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Zweiundvierzigstes Kapitel.

Bedeckt mit Menschenblut und Aelternthränen,
Nimmt Moloch seine Opfer in Empfang;
Doch übertäubt wird noch der Kinder Stöhnen
Von Cimbeln und Trommetenklang.

Milton.

 

Die Aspasia flog wiederum auf den Schwingen des Nordwindes dahin, um zur Sicherung der Herrschaft des Vaterlandes über weit entfernte Meere behülflich zu sein, und führte manch sehnsüchtiges Auge, das an dem zurückweichenden Ufer weilte, und manch bangendes Herz, das sich von der Heimath und seinem Lieben mit Wehmuth getrennt fühlte, auf ihrem raschen Fluge mit sich fort. Vielen drängte sich der schmerzliche Gedanke auf: – »Werde ich diese geliebten Ufer je wieder erblicken?«

Dieses Gefühl war jedoch nur vorübergehend und mußte bald der Hoffnung weichen, die ihre sonnigen Strahlen auf die Entfernung zu werfen pflegt, während sie den Vordergrund der düstern Wirklichkeit des Lebens überläßt. Alle waren von tiefen Gefühlen beherrscht; aber die Seelenleiden keines Einzigen kamen denen Seymours gleich.

Als Kapitän M– seine versiegelten Befehle eröffnete, fand er, daß die Aspasia sich nach Ostindien begeben müsse. Er war bereits durch verschiedene Winke von dem ersten Lord der Admiralität darauf vorbereitet worden. ES gibt nichts Widerwärtigeres, als eine Ueberfahrt, und am unangenehmsten ist eine Fahrt nach Ostindien. Dieß war auch hauptsächlich zu der Zeit der Fall, in welcher unsere Geschichte spielt; denn damals hatte Sir H. Popham unsere Kolonien noch nicht mit dem Vorgebirge der guten Hoffnung vermehrt, so daß sich in der That für die durch das ewige Einerlei von Himmel und Wasser ermüdeten Reisenden nirgends ein Ruhepunkt fand. Wir wollen deßwegen nur noch hinzufügen, daß nach Verfluß von drei Monaten das königliche Schiff Aspasia auf der Rhede von Kedgeree ankerte, und der Kapitän des nämlichen Lootsenschooners, der es von den Sand-Heads gesteuert, den Auftrag erhielt, Kapitän M– und seine Depeschen nach Kalkutta zu führen. Courtenay, Macallan und Seymour erhielten eine Einladung, an dieser Reise Theil zu nehmen; sie begaben sich daher am folgenden Morgen an Bord des Lootsenschooners und fuhren in den prächtigen, aber reißenden Hoogly ein.

Der Lootsen-Kapitän, welcher gleich allen, die man zu dieser gefährlichen Schifffahrt verwendete, von Jugend auf dazu erzogen worden, war ein schlanker, hagerer, ungefähr fünfzig Jahre alter Mann, und in seinem Benehmen etwas zudringlich. Sei es nun, daß es ihm einige Mühe kostete, die Reisenden von den Ostindienfahrern, welche er nach Kalkutta zu bringen hatte, und deren gute Laune höchst wahrscheinlich in Folge der Befreiung von einer so langweiligen Fahrt etwas übersprudelte – in Ordnung zu erhalten, oder, daß er von Natur keine Eingriffe und Anmaßungen ertragen konnte – kurz er machte beständig die Bemerkung, »er sei Kapitän auf seinem Schiffe.« In jedem andern Punkte war er artig, nur in diesem achtete er auf Niemand, was auch der General-Gouverneur und sein Gefolge zu ihrer großen Belustigung und hie und da zu ihrem Aerger erfahren mußten, so oft sie unter seiner Führung den Strom passirten.

»Habe die Ehre, Sie an Bord zu sehen, Kapitän M–, hoffe, Sie werden es sich bequem machen und Alles verlangen, dessen Sie bedürfen. Junge, schaffe diesen Koffer in die Kajüte hinunter. – Bin erfreut, Sie zu sehen, meine Herren, und bitte, Sie möchten sich hier wie zu Hause betrachten, – zugleich muß ich mir die Bemerkung erlauben, daß ich Kapitän auf meinem Schiffe bin.«

»Das versteht sich,« erwiederte Kapitän M– lächelnd, »und wenn Ihr Schiff nur so groß wie eine Nußschaale wäre. Ich bin auch Kapitän auf meinem Schiffe, das dürfen Sie mir glauben.«

»Sehr schön, daß wir in diesem Punkte gleicher Meinung sind, Kapitän M–. Mein junger Herr,« fuhr er, sich an Courtenay wendend, fort, »Sie werden mir einen Gefallen thun, wenn Sie nicht auf meinen Hühnerkörben vor Anker gehen. Wünschen Sie zu sitzen, so können Sie ja einen Stuhl verlangen.«

»Verdammt ärgerlich,« murmelte Courtenay, dem es nicht recht gefallen wollte, mit »junger Herr« angeredet zu werden.

