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Fünfundzwanzigstes Kapitel

Am folgenden Tage sprach man in Luciens Dörfchen und in dem ganzen Gebiete von Lecco von nichts als von ihr, von dem Ungenannten, vom Erzbischofe und von einem gewissen anderen, der jedoch, wie gern er es auch sonst hatte, wenn sein Name von Mund zu Mund ging, in diesem Falle lieber damit verschont geblieben wäre: wir meinen den Herrn Don Rodrigo.

Man hatte allerdings schon vorher seine Untaten besprochen; aber diese Äußerungen blieben vereinzelt und geheim; es mußten zwei einander sehr, sehr genau kennen, um sich über eine solche Angelegenheit gegenseitig auszusprechen. Und auch dann noch taten sie dies nicht ganz mit dem vollen Nachdrucke, dessen sie fähig gewesen sein würden; denn wenn die Menschen, im allgemeinen gesprochen, nicht ohne wesentliche Gefahr ihrem Unwillen Luft machen können, so bezeigen sie dessen nicht nur weniger, oder halten, so viel sie davon empfinden, gar in sich zurück, sondern empfinden auch eben in der Tat weniger. Wer aber hätte sich wohl jetzt enthalten sollen, über eine so auffallende Tatsache nachzufragen und darüber zu urteilen, in der die Hand des Himmels sichtbar geworden war und zwei solche Personen in so hervorragender Weise figurierten? Der eine, indem er eine unerschrockene Gerechtigkeitsliebe mit seinem hohen Ansehen vereinigte, der andere, mit dem gewissermaßen der Übermut selbst gekommen zu sein schien, um die Waffen zu strecken und sich zu demütigen. Mit ihnen verglichen, wurde der Herr Don Rodrigo doch ein wenig klein. Nunmehr sahen alle ein, was es damit auf sich habe, die Unschuld zu quälen, um sie entehren zu können, sie mit so unverschämter Hartnäckigkeit, mit so grausamer Gewalt, mit so abscheulicher Hinterlist zu verfolgen. Man musterte bei der Gelegenheit die vielen anderen Heldentaten dieses Herrn durch und sagte zu allen geradeheraus, was man dachte, ermutigt wie ein jeder davon war, mit allen gleichen Sinnes zu sein. Es war ein allgemeines Gemurmel, ein Getöse; weit ab vom Schusse allerdings, wegen all der Bravi, mit denen er sich umgab.

Ein gutes Teil dieser öffentlichen Ahndung fiel auch seinen Freunden und Schranzen zu. Man sagte von dem Herrn Gerichtsvogt, der da bei den Untaten des Wüterichs immer taub und blind und stumm blieb, was recht und billig war, wenn auch mit dem gehörigen Rückhalt; denn der Gerichtshof hatte seine Häscher bei der Hand. Mit dem Doktor Notverhelfer, der nur seine Ränke und Klatschereien für sich hatte, und mit den anderen Helfershelfern seines Schlages ging man nicht so glimpflich um; man zeigte mit den Fingern auf sie und warf ihnen scheele Blicke zu, so daß sie eine Zeitlang für gut befanden, sich nicht öffentlich blicken zu lassen.

Niedergeschmettert von dieser so unvermuteten Zeitung, die so verschieden von der Kunde, die er von Tag zu Tag, von Moment zu Moment erwartete, hielt Don Rodrigo in seinem festen Schlosse allein mit seinen Bravi sich verborgen, um seinen Groll zwei Tage lang in sich hineinzufressen; am dritten reiste er nach Mailand ab. Wenn es nichts anderes als das üble Nachreden der Leute gewesen wäre, so würde er vielleicht, da die Dinge einmal so weit gekommen waren, gerade deshalb geblieben sein, um dem zu trotzen, um für alle ein Beispiel an irgendeinem der Verwegensten zu stiften; aber was ihn vertrieb, war das sichere Gerücht, daß der Kardinal auch in diese Gegend käme.

Der Graf-Oheim, der von der ganzen Geschichte nur soviel wußte, als ihm durch Attilio gesagt worden war, hätte ganz gewiß verlangt, daß unter solchen Umständen Don Rodrigo dem Kardinal gleich seine Aufwartung machte, öffentlich von ihm die auszeichnendste Aufnahme erlangte, und nun sieht ein jeder ein, inwiefern er darauf rechnen konnte. Er hätte das verlangt und würde sich genaue Rechenschaft davon haben ablegen lassen; denn dies war eine wichtige Gelegenheit, zu zeigen, in welchem Ansehen das Geschlecht bei einer der vornehmsten Gewalten stehe. Um sich aus einer so lästigen Verlegenheit zu ziehen, stand Don Rodrigo eines Morgens vor Sonnenaufgang auf, stieg in eine Kutsche, auf die sich von außen vorn und hinten der Graue und andere Bravi aufsetzten, hinterließ den Befehl, daß die übrige Dienerschaft ihm nachfolgen sollte und zog ab wie ein Flüchtling, wie – es sei uns einmal gegönnt, unsere Personen durch einen hochansehnlichen Vergleich zu heben – wie Catilina aus Rom, vor Zorn schnaubend und schwörend, er werde alsbald in einem anderen Aufzuge wiederkehren, um seine Rache zu nehmen.

