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Sechsundzwanzigstes Kapitel

Auf eine so gestellte Frage gab Don Abbondio, der sich doch hatte angelegen sein lassen, auf weniger genaue etwas zu antworten, keinen Laut von sich. Und in Wahrheit fühlen auch wir, mit dieser Handschrift vor uns, mit einer Feder in der Hand, indem wir nur mit Redensarten zu kämpfen und nichts anderes zu befürchten haben als die Urteile unserer Leser, fühlen, sage ich, auch wir eine gewisse Abneigung fortzufahren, finden wir es gewissermaßen seltsam, mit so geringer Mühe so viele schöne Lehren der Standhaftigkeit und der Menschenliebe, der werktätigen Sorgsamkeit für andere, unbegrenzter Selbstaufopferung von uns zu geben.

»Sie antworten nicht?« hob der Kardinal wieder an. »Ach, wenn Sie Ihrerseits getan hätten, was die christliche Liebe, was die Pflicht erheischte, so würden Sie, wie auch immer dann die Sachen gegangen wären, jetzt etwas zu antworten haben. Sie erkennen also selbst, was Sie getan haben. Sie haben der Ruchlosigkeit gehorcht und sich nicht darum bekümmert, was die Pflicht vorschrieb. Sie haben ihr pünktlichen Gehorsam geleistet; sie hatte sich Ihnen gezeigt, um Ihnen ihr Verlangen auszudrücken; aber sie wollte dem verborgen bleiben, der sich vor ihr hätte schützen und sicherstellen können, aber sie wollte kein Zeichen zum Angriff geben, sie wollte das Geheimnis, um ihre Pläne zur Hinterlist oder Gewalt gemächlich zur Reife zu bringen; sie gebot Ihnen Pflichtverletzung und Stillschweigen; Sie haben die Pflicht verletzt und schwiegen still. Ich frage Sie nun, ob Sie nicht noch mehr getan haben; Sie werden mir sagen, ob es wahr ist, daß Sie Vorwände zu Ihrer Weigerung erlogen haben, um den Beweggrund dazu nicht anzugeben.« Und er hielt wieder eine Weile inne, einer Antwort gewärtig.

»Auch das haben ihm die Plappermäuler zugetragen,« dachte Don Abbondio; aber mündlich verriet er durch kein Zeichen, daß er etwas zu sagen habe, darum fuhr der Kardinal fort: »Es ist also wahr, daß Sie den armen Leuten gesagt haben, was sich nicht so verhielt, um sie in der Unwissenheit, in der Dunkelheit zu erhalten, in der die Ruchlosigkeit sie gern sah ... Ich muß es also glauben; es bleibt mir also nichts übrig, als mit Ihnen darüber zu erröten, und zu hoffen, daß Sie mit mir darüber weinen werden. Sehen Sie nun, wohin Sie – guter Gott! und noch eben jetzt führten Sie sie als eine Rechtfertigung an – die Sorgfalt für das zeitliche Leben verleitet hat. Sie hat Sie verleitet ... widerlegen Sie freimütig diese Worte, wenn sie Ihnen ungerecht bedünken; lassen Sie sich selbige zu einer heilsamen Demütigung gereichen, wenn Sie es nicht sind ... sie hat Sie verleitet, die Schwachen zu betrügen, Ihre Kinder zu belügen.«

»Nun sehe einer einmal den Lauf der Welt,« sagte Don Abbondio wieder bei sich; »dem Satanas« – und er dachte an den Ungenannten – »wirft er die Arme um den Hals, und mir einer kleinen Notlüge wegen, die ich nur zu dem Ende vorgebracht habe, mich meiner Haut zu wehren, macht er den Kopf so warm. Aber es sind nun einmal die Vorgesetzten; die haben immer recht. Es ist mein Unstern, daß alles auf mich einstürmt; nun gar noch die Heiligen.« – Und mit lauter Stimme sagt er: »Ich habe gefehlt, ich sehe ein, daß ich gefehlt habe; aber was sollte ich in einer solchen Bedrängnis beginnen?«

»Und das fragen Sie noch? Und habe ich es Ihnen nicht gesagt? Und mußte ich es Ihnen erst sagen? Lieben, mein Sohn, lieben und beten; alsdann würden Sie empfunden haben, daß die Gottlosigkeit allerdings Drohungen erheben. Streiche versetzen, aber keine Gebote erteilen kann; Sie würden dem göttlichen Gesetze gemäß vereinigt haben, was der Mensch trennen wollte; Sie würden den unverschuldet Unglücklichen den Dienst erwiesen haben, den sie berechtigt waren, von Ihnen in Anspruch zu nehmen; für die Folgen würde Ihnen Gott Bürge gewesen sein, denn seine Vorschrift wäre befolgt worden; indem Sie einer anderen nachkamen, traten Sie statt dessen als Bürge ein, und für welche Folgen! Aber gingen Ihnen denn etwa alle menschlichen Hilfsmittel ab, stand Ihnen denn etwa gar kein Ausweg offen, wenn Sie sich nur hätten umsehen, bedenken, umtun wollen? Sie mögen jetzt wissen, daß jene Ihre Ärmsten, wenn sie verheiratet gewesen wären, selbst würden auf Ihre Rettung Bedacht genommen haben, daß sie bereit waren, das Angesicht des Mächtigen zu fliehen, daß sie sich schon eine Zuflucht ausersehen hatten. Aber auch ohne dies, fiel es Ihnen denn nicht ein, daß Sie noch einen Vorgesetzten hatten? Und wie könnte dem irgend die Gewalt verliehen sein, Sie um der Vernachlässigung Ihres Berufs willen zu strafen, wofern er nicht die Verpflichtung hatte, Ihnen zu seiner Erfüllung beizustehen? Warum haben Sie nicht daran gedacht, Ihren Bischof von dem Hindernisse zu benachrichtigen, das eine schmähliche Gewalt der Ausübung Ihres Amtes entgegensetzte?«

