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XVIII.

Scharf pfiff der Wind über den Rhein herüber und blies den überall in Deutschland glimmenden Funken zu einer mächtigen Lohe zusammen.

Der 24. Februar – ein Schicksalstag Europas! Die Pariser Revolution gab das Signal; Wien, Dresden, Berlin folgte dem Beispiel. Louis Philipp von Frankreich war geflohen; in Wien wurde Metternich verjagt, ein Minister baumelte am Laternenpfahl. Wilhelm von Preußen rettete sich nach England, die Leichen der Barrikadenkämpfer füllten die Straßen. Während München sich noch immer über die Lola-Affäre ereiferte, erhob sich im Lande draußen der Sturm. In Bayern war es zuerst Nürnberg, das sich der wichtigeren allgemein deutschen Sache zuwendete.

Der Wille der Nation stand auf – und verlangte die Erfüllung der seit mehr als dreißig Jahren verheißenen Volksrechte, Umkehr von dem bisher herrschenden Regierungssystem, Aufhebung der Standesprivilegien, vollkommene Preßfreiheit, freies Versammlungs- und Vereinigungsrecht, volle Gewissens- und Lehrfreiheit, Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Gerichtsverfahrens, Gewerbefreiheit, gleiche Rechte für alle Glieder des Volkes, Verminderung der stehenden Heere, Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, Selbstbestimmungsrechte, die allenthalben in der Forderung gipfelten:

Nationalparlament!

Die Völker Deutschlands, in ein ohnmächtiges Chaos zerfallen, durch Schranken voneinander getrennt, wollten zu einer neuen nationalen Einheit zusammenschmelzen. Aus dem Schutt der morschen, im Revolutionssturm zerbrechenden Institutionen erhob sich die aus Blut und Eisen geschmiedete Idee der deutschen Einigkeit, die schon einmal leuchtend wie die Heldengestalt Siegfrieds auf den napoleonischen Schlachtfeldern dastand, als es galt, das fremde Joch abzuschütteln, und die immer wieder geboren wurde in den kleinen Kämpfen und Reibereien der letzten dreißig Jahre trotz Absolutismus und wiederkehrender Kleinstaaterei.

War schon die Zeit reif zu Siegfrieds Wiedergeburt?

Einstweilen aber war der künstlich niedergehaltenen deutschen Einigkeitsidee eine neue Kraft erwachsen, deren sich niemand versehen hatte: die soziale Frage, die zum Hebel der Ereignisse wurde.

Der Knabe Deutschland war zur Mannhaftigkeit erwachsen; der ehemalige Träumer, Dichter und Denker schmiedete als rußiger Zyklop sein Schwert in den Feueressen der erstandenen Industrie, bis er eines Tages das Schurzfell wegwarf und vor die erstaunte und erschreckte Welt hintrat: nicht mehr als Knabe, sondern als der ungeheuere Riese Deutschland, zu dem er erwachsen war. Es war nicht das Schwertschmieden und Blutvergießen allein, das ihn gestählt hatte; es war vor allem auch die Arbeit seiner Hämmer in den Werkstätten, die ihm diese Kraft, Größe und Einheit gab. Damals war es allerdings noch nicht so weit; aber man war unterwegs zu diesem Ziel.

Die drohende Haltung des »Zeitgeistes« erschreckte die Bundesversammlung in Frankfurt, die stets die »Unmündigkeit des Volkes« vorgeschützt und jede geistige Regung eifrig unterbunden hatte.

Nun appellierte sie an »das deutsche Volk« und versprach die Forderungen des Volkes zu gewähren. Zu spät! Man hatte gesehen, was der Bundestag tat, oder was er vielmehr nicht tat, und war nun von Mißtrauen gegen dieses Organ erfüllt, das sich der Entwicklung stets hemmend in den Weg gestellt hatte.

Der Wille der Nation entschied und forderte das Nationalparlament als Volksbehörde, deren Aufgabe es sein sollte, die einengenden Schranken niederzureißen und die politische Befreiung und Einigung des deutschen Volkes durchzuführen.

