Pferde; die Verfolgung setzt erst aus, als die Stadt weit hinten liegt. Mit dem Aufenthalt in dieser ungastlichen Stadt wird es nichts.

Sie hat keine Angst vor dem Pöbel, obschon er sie am Leben bedroht; nur vor dem geheimnisvollen Fremden empfindet sie eine unbestimmte Furcht. Schon seit dem Tage, da sie ihn zum erstenmal sah. Er erscheint als Verkörperung der ungeheueren und schier unfaßbaren Macht, die sich nun einmal gegen sie verschworen hat, und die immer hinter den Dingen steht, die sie bedrohen. Er ist fast ein symbolisches Zeichen; sie bildet sich ein, daß es Unglück bedeutet.

Unterwegs nach Würzburg ist es nicht viel besser. Die Bauern der Umgebung hatten sich zusammengerottet und waren mit Knütteln hinter dem Wagen her, »den Vampir« zu töten, »der die vielen Steuern frißt«.

Auch in der Stadt gibt es Ärger und Streit. Die Sache sinkt obendrein ins Lächerliche und Banale. Sie zankt mit einer Schildwache herum, die ihr den Eintritt in einen öffentlichen Garten verbietet. Der Vorwand dazu ist ihre Dogge, die große, schöne Box. Die Leute sind auf der Seite der Schildwache. Ein Bürger von einigem Ansehen vermittelt. Der Oberlehrer einer Mädchenschule.

»Kennen Sie mich nicht mehr, Frau Gräfin?«

Wer hätte auch in dem ordentlich aussehenden Mann den verwahrlosten und vertriebenen Lehrer Thom, Handlanger und Erdarbeiter beim Donau-Main-Kanalbau von damals, jetzigen Direktor Thomas Dieter, sofort erkennen mögen?!

»Ein Mensch, der sich dankbar zeigt für empfangene Wohltäten oder Gefälligkeiten!« rief die Gräfin, »ich erlebe es zum erstenmal! Vielleicht gar auch zum letztenmal! Es ist so selten!«

Sie ist froh, sich mit einem Menschen aussprechen zu können, der Land und Leute aus dem Alltag heraus kennt.

»Warum haßt und schmäht mich das Volk? Ich habe ihm doch nur Gutes getan. Ich habe es von einem drückenden und verderblichen Pfaffenjoch befreit, obzwar es mein Vorteil gewesen wäre, es mit den Jesuiten zu halten.«

Thom Dieter wies auf die geheime Wühlarbeit hin, die in den niederen Schichten und besonders bei den Frauen viel Erfolg hätte.

»Was ich besitze,« fuhr sie fort, »teile ich gern mit Bedürftigen, was will man mehr? Daß die Frauen gegen mich sind? Ja, lieber Thom Dieter, hätten eure Mädchen und Hausfrauen das Jesuitenregiment gestürzt? Hätten eure Männer und Landtage es vermocht? Nun also! In Wahrheit habe ich nur zwei Feinde, die mich unerbittlich verfolgen,« schloß sie, »der eine schon mein Leben lang, der andere, seit ich in Bayern bin: der Neid und die Jesuiten

*

Der Neid und die Jesuiten!

Auf der Höhe ihrer Macht sah sie den Abgrund, der sich unter ihr auftat. Der Feind in der Tiefe war nicht zerschmettert – er war vielmehr recht rührig und legte still und unverdrossen Mine um Mine ...

Sie hatte das offene Land um den Willen des Volkes befragen wollen, – das Land hatte ihr Bescheid gegeben.

»Der Wille des Volkes – bin ich!« sagte der König, obgleich ihn die Schilderung des Hasses düster und traurig stimmte. Sie sah es und verstand, daß der Augenblick von ihr den höchsten Einsatz verlangte und daß es hieß: alles verlieren oder alles gewinnen. Und sie wagte entschlossen das Spiel, indem sie alles hinwarf –

»Sire, lassen Sie mich ziehen!«

Betroffen faßte sie der König an beiden Händen.

»– – – – –?«

»Das Volk haßt mich – und ich will nicht zwischen Ihnen und der Liebe dieses Volkes stehen. Ich bin zur Rastlosigkeit verdammt; es ist mein Schicksal, heimatlos zu wandern bis an mein Ende. Lassen Sie mich gehen, freiwillig – ehe ich muß – – –«

»Lola!«

»Ja, Sire, ehe ich muß – – – Es ist nichts so bitter, als unter Sturmglocken und Kanonen flüchten müssen – – ich habe keine Furcht, nein, nein! – ich würde auch vor Dolchen und Bajonetten nicht weichen – – ich würde nur gehen, wenn Sie es verlangen – – – und Sie werden es verlangen, Sire – darum entlassen Sie mich jetzt!«

Sie hatte alles auf die eine Karte gesetzt – und hatte die Karte gewonnen. Sie sah das Beben des alternden Königs, den siedenden Schmerz und die flehende Angst in seinem Blick – und sie wußte, daß die Zukunft ihren ehrgeizigsten Plänen hold war.

»Sturmglocken und Kanonen –« rief der König, »träumen Sie?«

»Ich träume vielleicht; wir Frauen haben oft –«

»Furcht, Lola, Furcht!«

»Nein, Sire, – Mut! Mehr Mut als Kräfte; mehr Mut sogar als Überlegung – – aber wir Frauen haben die Gabe der Seher und blicken in die Zukunft – –«

»Und Sie fürchten also –«

»Sire, ich fürchte nichts – solange Sie bei mir sind!«

»Und Sie bleiben in München, Sie bleiben bei mir – ich lasse Sie nicht!«

»Ich bleibe –,« sagte sie sinnend, »solange ...«

»Solange?«

»– ich will.«

Küsse verschlossen ihren Mund.


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