»Perpetuas Ratschläge!« dachte mit Verdruß Don Abbondio, und was er sich inmitten dieser Reden am lebendigsten vorstellte, war das Bild der Bravi und der Gedanke, daß Don Rodrigo lebe und gesund sei und über kurz oder lang als glorreicher und erbitterter Sieger zurückkehren würde. Und wiewohl diese gegenwärtige Würde, dieser Anblick und diese Sprache bewirkten, daß er verwirrt dastand und ihm Furcht einjagten, so war das nichtsdestoweniger eine Furcht, die ihn weder gänzlich unterjochte noch den Gedanken abhielt, widerspenstig zu sein; denn er trug sich eben mit dem Gedanken, daß denn doch am Ende der Kardinal weder Büchse noch Degen noch Bravi anwendete.

»Wie, haben Sie nicht daran gedacht,« fuhr dieser fort, »daß, wenn jenen unschuldigen Verfolgten auch keine andere Zufluchtsstätte offengeblieben, ich doch da war, um sie aufzunehmen, um sie sicherzustellen, wenn Sie mir sie zugewiesen, die Hilflosen einem Bischöfe als sein Eigentum, als ein kostbares Teil, ich sage nicht, seiner Bürde, sondern seines Reichtums zugewiesen hätten? Und was Sie betrifft, so würde ich für Sie besorgt gewesen sein; ich hätte nicht eher schlafen dürfen, als bis ich gewiß gewesen, daß Ihnen kein Haar gekrümmt werden würde, bis ich nicht das Wie und Wohin ausgefunden, Ihr Leben sicherzustellen. Aber glauben Sie wohl, daß jener Mann, so verwegen er auch war, nicht in seiner Verwegenheit nachgelassen haben würde, sobald er erfahren hätte, daß seine Ränke auch anderwärts, daß sie mir bekannt wären, daß ich wachte und entschlossen wäre, zu Ihrer Verteidigung alle in meine Hand gegebenen Mittel aufzubieten? Wußten Sie nicht, daß, wenn der Mensch nur allzuoft mehr verspricht, als er zuhalten vermag, er auch nicht selten mehr droht, als er sich dann angelegen sein läßt zu begehen? Wußten Sie, nicht, daß die Ruchlosigkeit sich nicht nur auf ihre Kräfte stützt, sondern wohl auch auf die Leichtgläubigkeit und die Furcht anderer?«

»Ganz und gar Perpetuas Gründe,« dachte auch hier Don Abbondio, ohne zu bedenken, daß dieses seltsame Übereinstimmen seiner Magd und Federigo Borromeos in ihrem Dafürhalten von dem, was er hätte tun können und sollen, sehr gegen ihn sprach.

»Sie aber,« fuhr der Kardinal fort und schloß er, »haben nichts gesehen und sehen wollen als Ihre zeitliche Gefahr; was Wunder, wenn sie Ihnen so groß erschien, daß Sie alles andere darüber außer acht ließen?«

»Das macht, weil ich sie eben gesehen habe, die Gesichter,« entfuhr es Don Abbondio zur Antwort, »weil ich sie gehört habe, die Worte. Ihre Gnaden haben gut reden, aber Sie sollten einmal in der Haut eines armen Priesters stecken und sich in der Lage befunden haben.«

Kaum hatte er diese Worte herausgebracht, so biß er sich in die Zunge; er nahm wahr, daß er sich hatte allzusehr vom Verdruß hinreißen lassen und sagte bei sich: »Nun wird es loswettern!« – Indem er aber zweifelhaft den Blick erhob, war er ganz erstaunt, das Gesicht dieses Mannes zu sehen, den weder zu erraten noch zu verstehen ihm niemals gelang, darin den Übergang von einem gebieterischen, strafenden Ernste zu dem Ernste der Zerknirschung und des Nachsinnens zu gewahren.

»Nur allzuwahr!« sagte Federigo, »so ist nun unser elender und erschrecklicher Zustand. Wir müssen von anderen streng erheischen, was wir, Gott weiß, ob ebenso bereit sein dürften zu leisten; wir müssen richten, züchtigen, tadeln, und Gott weiß, was wir in dem nämlichen Falle tun würden, was wir in ähnlichen Fällen schon getan haben! Aber wehe, wenn ich meine Schwäche zum Maßstabe der Pflichten anderer, zur Richtschnur meiner Weisungen nehmen sollte. Und doch ist es gewiß, daß ich mit der Lehre anderen auch ein Beispiel geben und mich nicht dem Pharisäer gleichstellen soll, der da anderen unerträgliche Lasten aufbürdet, die er nicht einmal mit dem Finger anrühren will. Wohlan, mein Sohn und Bruder, da denn die Irrtümer derer, die vorgesetzt, anderen oftmals bekannter sind als ihnen: wofern Sie wissen, daß ich aus Kleinmütigkeit, aus was für einem Grunde es auch sei, irgendeine meiner Pflichten übertreten habe, so sagen Sie es mit frei heraus, halten Sie es mir vor, damit, wo das Beispiel ausgeblieben ist, die Beichte doch wenigstens zu Hilfe komme. Schelten Sie mich unbedenklich wegen meiner Schwächen aus, und alsdann werden auch die Worte einen größeren Nachdruck in meinem Munde erlangen, weil Sie desto lebhafter empfinden werden, daß es nicht meine eigenen, daß sie dessen sind, der mir und Ihnen die erforderliche Kraft verleihen kann, dasjenige zu tun, was sie vorschreiben.«