Die Adresse der Nürnberger Bürger, der sich die meisten bayrischen Städte anschlossen, war eine Botschaft des Schicksals an den König. Sie sollte ihn zur Durchführung der verlangten Reformen zwingen und dahin bringen, daß er in der Neugestaltung der deutschen Verhältnisse den entscheidenden Griff tue. Das Schicksal hatte Großes mit ihm vor – nur zögernd und widerwillig gehorchte er, er erkannte seine Mission nicht.

Der Wille der Nation! Er mißverstand ihn.

» Der Wille der Nation bin ich!« Die alte Formel war außer Kurs. Die politische Bewegung hatte eine neue Formel, aber die erschreckte ihn: »Alles für das Volk durch das Volk!«

Er hatte noch nicht begriffen, daß das Königtum eine Abstraktion ist; er nahm es konkret. Die gute alte Zeit! Er meinte, es genüge, gut zu regieren und die Einnahmen nützlich zu verwenden. Das »Wie« blieb Geheimnis. Aber wenn schon keine Willkür an Ludwigs Herrschaft war, so war doch der Schein der Willkür da, der Schein sollte schwinden. Und mit ihm alle Geheimnistuerei und Polizeiwillkür. Mit kurzen Worten: Öffentlichkeit des ganzen Staatswesens! Verfassung! Zwar hatte Bayern schon längst eine Art Verfassung, dieselbe, die ihm der bei seinem Regierungsantritt freisinnige Ludwig gegeben hatte, eine Ständeverfassung. Der Fortschritt aber verlangte eine Volksverfassung!

Also begehrte die Nürnberger Adresse die schleunige Einberufung des Landtags, der allein vermöge, die notwendigen Reformen auf friedlichem Wege anzubahnen.

Aber der König, noch tief erregt über die ihm in den letzten Wochen zugefügte Unbill, war nicht willens nachzugeben. Er bangte um seine Kronrechte und fürchtete den Landtag, mit dem er trotz Freisinn während seiner ganzen Regierungszeit auf Kriegsfuß gestanden hatte.

*

»Ob es nicht genug war, Lolas wärmende Herzflammen dem gemeinen Pöbeldrang geopfert zuhaben?«.

Sein Widerstand erregte eine neue Gärung im Volk.

Nun versuchte es der König mit dem probaten Mittel der Verzögerung: »Am 31. Mai sollen die Stände einberufen werden.«

Das Mittel hätte verfangen, wenn nicht der 24. Februar gewesen wäre, die Revolutionsbrände von Paris, Wien, Dresden, Berlin.

Der freisinnige Minister Wallerstein, dessen gleisnerische Diplomatie schon in den dreißiger Jahren die freisinnige Bewegung betrogen hatte, genoß kein rechtes Vertrauen im Volk. Noch weniger natürlich Berks. Die aristokratisch kirchliche Partei unter der Führung des Grafen Arco Valley fürchtete, das Bürgertum könnte die Reformbewegung allein in die Hand nehmen, und ergriff selbst die Zügel, nachdem sie schon seit dem Sturz Abels eine oppositionelle Stellung gegen König und Regierung eingenommen hatte. Die ultramontane Partei, die früher eifrig geholfen hatte, die Entwicklung des Volkes zu fesseln, gebärdete sich jetzt als die Riemenlöserin der Freiheit.

Nun ist es seltsam zu sehen, welchen Mummenschanz der Geist der Geschichte treibt, um die Bewegung in Gang zu erhalten. Das Volk bedurfte konkreter Vorstellungen, einfacher, deutlicher Symbole, um zu begreifen. Mit abstrakten Ideen war es nicht getan; man mußte ihm eine Verkörperung zeigen, in der sich der Begriff der Unterdrückung persönlich fassen ließ. Als eine solche Personifikation erschien Berks. Wie früher der Name Lola, so wirkte jetzt der seinige als das rote Tuch, auf das der Stier blind wütend zuging.

