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Ein Mann muß dienen seine Zeit in allen Dingen,
Nur nicht der Kritiker – da ist's sonst zu erschwingen.
Lernt Eulenspiegels alten Witz aufwendig.
Und bringt ihn dann in Anwendung beständig;
Ein Praktikus weiß gleich, wo er die Augen
Zudrücken muß, und wo ein Stück durchlaugen.
Nicht Schmähungen, nicht Lügen müßt ihr sparen,
Sie werden euch den Schein des Geistes wahren.
Schreibt nur prinziplos in den Tag hinein,
So überhäuft man euch mit Schmeichelei'n.
Byron.
Die Untersuchung wurde fortgesetzt. Eines Morgens, nach einem ermüdenden Gange von Felsen zu Felsen, wobei man bisweilen auf Booten von einem Inselchen zum andern übergesetzt hatte, sammelte sich die Gesellschaft unter einem überhängenden Felsen, der vor den senkrechten Sonnenstrahlen Schatten gewährte, um einen vom Schiffe mitgebrachten Imbiß einzunehmen. Die kleine Gesellschaft bestand aus Kapitän M., dem Schiffer Pearce, dem Wundarzte, der sie in der Absicht begleitet hatte, an den Felsenriffen Naturforschungen anzustellen, und Kapitän M.'s Sekretär, mit Namen Collier, welcher schon seit vielen Jahren in seinem Dienste gestanden und jetzt das Geschäft hatte, die mit dem Höhenmesser aufgenommenen Winkel zu notiren.
Da Kapitän M. von den am Morgen angestellten Untersuchungen noch müde war, so stand er nicht sogleich nach dem Mahle auf, sondern ließ sich mit dem Wundarzte, der so eben die Notizen durchging, welche er über die Naturprodukte des Felsenriffes gesammelt hatte, in ein Gespräch ein.
»Haben Sie die Absicht, ein Buch zu schreiben, Mr. Macallan, daß Sie hier so viele Bemerkungen zusammengetragen?«
»O nein, Sir. Ich habe nicht den Ehrgeiz, Schriftsteller zu werden.«
Der Sekretär, welcher gewöhnlich sehr schweigsam war und nur selten sprach, ausgenommen über Dinge, die sich auf seine Dienstpflicht bezogen, mischte sich jetzt auch in die Unterhaltung und redete den Wundarzt an:
»Es ist ein gefährlicher Dienst, Sir, und man muß sich sowohl auf die Angriffe der Schriftsteller, als der Recensenten gefaßt machen.«
»Der Recensenten wohl,« erwiederte Macallan; »aber warum auch der Schriftsteller?«
»Das hängt sehr davon ab, ob man auf bereits betretenem Wege wandelt, oder ob man einen neuen Pfad einschlägt. In letzterem Falle kann man vor beiden ganz sicher sein, da die Schriftsteller sich gleichgültig verhalten, und die Recensenten aller Wahrscheinlichkeit nach sich unfähig zeigen werden.«
»Wie aber, wenn ich einen bereits betretenen Weg einschlage, also zum Beispiel eine Schreibart gebrauche, worin ich bereits Vorgänger habe?«
»Sir, wenn ein neuer Schriftsteller zum ersten Male vor das Publikum tritt, so geht es ihm gerade wie einem fremden Hunde, der in einen bereits schon von vielen andern besetzten Hundestall hinein kommt. Er wird von denselben augenblicklich angegriffen und zerzaust, bis er durch kühne Verteidigung oder durch hartnäckige Behauptung seines Postens sich einen sichern Wohnort verschafft und ein anerkanntes Mitglied der Genossenschaft wird.«
»Wie Mr. Collier,« bemerkte der Kapitän, »Sie scheinen ja in literarischen Angelegenheiten ganz au fait zu sein.«
»Allerdings, Sir,« erwiederte der Sekretär; »denn ich habe schon in meinem Leben den Versuch gemacht, Schriftsteller zu werden und als Recensent gearbeitet.«
»Wirklich? Und Sie waren in Ihren Versuchen mit der Autorschaft nicht glücklich?«
»Mein Werk wurde nicht gedruckt, Sir, denn kein Buchhändler wollte es in Verlag nehmen. Ich durchlief die ganze Stadt; Niemand wollte sich mit der Durchsicht des Manuscripts befassen; man sagte mir, dieses Genre sei nicht im Geschmacke des Publikums. Endlich erhielt ich ein Empfehlungsschreiben von einem alten Bekannten an seinen Onkel, der ein Schriftsteller war. Dieser las wirklich mehrere Stellen meines Werkes.«
»Nun, und weiter?«
»O, Sir, er schüttelte den Kopf – sagte mir mit spöttischer Miene, daß ich nie als Schriftsteller mein Glück machen würde; aber, fügte er mit einer Art aufmunterndem Lächeln hinzu, er habe aus einigen Stellen des von ihm durchlesenen Manuskriptes zu schließen geglaubt, daß er für mich, wenn ich Lust dazu hätte, eine Beschäftigung im Recensentenfache finden könnte.
