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Neunundzwanzigstes Kapitel

Hier treffen wir unter den armen in Schrecken Gejagten Personen von unserer Bekanntschaft.

Wer nicht Don Abbondio an dem Tage gesehen hat, da, alle auf einmal, die Nachrichten von der Herabkunft des Heeres, von seinem Herannahen und seiner Aufführung sich verbreiteten, der weiß nicht, was Schrecken und Verwirrung ist. Sie kommen; es sind dreißig-, es sind vierzig-, es sind fünfzigtausend; es sind Teufel, es sind Arianer, es sind Antichristen; sie haben Cortenuova geplündert; sie haben Primaluna angesteckt; sie verheeren Introbbio, Pasturo, Barsio; man hat sie in Balabbio gesehen; morgen sind sie hier; dies waren die Gerüchte, die von Mund zu Mund gingen, und dabei gab es ein Gelaufe, ein beiderseitiges Stehenbleiben, ein geräuschvolles Beratschlagen, ein Geschwanke zwischen Fliehen und Verweilen, ein Zusammenlaufen der Weiber, ein Gewühle mit den Händen in den Haaren. Don Abbondio, vor allen anderen und mehr als jeder andere entschlossen zu fliehen, sah in jeder Art von Flucht, an jedem Zufluchtsorte unübersteigliche Hindernisse und entsetzliche Gefahren. »Wie soll ich es anfangen?« rief er aus; »wohin soll ich gehen?« In den Bergen, abgesehen von der Schwierigkeit des Weges, war es nicht sicher, es hatte schon verlautet, daß die Lanzknechte darin wie Katzen herumkletterten, an Stellen, wo sie kaum ein Anzeichen von Beute oder Hoffnung hatten, welche zu machen. Der See ging hoch; es blies ein heftiger Wind, überdies waren die meisten Barkenführer, in der Besorgnis gezwungen zu werden, Soldaten oder Gepäck zu fahren, mit ihren Barken an das andere Ufer geflohen, einige wenige, die geblieben, waren schon, mit Menschen überladen, abgestoßen, und man sagte, daß sie, mit dem Sturme und der Last arbeitend, jeden Augenblick die größte Gefahr liefen. Um sich weit zu entfernen oder abseits der Straße zu begeben, die das Heer entlang zog, war es unmöglich, weder eine Kalesche, noch ein Pferd, noch irgendein anderes Fortschaffungsmittel aufzutreiben, zu Fuße hätte Don Abbondio keinen allzu großen Weg zurücklegen können, und fürchtete er auch, unterwegs eingeholt zu werden. Die bergamaskische Grenze war nicht so fern, daß seine Beine ihn nicht hätten etwa in einem Marsche dahintragen sollen; aber es war schon davon die Rede, daß von Bergamo schleunigst eine Schwadron Cappelletti abgesandt worden, die Grenze zu umschwärmen, um die Landsknechte abzuhalten, und das waren nicht mehr und nicht weniger als diese eingefleischte Teufel und trieben es auch ihrerseits so arg sie es konnten. Der arme Mann lief, die Augen rollend und halb unsinnig, durch das Haus und folgte Perpetua nach, um einen Entschluß mit ihr zu verabreden; Perpetua aber, geschäftig, den besten Hausrat zusammenzuraffen und auf den Boden, in Schlupfwinkeln zu verstecken, hatte den Kopf und Hände und Arme voll und strich eilig und bekümmert vorüber, indem sie antwortete: »Ich werde gleich fertig sein und die Sachen in Sicherheit gebracht haben, und alsdann nehmen wir auch vor, was die andere» vornehmen.«

Don Abbondio wollte sie zurückhalten und die verschiedenen Rettungswege mit ihr bereden; aber bei der Geschäftigkeit und der Hast und dem Schrecken, die ihr in die Glieder gefahren waren, und bei der Wut, die ihr die Angst des Hausherrn erregte, war unter solchen Umständen noch weniger als jemals mit ihr anzufangen. »Die anderen zerbrechen sich den Kopf, wir werden ihn uns auch zerbrechen. Mit Gunst: aber das ist zu nichts gut, als daß Sie mich aufhalten. Meinen Sie denn, daß die anderen ihre Haut nicht auch in Sicherheit zu bringen haben? Daß die Soldaten gerade kommen, um Sie mit Krieg zu überziehen? Sie könnten in den Augenblicken wohl auch mit Hand anlegen, anstatt sich einem vor den Füßen herumzutreiben und zu weinen und einem im Wege zu sein.«

Mit diesen und ähnlichen Antworten machte sie sich von ihm los, indem sie sich schon vorgesetzt hatte, sobald sie ihre stürmische Verrichtung bestmöglichst zustande gebracht, ihn wie einen Knaben beim Arme zu nehmen und mit sich auf einen Berg hinaufzuschleppen.