»Ach, was für ein heiliger Mann! aber was für ein Plagegeist,« dachte Don Abbondio, »sogar sich selber; wenn er nur herumstöbern, sich einmischen, durchhecheln, ins Gebet nehmen kann; sogar sich selber!« – Darauf sagte er laut: »Ach, hochwürdigster Herr! Sie scherzen? Wer kennt nicht das starke Gemüt, den unerschrockenen Eifer Ihrer Gnaden!« Und in seinem Innern fügte er hinzu: »Nur zu wohl!«

»Ich verlangte von Ihnen kein Lob, das mich zittern macht,« sagte Federigo, »denn Gott kennt meine Vergehungen, und so viel ich selbst davon kenne, reicht hin, mich zu beschämen. Aber ich hätte gewünscht, ich wünschte, daß wir uns miteinander vor ihm beschämt, um zusammen zu vertrauen. Ich wünschte um Ihretwillen, Sie sähen ein, wie Ihre Aufführung gewesen ist, wie Ihre Sprache dem Gesetze zuwiderläuft, das Sie doch predigen, und nach dem Sie werden gerichtet werden.«

»Alles stürmt auf mich ein,« sagte Don Abbondio; »aber die Leute, die die Zuträger gemacht, haben Ihnen nicht auch gesagt, daß sie sich verräterischerweise in mein Haus geschlichen haben, um mich zu überrumpeln und eine Heirat gegen die Regel zu schließen.«

»Sie haben es gesagt, mein Sohn; aber das geht mir zu Herzen, das drückt mich nieder, daß Sie sich noch entschuldigen möchten, daß Sie sich durch Anschuldigen entschuldigen möchten, daß Sie anderen das schuld geben, was einen Teil Ihrer Beichte ausmachen sollte. Wer hat sie denn, ich sage nicht in die Notwendigkeit, aber doch in die Versuchung gesetzt, das zu tun, was sie getan haben? Würden sie wohl diesen Abweg ausgesucht haben, wenn der rechte ihnen nicht verschlossen gewesen wäre? Würden sie daran gedacht haben, den Seelenhirten zu hintergehen, wenn sie in seine Arme aufgenommen worden wären, Hilfe und Rat bei ihm gefunden hätten? ihn zu überraschen, wenn er sich nicht verborgen hätte? Und diese beschuldigen Sie? Und Sie sind unwillig, weil jene nach so vielen Unfällen, was sage ich, mitten im Unglück, sich gegen ihren, gegen ihren Seelsorger mit einem Worte Luft gemacht haben? Daß die Klage des Unterdrückten, der Jammer des Betrübten der Welt lästig, ist nun einmal so; aber uns! Welchen Vorteil würde es Ihnen gebracht haben, wenn sie geschwiegen hätten? Wäre es Ihnen heilsam gewesen, daß ihre Sache ganz und gar vor Gottes Gericht gekommen? Ist es nicht ein neuer Beweggrund für Sie, diese Menschen zu lieben – und Sie haben dieser Beweggründe schon so viele –, daß sie Ihnen Gelegenheit verschafft haben, die aufrichtige Stimme ihres Hirten zu vernehmen, daß sie Ihnen ein Mittel an die Hand gegeben, die große Schuld, die Sie gegen sie haben, besser zu erkennen und teilweise abzutragen? Ja, wenn sie Sie gereizt, beleidigt, gequält hätten, würde ich Ihnen doch sagen – und ob ich es Ihnen sagen müßte! – Sie sollten sie eben darum lieben! Lieben Sie sie, weil sie gelitten haben, weil sie leiden, weil sie Ihnen angehören, weil sie schwach sind, weil sie einer Vergebung bedürfen, zu deren Erlangung ihr Gebet Ihnen, bedenken Sie, wie sehr, behilflich sein kann!«

Don Abbondio schwieg, aber sein Stillschweigen war nicht mehr jenes verstockte und ärgerliche; er schwieg, wie jemand, der mehr zu denken als zu sagen hat. Die Worte, die er hörte, waren unvermutete Folgerungen, neue Anwendungen einer ja auch in seinem Gemüte alten und unbestrittenen Lehre. Das Unglück anderer, von dessen Betrachtung ihn die Furcht vor dem eigenen immer abgezogen, machte ihm jetzt einen neuen Eindruck. Und wenn er auch nicht die Reue empfand, die die Predigt hervorrufen wollte – denn dieselbe Furcht war immer vorhanden, um den vertretenden Anwalt vorzustellen –, so empfand er deren dennoch; er empfand ein Mißvergnügen mit sich, ein Mitleid mit den anderen, ein Gemisch von Rührung und Verwirrung. Er war, wenn dieser Vergleich uns gestattet ist, dem feuchten und festgequetschten Dochte eines Lichtes ähnlich, der, an die Flamme einer großen Fackel gehalten, anfänglich dampft, sprüht, knistert, nicht heran will, zuletzt aber sich entzündet und, wohl oder übel, brennt. Er würde sich laut angeklagt, würde geweint haben, wenn nicht der Gedanke an Don Rodrigo gewesen wäre; aber bei alledem zeigte er sich doch so gerührt, daß der Kardinal wahrnehmen mußte, wie seine Worte nicht ganz erfolglos geblieben waren.

