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Erstes Kapitel.

Wie kühn sie auch ihr warmes Blut vergossen,
Schmach war ihr Leben, Schuld ihr Epitaph;
Dieß fühlte tiefer noch als die Genossen
Der Führer, den zumeist das Unglück traf. –
Der eingesetzt, für Besseres geboren,
Auf Einen Wurf sein Leben – und verloren.

Byron.

 

In den Jahrbüchern unserer Geschichte findet sich vielleicht kein Ereigniß, das zu der Zeit, da es vorfiel, mehr Aufsehen erregt, oder nachher den Gegenstand allgemeiner Theilnahme gebildet hätte, als die am Nore im Jahre 1797 stattgefundene Meuterei. Vierzigtausend Mann, von denen die Nation gegen die rings sie umgebenden Feinde sich beschützt glaubte, und im Vertrauen auf deren Tapferkeit sie jede Nacht sorglos dem Schlummer sich überließ, – Leute, die Alles für König und Vaterland gewagt und in deren Brust der Patriotismus, wenn auch eine Zeitlang unterdrückt, doch niemals vertilgt werden konnte, – richteten einerseits erbost über die undankbare und ungerechte Behandlung, andererseits von aufrührerischen Rathgebern verleitet, die Geschütze, welche so oft die englische Flagge vertheidigt hatten, gegen ihre eigenen Landsleute, ihre eigene Heimath, und schienen mit all' jener Leidenschaftlichkeit, die bürgerliche Zwiste immer begleitet, fest entschlossen, eher die Nation und sich selbst aufzuopfern, als den Lehren der Vernunft und des Gewissens Gehör zu geben.

Allerdings gibt es einen Punkt, wo man die geduldige Ertragung der Tyrannei nimmer Tugend nennen kann und wo die Empörung nicht mehr als Verbrechen betrachtet werden darf; aber dieß ist ein gefährliches und verwickeltes Problem, dessen Lösung besser unversucht bleibt. Man muß indeß zugeben, daß die Beschwerden unserer Seeleute bei der ersten Meuterei gegründet waren, und daß sie erst dann zu gewaltthätigen Handlungen schritten, als man ihren wiederholten, bescheidenen Vorstellungen kein Gehör geschenkt hatte.

Es macht keinen Unterschied, ob wir in Gemeinschaft mit Mehreren oder für uns allein handeln. Die Schwäche und Selbstsucht der Menschennatur ist so groß, daß der Trotz öfters uns das entwendet, was wir aus Dankbarkeit einzuräumen uns weigerten, daß wir, besorgt um unsere Behaglichkeit, ungestümen Forderungen nachgeben, während das stille, anspruchlose Verdienst übersehen und unterdrückt wird, bis es erbittert über eine solche Hintansetzung das als ein Recht verlangt, was die Klugheit ihm gleich anfangs als Gunst hätte gewähren sollen.

Dieß war von Seiten der Regierung das Benehmen, welches die Meuterei am Nore herbeiführte.

Wo gibt es einen komplicirteren Mechanismus, als die menschliche Seele? Hier finden sich, wie bei jeder Maschinerie, Räder und Triebfedern, die nicht ohne eine genaue Erforschung des Innern deutlich erkannt werden können: als da sind Stolz, Ehrgeiz, Habsucht, Liebe – lauter Leidenschaften, die einzeln oder zusammen die menschliche Seele ergreifen, zugleich den Wetterhahn beim Sturme herumdrehen, und ihm nur auf kurze Zeit Eine Richtung, aber auch eine entschiedene, anweisen. Wie schwer ist es demnach, die Beweggründe und Antriebe zu zergliedern, von denen sich die verschiedenen Rädelsführer bei jener entsetzlichen Katastrophe leiten ließen!

Schränken wir uns daher auf das ein, was wir wirklich als Quelle des Mißvergnügens bei einem jener Männer kennen, dessen unglückliche Laufbahn in genauem Zusammenhange mit unserer Geschichte steht.