Somit alleingelassen, machte er sich ans Fenster, schaute aus, horchte oder schrie, wenn er jemand vorüberkommen sah, mit halb weinerlicher, halb vorwurfsvoller Stimme: »Habt doch mit euerm armen Pfarrer Erbarmen und schafft ihm irgendein Pferd oder ein Maultier oder einen Esel herbei. Ist es möglich, daß kein Mensch mir beistehen will! Ach, was für Leute! so erwartet mich wenigstens, daß ich auch mit euch gehen kann; erwartet, bis eurer fünfzehn oder zwanzig beisammen sind, und bringt mich dann miteinander fort, daß ich nicht verlassen bin. Wollt ihr mich in den Händen der Hunde lassen? Wißt ihr nicht, daß es meistenteils Lutheraner sind, die es für ein verdienstliches Werk halten, einen Priester zu ermorden? Wollt ihr mich hier dem Märtyrertode preisgeben? Ach, was für Leute! Ach, was für Leute!«

Aber wem sagte er diese Dinge? Menschen, die unter der Last ihrer armen Habe gebeugt und mit dem Gedanken an die, welche sie der Plünderung preisgegeben zu Hause ließen, vorüberkamen, indem der seine junge Kuh vor sich hintrieb, jener seine Kinder hinter sich dreinzog, die auch so viel auf sich geladen hatten als sie vermochten, und die Frau diejenigen auf dem Arme trug, die nicht laufen konnten. Einige eilten ihres Weges ohne zu antworten, noch irgend aufzusehen; ein anderer sagte wohl: »Ei, Herr! helfen Sie sich doch auch so gut Sie können; Sie sind glücklich, daß Sie für keine Familie zu sorgen haben; halten Sie sich dazu, machen Sie fort.«

»Oh, weh mir Armen!« rief Don Abbondio aus; »ach, was für Leute! was für Herzen! Es gibt kein Erbarmen; jeder denkt an sich, und an mich will keiner denken.« Und er suchte wieder Perpetua auf.

»Nun wär' ich fertig!« sagte diese zu ihm. »Und das Geld?«

»Was machen wir damit?«

»Geben Sie es her; ich will es hier im Garten am Hause mit den Gedecken vergraben.«

»Aber ...«

»Aber, aber; geben Sie her; stecken Sie für alle Fälle etwas zu sich, und dann lassen Sie mich machen.«

Don Abbondio gehorchte, ging zu seinem Kasten, langte seinen kleinen Schatz heraus und übergab ihn Perpetua; diese sagte: »Ich gehe und verscharre ihn im Garten unter dem Feigenbaume,« und ging fort. Sie erschien bald nachher mit einem Handkorbe wieder, worin einiger Mundvorrat, und mit einem kleinen leeren Tragkorbe und schickte sich geschwind an, ein wenig Wäsche für sich und ihren Herrn hineinzutun, indem sie dazu sagte: »Das Brevier wenigstens müssen Sie tragen.«

»Aber wo gehen wir hin?«

»Wo gehen alle anderen hin? Vorderhand machen wir uns auf den Weg, und da werden wir ja schon hören und sehen, was zu tun ist.«

Indem trat Agnes, ebenfalls mit einem kleinen Tragkorbe auf dem Rücken und mit einer Miene ein, wie jemand, der einen wichtigen Vorschlag zu tun kommt.

Entschlossen, Gäste dieser Art nicht so allein im Hause und mit dem Rest des Geldes von dem Ungenannten zu erwarten, war Agnes eine Weile unschlüssig gewesen, wohin sie sich flüchten solle. Eben die Überbleibsel jener Scudi, die ihr in den Monaten der Hungersnot so viel geholfen hatten, waren die Hauptursache ihrer Angst und Unentschlossenheit, weil sie gehört, wie, in den schon überzogenen Ortschaften, diejenigen, die etwas hatten, in einer viel schrecklicheren Lage als jeder andere gewesen, weil sie zugleich der Gewalttätigkeit der Fremden wie der Tücke der Einheimischen ausgesetzt waren. Es war schon wahr, daß sie von dem Gute, das ihr sozusagen in den Schoß gefallen, niemand, außer Don Abbondio, etwas vertraut hatte, zu dem sie ein jedesmal ging, um einen Scudo nach dem anderen in kleine Münze umzusetzen und dem sie dann immer etwas davon zurückließ, das er jemand geben solle, der ärmer als sie wäre. Aber verborgenes Geld erhält den Besitzer, besonders wenn er nicht gewöhnt ist, viel davon unter sich zu haben, im beständigen Argwohne gegen den Argwohn anderer. Derweil sie nunmehr auch ihrerseits was sie nicht mitnehmen konnte bestmöglichst hier- und dorthin versteckte und der Scudi gedachte, die sie in das Schnürleib eingenäht trug, fiel ihr ein, daß zugleich mit denselben der Ungenannte ihr die freundlichsten Dienstanerbietungen zugesandt hatte; sie erinnerte sich dessen, was sie von seiner Feste erzählen gehört, die an einem so sicheren Orte liege, und wohin ohne den Willen des Gebieters nur allein die Vögel gelangen könnten, und nahm sich vor, dahin zu wandern und um eine Freistätte zu bitten. Sie dachte daran, wie sie sich jenem Herrn zu erkennen geben könnte, und da kam ihr gleich Don Abbondio in den Sinn, der ihr, nach jenem bewußten Zwiegespräch mit dem Erzbischof, immer ganz besonderes Wohlwollen bezeigt hatte, was ihm um so mehr von Herzen ging, als er es tun konnte, ohne damit irgend wem Trotz zu bieten und als auch, da die beiden jungen Leute entfernt waren, gewiß nicht der Fall eintrat, daß man etwa ein Verlangen an ihn richtete, das jenes Wohlwollen auf eine harte Probe gestellt haben würde. Sie nahm an, daß in einem solchen Aufruhr der arme Mann noch weit bestürzter und verwirrter sein müßte als sie, und daß der Ausweg wohl auch ihn sehr gut bedünken möchte, und kam also, ihm den Vorschlag zu tun. Da sie ihn bei Perpetua antraf, so richtete sie ihre Worte an alle beide.