Das Zeichen zu diesem Stierkampf gab der Fürst v. Leiningen. In ihm fand Lola einen Rächer an Berks. Durch seinen jahrelangen Aufenthalt an dem Hofe von Windsor an den Freimut der englischen Aristokratie gewöhnt, schrieb der Fürst am ersten März dem Monarchen folgende mahnende und gewichtige Worte:

»Drangvollere und für die nächste Zukunft bedrohlichere Umstände für das Königtum und somit für unser ganzes teures Vaterland als jetzt haben lange nicht, vielleicht nie bestanden. Gerade in diesem kritischen Zeitpunkt ist das Vertrauen aller Klassen Ihrer Untertanen in Eure Majestät aufs tiefste erschüttert. Es ist dies das wahrhaft hochverräterische Werk jener Kreaturen, welche noch jetzt zwischen Euere Majestät und Ihr Volk sich drängen; namentlich aber, daß ein Mann, der Ministerverweser v. Berks, welchen die öffentliche Meinung mit tiefster Verachtung beladet, weil er selbst jene verraten hat, auf deren Schultern er emporgestiegen ist, Eurer Majestät noch als Ratgeber zur Seite steht. Eure Majestät sind vollständig über die Ursache getäuscht, durch welche jene Unzufriedenheit und Erbitterung hervorgerufen wurde.«

Der König achtete der Warnung nicht.

Aber schon am Morgen des 2. März las man an den Straßenecken mit Kohle und Kreide angeschrieben:

»Nieder mit Berks! Heute abend Katzenmusik bei Berks! Nieder mit dem Maitressenminister!«

Die gute alte Zeit! Man kündigte Revolutionen noch vorher an wie Gartenfest und Feuerwerk.

Abends wird das Heim des verhaßten Ministers im Damenstift mit Pflastersteinen bombardiert und geplündert – es war eine fremde Wohnung, man hat sich in der Eile geirrt. Man will den Hetärenminister zerreißen oder an den Laternenpfahl hängen – nach berühmten Mustern; entsetzliche Flüche erschollen – gegen den Abwesenden.

Das gleiche Treiben wiederholt sich vor dem Ministerium des Innern. Patrouillen ziehen vorüber, sie haben Augen und sehen nichts, sie haben Ohren und hören nichts. Ungestört nimmt das Zerstörungswerk seinen Fortgang; in mehreren Straßen errichtet das Volk zum Überfluß aus umgestürzten Bierwagen und Fässern Barrikaden, um vor der Reiterei Deckung zu haben.

Durch die Flucht Berks ist das Volk noch nicht versöhnt. Das revolutionäre Treiben dauert fort. Die Staatsbehörden mit ihrem Schreiberpersonal ohne hervorragenden Geist, ohne moralischen Mut und Talent haben die Besinnung verloren; die Ordnung des Schreibergesindes ist vollständig aufgelöst. Die Bürgerschaft hat die Zügel in der Hand.

Am nächsten Tag Bürgerversammlung im Rathaus. Eine neue Adresse wird entworfen, die Einberufung der Kammern noch dringender gefordert.

Fürst Leiningen richtet an den König ein zweites Schreiben:

»Ich beschwöre Sie bei allem, was Ihnen teuer ist, bei den Ahnen Ihres erhabenen Hauses, empfangen Sie heute die Adresse Ihrer Untertanen gnädig! Versichern Sie, die gestellten Bitten in Erwägung zu ziehen und zu diesem Zweck die sofortige Einberufung der Stände befehlen zu wollen. Ich komme eben vom Rathaus. Die Adresse enthält nichts, was das Königtum in den jetzigen Zeitverhältnissen nicht freudig annehmen könnte; ich habe sie deshalb unterschrieben. Der feste Wille eines Königs ist groß und edel; bleibt er aber unbeugsam gegen die Anforderungen der von der Vorsehung beschlossenen Richtung der Zeit, dann zerfällt er in Staub und wird zum Fluch für Königtum und Volk.«

Am 4. März wird die von viertausend bis fünftausend Münchener Bürgern unterzeichnete Adresse dem König überreicht.