Unterdessen kam der Kardinal heran, indem er die in dem Gebiete von Lecco belegenen Kirchsprengel einen jeden Tag besuchte. An dem Tage, da er in Luciens Dorfe eintreffen sollte, hatte sich schon ein großer Teil der Bewohner auf den Weg gemacht, um ihm entgegenzugehen. Am Eingange des Ortes, dicht neben dem Häuschen unserer beiden Frauen, war aus aufrechtgestellten Rüstbäumen und querüber angebrachten Latten ein Siegesbogen errichtet, mit Stroh und Moos verkleidet und mit grünen Zweigen von Myrtendorn und Stechpalmen geschmückt, zwischen denen man rötliche Beeren unterschied. Die Vorderseite der Kirche war mit Wandteppichen behangen; von dem Vorsprunge jedes Fensters herab hingen ausgespannte Bettdecken und Laken, Kinderwindeln, zu Behängen verkehrt; all die notdürftige Habe, die dazu tauglich war, wohl oder übel Überfluß vorzustellen. Gegen die Vesper hin – dies war die Zeit, wenn Federigo bei den zu besuchenden Kirchen anzukommen pflegte – schickten sich auch die zu Hause Gebliebenen, zumeist Greise, Frauen und Kinder an, ihm teils reihen-, teils truppweise entgegenzuziehen, ihnen voraus Don Abbondio, inmitten all der Festlichkeit verdüstert, weil ihn der Lärm betäubte, und weil ihn von hinten und vorn das Volk umwimmelte, das, wie er bei sich selber sprach, ihm die Augen benebelte, und weil er eine heimliche Bedrängnis fühlte, daß die Frauen wohl etwa geplaudert haben könnten und ihm zugemutet werden dürfte, von wegen der Trauung Rechenschaft abzulegen.

Und siehe! da erschien der Kardinal, oder, besser zu sagen, die Menge, in deren Mitte er in seiner Sänfte, von seinem Gefolge umgeben, sich befand; denn von alledem sah man nichts als ein Zeichen in der Höhe, über allen Köpfen, ein Stück von dem Kreuze, das der auf einem Maultiere sitzende Kaplan trug.

Die Leute, die mit Don Abbondio kamen, drangen in Verwirrung vorwärts, um die andere Menge zu erreichen; er sagte erst drei- oder viermal: »Langsam; in der Reihe; was tut ihr?« und wandte sich dann erregt um, indem er, immerfort brummend: »Es ist ein Babylon, es ist ein Babylon«, sich in die noch menschenleere Kirche verfügte und allda wartete.

Der Kardinal kam herbei, mit der Hand Segnungen spendend und solche aus dem Munde des Volkes empfangend, daß seine Begleiter Mühe genug hatten, ein wenig zurückzuhalten. Als Dorfgenossen Luciens hätten diese Landleute dem Erzbischof gern außerordentliche Ehren erwiesen; aber die Sache war nicht leicht; denn schon von jeher taten, wo er auch hinkam, alle soviel sie nur irgend konnten. Gleich im Anfange seiner Bischofswürde, beim ersten feierlichen Domgange, war das Zuströmen, der Andrang so ungestüm gewesen, daß man für sein Leben gefürchtet hatte, und einige Edelleute, die ihm zunächst gewesen, hatten die Degen gezogen, um die Menge zu schrecken und zurückzutreiben. So regellos und gewaltsam waren die damaligen Sitten, daß man sogar nahe daran war, zu töten, indem man einem Bischofe in der Kirche sein Wohlwollen bezeigte und dasselbe zügelte. Ja, diese Verteidigung würde nicht hingereicht haben, wenn nicht zwei Priester, denen es nicht an Mut und Kraft gebrach, ihn auf ihre Arme gehoben und von dem Eingange des Tempels bis zum Fuße des Hochaltars getragen hätten. Von der Zeit an kann man den ersten Eintritt in die Kirche bei allen bischöflichen Besuchen, die er zu machen hatte, ohne Scherz unter die Beschwerden seines Seelhirtenamtes rechnen.

Auch in diese Kirche ging er ein, so gut er konnte; er schritt zum Altar und richtete von hier aus, nachdem er eine Weile gebetet hatte, seiner Gewohnheit gemäß ein paar Worte an die Umstehenden, von seiner Liebe zu ihnen, von seinen Wünschen für ihre Wohlfahrt und von der Art, wie sie sich zu dem morgenden Gottesdienste vorbereiten sollten. Darauf zog er sich in die Wohnung des Pfarrers zurück und fragte ihn dann auch unter vielen Dingen, die er mit ihm zu besprechen hatte, nach Renzos Eigenschaften und Aufführung. Don Abbondio sagte, er wäre ein etwas lebhafter, starrköpfiger, heftiger junger Bursche. Auf umständlicheres und genaueres Nachfragen mußte er aber doch erwidern, daß er ein rechtschaffener Mensch sei, und daß auch er nicht begreifen könne, wie er in Mailand alle die Teufeleien habe begehen können, deren man ihn beschuldigt hatte.