»Was meint Ihr dazu, Perpetua?« fragte Don Abbondio.

»Ich meine, daß das eine Eingebung des Himmels ist, und daß man keine Zeit verlieren und sich hurtig auf den Weg machen muß.«

»Und dann ...«

»Und dann, und dann, wenn wir erst da sind, werden wir froh sein. Man weiß ja jetzt von dem Herrn, daß er nichts anderes will als seinen Nächsten dienen, und er wird sich freuen, uns bei sich aufzunehmen. Dort an die Grenze und so auf die Höhe werden zuversichtlich keine Soldaten hinkommen. Und dann, und dann finden wir doch auch was zu essen da; denn in den Bergen drin, wenn das bißchen Gottesgabe alle wäre« – und indem sie dies sagte, legte sie es in den Tragkorb auf das Weißzeug – »würden wir uns übel befunden haben.«

»Bekehrt, er ist also wirklich bekehrt; ei!«

»Wäre denn daran wohl noch zu zweifeln nach alledem, was man weiß, nach dem, was auch Sie gesehen haben?«

»Und wenn wir uns nun selber in den Käfig steckten?«

»Ei was, Käfig? Mit Ihrem Gerede da, halten Sie mir es zu gut, kämen wir nun und nimmermehr zur Sache. Brave Agnes, Ihr habt wahrhaftig einen guten Gedanken gehabt.« Und indem sie den Korb auf einen Tisch setzte, fuhr sie mit den Armen in die Gurte und nahm ihn sich auf den Rücken.

»Könnte man denn nicht,« sagte Don Abbondio, »irgendeinen Mann auffinden, der mit uns käme, um seinem Pfarrer das Geleite zu geben? Falls wir nun solchem Landstreicher begegnen sollten, wie sich deren leider genug umhertreiben, von welcher Hilfe könntet Ihr mir da wohl sein?«

»Wieder was Neues, damit wir die Zeit verlieren!« brach Perpetua los. »Geh einer einmal und such jetzt solchen Mann, wo ein jeder für sich selbst zu sorgen hat. Auf, nehmen Sie Ihr Brevier und Ihren Hut und kommen Sie.«

Don Abbondio ging, kehrte sogleich mit dem Brevier unterm Arm, dem Hut auf dem Kopfe und seinem Wanderstab in der Hand wieder, und sie gingen alle drei zu einem Pförtchen hinaus, das nach dem Kirchhof führte. Perpetua verschloß es wieder, mehr um eine Förmlichkeit nicht zu unterlassen, als etwa aus Zutrauen, das sie in dieses Schloß und in diese Tür gesetzt hätte, und steckte den Schlüssel in die Tasche. Don Abbondio warf im Vorbeigehen einen Blick auf die Kirche und sagte zwischen den Zähnen: »Der Gemeinde kommt es zu, sie zu bewachen, denn sie dient ihr. Wenn ihr ihre Kirche ein wenig am Herzen liegt, so wird sie daran denken; macht sie sich hingegen nichts daraus, so mag es denn so sein.«

Sie schlugen in aller Stille den Weg durch die Felder ein, ein jeder auf seine Angelegenheiten bedacht, und blickten, besonders Don Abbondio, ringsumher, ob irgendeine verdächtige Gestalt, irgendwas Unheimliches erschiene. Sie begegneten niemand; die Leute waren entweder in den Häusern, um sie zu hüten, um ihr Bündel zu schnüren, um etwas beiseitezuschaffen, oder auf den Wegen, die geradeswegs nach dem Hochlande führten.

Nachdem er zu wiederholten Malen geseufzt und sich dann in einigen Ausrufungen Luft gemacht hatte, hob Don Abbondio an, mehr in einem Zuge fortzubrummen. Er band mit dem Herzog von Revers an, der doch hätte in Frankreich bleiben und sich's wohl sein lassen und ein Fürstenleben führen können und nun aller Welt zum Trotz Herzog von Mantua sein wollte; mit dem Kaiser, der wohl für die anderen Narren hätte Verstand haben, den Dingen ihren natürlichen Lauf lassen, nicht alles so genau nehmen sollen; er wäre ja doch am Ende immerdar Kaiser geblieben, hätte nun mögen Hinz oder Kunz Herzog von Mantua sein. Vor allem kam er mit dem Statthalter zusammen, dessen Sache es vielmehr gewesen wäre, alles zu tun, um die Geißel vom Lande abzuhalten, und der sie ihm dagegen gerade zugezogen hätte; alles bloß der Lust am Kriege willen. »Sie sollten nur einmal hier sein,« sagte er, »die Herren, und zusehen und versuchen, was es für ein Spaß ist. Sie haben eine schwere Rechenschaft abzulegen! Aber unterdessen muß es der Unschuldige ausbaden.«