»Jetzt,« fuhr er fort, »da das eine seine Heimat geflohen hat, das andere im Begriff ist, sie zu verlassen, beide berechtigt genug, ihr fern zu bleiben, ohne die Wahrscheinlichkeit, sich hier jemals wieder zusammenzufinden, jetzt, wenn auch Gott Ihnen beschieden hätte, sie neu zu vereinigen, bedürfen sie Ihrer leider nicht mehr, haben Sie leider keine Gelegenheit, ihnen wohlzutun, und kann auch unsere blöde Voraussicht in der Zukunft deren keine mutmaßen. Wer weiß aber, ob der barmherzige Gott Ihnen nicht eine aufspart? Ach! lassen Sie sie nicht entfliehen! Suchen Sie sie auf, lauern Sie darauf, bitten Sie ihn, daß er sie herbeiführe.«

»Ich werde es nicht unterlassen, hochwürdiger Herr, ich werde es wahrhaftig nicht unterlassen«, erwiderte Don Abbondio, mit einer Stimme, die verriet, daß sie von Herzen kam.

»Ach ja, mein Sohn, ja!« rief Federigo aus, und schloß mit Würde und Wohlwollen: »Der Himmel weiß, wie sehr ich gewünscht hätte, ganz andere Worte mit Ihnen zu wechseln. Wir haben beide schon lange gelebt. Der Himmel weiß, ob es mir hart gefallen, Ihr greises Alter mit herben Verweisen betrüben zu müssen; wieviel lieber es mir gewesen wäre, mich gerade mit Ihnen über unsere gemeinsamen Sorgen und über unsere Not im Gespräche von der seligen Hoffnung zu trösten, der wir schon so nahe gekommen sind. Gebe nur Gott, daß die Worte, die ich dennoch habe gegen Sie anwenden müssen, Ihnen und mir heilsam sind. Machen Sie nicht, daß er mir eines Tages Rechenschaft abverlange, warum ich Sie in einem Amte gelassen, in dem Sie sich so unselig vergangen haben. Bringen wir die Zeit wieder ein, die Mitternacht naht, der Bräutigam kann nicht weilen, halten wir unsere Lampen brennend. Bringen wir Gott unsere elenden, leeren Herzen dar, damit es ihm gefalle, sie mit der Menschenliebe anzufüllen, die das Vergangene wieder gut macht, die die Zukunft sicherstellt, die da zagt und vertraut, mit Weisheit beweint und sich erfreut, die in jedem Falle zu der Tugend führt, die wir nötig haben.«

Dies gesagt, brach er auf, und Don Abbondio folgte ihm.

Hier bemerkt der Anonymus, daß dies nicht die einzige Unterredung der beiden Personen, und auch Lucia nicht der einzige Gegenstand ihrer Unterredung war; daß er sich jedoch auf diese beschränkt hat, um nicht von dem Hauptgegenstände der Erzählung allzusehr abzuschweifen. Und so werde er aus dem nämlichen Beweggrunde auch von anderen bemerkenswerten Dingen keine Meldung tun, die Federigo in dem ganzen Verlaufe seines Besuches gesagt und getan, so wenig wie von seiner Freigebigkeit, von den Zwistigkeiten, die er geschlichtet, von dem alten Hasse zwischen Personen, Familien, ganzen Ortschaften, den er ausgelöscht, oder – was nur allzuoft vorkam – gedämpft, von so manchem Bösewichte oder kleinem Tyrannen, den er, sei es für das ganze Leben oder für einige Zeit gezähmt habe, lauter Händel, von denen es mehr oder weniger an jedem Orte des Sprengels, wo dieser treffliche Mann irgend verweilte, immer welche gab.

Am nächstfolgenden Morgen kam, genommener Rückspräche nach, Donna Prassede an, um Lucia abzuholen und den Kardinal zu begrüßen, der diese ihr gegenüber lobte und sie ihr dringend anempfahl.

Lucia riß sich von der Mutter los, man kann sich vorstellen, unter wie vielen Tränen, und verließ ihr Häuschen, sagte zum zweitenmal ihrem Dorfe Lebewohl mit der doppelt herben Betrübnis, die man empfindet, indem man einen Ort verläßt, der einem einzig teuer war und es nicht mehr sein kann. Jedoch war der Abschied von der Mutter nicht der letzte, denn Donna Prassede hatte angekündigt, daß sie sich noch einige Tage in jener Villa aufhalten werde, die nicht sehr entfernt von hier war, und Agnes versprach der Tochter, dahin zu kommen und ein noch betrübteres Lebewohl zu sagen und zu empfangen.

Auch der Kardinal stand schon im Begriff, sich nach einem anderen Kirchspiel zu begeben, als der Pfarrer, zu dessen Kirchspiel die Feste des Ungenannten gehörte, ankam und ihn zu sprechen verlangte. Vorgelassen, überbrachte er ein Paket und einen Brief von diesem Herrn, der Federigo ersuchte, Luciens Mutter zur Annahme von einhundert Goldscudi zu vermögen, die in dem Pakete waren, um zu der Aussteuer des Mädchens oder zu demjenigen Gebrauche zu dienen, den beide für den besten erachten würden, und ihn zugleich bat, ihnen zu sagen, daß, wenn sie jemals, es möge sein, wann es wolle, der Meinung wären, er könnte ihnen irgendeinen Dienst erweisen, das arme Mädchen ja nur zu wohl wüßte, wo er wohnte, ihm aber dies einer der erwünschtesten Glücksfälle sein würde.