»Was das Mädchen betrifft,« hob der Kardinal wieder an, »scheint es Ihnen da nicht auch, daß sie jetzt sicher nach Hause zurückkehren könne?«

»Für jetzt,« versetzte Don Abbondio, »ich sage für jetzt kann sie wohl herkommen und bleiben wie sie will; aber«, fügte er dann mit einem Seufzer hinzu, »Ihre Gnaden müßten auch immer hier oder wenigstens nahe sein.«

»Der Herr ist immer nahe,« sagte der Kardinal; »übrigens werde ich darauf bedacht sein, sie in Sicherheit zu bringen.« Und er gab sogleich Befehl, daß die Sänfte morgen beizeiten unter Geleite abgeschickt würde, um die zwei Frauen zu holen.

Don Abbondio ging ganz vergnügt hinaus, daß der Kardinal von den beiden jungen Leuten mit ihm gesprochen habe, ohne ihn wegen seiner Weigerung, sie zu trauen, zur Rede zu stellen.

»– Er weiß also nichts« – sprach er bei sich; – »Agnes hat geschwiegen; o Wunder! Sie werden sich noch einmal sehen; aber wir wollen sie schon abrichten, wir wollen sie abrichten.« –

Und er wußte doch nicht, der arme Mann, daß Federigo gerade deshalb nicht auf den Punkt zu sprechen gekommen war, weil er sich des längeren und breiteren zu gelegener Zeit darauf einlassen, und ehe er ihm den verdienten Lohn gäbe, auch seine Gründe anhören wollte.

Aber das Nachdenken des guten Prälaten, wie er Lucia unterbrächte, war unnötig geworden; seitdem er sie verlassen hatte, waren Dinge vorgefallen, die wir jetzt zu berichten haben.

Die beiden Frauen hatten während der wenigen Tage, die sie in dem gastfreien Häuschen des Schneiders verbringen sollten, so gut es anging, eine jede ihre alte und gewohnte Lebensweise wieder begonnen. Lucia hatte sogleich zu arbeiten begehrt und, wie sie im Kloster getan, nähte sie, nähte, in ein Kämmerchen zurückgezogen, das den Augen der Leute fern war. Agnes ging ein wenig aus, ein wenig flickte auch sie gemeinschaftlich mit der Tochter. Ihre Gespräche waren je liebreicher desto trauriger. Beide waren auf eine Trennung vorbereitet; denn das Schaf konnte nicht wieder so nahe bei der Höhle des Wolfes weilen, und wann würde dieser Trennung ein Ziel, was für ein Ziel ihr gesteckt sein? Die Zukunft war düster, verworren; für eine von ihnen vorzüglich. Agnes redete immer noch mit ihren hoffnungsvollen Vermutungen in sie hinein, daß doch Renzo am Ende, wenn ihm nichts Schlimmeres zugestoßen wäre, bald etwas von sich hören lassen müsse, und wenn er Arbeit und Unterhalt gefunden habe, wenn er – und wie war daran zu zweifeln? – gesonnen war, Lucia seine Treue zu halten; warum konnte man da nicht zu ihm gehen und sich bei ihm niederlassen? Und mit solchen Hoffnungen pflegte sie des öfteren die Tochter zu unterhalten, so daß ich nicht zu sagen wüßte, ob es ihr ein größerer Schmerz war, zuzuhören, oder eine größere Qual, zu antworten. Ihr großes Geheimnis hielt sie immer in sich geborgen, und wenn auch das Mißvergnügen sie beunruhigte, an einer so guten Mutter eine Falschheit zu begehen, so zögerte sie doch, gleichsam unwiderstehlich von der Scham und von den mannigfachen Besorgnissen zurückgehalten, die wir oben genannt haben, von einem Tage zum anderen, zu reden. Ihre Absichten waren sehr verschieden von denen der Mutter, oder vielmehr hatte sie deren gar keine; sie hatte sich durchaus der Vorsehung anheimgestellt. Sie suchte also dies Gespräch fallen zu lassen oder davon abzulenken, oder sagte in allgemeinen Ausdrücken, daß sie in dieser Welt nichts mehr weder erhoffe noch wünsche, außer sich bald wieder mit ihrer Mutter vereinigen zu können; meistenteils stellten sich zu gelegener Zeit Tränen ein, um die Worte zu ersetzen.

»Weißt du, warum es dir so zumute ist?« sagte Agnes, »weil du so viel gelitten hast und es dir nicht wahrscheinlich ist, daß es sich wieder zum Guten wenden könne. Aber laß nur den Herrn machen, und wenn ... Laß nur einen Strahl, einen einzigen Strahl hereinbrechen, und dann sollst du mir sagen, ob du an nichts weiter denkst.«

Lucia küßte die Mutter und weinte.

Übrigens war zwischen ihnen und ihren Wirten gleich eine große Freundschaft entstanden, und wo sollte sie auch sonst entstehen, wenn nicht zwischen denen, die Wohltaten empfangen und denen, die sie erweisen, wofern die einen wie die anderen brave Leute sind? Agnes insbesondere hatte unaufhörlich mit der Hausfrau zu plaudern. Der Schneider machte ihnen mitunter eine kleine Zerstreuung mit Geschichten und Sittenlehren, und vor allem bei Tische wußte er immer etwas Schönes von Buovo d'Antona oder von den Vätern der Wüste zu erzählen.