»Hören Sie doch nur einmal von den Leuten auf; denn von denen haben wir keine Hilfe zu erwarten,« sagte Perpetua. »Das sind nun, nehmen Sie mir's nicht übel, so Ihre gewöhnlichen Geschichten, bei denen nichts herauskommt. Was mir dagegen im Kopfe herumgeht ...«

»Was ist denn das?«

Perpetua, die auf der zurückgelegten Strecke Weges gemächlicher bei sich durchgegangen war, wie sie in der Geschwindigkeit sich ihre Verstecke ausgesucht, fing nun an, sich zu beklagen, daß sie dies vergessen, jenes schlecht verwahrt, hier eine Spur hinterlassen habe, die die Räuber leiten könne, dort ...

»Vortrefflich!« sagte Don Abbondio, der von der Furcht für sein Leben sich allmählich genugsam erholte, um sich wegen seiner Habe zu ängstigen: »Vortrefflich! So habt Ihr es also gemacht? Wo hattet Ihr denn Euren Kopf?«

»Wie?« rief Perpetua und blieb einen Augenblick stehen, indem sie die geballten Hände in die Seiten stemmte, soweit ihr der Korb es gestattete. »Was! Sie wollen nun kommen und mir solche Vorwürfe machen, da Sie es doch waren, der mir den Kopf verdrehte, anstatt daß Sie mir hätten beistehen und Mut einsprechen sollen? Ich habe vielleicht mehr für das Haus gesorgt, als für meine eigenen Sachen; ich habe niemand gehabt, der mir eine Hand gereicht hätte. Ich habe soviel wie Martha und wie Magdalena schaffen müssen; wenn etwas schlecht abläuft, weiß ich nichts dazu zu sagen; ich habe noch mehr als meine Schuldigkeit getan.«

Agnes unterbrach diese Zwistigkeiten, indem sie gleichfalls auf ihr Unglück zu sprechen kam, und zwar klagte sie nicht so sehr über die Mühseligkeiten und den Schaden als über die verlorene Hoffnung, bald wieder ihre Lucia zu umarmen; denn wenn man sich erinnert, es war eben der Herbst, auf den sie ihre Rechnung gemacht hatten, und es ließ sich nicht im mindesten annehmen, daß Donna Prassede unter solchen Umständen würde zur Landlust in tiefe Gegend kommen wollen; vielmehr würde sie abgereist sein, wenn sie sich dort befunden hätte; wie alle anderen taten, die auf Landgütern verweilten.

Der Anblick der Gegend regte Agnes noch stärker auf und machte ihre Sehnsucht heftiger. Sie waren von den Feldwegen auf die nämliche Landstraße gelangt, auf der die arme Frau ihre Tochter auf so kurze Zeit nach Hause zurückgebracht, nachdem sie mit ihr bei dem Schneider verweilt hatte. Und schon erblickte man das Dorf.

»Wir bieten doch den braven Leuten einen Gruß«, sagte Agnes.

»Und ruhen ein wenig aus; denn ich fange an, an dem Korbe genug zu haben, und dann müssen wir eben auch einen Bissen essen«, sagte Perpetua.

»Unter der Bedingung, daß wir keine Zeit verlieren; denn wir sind wahrlich nicht zur Kurzweil auf der Reise«, schloß Don Abbondio.

Sie wurden mit offenen Armen empfangen und mit großen Freuden gesehen; sie erinnerten ja an ein gutes Werk. »Tut wohl, so vielen ihr nur könnt,« sagt hier unser Autor, »und es wird euch ebensooft geschehen, daß ihr Gesichter antrefft, die euch Freude machen.«

Indem Agnes die gute Frau umarmte, brach sie in ein übermäßiges Weinen aus, das ihr einen großen Trost gewährte, und beantwortete mit Schluchzen die Fragen, die jene und ihr Mann nach Lucia taten.

»Es geht ihr besser als uns,« sagte Don Abbondio; »sie ist in Mailand, außer Gefahr, fern von den Teufeleien.«

»Sie machen sich davon, he! der Herr Pfarrer und die Begleitung?« sagte der Schneider.

»Jawohl«, erwiderten einstimmig Herr und Magd.

»Ich bedauere Sie.«

»Wir sind unterwegs nach dem Kastell von ***«, sagte Don Abbondio.

»Das haben Sie sich wohl ausgedacht: sicher wie im Paradiese.«

»Und hier fürchtet man sich nicht?« sprach Don Abbondio.

»Lassen Sie sich sagen, Herr Pfarrer: so recht eigentlich, um hier zu hausen, wie Sie wissen, daß man sich ausdrückt, dürften sie nun wohl nicht herkommen; wir liegen ihnen, dem Himmel sei es gedankt, zu weit von ihrer Straße ab. Höchstens, höchstens auf einen kleinen Abstecher, was Gott nicht wolle; aber jedenfalls hat es damit Zeit, man wird doch vorerst weitere Nachrichten aus den armen Dörfern hören, wo sie ihr Wesen treiben.«

Man beschloß, hier ein wenig zu verweilen um zu verschnaufen, und da es Zeit zum Mittagessen war, so sagte der Schneider: »Die Herrschaften müssen meinen armen Tisch beehren, so gut Sie es finden, eine Schüssel und ein freundliches Gesicht.«

Perpetua sagte, sie habe etwas wider den Hunger mitgebracht. Nach einigen wechselseitigen Umständen kam man überein, alles zusammenzutun und eine gemeinschaftliche Mahlzeit zu halten.