Der Kardinal ließ auf der Stelle Agnes rufen, eröffnete ihr den Auftrag, den diese mit gleich großer Verwunderung und Freude vernahm, und überreichte ihr die Rolle, die sie sich ohne viele Umstände in die Hand legen ließ.

»Vergelte es Gott dem Herrn,« sprach sie, »und danken Ihre Gnaden ihm doch viele, viele Male. Und sagen Sie niemand etwas davon, denn dies ist so ein gewisses Dorf ... Halten Sie es mir zu gut, sehen Sie; ich weiß wohl, daß Ihresgleichen nicht hingehen und von derlei Dingen plaudern wird, aber ... Sie verstehen mich schon.«

Sie ging in aller Stille nach Hause, verschloß sich in ihre Kammer, machte das Päckchen auf und betrachtete mit Staunen den ganzen ihr gehörigen Haufen, die vielen Zechinen, von denen sie vielleicht niemals mehr als eine auf einmal, und das auch nur selten, gesehen hatte; sie zählte sie, mühte sich eine Weile ab, sie wieder zusammenzupacken und alle hundert aneinander zu reihen, die einmal über das andere auseinanderplatzten und ihr aus den ungeübten Fingern glitten. Sobald sie endlich wieder, so gut es sich tun ließ, ein Röllchen daraus gemacht hatte, tat sie es in einen Lappen, wickelte diesen darum, so daß es ein Bündel ward, und steckte dies, nachdem sie es mit einem Faden umwunden, in eine Ecke ihres Strohsacks. Den übrigen Teil dieses Tages tat sie nichts anderes, als daß sie grübelte, Pläne für die Zukunft sann und inzwischen nach dem Morgen seufzte. Nachdem sie sich zu Bett gelegt, blieb sie lange Zeit mit dem Gedanken an die Gesellschaft der Hundert wach, die sie unter sich hatte: entschlafen, sah sie dieselben im Traume. Mit der Morgenröte erhob sie sich und machte sich sogleich auf den Weg nach dem Landgute, wo sich Lucia befand.

Diese war ihrerseits, obwohl jene große Abneigung, von dem Gelübde zu sprechen, noch um nichts geringer geworden war, doch entschlossen, sich Gewalt anzutun und sich der Mutter in dem Zwiegespräche, das das letzte für lange Zeit sein sollte, anzuvertrauen.

Sie konnten nicht sobald allein sein, als Agnes mit ganz beseeltem Gesicht und zugleich mit leiser Stimme, gleich als ob jemand zugegen gewesen wäre, von dem sie nicht hätte verstanden werden wollen, anhob: »Ich habe dir etwas Großes zu sagen«, worauf sie fortfuhr, ihr den unvermuteten Glücksfall zu erzählen.

»Gott segne den Herrn,« sagte Lucia; »so werdet Ihr doch gemächlich zu leben haben, und könnt auch noch einem und dem anderen wohltun.«

»Wie!« entgegnete Agnes, »siehst du denn nicht, was wir mit so vielem Gelde alles anfangen können? Höre; ich habe niemand sonst als dich, als euch beide, kann ich sagen; denn Renzo, seitdem er anfing mit dir zu reden, habe ich immer wie meinen Sohn betrachtet. Die Hauptsache ist nur, daß ihm nicht etwa irgendein Unglück zugestoßen, weil er so gar kein Lebenszeichen von sich gibt; aber was da! Muß denn auch gleich alles schlecht ablaufen? Wir wollen hoffen, es ist nicht so, wir wollen es hoffen. Was mich anlangt, so hätte ich zwar gern meine Gebeine in meinem Dorfe gelassen, aber nunmehr, da du um des Schurken willen nicht darin bleiben kannst, und schon wegen des Gedankens, ihn in der Nähe zu haben, ist mir mein Dorf zuwider geworden, und ich bleibe bei euch, wo es auch ist. Ich war zwar auch seither bereit, mit euch bis an das Ende der Welt zu ziehen und bin immer so gesinnt gewesen, aber was macht man ohne Geld? Begreifst du nun wohl? Die Viere, die der Ärmste mit so vieler Not und Sparsamkeit beiseite gelegt hatte, die hat die Gerechtigkeit mitgehen heißen, als sie gekommen ist, aber dafür hat uns der Herr seinen Segen zugeschickt. Nun, sobald er es denn wird möglich gemacht haben, uns wissen zu lassen, ob er noch lebt und wo er ist, und was er für Gesinnungen hat, so komme ich nach Mailand und hole dich ab, ja, und hole dich ab. Ehedem hätte ich mich wohl erst noch einmal bedacht, aber das Unglück macht flink und erfahren; ich bin doch schon bis nach Monza gekommen und weiß, was Reisen ist. Ich nehme einen sicheren Mann mit mir, einen Verwandten, wie etwa den Alessio von Maggianico, denn im Dorfe ist doch eigentlich kein sicherer Mann aufzutreiben; ich komme mit ihm zusammen hin; für die Zehrung sorgen natürlich wir, und dann ... verstehst du wohl?«

Da sie aber wahrnahm, daß Lucia, anstatt sich zu ermutigen, immer betrübter ward und nur eine alles Trostes ledige Zärtlichkeit zu erkennen gab, so brach sie in ihrer Rede ab und sagte: »Aber was ist dir denn? Bist du nicht auch der Meinung?«

»Armes Mütterchen!« rief Lucia aus, indem sie ihr einen Arm um den Hals warf und das weinende Angesicht auf ihre Brust neigte.

»Was hast du?« fragte die Mutter ängstlich von neuem.