Wenige Meilen von diesem Dörfchen lebte auf einer Villa ein sehr angesehenes Ehepaar, Don Ferrante und Donna Prassede; der Familienname steckt wie gewöhnlich in der Feder des Anonymus. Donna Prassede war eine sehr zum Wohltun geneigte alte Edelfrau, welches Gewerbe gewiß das würdigste ist, das der Mensch treiben mag, wiewohl man es leider auch wie alle anderen verpfuschen kann. Um das Gute zu tun, muß man es kennen, und gleichwie alles andere, können wir es, inmitten unserer Leidenschaften nur, vermöge unserer Urteilskraft, durch unsere Gedanken erkennen, mit denen es öfters nicht sonderlich beschaffen ist. Mit den Gedanken hielt es Donna Prassede, so wie man sagt, daß man es mit Freunden halten soll; sie hatte deren wenige; aber den wenigen war sie genugsam zugetan. Unter den wenigen gab es zum Unglück viele verdrehte, und dies waren nicht diejenigen, die sie am wenigsten liebte. Es geschah ihr also entweder, daß sie sich als gut vorsetzte, was es nicht war, oder daß sie als Mittel Dinge ergriff, die weit eher das Gegenteil bewirken konnten, oder daß sie, aus einer gewissen unhaltbaren Annahme solche für erlaubt hielt, die es durchaus nicht waren; daß, wer mehr tue, als er schuldig, auch mehr tun könne, als wozu er berechtigt sei; es geschah ihr, daß sie in der Tat nicht sah, was tatsächlich, oder daß sie in einer Handlung sah, was nicht darin lag, und sonst noch gar viel anderes derart, was allen, ohne auch selbst die besten auszunehmen, geschehen kann und geschieht; was der Donna Prassede aber nur allzuoft und nicht selten alles auf einmal geschah.

Als sie das große Ereignis mit Lucia und alles das vernahm, was man bei dieser Gelegenheit von dem jungen Mädchen sprach, ward sie neugierig es zu sehen und schickte eine Kutsche mit einem alten Escudero ab, um die Mutter und die Tochter zu holen. Diese zuckte die Achseln und bat den Schneider, der ihnen die Botschaft hinterbracht hatte, sie irgendwie zu entschuldigen. Solange es nur geringe Leute betroffen hatte, die da kamen und mit dem Mädchen, an dem das Wunder geschehen, Bekanntschaft zu machen suchten, hatte der Schneider ihnen einen solchen Dienst gern geleistet; aber in diesem Falle kam ihm die Weigerung wie eine Art Empörung vor. Er zog so viele Gesichter, brach in so viele Ausrufungen aus, sagte so viele Dinge, »und daß man sich nicht so benehme, und daß es ein vornehmes Haus sei, und daß man den Herrschaften nichts abschlage, und daß es ihr Glück sein könne, und daß die gnädige Frau Donna Prassede unter anderem auch eine Heilige sei,« kurz so vielerlei, daß Lucia nachgeben mußte; um so mehr als Agnes alle diese Gründe mit ebenso vielen: »Ganz gewiß, sicherlich,« bestätigte.

Bei der gnädigen Frau angelangt, bewillkommnete und beglückwünschte dieselbe sie vielfach, fragte sie aus, gab ihnen Rat, das alles mit einer gewissen wie angeborenen Überlegenheit, die aber durch so viel demütige Ausdrücke gezügelt, durch so großen Eifer gemildert, durch solche Gottergebenheit verschönert wurde, daß Agnes fast auf der Stelle und Lucia bald darauf anfingen, sich von der drückenden Ehrfurcht erleichtert zu fühlen, die ihnen die hohe Gegenwart anfangs eingeflößt hatte; ja, sie fanden sogar eine gewisse Anziehungskraft darin.

Und kurz und gut, da Donna Prassede hörte, der Kardinal habe es auf sich genommen, Lucia eine Zufluchtsstätte ausfindig zu machen, so erbot sie sich, von dem Verlangen angetrieben, dies gute Vorhaben zugleich zu unterstützen und ihm zuvorzukommen, das Mädchen in ihr Haus aufzunehmen, wo ihr kein anderer Dienst obliegen sollte, als entweder Arbeiten mit der Nadel oder mit der Spindel zu verrichten. Und sie fügte hinzu, sie werde Sorge tragen, den hochwürdigen Herrn davon zu benachrichtigen.