Eduard Peters war ein Mann von Talent und Erziehung. In einem Anfalle von Verzweiflung hatte er an Bord des – – Dienste genommen, um mit dem Handgelde sich aus augenblicklicher Noth zu helfen, und von dem Solde in Zukunft sein Weib und sein einziges Kind, die Frucht einer übereilten, unglücklichen Heirath, zu ernähren. Er ward bald als ein Mann von höheren Fähigkeiten ausgezeichnet; und anstatt, wie es gewöhnlich bei Neuangeworbenen geschieht, hinten auf dem Schiffe oder in der Kuhl beschäftigt zu werden, wurde er dem Zahlmeister und dem Schreiber des Kapitäns als Gehülfe beigegeben. In dieser Eigenschaft diente er zwei bis drei Jahre, und die Offiziere bewiesen ihm wegen seines anständigen Benehmens stets eine ungewöhnliche Achtung. Da fiel unglücklicherweise ein Diebstahl vor, – aus der Kajüte des Zahlmeisters, zu der Niemand außer der Bediente und Peters freien Zutritt hatte, war eine Uhr entwendet worden. Der Verdacht fiel nun auf letztern – um so mehr, da man nach langem, vergeblichem Nachsuchen annahm, er habe seiner Frau, welche die Erlaubniß erhalten hatte, ihn öfters mit ihrem Kinde an Bord besuchen zu dürfen, den entwendeten Gegenstand an das Land geschickt. Er wurde auf das Quarterdeck gerufen, hart angelassen und mit Barschheit verhört, als ihn aber der Kapitän, ohne überwiesen zu sein, einen Schurken nannte, da stieg ihm das Blut des tief verletzten Stolzes zu Kopfe und färbte die Wangen eines Mannes, der zu jener Zeit eines Verbrechens unfähig war. Man nahm das Erröthen edler Entrüstung für das unzweideutige Zugeständniß der Schuld. Der Kapitän, ein windiger, anmaßender, hochtrabender Mensch, dessen Betragen hauptsächlich die Meuterei an Bord seines eigenen Schiffes hervorrief, erklärte Peters für schuldig, weil dieser schon bei dem Gedanken, überhaupt nur im Verdachte zu stehen, erröthete; und es erfolgte eine Bestrafung, die von all jener Schmach begleitet war, welche ein Verbrechen im Gefolge hat, das an Bord eines Kriegsschiffes niemals verziehen wird.

Vielleicht wird kein Verbrechen auf einem Schiffe so streng geahndet, wie ein Diebstahl. Fallen deren mehrere vor, ohne entdeckt zu werden, so kommt die ganze Schiffsmannschaft in Verruf, die Geselligkeit wird zerstört, Vertrauen und Einigkeit sind dahin, und aus den innigsten Freunden werden die größten Feinde. Denn wenn Einem etwas abhanden gekommen ist, auf wen kann er in einem so beschränkten Raume Verdacht werfen, als auf diejenigen, welche den vermißten Gegenstand kannten und den Ort wußten, wo er ihn aufzubewahren pflegte? Eben dieß sind aber seine Tischgenossen, Leute, in die er sein größtes Vertrauen setzte. Nach vollkommener Ueberführung kann keine Strafe für ein Verbrechen zu streng sein, das so viel Unheil stiftet. Jedoch einen Mann durch körperliche Züchtigung zu beschimpfen, seinen guten Namen zu vernichten, und ihn ohne den geringsten Beweis seiner Schuld zum Gegenstande der Verachtung und des Abscheus zu machen, war eine grausame und ungerechte Handlung, die nur Ein Gefühl erregen konnte; und von dem Tage an wurde der Mann, der sein Vaterland vielleicht durch den Tod verherrlicht hätte, ein unzufriedener, finsterer und gefährlicher Mensch.

Diese Wirkung hätte man bei Jedem annehmen dürfen: für Peters, dessen frühere Geschichte wir noch zu erzählen haben, wäre sogar der Tod wünschenswerther gewesen. Sein Herz brach nicht, schwoll jedoch dergestalt von stürmischen Gefühlen an, bis es zerrissen und mit Wunden bedeckt war, die nimmer vernarbten. Da es unter der qualvollsten Last seufzte, die je einen ehrenwerthen Mann niederzubeugen vermag, unter der Last, als ein Unschuldiger ungerechterweise angeklagt, ohne Ueberführung verurtheilt, und gegen alles Recht gestraft zu werden, so darf man sich nicht wundern, daß Peters die nächste Gelegenheit ergriff, um von dem Schiffe zu entweichen.

