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Bildnisse deutscher Dichter an den Wänden der Privatgemächer der Königin. Griechische Dichter in den Zimmern des Königs. »Und Marmorbilder stehn und sehn dich an ...« Königin Therese, jeder Zoll eine Hausmutter, brav und begrenzt, in eifriger Unterredung mit ihrem Beichtvater P. Hilarius.
Sie ist dem Weinen nahe, zerrt das Taschentuch erregt zwischen den Händen, die sie wiederholt vor die Augen preßt:
»Nein, Pater, das werden sich die Damen nicht gefallen lassen, daß sie in der Hofgesellschaft erscheint. Sie sagen, daß er die Freimaurer-Agentin fast täglich in Privataudienz empfängt, stundenlang. Ist es wahr? Alle Welt weiß, daß der König gut und edel ist. Aber seine Güte wird so leicht mißbraucht. Sie soll sehr schön sein, diese Tänzerin, nicht?«
Der Jesuitenpater stand mit über der Brust verschränkten Händen, die in den beiden Rockärmeln verschwanden, und erwiderte salbungsvoll:
»Das Böse bedient sich gern des Schönen als Maske; die Sünde erscheint in lockender Gestalt. Unseren allergnädigsten Herrn und König hat es befallen wie eine Krankheit, von der wir ihn mit Gottes Hilfe zu befreien hoffen. Der vom heiligen Geist geleitete hochwürdige Herr Professor Görres, der Begründer der modernen katholischen Wissenschaft, hat die Natur dieser Krankheit in seinem Werk über die katholische Mystik beschrieben und erklärt als einen Zustand von dämoniakaler Besessenheit oder Vampyrismus, der in früheren Jahrhunderten unter anderen Namen vorgekommen ist und geheilt wurde durch die in der heiligen Geschichte beglaubigten und bekannten Wunder des Teufelaustreibens. Zu den wichtigsten Mitteln gehört der Glaube, das unerschütterliche Vertrauen zu Gott und seiner Kirche und das häufige Gebet, damit die bedrängte Seele die Kraft finde, dem Bösen zu widerstehen.«
»Beten, beten!« rief die Königin Therese etwas ungeduldig, »ich bete Tag und Nacht, und es hat nichts genützt. Gibt es kein wirksameres Mittel, den Teufel auszutreiben? Wäre es nicht einfacher, die gottlose Abenteuerin über die Grenze zu schieben?«
Der Pater, der in untertäniger Haltung verharrte, erwiderte mit einigem Nachdruck:
»Die Kirche hat ein Interesse daran, alles zu entfernen, was dem katholischen Gewissen feindselig oder schädlich ist und den Staatspflichten widerstreitet, die nach göttlichen Gesetzen und kanonischen Satzungen geregelt sind. Aber die Kirche bedarf der Hilfe des Thrones, wie der Thron der Kirche bedarf, die seine wichtigste Stütze ist. Die mit der Erneuerung des katholischen Bewußtseins in der Weltlage verknüpfte Ordnung ist durch die Umtriebe von Schwarmgeistern, Freimaurern und liberalen Ketzern bedroht; sie haben sogar den Weg zu dem Herzen des Königs gefunden und dessen Sinn verwandelt, wie sich in der Frage nach der Notwendigkeit neuer Klöster gezeigt hat.«
»Werden keine Klöster mehr gebaut?« fragte die Königin ganz verwundert.
»Nicht genug. Es werden mehr gebraucht.« Mit steigender Eindringlichkeit fuhr der Pater fort: »Nur ein gottesfürchtiges Volk ist lenksam! Und das Wichtigste ist dieses: Rette deine Seele! Zur Rettung bedarf es mehr Kirchen und mehr Klöster. Majestät erinnern Sich der sogenannten Bierkrawalle vor nicht langer Zeit, die einen harmlosen Anstrich hatten, während in Wahrheit eine weitverzweigte Verschwörung dahintersteckt. Eine Verschwörung! Damals ist die Gefahr durch die Wachsamkeit der Kirche und den Glaubenseifer unseres allergnädigsten Herrn glücklich überwunden worden: er hatte sich der Erleuchtung noch nicht verschlossen; aber nun –«
»Um Gottes willen!« rief entsetzt die Königin und packte den Pater am Arm, als suchte sie Schutz bei ihm, »gibt's wieder Revolution? Ist denn gar keine Ruh'? Ich arme Frau!«
»Nein, daran ist vorläufig nicht zu denken,« beruhigte der Jesuit; »um jedoch den Frieden und die Ordnung im Lande ganz sicher zu stellen, bedarf es der mehreren Klöster, der Ausstrahlung des Lichtes der Wahrheit, der Ausbreitung des Gebets als der sichersten Kraft gegen die Anwandlung des Bösen, der Stärkung des Volkes im rechten Glauben, damit es bereit und willig sei, gegen den Teufel zu streiten, auch wenn er in so holder Gestalt erscheint wie jenes verruchte Weib.«
Die Königin Therese begriff nun endlich, was der Beichtvater wollte, und sagte mit einem Seufzer der Erleichterung:
»Haben Sie tausend Dank, Pater, für den Trost und die Hilfe! Aber der König? Ist er nicht begeistert für die neuen Klöster?«
Der Mann Gottes faltete die Hände und sagte mit einem Augenaufschlag:
»Gott gebe ihm die Erleuchtung! Wir tragen einen ähnlichen Kummer wie Ihre Majestät. Unsere Wünsche liegen in derselben Richtung. Das Böse auszutreiben durch die Kraft des Glaubens und durch die gehobene sittliche Kraft des Volkes, dazu bedarf es der Mittel, die wir fordern. Das Staatsinteresse! Das Glaubensinteresse! Nicht eines ohne das andere zu denken! Die Kirche rechnet auf Ihre Hilfe, Majestät. Wir wollen dann gern helfen!«
Die Königin Therese bedeckte mit beiden Händen das Gesicht. »Was kann ich tun, eine schwache Frau wie ich!« Und dann mit einem neuen Entschluß: »Aber was in meiner Macht steht, wird geschehen. Verlassen Sie sich darauf!«
Der Pakt war geschlossen.