Außer dem gewöhnlichen und unmittelbaren Guten, das eine solche Tat mit sich brachte, hatte Donna Prassede dabei noch die andere, ihrer Meinung nach vielleicht noch wichtigere Absicht, einen Kopf zurechtzusetzen, jemand, der dessen sehr bedürftig, auf den rechten Weg zu geleiten. Denn seitdem sie das erstemal von Lucia reden gehört, hatte sie sofort sich überredet, daß in einem Mädchen, das sich mit einem Erztaugenichts, mit einem Bösewichte, kurz mit einem Galgenstrick habe verloben können, irgendein fauler Flecken, irgendein verborgenes Gebrechen sein müsse. Sage mir, mit wem du umgehst und ich sage dir, was du bist. Luciens Besuch hatte diese Überzeugung bestärkt. Nicht etwa, daß sie, so wie man sagt, der Donna Prassede nicht im Grunde ein braves Mädchen geschienen hätte; aber es ließ sich nur eben hunderterlei dazu sagen. Das gesenkte Köpfchen da mit dem in die Halsgrube eingewurzelten Kinn, das Nichtantworten oder nur ein wenig auf einmal, wie wider Willen antworten, konnten allerdings Verschämtheit andeuten; verrieten aber auch zuverlässig viele Halsstarrigkeit; es gehörte nicht viel dazu, um zu erraten, daß dies kleine Köpfchen seine eigenen Gedanken hatte. Und das Erröten jedesmal, und das Zurückdrängen von Seufzern ... Dann die beiden großen Augen, die Donna Prassede ganz und gar nicht gefielen. Sie war so fest davon überzeugt, als ob sie es aus guter Quelle wüßte, daß alle die Unglücksfälle Luciens eine Strafe des Himmels wegen ihrer Freundschaft zu dem Schurken und eine Warnung wären, sich ganz von ihm loszumachen, und sobald sie das erst festgestellt hatte, nahm sie sich vor, zu einem so guten Zwecke mitzuwirken. Denn, wie sie oftmals zu anderen und zu sich selber sprach, ihr ganzes Trachten ging dahin, dem Willen des Himmels fördersam zu sein; nur verfiel sie wiederholt in das gewaltige Mißverständnis, ihr Gehirn mit dem Himmel zu verwechseln. Die zweite Absicht, die wir erwähnt haben, hütete sie sich freilich wohl, sich auch nur im mindesten merken zu lassen. Einer ihrer Grundsätze war nämlich der, daß, um eine gute Absicht glücklich zu Ende zu führen, die Hauptsache in den meisten Fällen ist, sie nicht durchblicken zu lassen.

Die Mutter und die Tochter sahen einander an. Da die schmerzliche Notwendigkeit einmal da war, sich zu trennen, so schien der Antrag beiden, wenn auch sonst weiter nichts dafür gesprochen hätte, schon um deswillen höchst annehmbar, daß die Villa in so großer Nähe bei ihrem Dörfchen gelegen; so daß sie sich im allerschlimmsten Falle also zur nächsten Sommerzeit wieder nähern und zusammenfinden könnten. Nachdem eine den Augen der anderen ihre Zustimmung abgesehen hatte, wendeten sie sich alle beide mit dem Danke, der etwas annimmt, der Donna Prassede zu. Sie erneuerte ihre Höflichkeiten und Versprechungen und sagte, sie werde ihnen alsbald ein an Se. Hochwürden abzugebendes Schreiben zukommen lassen. Nach der Abfahrt der Frauen ließ sie sich das Schreiben von Don Ferrante aufsetzen, dessen sie sich, da er ein Gelehrter war, wie wir ausführlicher berichten werden, bei wichtigen Gelegenheiten als Geheimschreiber bediente. Jetzt nun, wo es sich um eine solche handelte, strengte Don Ferrante seine höchsten Geisteskräfte an, und indem er den Entwurf seiner Gattin zur Abschrift gab, empfahl er ihr dringend die Rechtschreibung an; die nämlich eine der vielen Sachen war, die er studiert, und eine der wenigen, worüber er im Hause zu gebieten hatte. Donna Prassede schrieb auf das allersorgfältigste ab und sendete den Brief nach dem Hause des Schneiders. Dies geschah zwei oder drei Tage früher als der Kardinal die Sänfte schickte, um die Frauen nach ihrem Hause zurückholen zu lassen.

Anlangend, noch ehe er zur Kirche gegangen war, stiegen sie vor der Pfarrwohnung aus. Es war der Befehl gegeben, sie auf der Stelle hereinzuführen; der Kaplan, der sie zuerst erblickte, befolgte ihn, nachdem er sie nicht länger aufgehalten hatte als nötig war, ihnen über Hals und Kopf einige Weisungen in betreff der Förmlichkeiten, mit denen man dem hochwürdigen Herrn begegne und wegen der Titel zu erteilen, die ihm gebührten; etwas, das er jedesmal zu tun pflegte, wenn er es heimlich tun konnte. Es war des armen Mannes immerwährender Ärger, die wenige Ordnung anzusehen, die, was das anlangte, den Kardinal umgab. »Alles,« sagte er zu der übrigen Dienerschaft, »bloß der allzugroßen Güte des gesegneten Mannes, seiner großen Leutseligkeit halber.« Und er erzählte, er habe ihm sogar mehr als einmal mit seinen eigenen Ohren mit »ja, Herr«, und »nein, Herr«, antworten gehört.