Durch die thierische Natur zieht sich ein besonderes Gefühl, von welchem selbst der Mensch nicht frei ist, der in der That bei all seiner gepriesenen Vernunft nur gar zu viele Triebe mit den vernunftlosen Geschöpfen gemein hat. Ich meine damit jene Neigung, die uns nicht allein Befriedigung darin finden läßt, wenn wir im Unglücke Gefährten haben, sondern uns auch noch öfters antreibt, die Zahl derselben geflissentlich zu vermehren. Von dem riesigen Elephanten bis zu dem kleinsten der gefiederten Thierchen herab suchen alle, wenn sie sich in Gefangenschaft befinden, andere Thiere ihrer Gattung anzulocken; und bei jedem Zwangsdienste, den man als eine Art Gefangenschaft ansehen kann, zeigt der Mensch, daß er dieselbe Neigung hegt. Matrosen, die selbst gepreßt wurden, sind jederzeit am thätigsten, wenn Andere gepreßt werden sollen; und Soldaten, wie Matrosen, empfinden eine geheime Freude, sobald ein Deserteur wieder eingebracht wird, auch dann, wenn sie selbst zu gleicher Zeit eine schickliche Gelegenheit zum Desertiren erspähen.

Die Bande der Freundschaft scheinen zerrissen, wenn dieß mächtige und thierische Gefühl in Thätigkeit tritt; und, wie es häufig vor- und nachher im Dienste sich zutrug, gerade der, den Peters für seinen trautesten Freund gehalten, mit dem er sich berieth, dem er seine Pläne zum Entweichen anvertraute, gerade der verrieth den Aufenthalt seines Weibes und Kindes, von denen Peters aller Wahrscheinlichkeit nach nicht sehr weit entfernt sein konnte; und so fing man ihn mit Hülfe seines theuersten Freundes wieder ein.

Den nämlichen Tag, an welchem Peters wieder an Bord gebracht und in Ketten gelegt wurde, machte man die Entdeckung, daß der Bediente des Zahlmeisters im Besitze der vermißten Uhr sei. In so fern war Peters guter Name wieder hergestellt; und da er bei seiner Gefangennehmung erklärt hatte, daß die ungerechte Strafe, die er erlitten, ihn zum Entweichen bewogen hätte, so drangen die Offiziere in den Kapitän, ein Vergehen nachzusehen, für welches so viele Entschuldigungsgründe sprächen. Aber Kapitän A. war ein Freund von Kriegsgerichten; er glaubte sich dadurch in ein gewisses Ansehen setzen zu können, das allerdings bei ihm einer außerordentlichen Stütze bedurfte. Ueberdieß gewann ein Gefühl, welches nur zu oft kleine Seelen beherrscht, nämlich das der Mißgunst gegen eine Person, die man beleidigt hat, einen mehr als gebührenden Einfluß auf diesen schwachen Mann, der es nun vorzog, lieber die Ungerechtigkeit noch weiter auszudehnen, als seinen Fehler anzuerkennen. Ein Kriegsgericht ward gehalten und Peters zum Tode verurtheilt, das Urtheil jedoch, in Erwägung der Umstände, dahin gemildert, daß er »durch die Flotte gepeitscht werden sollte«.

Gemildert! Sonderbare Eitelkeit der Menschen, sich einzubilden, ihre eigenen Gefühle seien weicher und zarter, als die Anderer; das als eine Milderung zu Gunsten eines Gefangenen anzusehen, was sie an seiner Stelle für eine Schärfung der Strafe erklärt hätten. Jeder dem Kriegsgerichte beiwohnende Kapitän stimmte mit Peters darin überein, daß der Tod ein weit milderes Urtheil wäre. Aber sie meinten es gut – sie hatten Mitleiden mit ihm und bedachten, wie schwer er gekränkt worden war; jedoch verfielen sie in den nur allzu gewöhnlichen Irrthum, daß sie glaubten, die feineren Gefühle, vermittelst deren ein Mann den Tod der Schmach vorzieht, seien blos in den höheren Klassen zu Hause; ein Solcher hingegen, den die Umstände vor den Mast gebracht hätten, werde, um dem Tode zu entgehen, jeder noch so strengen, noch so erniedrigenden Strafe – mit Einem Worte, »jedem Uebel, das des Fleisches Erbe ist« – sich bereitwillig unterwerfen.

Da der Leser mit der Beschaffenheit der Strafe, zu welcher Peters verurtheilt wurde, und mit den sie begleitenden Ceremonien vielleicht unbekannt ist, so will ich hier eine kurze Beschreibung davon einschalten.