»Mein Stolz war verletzt, und ich antwortete ihm, es sei mir durchaus unklar, wie Jemand, der selbst nicht die Fähigkeit besitze, ein Buch zu schreiben, die Verdienste Anderer würdigen könne.«
»Nun, ich muß sagen, daß ich Ihnen beistimme,« erwiederte der Kapitän: »fahren Sie nur in Ihrer Erzählung fort, denn sie interessirt mich sehr.«
»Mein Freund antwortete: – ›O warum denn nicht, mein lieber Herr? Ein verdammt schlechter Schriftsteller gibt gewöhnlich noch einen guten Recensenten. Um offen zu reden, Sir, ich lasse Keinen für mich recensiren, dem nicht ein ähnliches Mißgeschick begegnet ist, wie Ihnen. Es gehört nothwendig zu den Eigenschaften eines guten Recensenten, daß er als Schriftsteller verunglückt ist, denn ohne die aus getäuschter Hoffnung entspringende Bitterkeit würde er zu einem solchen Geschäfte nicht genug Galle besitzen und sein Gewissen könnte ihn leicht von vielen Angriffen abhalten, wenn er nicht von den scharfen Stacheln des Neides angespornt würde‹«
»Und er überzeugte Sie?«
»Was er nicht vermochte, das that meine Dürftigkeit. Ich arbeitete viele Monate für ihn, aber ich hätte besser gethan, wenn ich mir mein Brod als gemeiner Taglöhner erworben hätte.«
»Kritische Zeitschriften sollten doch einträglich sein,« bemerkte Macallan; »sie finden ja als periodische Blätter einen großen Leserkreis.«
»Das ist wahr,« erwiederte Kapitän M., »und die Gründe springen in die Augen. Wenige Leute nehmen sich die Mühe, selbst zu denken, sondern sind im Gegentheil sehr froh, Andere zu finden, die es für sie thun. Einige können keine Zeit zum Lesen finden, Andere nehmen sich keine dazu. Eine kritische Zeitschrift beseitigt alle diese Schwierigkeiten – sie gibt der beschäftigten Welt eine Uebersicht über das, was in der literarischen vorgeht, und setzt den Müssiggänger in Stand, nicht ganz unwissend in Beziehung auf ein Werk zu erscheinen, dessen Verdienste vielleicht gerühmt werden. Aber was ist die Folge davon? Daß sieben Achtel der Stadt von dieser oder jener Zeitschrift an der Nase herumgeführt werden und gar nicht an den Umstand denken, daß Recensionen keine Evangelien sind. Ich kenne in der That Niemand, der so leicht irren könnte, wie ein Recensent. Zum Ersten gibt es keine so reizbare, so parteiische, so eifersüchtige Menschenklasse, wie die Schriftsteller. Haß, Bosheit und eitel Lieblosigkeit scheinen in der Wissenschaft das Scepter zu führen. Dann kommen noch politische Meinungen hinzu, die ein unziemliches Uebergewicht gewinnen, und um Allem die Krone aufzusetzen, stehen sie gar zu sehr unter dem Einflusse des Geldes, woran sie, was beinahe sprüchwörtlich geworden ist, fast immer mehr als alle Anderen Mangel leiden. Wie kann man also unparteiische Recensionen erwarten? Ich für meinen Theil lese sie selten, indem ich denke, daß es immer besser ist, etwas nicht zu wissen, als darüber im Irrthume zu sein.«