Der Kardinal war soeben beschäftigt, mit Don Abbondio sich über kirchliche Angelegenheiten zu besprechen, so daß dieser nicht dazu kam, wie er gewünscht hätte, auch seinerseits den Frauen gute Lehren zu geben. Nur als er beim Hinausgehen an ihnen vorüberkam und sie vortraten, konnte er ihnen verstohlen zuwinken, um ihnen zu verstehen zu geben, wie er mit ihnen zufrieden sei, und daß sie brav fortfahren sollten zu schweigen.

Nach den ersten Begrüßungen von der einen und den ersten Verneigungen von der anderen Seite zog Agnes den Brief aus dem Busen und überreichte ihn dem Kardinal mit den Worten: »Er ist von der gnädigen Frau Donna Prassede, die da sagt, sie kenne Ihre Gnaden Hochwürden recht wohl, wie ja natürlicherweise die vornehmen Herrschaften einander alle kennen. Wenn Sie werden gelesen haben, werden Sie schon sehen.«

»Schön,« sagte Federigo, nachdem er gelesen und den Saft des Inhalts aus den Redeblumen Don Ferrantes gesogen hatte. Er kannte dieses Haus hinreichend, um gewiß zu sein, daß Lucia in guter Absicht dorthin eingeladen worden war und daselbst vor der Hinterlist und Gewalt ihres Verfolgers sichergestellt sein werde. Welche Meinung er von Donna Prassedes Kopf hatte, darüber ist uns nichts Näheres bekannt geworden. Wahrscheinlicherweise war sie es nicht gerade, die er zu einem solchen Zweck auserkoren haben würde; aber wie wir schon gesagt oder anderswo zu verstehen gegeben haben, es war nicht seine Art, dasjenige abzustellen, um es besser zu machen, was andere, die es betraf, schon getan hatten. »Nehmt in Frieden auch diese Trennung und die Ungewißheit hin, in der ihr euch befindet,« fügte er dann hinzu; »vertraut, daß es geschieht um bald zu endigen, und daß Gott die Dinge zu dem Ziele hinausführen will, das er ihnen vorgesteckt zu haben scheint; aber haltet euch für überzeugt, daß das, was er geschehen lassen will, euer Bestes ist.«

Er gab Lucia insbesondere einige weitere liebreiche Ermahnungen; sprach allen beiden noch einigen Trost zu, segnete sie und ließ sie gehen. Als sie auf die Straße hinaustraten, fiel ein Schwarm von Freunden und von Freundinnen, die ganze Gemeinde kann man sagen, über sie her, die sie erwartete und wie im Triumphe heimführte. Es war ein ordentlicher Wettstreit unter all den Frauen, sich mit ihnen zu freuen, sie zu beklagen, auszufragen, und alle schrien vor Bedauern laut auf, als sie hörten, daß Lucia morgen wieder fortgehen würde. Die Männer beeiferten sich in Dienstanerbietungen; ein jeder wollte in dieser Nacht das Häuschen bewachen, auf welche Tatsache unser Anonymus für gut befand, ein Sprichwort zu bilden: Wer gleich will viele Hilfe haben, muß sie nur nicht nötig haben.

So viele Bewillkommnungen verwirrten und betäubten Lucia zwar; aber im ganzen taten sie ihr doch wohl, indem sie sie ein wenig von den Gedanken und den Erinnerungen zerstreuten, die, auch mitten in dem verworrenen Getöse, an diesem Eingange, in diesem Stübchen, beim Anblicke eines jeden Gegenstandes in ihr rege wurden.

Beim Anschlagen der Glocke, die verkündigte, daß der Beginn des Gottesdienstes nahe sei, setzten sich alle nach der Kirche zu in Bewegung, und wurde dies für die Zurückgekehrten ein abermaliger kleiner Triumphgang.

Nach beendigtem Gottesdienste wurde Don Abbondio, der eben nachsehen wollte, ob Perpetua alles wohl zur Mittagsmahlzeit vorbereitet habe, benachrichtigt, daß der Kardinal ihn zu sprechen verlange. Er begab sich sofort in das Zimmer des hohen Gastes, der, nachdem er ihn hatte herantreten lassen, anhob: »Herr Pfarrer«, und zwar wurden diese Worte auf eine Art an ihn gerichtet, daß daraus hervorging, sie würden der Anfang einer langen und ernsthaften Unterredung sein: »Herr Pfarrer, warum haben Sie diese Lucia mit ihrem Bräutigam nicht ehelich verbunden?«

»– So haben sie also heute früh ihr Mütchen gekühlt –« dachte Don Abbondio und versetzte stammelnd: »Ihre Hochwürden werden wohl von den Wirrsalen gehört haben, die in dieser Angelegenheit entstanden sind; es ist damit so bunt übereck hergegangen, daß man daraus auch heutigen Tages noch nicht klug werden mag; wie ja Ihre Gnaden selbst daraus entnehmen können, daß das Mädchen sich nach so vielen Unfällen wie durch ein Wunder hier befindet; und der junge Bursche, nach anderen Unfällen wer weiß wo sein mag.«

»Ich frage,« hob der Kardinal wieder an, »ob es wahr ist, daß vor allen diesen Ereignissen Sie sich geweigert haben, die Trauung zu vollziehen, als Sie an dem dazu bestimmten Tage dazu aufgefordert wurden, und weshalb?«

»In der Tat ... wenn Ihre Gnaden wüßten ... auf welche Art mir eingegeben ... wie erschrecklichermaßen mir vorgeschrieben worden ist, nicht zu reden ...« Und er hielt, ohne zum Schluß zu kommen, mit einer gewissen Gebärde inne, die in aller Ehrfurcht zu verstehen geben sollte, daß es eine Unbescheidenheit sein würde, weiteres davon wissen zu wollen.