Der, welcher verurtheilt ist, durch die Flotte gepeitscht zu werden, erhält neben jedem zu dieser gehörigen Schiffe den betreffenden Theil der ihm zuerkannten Hiebe. Ist er zum Beispiel zu dreihundert Hieben verurtheilt, so erhält er, wenn die Flotte aus zehn Segeln besteht, bei jedem Schiffe dreißig.

Es wird ein langes Boot mit einer Plateform und Spieren ausgerüstet, in welchem der Prozeß und der Hochbootsmann mit seinen Gehülfen den Verurtheilten begleiten, vorn und hinten aber werden Marinesoldaten aufgestellt. Ist das Signal zur Vollziehung der Strafe gegeben, schickt ein jedes zur Flotte gehörige Schiff ein oder zwei Boote ab, deren Mannschaft sauber gekleidet ist; die Offiziere sind in Staatsuniform und die Marinesoldaten stehen unter dem Gewehre. Diese Boote versammeln sich an der Seite des Schiffs, an der das Boot anlegt, die Mannschaft stellt sich auf und die Matrosen erhalten Befehl, in das Takelwerk zu steigen, um der Züchtigung, in so weit sie hier nach Verlesung des Urtheiles an dem Gefangenen vollzogen wird, zuzusehen. Hat der Unglückliche an dieser Stelle die bestimmte Anzahl Peitschenhiebe empfangen, so wird er für einen Augenblick losgebunden und darf mit einer Decke über seinen Schultern niedersitzen, während die Boote, welche der Execution beiwohnen, sich dem Langboote nähern und es nach dem nächsten Schiffe schleppen, wo der Delinquent unter gleichen Ceremonien dieselbe Anzahl Hiebe erhält; – und so geht es von Schiff zu Schiff, bis er alle Streiche vollständig empfangen hat.

Die Strenge dieser Strafe besteht nicht bloß in der Zahl der Hiebe, sondern hauptsächlich in der Art, wie sie gegeben werden. Hat der Unglückliche die erste Portion derselben bei Einem Schiffe erhalten, so gerinnt das Blut und die Wunden schließen sich zum Theile, bis er beim nächsten Schiffe ankommt, wo die Katze unter vermehrten Qualen auf's Neue über ihn geschwungen wird. Beim letzten Theile der Züchtigung ist der Schmerz entsetzlich, und wer diese Strafe erlitten hat, ist gewöhnlich, wo nicht geistig, doch körperlich für sein ganzes übriges Leben zu Grunde gerichtet.

Eine solche Strafe nun ward an dem unglücklichen Peters vollzogen, und es würde, als sie beendet war und man ihm das Tuch über die Schultern geworfen hatte, schwer zu entscheiden gewesen sein, ob das Herz oder der Rücken des Ohnmächtigen mehr zerfleischt sei.

Die Zeit behauptet über den Körper die Herrschaft und kann seine Wunden heilen, aber die der Seele spotten, wie die Seele selbst, der Macht der Vergänglichkeit.

Peters war von diesem Augenblicke an ein verzweifelter Mensch. Kurze Zeit nach seiner Bestrafung verbreitete sich die Nachricht von der Meuterei zu Spithead; das Schwanken und die Besorgnisse der Admiralität, sowie der Nation überhaupt, ließen sich dabei nicht verhehlen. Die Meuterei ward durch Nachgiebigkeit, die von Vorgesetzten gegen Untergebenen angewendet nur ein halbes und unwirksames Mittel ist, scheinbar gedämpft.

In dieser Welt scheint, ich weiß nicht warum, bei allen Verträgen von Wichtigkeit nur Ein Siegel bindend zu sein – und dieses Siegel ist Blut. Ohne mich auf die Gesetze der Juden zu beziehen, welche besagen, daß Alles durch Blut gereiniget werde und ohne Blutvergießung keine Versöhnung stattfinde – ohne mich auf das erhabene Mysterium zu berufen, wodurch diese Gesetze erfüllt wurden – scheint es, als ob zu allen Zeiten und in allen Ländern Blut das einzige Siegel der Sicherheit gewesen sei.

Forscht man in den Urkunden der Geschichte nach und betrachtet die Umwälzung der Meinungen, die Volksaufstände, die Kämpfe für Glaubensherrschaft, so wird man finden, daß dieselben ohne dieses Siegel nur für den Augenblick beschwichtigt wurden, und immer von Neuem begannen, bis Blut als Zeuge der Verhandlung und des Vertrages geflossen war.


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