Die Kinder hatten mit großem Jubel ihre alte Freundin Agnes umringt. Hurtig, hurtig hieß der Schneider ein kleines Mädchen – das nämliche, das von jener Gottesgabe der Witwe Maria etwas gebracht hatte: wer weiß, ob man sich noch daran erinnert! – ein paar frühreife Kastanien, die in einem Winkel lagen, aus der grünen Schale losmachen und rösten.

»Und du,« sagte er zu einem Jungen, »geh in den Garten und schüttle den Pfirsichbaum, daß was abfällt, und bring es her, alles, geh. Und du,« sagte er zu einem anderen, »steig auf den Feigenbaum und brich einige von den reifsten ab. Ihr versteht euch ja schon nur allzuwohl darauf.«

Er ging und zapfte ein Fäßchen an, und die Frau holte Tischzeug; Perpetua langte die Mundvorräte heraus; der Tisch ward gedeckt: ein grobes Tischtuch und ein Teller von Faenzergeschirr auf den Ehrenplatz für Don Abbondio, mit einem Bestecke, das Perpetua im Korbe hatte; es wurde angerichtet; man setzte sich und aß; wo nicht eben mit großer Fröhlichkeit, so doch mit weit mehr, als irgendeiner von den Tischgenossen erwartet hatte, an diesem Tage zu erleben.

»Nun, Herr Pfarrer,« sprach der Schneider, »was sagen Sie denn zu einem solchen Wirrwarr. Es ist mir, als läse ich die Geschichte der Mohren in Frankreich.«

»Was soll ich dazu sagen? Daß ich auch das noch erleben mußte!«

»Sie haben sich aber doch eine gute Zuflucht ausgesucht,« hob jener wieder an: »Wer könnte wohl mit Gewalt da hinaufkommen? Und Sie werden Gesellschaft vorfinden: denn es hat schon verlautet, daß viele Leute hingeflüchtet sind, und daß ihrer täglich mehr ankommen.«

»Ich will hoffen,« sagte Don Abbondio, »daß wir gut empfangen werden. Ich kenne den wackeren Herrn, und als ich schon einmal die Ehre hatte, bei ihm zu sein, war er gar höflich!«

»Und mir,« sagte Agnes, »mir hat er durch den hochwürdigen Herrn sagen lassen, daß, wenn ich in irgendeiner Sache sein bedürfte, ich nur zu ihm kommen möchte.«

»Eine herrliche, schöne Bekehrung!« rief Don Abbondio aus: »Und er hält Stich, nicht wahr? er hält Stich.«

Der Schneider ließ sich umständlich über das heilige Leben des Ungenannten, und wie er, nachdem er eine Geißel der Umgegend gewesen, ein Vorbild und der Wohltäter derselben geworden sei, vernehmen.

»Und alle die Leute, die er bei sich hatte ... die Dienerschaft ...« begann Don Abbondio wieder, der zwar mehr als einmal davon reden gehört hatte, aber noch immer nicht seiner Sache sicher genug war.

»Die meisten sind fortgejagt worden,« antwortete der Schneider, »und die geblieben sind, haben ihr Leben und auf was für eine Weise geändert! Kurz und gut, die Feste ist zur thebanischen Wüste geworden: Sie wissen ja von den Geschichten.«

Darauf begann er sich mit Agnes an den Besuch des Kardinals zu erinnern. »Ein großer Mann!« sagte er, »ein großer Mann! Schade nur, daß er so eilig hier durchgekommen ist, daß ich ihm nicht ein bißchen Ehre angetan und habe antun können. Wie gern spräche ich ihn doch einmal wieder, und mit etwas mehr Bequemlichkeit.«

Als sie dann vom Tische aufgestanden waren, machte er sie auf ein gedrucktes Bildnis des Kardinals aufmerksam, das er aus Verehrung vor dessen Person an einer Ausgangstür aufgehangen hatte, und auch um jedermann, der zu ihm käme, sagen zu können: das Bild sehe ihm nicht ähnlich; denn er habe den Kardinal ganz in der Nähe und mit Gemächlichkeit hier in eben dem Zimmer beobachten können.