»Für den jungen Herrn einen Stuhl,« fuhr der Kapitän des Schooners fort. – »Etwas Steuerbord, Mr. Jones – das Kabeltau ist zu lang, bis die Fluth stärker wird. Wahrscheinlich sind Sie nicht gewohnt, stromaufwärts zu schiffen, Kapitän. Sie werden großen Gefallen daran finden. Noch etwas Steuerbord. Schnell mit dem Steuer etwas nachgeholfen, Mr. Thompson. Wissen Sie, Sir, daß ich einst dem Strande gerade am Ende dieser Sandbank sehr nahe kam, weil eine junge Lady, die nach Kalkutta reiste, auf den Einfall gerieth, das Steuer lenken zu wollen? Sie ließ sich von dem Gehülfen nicht daran verhindern; und als ich es ihr gebot, vom Steuerrade wegzubleiben, sagte sie mir lachend, daß sie das Steuern so gut, als ich, verstehe. Ich war daher genöthigt, ihr auf eine etwas unangenehme Art zu erkennen zu geben, daß ich Kapitän auf meinem Schiffe sei.«

»Nun, Sie ließen sie doch nicht peitschen, Kapitän?«

»Das eben nicht; aber ich mußte das Rad so schnell herumdrehen lassen, daß ihr beide Hände verrenkt wurden, ehe sie das Steuer loslassen konnte. Es entstand beinahe eine Empörung darüber. Das Mädchen fiel in Ohnmacht, oder stellte sich wenigstens so, und alle Passagiere waren ungemein erzürnt; denn die Narren bedachten nicht, daß ich ihnen durch das, was sie mir als Unmenschlichkeit vorwarfen, das Leben gerettet hatte. Sobald jedoch die Gefahr vorüber war, bemerkte ich ihnen, daß ich Kapitän auf meinem Schiffe sei. Sie war ein hübsches, liebliches Mädchen, das muß ich sagen. Wir waren nur noch einen Zoll von der Bank entfernt; die Fluth schoß wie eine Schleuse und würde die Schildkrötenschaale im Augenblicke des Anstoßens umgestürzt haben. So geht es, wenn man zu höflich ist. Hätte ich ihr nicht das Rad aus der Hand gerissen, so würden in zwei Minuten die Alligators ihren schönen Leib und uns Alle verschlungen haben. Das ist aber unnöthig, Kapitän M–. Für diese Ungeheuer gibt es genug Schwarze, die, wie Sie sehen werden, den ganzen Tag herumfahren.«

»Werden alle Todten in den Strom geworfen?«

»Ja, Sir; dieß ist ein Arm des heiligen Flusses Ganges, und sie glauben, dadurch sicher in den Himmel zu kommen. Waren Sie noch nie in Ostindien, Sir?«

»Nein.«

»Auch diese drei Herren da nicht?«

»Keiner.«

»Ja dann,« rief der Kapitän mit strahlendem Gesicht, da er jetzt eine Gelegenheit hatte, seine langen Geschichten zu erzählen und somit seine Passagiere zu unterhalten; »dann ist es Ihnen vielleicht lieb, wenn ich Sie auf unserer Fahrt mit Diesem und Jenem bekannt mache?«

»Im Gegentheil, Sie werden uns dadurch einen großen Gefallen erweisen.«

»Allerdings,« sagte der Kapitän, indem er ringsumher schaute und einen Anknüpfungspunkt suchte, »sehen Sie jenen auf dem Strome schwimmenden Leichnam, auf welchem ein Rabe sitzt, und dann den schwarzen Gegenstand, welcher ganz in der Nähe aus dem Wasser hervorragt – es ist der Kopf eines Alligators, welcher Jagd darauf macht.«

Die ganze Gesellschaft blickte nach dem bezeichneten Gegenstande hin; der Alligator, welcher wie ein Stück schwarzes, auf dem Strome schwimmendes Holz aussah, erreichte den Leichnam; der obere Theil seines Rachens öffnete sich, schnappte nach seiner Beute und das Thier tauchte sogleich mit derselben in dem trüben Wasser unter.

»Bei Gott, Herr Rabe, diesmal ging es Ihnen nah an die Kehle,« bemerkte der Kapitän; »Sie dürfen Ihren Sternen danken, daß Sie nicht das Leben sammt dem Frühstück verloren. Glauben Sie das nicht auch, junger Herr?« fuhr der Kapitän zu Courtenay gewendet fort.