»Ich hätte es Euch schon früher sagen sollen,« sagte Lucia, das Gesicht aufrichtend und sich wieder zu fassen suchend, »aber ich habe das Herz nimmermehr dazu finden können; bedauert mich!«

»Aber so sprich doch nur, nun also?«

»Ich kann nicht mehr des Armen Frau werden!«

»Wie? was?«

Mit gesenktem Kopfe, unter schweren Atemzügen, mit weinerlicher Stimme, ohne zu weinen, wie jemand, der etwas erzählt, das, ein wie großes Unglück auch, doch unabänderlich, eröffnete Lucia das Gelübde und rief zugleich, die Hände faltend, von neuem die Vergebung der Mutter an, bis jetzt geschwiegen zu haben, bat sie, von einem solchen Vorfalle mit keiner lebenden Seele zu sprechen und ihr Beistand zu leisten, ihr Mittel und Wege zu erleichtern, was sie versprochen habe zu erfüllen.

Agnes war ganz betäubt und bestürzt. Sie wollte über das Stillschweigen gegen sie böse werden, aber der Gedanke an den Ernst der Sache erstickte den persönlichen Unwillen; sie wollte ihr aus der Tat einen Vorwurf machen, aber es kam ihr vor, als würde sie dadurch mit dem Himmel hadern, und dies zwar um so mehr, als Lucia wiederholt und noch, lebendiger als vorher, jene Nacht, die finstere Trostlosigkeit und die so unverhoffte Rettung schilderte, in deren Zwischenzeit das Versprechen so ausdrücklich, so feierlich abgelegt worden war. Und mittlerweile kam der Zuhörerin auch dies und jenes Beispiel, das sie mehrmals hatte erzählen hören, das sie selbst der Tochter erzählt hatte, von seltsamen und entsetzlichen Züchtigungen in den Sinn, die um der Übertretung irgendeines Gelübdes willen auferlegt worden wären. Nachdem sie dann so eine kleine Welle verblüfft dagestanden, sagte sie: »Und was wirst du denn nun jetzt tun?«

»Jetzt,« antwortete Lucia, »ist es an dem Herrn, dafür zu sorgen, an dem Herrn und an der heiligen Jungfrau. Ich habe mich in ihre Hände gegeben, sie haben mich seither nicht verlassen, sie werden mich auch jetzt nicht verlassen ... Die Gnade, um die ich den Herrn für mich anflehe, die einzige Gnade nächst der für die Seele ist, daß er mich zu Euch zurückführe, und er wird sie mir gewähren, ja, er wird sie mir gewähren. An dem Tage ... in der Kutsche ... Ach, heiligste Jungfrau! ... von den Menschen! ... wer hätte mir da wohl sagen sollen, daß sie mich zu jemand brächten, der mich an den Ort bringen würde, wo ich tags darauf mit Euch zusammenträfe!«

»Aber deiner Mutter nicht gleich davon zu sagen«, sprach Agnes mit einem gewissen von Freundlichkeit und Mitleid gemilderten Groll.

»Bedauert mich; ich hatte nicht das Herz dazu ... und was hätte es geholfen. Euch eine Weile früher zu betrüben?«

»Und Renzo?« fragte Agnes und schüttelte den Kopf.

»Ach!« rief Lucia aus und fuhr plötzlich zusammen; »ich darf nicht mehr an den Armen denken. Gott hat wohl eben nicht bestimmt ... Seht Ihr, ob es nicht so ist, als hätte er uns recht eigens voneinander getrennt halten wollen. Und wer weiß? ... doch nein, nein! Der Herr wird ihn vor Gefahren geschirmt haben und ihn auch besser ohne mich glücklich machen.«

»Unterdessen aber«, hob Agnes wieder an, »hätte ich mit dem Gelde nun doch für alles ein Mittel gefunden, im Fall Renzo kein Unglück betroffen hat, wenn du dich nicht hättest für immer binden müssen.«

»Würde uns denn aber das Geld zugefallen sein,« erwiderte Lucia, »wenn ich jene Nacht nicht zugebracht hätte? ... Es ist der Herr, der gewollt hat, daß alles so zugehe: Sein Wille geschehe!« Und das Wort erstarb ihr in Tränen.

Über diesen unerwarteten Beweisgrund wurde Agnes nachdenklich. Nach einigen Augenblicken hob Lucia, ihr Schluchzen unterdrückend, wieder an: »Jetzt, da das geschehen ist, muß man sich mit willigem Herzen darin finden; und Ihr, meine arme Mutter, Ihr könnt mir beistehen, zuerst, indem Ihr den Herrn für Eure arme Tochter bittet, und dann ... muß ja doch der arme Junge es erfahren. Denkt Ihr daran, erzeigt mir auch diese Liebe. Sobald Ihr erfahrt, wo er ist, laßt ihm schreiben, treibt jemand auf ... Eben Euer Vetter Alessio ist ein kluger, liebreicher Mann und hat uns immer wohlgewollt und wird nichts davon herumtragen; laßt ihn die Sache schreiben, wie sie sich verhält, wo ich mich befunden, wie ich gelitten, und daß Gott es so gewollt habe, und daß er sein Herz zufriedengebe, und daß ich niemals, niemals jemand angehören kann. Und macht ihm die Sache mit guter Art begreiflich, erklärt ihm, daß ich es versprochen, daß ich eben ein Gelübde getan habe ... Wenn er hören wird, daß ich es der Madonna versprochen ... er ist immer rechtschaffen gewesen ... Und Ihr, das erstemal, daß Ihr Nachrichten von ihm bekommt, laßt mir schreiben, laßt mich wissen, daß er gesund ist, und alsdann ... laßt mich nichts weiter hören ...«

Ganz weichherzig, versicherte Agnes der Tochter, daß alles so geschehen solle, wie sie es wünsche.