»Aber!« sagte der Kardinal mit überaus ernstem Tone und Angesicht: »Es ist Ihr Bischof, der seiner Pflicht getreu und zu Ihrer Rechtfertigung von Ihnen vernehmen will, warum Sie nicht getan haben, was Sie, der Ordnung der Dinge nach, zu tun verbunden waren.«

»Hochwürdigster Herr,« sagte Don Abbondio und wurde ganz kleinlaut, »ich habe keineswegs sagen wollen ... Aber ich habe gemeint, weil es doch so verworrene alte Geschichten sind, die nicht mehr abzustellen, möchte es unnütz sein, sie wieder aufzustören ... Indessen, indessen sage ich, weiß ich, daß Ihre Gnaden einen Ihrer armen Pfarrer nicht werden verderben wollen; denn sehen Sie wohl, hochwürdiger Herr, Ihre Gnaden können nicht allenthalben sein, und ich bleibe hier ausgesetzt ... Jedoch, wenn Sie es so befehlen, werde ich, werde ich alles sagen.«

»Sprechen Sie; ich wünschte nichts mehr, als daß ich Sie schuldlos befände.«

Nunmehr schickte sich Don Abbondio an, die klägliche Geschichte zu erzählen; doch unterdrückte er den Hauptnamen und schob dafür einen großen Herrn unter; indem er also der Vorsicht all das wenige Recht widerfahren ließ, das eine solche Verlegenheit ihr gestattete.

»Und Sie haben keinen anderen Beweggrund sonst gehabt?« fragte der Kardinal, nachdem er alles wohl vernommen.

»Aber ich habe mich vielleicht nicht deutlich genug ausgedrückt,« versetzte Don Abbondio; »bei Lebensstrafen haben sie mir untersagt, die Trauung zu vollziehen.«

»Und scheint Ihnen dies ein hinreichender Grund zu sein, um eine ausdrückliche Pflicht zu verabsäumen?«

»Ich habe mich immer bestrebt, sie zu erfüllen, meine Pflicht, sogar mit äußerster Beschwerde; aber wenn es sich um das Leben handelt ...«

»Und als Sie sich der Kirche darboten,« sagte mit noch ernsterem Nachdruck Federigo, »um dieses Amt zu erlangen, hat sie Ihnen da Ihr Leben verbürgt? Hat sie Ihnen gesagt, daß die mit dem Amte verbundenen Pflichten frei von allen Hindernissen, aller Gefahren ledig wären, oder hat sie Ihnen gesagt, daß, wo die Gefahr beginne, da die Pflicht aufhören werde? Oder hat sie Ihnen nicht eben ausdrücklich das Gegenteil gesagt? Hat sie Ihnen nicht kundgetan, daß sie Sie wie ein Lamm unter die Wölfe sendete? Wußten Sie nicht, daß es gewalttätige Menschen gäbe, denen da wohl mißfallen könnte, was Ihnen anbefohlen werden würde? Der, von dem wir Lehre und Beispiel haben, in dessen Nachfolge wir uns Hirten nennen lassen und nennen, bedang er sich Sicherheit des Lebens aus, als er auf die Erde kam, um das Amt eines Hirten zu verwalten? Ist etwa wohl die heilige Weihe, die Auflegung der Hände, die Gnade des Priestertums dazu da, um es zu erretten, um es, sage ich, auf Kosten der Menschenliebe und der Pflicht, ein paar Tage länger auf Erden zu erhalten? Es ist genug, daß die Welt diese Tugend mitteilt, in dieser Lehre unterweist. Was sage ich? Oh, Schmach! Die Welt selbst verleugnet sie: die Welt gibt auch ihrerseits ihre Gesetze, die das Gute vorschreiben, die das Böse vorschreiben; hat auch ihrerseits ihr Evangelium, ein Evangelium des Hochmuts und des Hasses und will nicht, daß gesagt werde, die Liebe zum Leben sei ein Grund, dessen Gebote zu übertreten. Sie will es nicht, und man gehorcht ihr. Und wir? Söhne und Verkündiger der Verheißung? Was wäre wohl aus der Kirche geworden, wenn diese Ihre Sprache die aller Ihrer Mitbrüder wäre? Wohin würde es mit ihr gekommen sein, wenn sie mit diesen Lehren in der Welt erschienen wäre?«