»Das Ding da soll ihn vorstellen?« sagte Agnes. »In den Kleidern ist es ihm ähnlich, aber ...«

»Nicht wahr, es sieht ihm gar nicht gleich?« meinte der Schneider. »Ich sage es auch immer; aber wenn dem auch nicht anders ist, so steht doch sein Name darunter: es ist ein Angedenken.«

Don Abbondio trieb zur Eile an; der Schneider erbot sich, eine Barutsche herbeizuschaffen, die sie bis zum Fuß der Höhe brächte, ging sogleich danach aus und kehrte bald mit der Nachricht wieder, daß sie käme. Er wendete sich alsdann zu Don Abbondio und sagte ihm: »Herr Pfarrer, wenn Sie vielleicht ein Buch mit da hinaufnehmen möchten, um die Zeit zu vertreiben, so kann ich Ihnen damit dienen, so gut ein armer Mann es imstande ist, denn ich gebe mich auch gern ein wenig mit Lesen ab. Keine Sachen Ihrer Art, Bücher in der Muttersprache; aber doch ...«

»Danke, danke,« versetzte Don Abbondio: »Unter solchen Umständen reicht man mit seinem bißchen Verstande kaum zur Notdurft aus.«

Während Danksagungen vorgebracht und abgelehnt, Beileidsbezeigungen und Glückwünsche, Einladungen und Versprechungen, einen abermaligen Aufenthalt bei der Rückkehr zu nehmen, gegenseitig ausgetauscht werden, langt die Barutsche vor der Haustür an. Sie packen die Körbe auf, steigen ein und unternehmen, mit ein klein wenig mehr Behaglichkeit und Seelenruhe, die zweite Hälfte ihrer Reise.

Der Schneider hatte Don Abbondio in betreff der Ungenannten die Wahrheit gesagt. Von dem Tage an, wo wir ihn verlassen haben, hatte er unaufhörlich das getan, was er sich damals vorgesetzt: Schäden vergütet, Frieden gestiftet, den Armen beigestanden, alles Gute getan, wozu sich ihm die Gelegenheit darbot. Den Mut, den er ehedem bewiesen hatte, indem er angriff und sich verteidigte, bewies er jetzt, indem er weder das eine noch das andere tat. Er hatte alle Waffen abgelegt und ging immer allein, bereit, die möglichen Folgen so viel begangener Gewalttätigkeiten auszustehen und überzeugt, daß er eine neue begehen würde, wenn er Gewalt brauchte, um ein Haupt zu verteidigen, das so vielen mit so vielem verschuldet wäre; überzeugt, daß alles Böse, was man ihm antäte, zwar in betreff Gottes eine Beleidigung, aber in dem, was ihn beträfe, eine gerechte Wiedervergeltung sein würde, und daß es ihm weniger als jedem anderen zustände, die Beleidigung zu bestrafen. Bei alledem war er nicht minder unangefochten geblieben, als zu der Zeit, wo er so viele Arme zu seiner Sicherheit bewaffnet gehabt. Die Erinnerung an die alte Wildheit, und der Anblick der gegenwärtigen Sanftmut vereinigten sich, ihm eine Bewunderung zuzuziehen und zu bewahren, die ihm ganz vorzüglich zur Schutzwache diente. Es war der Mann, den niemand hatte demütigen können, und der sich selbst gedemütigt hatte. Der ehemals durch seinen verachtenden Hohn und durch anderer Furcht erregte Groll verging jetzt vor dieser neuen Demut: die Beleidigten hatten wider alle Erwartung und ohne Gefahr eine Genugtuung erhalten, die sie sich nicht von der allerglücklichsten Rache hätten versprechen können, die Genugtuung, einen solchen Mann sein Unrecht bereuen und gewissermaßen ihre Entrüstung teilen zu sehen. Mehr als einer, dessen bitterster und innigster Verdruß es viele Jahre lang gewesen war, daß er keine Wahrscheinlichkeit vor sich sah, sich jemals stärker als jener zu befinden, um ihm irgendein großes Unrecht zu vergelten, hatte dann, wenn er ihm allein, wehrlos und in der Haltung eines Menschen begegnete, der keinen Widerstand leisten würde, keine andere Regung in sich empfunden, als ihm Ehre zu erweisen. In dieser freiwilligen Erniedrigung hatte seine Persönlichkeit und sein Betragen ihm, ohne daß er es wußte, ich weiß nicht welche Hoheit und welchen höheren Adel verliehen, weil sich daraus noch deutlicher als vorher das Fernsein von aller Furcht ergab. Auch der roheste und hartnäckigste Haß fühlte sich von der allgemeinen Verehrung des bußfertigen, wohltätigen Mannes wie gebunden und im Zaume gehalten. Dieselbe war so groß, daß er sich oftmals verlegen fühlte, wie er sich vor den Bezeugungen derselben retten sollte, und daß er Sorge tragen mußte, in seinem Antlitz und in seinen Gebärden seine innerliche Zerknirschung nicht allzusehr durchscheinen zu lassen und sich nicht allzusehr zu erniedrigen, um nicht allzusehr erhöht zu werden. Er hatte sich in der Kirche den untersten Platz ausersehen, und niemand würde sich unterfangen haben, ihm denselben vorwegzunehmen; es wäre nichts anderes als wie die Anmaßung eines Ehrenplatzes gewesen. Wäre der Mann etwa gar beleidigt oder nur auf unehrerbietige Weise mit ihm umgegangen worden, so dürfte dies nicht sowohl für eine Sünde und Niederträchtigkeit, als vielmehr wie für eine Kirchenschändung gegolten haben, und auch diejenigen, die sonst vielleicht nur durch dies Gefühl der anderen hätten zurückgehalten werden können, teilten dieselbe mehr oder minder auch ihrerseits.