Vier Bürger, Rosipal, Reschreiter, Radspieler und Zipperer eilen vom Rathaus in die Residenz, den Bürgermeister, der allzulange auf seine Rückkehr warten läßt, in seiner schwierigen Mission zu unterstützen. Sie finden ihn – im Vorzimmer; der Adjutant wollte ihn nicht vorlassen.

Auf das laute und stürmische Begehren tritt der König heraus. Er bemerkt die einer so hohen Audienz nicht würdige Toilette der Bürger, runzelt die Stirn und fährt sie an: »Erscheint man so vor seinem König?«

Die Vier entschuldigen sich mit der Eile und Wichtigkeit ihrer Mission und sinken schließlich bittend in die Knie, von jener »abergläubischen Ehrfurcht« überwältigt, die den einfachen Mann vor der Majestät so leicht anwandelt.

Der König ist sichtlich gnädiger gestimmt ...

Auch die Studenten hatten eine Eingabe überreicht. »Allgemeine Volksbewaffnung« forderten sie in jugendlich feuriger Sprache, im übrigen dieselben Forderungen, die schon die Nürnberger Adresse enthielt: »das sind die mächtigen Hebel eines einigen freien Deutschlands zum Schutz und Schirm gegen West und Ost. Kein Kampf gegen die Republik Frankreich, solange sie unsere Grenzen achtet, wenn nicht ein deutscher Kampf, ohne Hilfe der Russen.«

Der Ernst der Lage war übrigens nicht mehr zu verkennen. Ludwig entschloß sich, ein geringes nachzugeben. Er ließ bekanntmachen, daß Staatsrat v. Berks »aus Gesundheitsrücksichten« beurlaubt sei und »Staatsrat v. Voltz« seine Geschäfte übernommen habe. Die Stände sollen vor den letzten Märztagen einberufen werden.

Das Zugeständnis genügte schon nicht mehr. Die Läden werden geschlossen, der Straßenlärm wird andauernd ärger; Wursthändler und Käsestecher reden von »Tyrannendruck und Völkerlenz«.

Hochrufe auf die Republik werden immer häufiger. Noch bleibt der König hartnäckig. Die beiden Briefe des Fürsten v. Leiningen erinnerten zu sehr an das Memorandum üblen Angedenkens. Auch daß diese Briefe Leiningens veröffentlicht wurden und gewissermaßen den Takt zu dem Höllenkonzert der Straße angaben, war nicht geeignet, das Vertrauen des Königs und die gute Absicht zu bestärken. Er läßt sich von Fürst Karl Wrede, der am 4. März vorübergehend Ministervollmacht erhält, überreden, den Zusammenrottungen auf der Straße Waffengewalt entgegenzustellen. Der Generalmarsch wird geschlagen, Kanonen fahren vor der Residenz auf. »Kartätschenminister« nennt das Volk spottweise den Fürsten, der Kriegsminister ist von 1 bis 2½ Uhr mittags.

Während noch auf dem Rathaus Tausende von Bürgern auf das Ergebnis der Adresse und die Rückkehr des Bürgermeisters warten, ertönt der Ruf:

»Die Proletarier der Au wollen das Zeughaus am Anger stürmen!«

Es ist die Antwort, die das Volk auf den Befehl Wredes gibt.

Den Bürgern fährt der Schreck in die Glieder. »Die Proletarier?! Das verhüte Gott! Wir wollen doch nicht den Teufel durch den Beelzebub austreiben!« Lieber wollen sie selber das Zeughaus stürmen. Dem Pöbel zuvorzukommen, geht's spornstreichs vom Rathaus weg zum Zeughaus. Die Sturmglocken heulen, der Bürger greift zu den Waffen.

Wie die Statisten einer Schmierenoper stehen die Bürger, Künstler und Studenten da, abenteuerlich gewappnet mit mittelalterlichen Morgensternen und Hellebarden, mit Sturmhauben und Eisenhüten, Kettenhemden und Kürassen; mit dem Mordwerkzeug aus der Rumpelkammer der Vergangenheit phantastisch angetan, tritt der Münchener Landsturm den Infanteristen und Kürassieren des Kartätschenministers Wrede gegenüber. Auf der Theresienwiese und auf dem Marsfeld vor der Stadt ziehen die Bauern der Umgebung mit Heugabeln und Sensen an, um das Chevauleger-Regiment aus Augsburg zu erwarten, von dem es hieß, daß es von Wrede herbeigerufen worden sei.