Don Abbondio hielt den Kopf gesenkt, sein Geist verhielt sich zu diesen Vernunftbeschlüssen wie ein Hühnchen in den Klauen eines Falken, die es in eine unbekannte Region, in eine Luft, die es niemals eingeatmet hat, erhoben halten. Da et einsah, daß er etwas antworten müsse, so sagte er mit einer gewissen unüberzeugten Unterwürfigkeit: »Hochwürdiger Herr, ich will unrecht haben. Wenn das Leben nicht in Anschlag zu bringen ist, so weiß ich nicht, was ich sagen soll. Aber wenn man mit gewissen Leuten zu tun hat, die die Macht haben und keine Vernunft annehmen wollen, so wüßte ich doch nicht, was man dabei gewinnen könnte, wenn man auch den Worthelden spielen wollte. Der da ist eben ein Herr, den man weder besiegen noch mit dem man Frieden machen kann.«

»Und wissen Sie nicht, daß das Dulden um der gerechten Sache willen unser Siegen ist? Und wenn Sie dies nicht wissen, was predigen Sie dann? Worin sind Sie Meister? Welcher Art ist die Botschaft des Heils, die Sie den Armen verkündigen? Wer verlangt von Ihnen, daß Sie Gewalt mit Gewalt vertreiben? Ganz gewiß wird man Sie eines Tages nicht danach fragen, ob Sie imstande gewesen sind, die Mächtigen im Zaum zu halten, denn dazu ward Ihnen weder die Erlaubnis noch das Vermögen gegeben. Wohl aber werden Sie gefragt werden, ob Sie das Ihnen verliehene Pfand haben wuchern lassen, um zu vollbringen, was Ihnen vorgeschrieben war, auch wenn jene die Verwegenheit gehabt hätten, es Ihnen zu untersagen.«

»– Auch diese Heiligen sind wunderlich« – dachte inzwischen Don Abbondio. – »Im Grunde, wenn man es bei Lichte besieht, liegt ihm die Liebschaft von ein paar jungen Leuten mehr am Herzen als das Leben eines armen Priesters.« – Und, was ihn betrifft, so würde er gern damit zufrieden gewesen sein, wenn die Unterredung hier geendet hätte; er sah aber den Kardinal in jeder Pause die Gebärde eines Menschen beibehalten, der eine Antwort, ein Bekenntnis oder eine Verteidigung, oder kurz und gut irgend etwas erwartet.

»Ich wiederhole Ihrer Hochwürden,« entgegnete er darum, »daß ich unrecht haben will ... den Mut kann sich einer nicht geben.«

»Und warum also, könnte ich Ihnen sagen, haben Sie sich zu einem Amte verpflichtet, das Ihnen auferlegt, mit den Leidenschaften der Zeitlichkeit Krieg zu führen? Wie aber, werde ich Ihnen vielmehr sagen, wie bedenken Sie doch nicht, daß, wenn Ihnen in diesem Amte, mögen Sie es angetreten haben, wie Sie wollen, der Mut vonnöten, Ihren Verpflichtungen zu genügen, er ihn Ihnen unfehlbar verleihen wird, wenn Sie ihn darum ansprechen? Glauben Sie, daß alle die Millionen Märtyrer natürlichen Mut besaßen? daß sie von Natur das Leben gering schätzten? so viele Jünglinge, die erst anfingen, Gefallen daran zu empfinden, so viele Greise, daran gewöhnt zu klagen, daß es schon seinem Ende nahe, so viele Jungfrauen, so viele Mütter? Alle haben Mut gehabt; denn der Mut war ihnen vonnöten, und sie hatten Vertrauen. Haben Sie, wenn Sie Ihre Schwäche und Ihre Pflichten kannten, daran gedacht, sich zu den schweren Schritten vorzubereiten, die Sie in den Fall kommen konnten, die Sie wirklich in den Fall gekommen sind, zu tun? Ach! wenn Sie in einer so vieljährigen Dauer Ihres Seelenhirtenamtes Ihre Herde – und wie sollten Sie das nicht? – geliebt, wenn Sie Ihr Herz, Ihre Sorgfalt ihr zugewendet, Ihre Wonne daran gefunden haben, so durfte Ihnen, wo es darauf ankam, der Mut nicht fehlen; die Liebe ist unerschrocken. Nun denn, wenn Sie also diejenigen liebten, die Ihrer geistlichen Obhut anvertraut sind, die Sie ihre Kinder nennen, und Sie sahen zwei von ihnen zugleich mit sich bedrängt, ach, gewiß! so wird ebensowohl die Menschlichkeit Sie für jene haben zittern lassen, als die Schwachheit des Fleisches Sie für sich erzittern ließ. Sie werden sich wegen dieser anfänglichen Furcht gedemütigt haben, weil sie eine Wirkung Ihrer Elendigkeit war; Sie werden um die Kraft gefleht haben, sie zu überwinden, sie zu verjagen, weil sie eine Versuchung war; der heiligen und edeln Furcht aber für andere, für Ihre Kinder, der werden Sie Gehör geliehen, die wird Ihnen keine Ruhe gelassen haben, die wird Sie angefeuert, gezwungen haben nachzudenken und das mögliche zu tun, um die Gefahr abzuwenden, die jene bedrohte ... Was hat Ihnen diese Furcht, diese Liebe eingegeben? Was haben Sie für sie getan? Was haben sie erdacht?«

Und er schwieg in Erwartung still.


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