Eben diese und andere Ursachen wendeten auch die Ahndung der öffentlichen Gewalt von ihm ab und verschafften ihm auch von dieser Seite die Sicherheit, um die er sich nicht einmal kümmerte. Stand und Verwandtschaften, die ihm zu jeder Zeit einigermaßen mit zur Wehre gedient hatten, kamen ihm noch um soviel mehr jetzt zu statten, wo sich dem schon berühmten und berüchtigten Namen die Empfehlung der Persönlichkeit, die Ehre der Bekehrung zugesellte. Die Obrigkeit und die Großen hatten sich wie das Volk öffentlich darüber erfreut, und es würde seltsam gewesen sein, wenn sie hätten gegen denjenigen strenge verfahren wollen, der der Gegenstand so vieler Beglückwünschungen gewesen war. Ohnedies konnte eine Macht, die in einem immerwährenden und oft unglücklichen Kriege gegen heftige und erneuerte Empörungen verwickelt war, sich genugsam zufrieden fühlen, von der unbändigsten und lästigsten befreit zu sein, um es mit der Sache fernerhin sein Bewenden haben zu lassen, und dies um desto eher, als die Bekehrung einen Ersatz zuwege brachte, den die Macht weder gewohnt war zu bewirken, noch sogar nicht einmal zu erheischen. Einen frommen Mann zu quälen, schien kein passendes Mittel, um sich der Schande zu entheben, daß man einen ruchlosen nicht habe überwältigen können, und das Beispiel, das man an ihm gestiftet hätte, würde vielleicht keinen anderen Erfolg gehabt haben, als daß es seinesgleichen es verleidet, unschädlich zu werden. Wahrscheinlich diente auch der Anteil, den der Kardinal Federigo an der Bekehrung gehabt hatte, und daß sein Name mit dem des Bekehrten verbunden war, diesem gleichsam als ein geweihtes Schild. Und bei jenem Stande der Dinge und der Meinungen, bei den sonderbaren Verhältnissen der geistlichen Würde und der weltlichen Macht zueinander, die so häufig miteinander kämpften, ohne doch je eine die andere vernichten zu wollen, indem sie vielmehr immer mit den Feindseligkeiten Handlungen der Anerkennung und Beteuerungen der Ergebenheit vermischten und doch auch nicht selten in Gesellschaft miteinander ein gemeinsames Ziel verfolgten, ohne irgend Frieden zu schließen, konnte es in gewisser Art scheinen, daß die Aussöhnung mit der ersteren, Vergessenheit, wo nicht Lossprechung von seiten der anderen nach sich zöge, wo jene sich allein beeifert hatte, eine von beiden gewünschte Wirkung herbeizuführen.

Also geschah es, daß dieser Mann, über den, wenn er gefallen wäre, um die Wette Groß und Klein hergestürzt sein würde, um ihn mit Füßen zu treten, da er sich freiwillig unterworfen hatte, von allen verschont wurde und daß ihm viele huldigten.

Es ist wahr, daß es auch viele gab, denen diese aufsehenerregende Sinnesänderung zu nichts weniger als zur Genugtuung gereichen mußte, so viele besoldete Vollzieher der Verbrechen, so viele Mitgenossen in der Sünde, die eine so große Stütze verloren, auf die sie gewohnt gewesen waren zu rechnen, denen wohl auch mit einmal, vielleicht in dem Augenblicke, da sie der Nachricht von ihrer Vollendung gewärtigten, die Fäden von Anschlägen durchschnitten wurden, die sie seit lange gesponnen hatten. Aber wir haben schon gesehen, was für verschiedene Empfindungen jene Bekehrung in den Schuften hervorrief, die sich damals bei ihrem Gebieter befanden, und sie aus seinem Munde verkündigen hörten: Erstaunen, Schmerz, Niedergeschlagenheit, Ärger; ein wenig von allem außer Verachtung oder Haß. Das nämliche geschah mit den anderen, die er auf verschiedene Posten verteilt hatte, das nämliche mit seinen Mitschuldigen höheren Ansehens, als die erschreckliche Zeitung zu ihnen drang, und mit allen aus den nämlichen Gründen. Der Haß vieler, wie ich an der anderswo angeführten Stelle in Ripamonti finde, ward vielmehr dem Kardinal Federigo zuteil. Sie betrachteten diesen wie einen, der sich feindlich in ihre Angelegenheit gemischt habe; der Ungenannte hatte seine Seele retten wollen; niemand hatte ein Recht, sich darüber zu beklagen.