Zwar hat das Militär wenig Lust, sich mit den Bürgern und Studenten zu messen; der Aufzug sieht eher lachhaft als ernst aus, er hat eine fatale Ähnlichkeit mit einem Faschingszug. Aber schließlich Befehl ist Befehl, und die Überlegenheit regulärer Truppen über Flamberg und Morgenstern würde bald erwiesen sein.

Unterdessen umringt die Familie des Königs und der versammelte Ministerrat den Monarchen und bestürmt ihn, dem Volke lieber nachzugeben, als militärische Gewalt anzuwenden. Sogar der entlassene Berks, der mit Voltz in Fürstenried eine heimliche Zusammenkunft hat, läßt dem König dringend raten, die verlangten Zugeständnisse zu machen.

Im letzten Augenblick, bevor der historische Faschingsscherz sich in blutigen Ernst verwandelt, erscheint hoch zu Roß Prinz Karl, der Bruder des Königs, und bringt die Nachricht: der König gebe den Volkswünschen nach, die Stände würden am 16. März zusammentreten, Fürst Wrede habe die Stadt zu verlassen. Er bürge mit seinem Ehrenwort für die Erfüllung der königlichen Versprechen.

Sofort verwandelt sich der Aufruhr in einen Huldigungszug. Die Waffen werden wieder abgelegt: auf Schubkarren werden die alten Hellebarden, Flinten, Degen und Morgensterne ins Zeughaus geschafft – das Zeitbild einer abrüstenden Revolution.

Mit innerem Widerstreben, nur dem Druck der Ereignisse gehorchend, hat der König nachgegeben.

Alles, was das Volk durch Adressen und Maueranschläge in der Eile begehrt hat: vollkommene Freiheit der Presse, Wahlreform, Volksverfassung, Ministerverantwortung, Verwaltungsreform, Geschworenengerichte, Verpflichtung der Armee auf die Verfassung usw. ist vom König genehmigt. Die Märzerrungenschaften!

Pathetisch klingt das Königswort vom 6. März:

»Bayern, erkennt in diesem Entschluß die angestammte Gesinnung der Wittelsbacher. Ein großer Augenblick ist in der Entwicklung der Staaten eingetreten. Ernst ist die Lage Teutschlands. Wie ich für teutsche Sache denke und fühle, davon zeugt mein ganzes Leben. Teutschlands Einheit durch wirksame Maßnahme zu stärken, dem Mittelpunkt des vereinten Vaterlandes neue Kraft und nationale Bedeutsamkeit mit einer Vertretung der teutschen Nation am Bunde zu sichern und zu dem Ende die schleunige Revision der Bundesverfassung in Gemäßheit der gerechten Erwartungen Teutschlands herbeizuführen, wird mir ein teurer Gedanke, wird Ziel meines Strebens bleiben.

Bayerns König ist stolz darauf, ein teutscher Mann zu sein.

Bayern! Euer Vertrauen wird erwidert, es wird gerechtfertigt werden! Scharet euch um den Thron! Mit eurem Herrscher vereint, vertreten durch eure verfassungsmäßigen Organe, laßt uns erwägen, was uns, was dem gemeinsamen Vaterlande not tut! Alles für mein Volk! Alles für Teutschland!«

Jubel hallt in den Straßen. Statt der Kanonen vor der Residenz dröhnen am 7. März Hochrufe, blauweiße Fahnen flattern in den Lüften; Jünglinge und Mädchen lustwandeln, die bayerische Kokarde am Hut oder an der Schulter. Die Armee wird auf die neue Verfassung vereidigt, den Studenten wird die verlangte Volksbewaffnung gewährt: zum Schutze des Königtums und um die Unruhstifter in Schach zu halten, eine Notwendigkeit, die durch den Sturm auf das Zeughaus erwiesen schien. Studentenlegionen und freiwillige Bürgerkorps, Professoren-, Künstler- und Beamten-Kompagnien werden zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der Stadt auf der Theresienwiese eingeübt; stolz schauen die Frauen Und Mädchen ihren Vätern, Brüdern, Söhnen und Freiern zu, es ist ein herrliches Leben.