»Und wenn Sie mir die Frage erlauben, Mr. Collier,« fuhr Kapitän M. fort, »mit welchem Fache beschäftigen Sie sich?«
»Ich schäme mich fast, es Ihnen zu sagen, Sir, – ich war ein bloßer Automat, eine Maschine in den Händen Anderer. Wenn ich ein neues Werk erhielt, so fügte mein Auftraggeber immer eine besondere Bemerkung hinzu, worin das Quantum Lob oder Tadel angegeben war, das ich auszutheilen hatte. Sollte gelobt werden, so wurden die besten Stellen ausgehoben, im andern Falle die schlechtesten. Das die einzelnen Stellen einer Recension verbindende Raisonnement wurde einem Excerptenbuche entnommen, worin für alle beliebigen Fälle allgemeine Redensarten und Auszüge aus den Werken Anderer sich vorfanden, die man mit Beibehaltung der Ideen nur der Form nach zu ändern brauchte, so daß sie als Original erschienen.«
»Kennen Sie die Gründe des Lobs oder Tadels? – denn es scheint, daß die, welche die Kritik leiteten, die Werke selbst nicht lasen.«
»Es gab verschiedene Gründe. Bücher, die bei einem Verleger gedruckt wurden, der meinem Prinzipale verhaßt war, fielen immer durch; diejenigen hingegen, welche bei Bekannten oder Freunden herauskamen, wurden so viel als möglich gelobt. Zudem wurde auch ein Werk oft deßwegen strenge getadelt, weil die Schriftsteller, welche auf die Recensionen Einfluß hatten, sich vor einem glücklichen Nebenbuhler in ihrem eigenen Fache fürchteten.«
»Aber Sie glauben doch nicht, daß alle kritischen Zeitschriften so grundsatzlos zu Werke gehen?«
»Keineswegs. Es gibt sehr viele unparteiische und wackere Kritiker; es ist nur der üble Umstand, daß man, bevor man das recensirte Werk selbst gelesen hat, den schlechten Recensenten nicht vom guten unterscheiden kann.«
»Was bewog Sie denn, diesen achtbaren Beruf aufzugeben?«
»Ein Streit Sir. Ich hatte ein Werk recensirt, das man mir als ein zu lobendes bezeichnete; aber es fand sich, daß es ein Mißverständniß war, und ich erhielt den Auftrag, dasselbe Werk in einer andern Recension zu tadeln. Ich erwartete meine Bezahlung so gut für die erste, als für die zweite Kritik. Mein Redakteur aber betrachtete es als Ein Stück und verweigerte mir das doppelte Honorar – so trennten wir uns.«
»Saubere Kniffe in der That,« erwiederte Kapitän M.; »es scheint, Mr. Collier, Sie haben zu einer Art literarischer Banditen gehört, deren Federn immer gleich Stileten bereit waren, die Unglücklichen, die sie sich als Opfer des Eigennutzes oder der Rache ausersahen, im Dunkeln zu erdolchen.«
»Ich gebe die Richtigkeit Ihrer Bemerkung zu, Sir. Alles, was ich zu meiner Vertheidigung vorbringen kann, ist die Entschuldigung jenes Pasquillanten gegen den Cardinal Richelieu – › Il faut vivre, monsieur.‹«
»Und ich antworte Ihnen mit dem Cardinal – › Je n'en vois pas la nécessité,‹«'erwiederte Kapitän M. mit einem Lächeln, während er aufstand, um wieder an seine Arbeit zu gehen.