*
Fast unhörbar ging der Pater den Korridor entlang, vorbei an den schwärzlichen Ahnenbildern der alten Gänge, an finsteren steifen Gestalten in spanischer Tracht mit weißen Krausen, vorbei an der schwarzen Frau, der Herzogin Anna, die aus dem Rahmen tritt und im Schlosse ruhelos umgeht, wenn schweres Geschick dem Hause droht. In der Nähe der Audienzsäle rauschte es über den Gang in Seide und wallenden Federn, leichtfüßig wie ein großer, schwarzer, glänzender Vogel, an den salutierenden Wachen vorbei. Verschwunden war es. Ein Phantom? Nur im Aufblicken hatte es der Pater erhascht, nicht mehr als einen fliehenden Schatten.
Diese Judith! blitzte es ihm durchs Hirn.
Er verfolgte die Spur bis in die Gemächer.
»Verzeihung, Pater, Privataudienz!« trat ihm der Adjutant entgegen.
»Was gibt's?« forschte leise der Kuttenmann.
Mit gespreizten Beinen den Weg versperrend, rief der Adjutant so laut, als es anging:
» Staatsgeschäfte!«
*
Staatsgeschäfte!
Was alles zu den Staatsgeschäften gehörte! Die Pflege des Schönen nicht zuletzt. Kunst und schöne Frauen. Glückliche Regentschaft! Der König opfert den Musen, und Aphrodite lächelt. Sie lächelt, als der König sie in das Heiligtum führt, wo die schönsten Frauen der Welt versammelt sind und einen Minnehof um den schöngeistigen König bilden. Die schönsten Frauen, die der König gekannt hat und von seinem Hofmaler Stieler malen ließ, um die blumenhafte Vergänglichkeit dieser Frauenreize dauernd zu genießen. Nun mag der König als Hüter dieses Liebesgärtleins Auge und Herz täglich erlaben. In jedem Bild dieses Minnehofes oder dieser Schönheitsgalerie ist eine geheimnisvolle Kraft aufgespeichert, wie an allen Orten oder Gegenständen des Kults und der innigen Verehrung, die Seelenkräfte akkumulieren und Schicksale zeitigen. Das Volk sagt: »Man soll den Teufel nicht an die Wand malen«; es ist ein hartes Wort, hat aber einen tiefen Grund. Der König hatte sein Schicksal an die Wand gemalt, zwar nicht als Teufel, jedoch als holde Verführung. Diese sechsunddreißig schönen Frauen der Bildnisse hatten sich verdichtet und wiederverkörpert in jener Einen, die der Schaumgeborenen glich und das Schicksal erfüllen sollte. Die Eine war in allen sechsunddreißig und alle sechsunddreißig waren in der Einen.
Und immer dieses Lächeln Aphroditens, als der König sagte:
»Hier, meine liebe Donna, finden Sie den höchsten Adel beisammen, den kein König geben kann, sondern den Gott allein gibt, den Adel der Schönheit! Hier werden Sie thronen, Lola. Stieler wird Ihr Porträt machen, das schönste und größte unter allen für diesen leeren Platz, den die Vorsehung bestimmt hat. Die anderen hier sind nur Ihre Vasallinnen und müssen sich verneigen; sie müssen zurückstehen, wie jene Himmlischen zurückstehen mußten vor jener, die den Apfel des Paris erhielt.«
Sie lächelte immer seltsamer, schier mit einem doppelten Gesicht, was wohl wegen des Paris gemeint war. Aber er zählte sie schon auf, der Bilderreihe nach, wie sie da prangten, die frommblickende, gretchenhafte Sedlmayer, die schwanenhalsige Lady Spence mit der Lyra, die Amalie von Schindling mit dem Boticelli-Gesicht, die liebfrauenhafte Anna Hillmayer, die dämonische Lady Jane Ellenborough, und all die Anbetungswürdigen mit der Engelhaftigkeit im Porzellangesichtchen und der noch berückenderen Teufelei im Herzen oder im Unschuldsblick, oder im Lächeln, oder in den Grübchen der Wangen. Jede hatte ihre eigene Suggestion, ihre besondere Art der Bezauberung – »aber alle zusammengenommen geben erst eine Lola,« schloß der König. »Ist das nicht die höchste sichtbare Gnade?«
Die Donna wurde plötzlich ernsthaft: »Nein, mein König,« versicherte sie, »Schönheit ist nicht immer Gnade, ist nicht Segen, sondern ist zuweilen ein Fluch und zieht nur zu oft Haß und Verfolgung nach sich. Oh, ich kenne das – aber ich spotte des Hasses, ich verlache ihn; denn er ist reichlich aufgewogen – durch die Gnade meines Königs.«
So disputierten sie über die Schönheit.
Sie lächelte wieder, die verkörperte irdische Liebe, als sie beim Verlassen der Residenz zu der Marienstatue emporblickte, die oberhalb des Tores über dem roten Schein einer ewigen Lampe thronte als die Verkörperung der himmlischen Liebe und die Aufschrift trug: Patrona Bavariae – Bayerns Schutzpatronin.
»Nein, nein,« lächelte die irdische Liebe hinauf zur himmlischen, »nicht du – ich bin die Schutzpatronin Bayerns!«