Am 8. wird Fürst Wallerstein seines Amtes enthoben, der König hegt den Verdacht, daß er bei den Februarunruhen und bei der Veröffentlichung der Briefe des Fürsten v. Leiningen seine Hand im Spiele hatte. Dagegen wird Freiherr v. Thon-Dittmer, der Bürgermeister von Regensburg, zum Minister ernannt – ein weiteres Zugeständnis an das Volk, das den populären Führer der Linken wie einen Erretter aus der Not begrüßt.

Am 9. zelebriert der Erzbischof ein Dankamt in der Frauenkirche, »zur Rettung des Vaterlandes und des Herrscherhauses und zur Bitte um Erhaltung des inneren und äußeren Friedens.«

Die Ultramontanen haben ja die Sache der Freiheit zur ihrigen gemacht. Sie lassen das Schifflein von der Woge treiben. Sie tauchen allmählich empor und sind wieder in den vordersten Reihen. Stützen des Throns!

Die Leute strömen aus der Kirche, und obschon sie einander nicht kennen, schütteln sie sich die Hände: »Grüß Gott – Gottlob, daß wieder Ruh' ist!«

*

Zugleich mit der Proklamation des Königs wird ein Schreiben des Monarchen an den bayerischen Bundestagsgesandten veröffentlicht:

»Nicht bloß Verstärkung der deutschen Kriegsmacht nach außen tut jetzt not, auch jenes geistige Element muß gekräftigt werden, welches eigentlich die Heere der Befreiungsepoche hervorrief, deren Schlachten schlug und die Entscheidung zugunsten des Rechts lenkte: der damals erst auftauchende deutsche Gedanke besiegte Napoleon! ... Der Bundestag muß echter Mittelpunkt nationaler Einheit werden, soll Deutschland der riesenhaft bewegten Zeit auch riesenhaft entgegentreten. Deutschlands Gesamtinteresse muß die Sonderinteressen überwiegen, das notwendig selbsttätig und autonom bleibende Leben der einzelnen Bundesstaaten darf nicht ferner das Gesamtleben absorbieren. Damit dem aber also werde, ist eine Revision des Bundesvertrags unerläßlich!«

Dem König war der große deutsche Gedanke, der über Napoleon gesiegt hatte, nicht neuartig und nicht fremd.

Er selbst hatte jenes geistige Element gepflegt, hatte Deutschlands Einheit und Größe in dem Gleichnis der Walhalla versinnlicht; die Zukunft ahnend, hatte er die Künste zu neuem Leben erweckt, seine Hauptstadt in die schönste des Reichs verwandelt und die Freiheit des Geistes an der Universität gefördert, die er von Landshut nach München verlegt hatte, um sie in der Nähe seines Throns zu wissen.

Anscheinend im Widerspruch zum Willen der Zeit hatte er, der einzige unter den damaligen Fürsten, der Entwicklung hilfreiche Hand geboten.

Jene höhere Krone, die wie eine prophetische Vision auf der Freskenwand im Saal Karl des Großen aufleuchtete, schwebte immer sichtbarer über dem Haupt Ludwig I. – trotz ihrer anscheinenden Verdunklung durch Lola, die als blinder Hebel des Schicksals ausersehen schien, den Gang der Dinge zu diesem Ruhmesziel zu beschleunigen.

Und dennoch war das Herz des Königs nicht in den pathetischen Worten, die er sich in einem großen Augenblick abgerungen hatte.

Ungewohnt und fremd war ihm der Weg, der jetzt eingeschlagen werden sollte, um Deutschlands Ehre und Einheit zu erringen.

Er hatte es anders – ganz anders erwartet!

Er war und blieb der absolute König und hatte es so schwer, sich in die Zeit zu schicken.


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