Der größte Teil der im Hause dienenden Schurken hatte sich darauf einer nach dem anderen fortgemacht, da sie sich weder der neuen Ordnung der Dinge fügen konnten, noch die Wahrscheinlichkeit ersahen, daß es damit anders werden würde. Einer wird sich einen anderen Herrn und zwar vielleicht unter den alten Freunden dessen, den er verließ, gesucht; ein anderer sich in irgendeinem Fähnlein, wie sie damals sagten, von Spanien oder Mantua, oder irgendeinem anderen der kriegführenden Teile haben anwerben lassen; dieser wird sich an den Weg gelagert haben, um im kleinen und auf seine eigene Rechnung Krieg zu führen; jener sich auch daran genügen lassen, frei umher zu landstreichern. Und so haben es gewiß auch jene anderen gemacht, die vorher an verschiedenen Orten unter seinen Befehlen standen. Von denen endlich, die sich der neuen Lebensart hatten bequemen können, oder die sie freiwillig ergriffen, waren die meisten, Eingeborene des Tales, auf die Felder oder zu den Gewerben zurückgekehrt, die sie in der ersten Jugend erlernt und dann gegen das der Schurkenzunft ausgetauscht hatten; die Fremden waren im Kastell zum häuslichen Dienst verblieben; einige darunter, gleich als hätten sie zu einer und derselben Zeit mit ihrem Gebieter wieder Gnade gefunden, richteten ihr Leben wie dieser ein, ohne Unrecht weder zu tun noch zu erleiden, wehrlos und geachtet.

Als nun aber beim Herabkommen der deutschen Truppen einige Flüchtlinge aus überfallenen oder bedrohten Dorfschaften in die Feste hinaufkamen und um Schutz baten, nahm er, hocherfreut, daß die Schwachen eine Freistätte in seinen Mauern suchten, die sie seit so langer Zeit wie ein ungeheueres Schreckbild aus der Ferne angesehen hatten, die Vertriebenen vielmehr mit Ausdrücken der Dankbarkeit als der Höflichkeit auf; ließ bekanntmachen, daß sein Haus einem jeden offenstehen würde, der sich dorthin flüchtete, und war gleich darauf bedacht, nicht allein dieses, sondern auch das Tal in Verteidigungszustand zu setzen, wenn irgend Lanzknechte oder Cappelletti versuchen sollten, hinzukommen, um da ihr Wesen zu treiben. Er versammelte die ihm übriggebliebenen Diener, darunter Tortis Verse, hielt ihnen eine Rede über die gute Gelegenheit, die Gott ihnen und ihm gäbe, einmal zum Beistande ihrer Nebenmenschen tätig zu sein, die sie so sehr bedrückt und in Schrecken gesetzt hätten, und tat ihnen in dem alten gebietenden Tone, der die Gewißheit des Gehorsams ausdrückte, im allgemeinen zu wissen, was er wollte daß sie täten, sowie er ihnen vor allem auch vorschrieb, wie sie sich zu betragen hätten, damit die Leute, die ihre Zuflucht hierher nähmen, in ihnen nichts als Freunde und Verteidiger erblickten. Er ließ zunächst die Schießgewehre, Schwerter, Hellebarden aus einer Dachstube herabholen, die dort seit geraumer Zeit zusammen auf einem Haufen gelegen hatten und verteilte sie unter sie. Er ließ seinen Landleuten und Pächtern im Tale sagen, daß, wer da immer den guten Willen hätte, bewaffnet zur Feste kommen möchte; wer keine Waffen hatte, dem gab er welche; er wählte einige aus, die Anführer zu machen und unterstellte die anderen ihren Befehlen. Er stellte an den Eingängen und an verschiedenen Punkten des Tales, an dem Fuß des Berges, an den Pforten des Kastells Wachen aus, bestimmte die Stunden und die Art der Ablösung wie in einem Feldlager, oder wie es schon hier zu Zeiten seines wüsten Lebens Sitte gewesen war.

In einem Winkel jener Dachstube lagen, gesondert von dem Haufen, die Waffen, die er allein getragen hatte, sein berüchtigter Karabiner, Stutzrohre, Degen, Schwerter, Pistolen, große Messer, Dolche, am Boden oder an die Wand gelehnt. Keiner der Diener legte Hand daran; sie kamen aber überein, den Herrn zu fragen, welche man ihm bringen sollte. »Keine,« versetzte er, und, war es nun Gelübde oder Ungereimtheit, er verhielt sich immer wehrlos an der Spitze jener Art von Besatzung.

Zu derselben Zeit hatte er andere männliche und weibliche Dienstleute und Untertanen in Bewegung gesetzt, um für so viel Menschen als möglich Wohnung in der Feste zu bereiten, Betten aufzuschlagen, Stroh- und Bettsäcke, Decken in den Zimmern zurechtzumachen, aus denen Schlafstätten wurden. Auch hatte er Befehl gegeben, Lebensmittel in Menge kommen zu lassen, um die Gäste zu beköstigen, die ihm Gott sendete, und deren in der Tat immer mehr wurden. Er selbst rastete unterdes niemals, eilte zur Feste ein und aus, die Anhöhe auf und ab, im Tale ringsumher, um Wachen auszustellen, zu verstärken, zu untersuchen, um zuzusehen, um sich sehen zu lassen, um alles mit Wort, Blick und Gegenwart in Ordnung zu bringen und zu erhalten. Zu Hause, unterwegs begrüßte er alle Ankommenden, denen er begegnete, und alle, sie mochten nun diesen Mann schon gesehen haben oder ihn zum erstenmal sehen, betrachteten ihn mit Entzücken, indem sie auf einen Augenblick des Wehes und der Ängste vergaßen, die sie hierhergetrieben hatten, ja sie wandten sich noch zurück, um ihm nachzusehen, wenn er, schon von ihnen geschieden, seinen Weg verfolgte.


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