»Ich möchte Euch noch ein anderes sagen,« hob diese wieder an. »Wenn der Arme nicht das Mißgeschick gehabt hätte, am mich zu denken, so würde ihm das nicht zugestoßen sein, was ihm zugestoßen ist. Er ist in die weite Welt, sie haben ihn von seinem Wege abgebracht, sie haben ihm sein Hab und Gut fortgeschleppt, die paar Sparpfennige, die er, der Arme, zurückgelegt hatte, Ihr wißt ja, warum ... Und wir haben so viel Geld! Ach, Mütterchen! da denn nun der Herr uns so viel Geld beschert hat, und da Ihr ja den Armen in Wahrheit für Euern ... ja, wie einen Sohn ansaht, oh! so teilt mit ihm; denn gewiß, Gott wird uns nicht im Stiche lassen. Sucht eines zuverlässigen Mannes habhaft zu werden und schickt es ihm zu; der Himmel weiß, wie sehr er es nötig haben wird!«

»Ei nun, was glaubst du denn?« antwortete Agnes; »ich werde das ja doch wahrhaftig tun. Der arme Junge! Warum, glaubst du denn, daß ich über das Geld eine solche Freude gehabt? Aber! ... ja, ich kam gewiß recht froh hierher. Genug, ich will es ihm zuschicken; armer Junge! Aber auch er ... ich weiß, was ich sage; ganz gewiß erfreut das Geld den, der es nötig hat; aber an dem hier wird er sich nicht gütlich tun.«

Lucia dankte der Mutter für diese schnelle und freigebige Willfährigkeit mit einer Erkenntlichkeit, mit einer Leidenschaftlichkeit, woraus jemand, der sie beobachtet, wohl hätte abnehmen können, daß ihr Herz noch immer, vielleicht mehr als sie selber glaubte, Renzo zu eigen war.

»Und ohne dich, was soll ich arme Frau da anfangen?« sagte Agnes, nunmehr ihrerseits weinend.

»Und ich ohne Euch, meine arme Mutter? und bei Fremden im Hause? und da unten in dem Mailand ... Aber der Herr wird mit uns allen beiden sein und uns dann auch wieder zusammenführen. In acht oder neun Monaten sehen wir einander hier wieder, und bis dahin und noch vorher hoffe ich, wird er alles zu unserem Troste geschlichtet haben. Lassen wir ihn handeln. Ich werde immer und immer wieder die Madonna um diese Gnade bitten. Wenn ich noch etwas anderes hätte, so würde ich es ihr darbringen; aber sie ist so erbarmensreich, daß sie es mir als ein Geschenk zugestehen wird.«

Mit diesen und anderen ähnlichen und vielmal wiederholten Worten der Klage und des Trostes, der Reue und Ergebung, der Anmahnung und Zusicherung zu schweigen und unter vielen Tränen, nach langen und erneuten Umarmungen, trennten sich die Frauen, indem sie sich wechselweise versprachen, sich spätestens kommenden Herbst wiederzusehen, als ob das Gewähren von ihnen abgehangen hätte.

Inzwischen begann eine lange Zeit hinzugehen, ohne daß Agnes irgend etwas von Renzo erfahren konnte. Briefe und Botschaften von seiner Seite trafen nicht ein; von allen Leuten aus dem Dorfe oder der Umgegend, die sie nach ihm fragen konnte, wußte keiner mehr als sie.

Auch war sie nicht die einzige, die solcherlei Nachforschungen vergeblich anstellte; der Kardinal Federigo, der den armen Frauen nicht bloß aus Höflichkeit gesagt hatte, er wolle Erkundigungen nach dem armen Jungen einziehen, hatte in der Tat gleich darum geschrieben. Von seinem Umzuge darauf nach Mailand zurückgekehrt, hatte er eine Antwort erhalten, worin man ihm sagte, daß man über den Vermissten keine Nachweisungen erteilen könne; er habe sich allerdings in dem und dem Dorfe eine Weile aufgehalten, wo man ihm nichts Übles nachzusagen wisse; aber eines Morgens sei er ganz unversehens daraus verschwunden; ein Verwandter von ihm, der ihn Hierselbst beherbergt, wisse nicht, was aus ihm geworden sei, und könne nur gewisse unzuverlässige und widersprechende Gerüchte wiederholen, die umliefen: daß der Jüngling sich nach der Levante habe anwerben lassen, daß er nach Deutschland gegangen, daß er beim Durchwaten eines Flusses umgekommen sei; man werde jedoch nicht ermangeln aufzupassen, um, wenn jemals etwas besser Begründetes über ihn verlauten sollte, es Sr. hochwürdigen Gnaden unverzüglich mitzuteilen.

Späterhin verbreiteten diese und andere Gerüchte sich auch in dem Gebiete von Lecco und kamen folglich auch Agnes zu Ohren. Die arme Frau tat ihr möglichstes, um zu ermitteln, was die Wahrheit wäre, dieser und jener Sage auf den Grund zu kommen; aber es gelang ihr nimmer mehr als jenes »es heißt« herauszukriegen, das noch bis auf den heutigen Tag an und für sich hinreichte so viele Dinge zu beglaubigen. Kaum hatte einer ihr etwas erzählt, so kam ein anderer und sagte, es sei ganz und gar nicht wahr; wenn auch nur, um ihr zum Ersatze dafür etwa anderes gleich Seltsames und Ungünstiges weiszumachen. Alles miteinander eitles Geschwätz; tatsächlich war folgendes:

Der Statthalter von Mailand und Generalkapitän in Italien Don Gonzalo Fernandez de Cordova hatte gegen den venetianischen Herrn Residenten in Mailand eine starke Beschwerde erhoben, daß ein Schurke, ein Straßenräuber, ein Aufwiegler zu Mord und Plünderung, der berüchtigte Lorenzo Tramaglino, der sogar noch in den Händen der Gerechtigkeit einen Aufruhr angezettelt, um mit Gewalt zu entkommen, auf bergamasker Gebiet Aufnahme und Zuflucht gefunden. Der Resident hatte entgegnet, er wüßte von nichts, würde nach Venedig schreiben, um Sr. Exzellenz die gehörige Auskunft geben zu können.

In Venedig begünstigte man die Neigung der Mailänder Seidenspinner, in das Bergamaskische überzusiedeln und gewährte ihnen viele Vorteile, vor allen den, ohne welchen jeder andere nichts ist: Sicherheit. Gleichwie denn nun aber zwischen zwei erzürnten Streitenden der dritte immer etwas wie wenig es auch sei, gewinnen muß; also wurde Bortolo im Vertrauen, man weiß nicht von wem, hinterbracht, daß es für Renzo in dem Dorfe nicht geheuer sei, und daß er weise handeln würde, sich in irgendeine andere Fabrik zu begeben und auch für einige Zeit einen anderen Namen anzunehmen.

Bortolo merkte, was es geschlagen hatte, hielt sich nicht damit auf, Einwendungen zu machen, eröffnete die Sache dem Vetter, nahm ihn mit sich in eine leichte Kalesche, fuhr ihn nach einer anderen neuen Spinnmühle, die etwa fünfzehn Miglien von dieser entfernt war, und stellte ihn unter dem Namen Antonio Rivolta dem Spinnherrn vor, der ebenfalls aus dem Mailänder Staate gebürtig und sein alter Bekannter war.

Wie karg nun just auch die Zeiten waren, so ließ sich dieser doch nicht nötigen, einen Arbeiter anzunehmen, der ihm als rechtschaffen und tüchtig von einem verständigen ehrenwerten Manne empfohlen ward. Auch hatte er sodann bei der Prüfung nur Ursache, mit seiner Erwerbung zufrieden zu sein; außer daß es ihm anfänglich geschienen hatte, der Jüngling müsse von Natur ein wenig gedankenlos sein, weil er, wenn man Antonio! rief, die meisten Male nicht antwortete.

Bald nachher erging von Venedig aus in gemessenem Stile an den Stadthauptmann von Bergamo der Befehl, Erkundigung einzuziehen und Auskunft zu geben, ob in seinem Gerichtsbezirke und insonderheit in dem und dem Dorfe der und der Genosse sich befände. Der Stadthauptmann tat seine Schuldigkeit in der Art und Weise, wie es gefordert werde und stellte eine verneinende Antwort aus, die dem Residenten in Mailand zugefertigt wurde, der sie wieder dem Don Gonzalo Fernandez de Cordova zufertigte.

Es fehlte hiernächst nicht an Neugierigen, die von Bortolo wissen wollten, weshalb der junge Bursche nicht mehr da und wo et hingekommen sei. Auf die erste Nachfrage versetzte dieser: »Ja! er ist verschwunden.« Und um die Hartnäckigeren zufriedenzustellen, ohne sie hinter den Sachverhalt kommen zu lassen, war er darauf verfallen, sie, den einen mit der, den anderen mit jener der von uns oben erwähnten Nachrichten abzuspeisen, wenngleich er sie nur für unsichere Gerüchte ausgab, die auch er bloß vom Hörensagen, ohne alle weitere Bestätigung wisse.

Sobald dann aber die Anfrage im Auftrage des Kardinals, ohne daß man diesen nannte, und mit einem gewissen wichtigen und geheimnisvollen Wesen an ihn erging, indem zu verstehen gegeben wurde, sie geschähe im Namen einer hohen Person, war Bortolo um so ängstlicher auf seiner Hut und erachtete es für um so nötiger, das bei seinen Antworten seither beobachtete Verfahren beizubehalten; ja, da es sich um eine hohe Person handelte, so gab er die Nachrichten, die er sich eine nach der anderen bei jenen verschiedenen Veranlassungen ausgesonnen hatte, alle auf einmal ab.

Man glaube jedoch nicht, daß ein solcher Herr wie Don Gonzalo es wirklich im Ernste auf den armen Seidenspinner aus dem Gebirge gemünzt hätte; daß er, vielleicht von der Unehrerbietigkeit, die derselbe seinem am Halse geketteten Mohrenkönige erwiesen, und von den bösen Worten unterrichtet, die er geäußert, seine Rache habe nehmen wollen; oder daß er ihn für einen so gefährlichen Menschen gehalten, der auch als Flüchtling noch zu verfolgen und sogar in der Ferne lebend nicht zu dulden wäre, so wie der römische Senat mit Hannibal verfahren.

Don Gonzalo hatte gar zu viele und gar zu große Dinge im Kopfe, um wegen Renzos Angelegenheiten Streit anzufangen, und wenn er es dennoch zu tun schien, so kam dies von einem seltsamen Zusammentreffen von Umständen her, demzufolge der arme Schlucker, ohne es zu wollen und ohne es weder damals noch jemals zu wissen, durch einen äußerst feinen und unsichtbaren Faden mit jenen gar zu vielen und gar zu großen Dingen sich verknüpft fand.


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