»Ich bin der Meinung,« bemerkte Courtenay, »daß Herr Rabe eigentlich nicht recht Kapitän auf seinem Schiffe war.«

»Allerdings, Sir. Jene Landspitze dort, die uns gerade die Aussicht versperrt, Kapitän M., ist der letzte Punkt der Saugor-Insel, die ihrer bengalischen Tiger und noch mehr ihrer Kinderopfer wegen berüchtigt ist. Sie haben auch wohl schon davon gehört?«

»Ja, aber wenn Sie jemals eine solche Scene mit angesehen haben, so werde ich Ihnen für Ihre Beschreibung vielen Dank wissen.«

»Ein einziges Mal habe ich zugesehen, Kapitän M., würde es aber um alle Welt nicht wieder thun. Es freut mich sehr, daß die Regierung mit Gewalt eingeschritten ist. Sie wissen, daß die Eingebornen die Sitte hatten, um ein gegenwärtiges oder künftiges Unglück abzuwenden, der Gottheit ein Kind als Sühnopfer zu weihen. An einem gewissen Tage versammelten sich Alle mit ihren Opfern in Booten mit Blumen geschmückt, und begleitet von Priestern und Musikern; aus dem heitern Aufzuge hätte man auf die Feier irgend eines Freudenfestes, nicht aber die Aufführung einer blutigen Scene des Aberglaubens schließen sollen. Es schien beinahe, als hätten die Alligators und Haifische Zeit und Ort genau gewußt, da sich eine Menge derselben an dem Opferplatze versammelte. Mein Blut erstarrt beinahe jetzt noch, wenn ich daran denke. Das Geschrei der Eingebornen, der laute aufmunternde Ruf der Priester, der betäubende Lärm der Tomtoms, vermischt mit der schneidend harten Nationalmusik, das Hineinwerfen der Kleinen in's Wasser, das Plätschern und Kämpfen der raubgierigen Thiere, während sie wenige Schritte von den unnatürlichen Eltern die Glieder der Kinder nach einander verschlangen – die ganze See mit Blut gefärbt, und mit Blumen bestreut! Schon die Erinnerung empört mich.

»Es kam ein Umstand vor, der noch alles Andere an Entsetzlichkeit übertraf. Eine Frau hatte ihr Kind angelobt – aber ihre Muttergefühle ließen sich von dem blindesten Aberglauben nicht überwältigen. Von einer Zeit zur andern schob sie die Erfüllung ihres Gelübdes hinaus, bis das Kind zur Jungfrau herangewachsen und dreizehn Jahre alt war, was in diesem Lande für das heirathsfähige Alter gilt.

»Die Familie wurde von einem Unglücke betroffen, und die Priester erklärten dem Vater, die Gottheit sei erzürnt, und zur Versöhnung derselben müsse seine Tochter als Opfer fallen; anders könne dieselbe nicht versöhnt werden. Es war ein schönes Geschöpf für eine Eingeborne, und hätte zur nämlichen Zeit heirathen können, zu welcher sie nun geopfert werden sollte. Ich kann sie noch sehen – ihre Farbe war dunkel, aber ihre Gesichtszüge waren fein und regelmäßig, und ihre Gestalt durchaus symmetrisch. Sie nahmen ihr den goldenen Schmuck weg, womit sie geziert war, ja in ihrem Geize sogar ihre Kleider, während sie vergeblich bittend auf den Knieen lag.

»Das Boot, worin sie sich befand, war dem Ufer näher, als die andern, und ging in seichtem Wasser. Sie wurde über das Dolbord gestürzt, kam aber dabei auf die Füße zu stehen; sie entrann, wie durch ein Wunder, den Haifischen und Alligators, und gelangte an das Ufer. Da ich glaubte, sie wäre nun gerettet, so fühlte ich mich glücklicher, als wenn man mir einen Beutel voll Rupien geschenkt hätte; aber nein, sie ruderten an das Land, stiegen aus und stießen die Unglückliche, während sie um Erbarmen flehte, mit langen Stangen in den Fluß. Ein großer Alligator stürzte auf sie zu, und sie fiel, gerade als er seinen Rachen öffnete, sie zu verschlingen, besinnungslos hin. Es scheint daher nicht, daß das arme Geschöpf noch leiden mußte, obwohl ihre Todesangst über alle Beschreibung schrecklich gewesen sein muß. Dieser Eine Fall ergriff mich mehr, als die vielen Kinder, welche dem Moloch geopfert wurden.«

So schaudererregend diese Erzählung auch sein mochte, so war sie doch als eine Neuigkeit anziehend, und das Gefühl, welches der Lootsenkapitän unerwartet an den Tag legte, stellte ihn bei Kapitän M. in ein besseres Licht, der nun Lust bezeugte, sich noch mehr erzählen zu lassen.

»Die Eingebornen halten den Strom für heilig – gelten ihnen nun auch die Alligators für heilig?«

»Ich glaube es, Sir, wiewohl ich nur nach dem schließe, was ich gesehen habe; denn gelesen habe ich darüber noch nichts. Jedenfalls hält die Nähe eines Alligators sie nicht von der Ausübung eines religiösen Gebrauches ab, welcher darin besteht, in dem heiligen Strome zu baden. Dieß geschieht an den verschiedenen Ghauts, und falls auch ein Alligator einen von ihnen verschlingt, so schreckt dieß die Andern nicht ab, am nächsten Morgen wieder zu kommen, und wenn auch jeden Tag Einer um's Leben käme. Es scheint fast, als ob sie bei der Ausübung ihrer religiösen Pflichten derartige Fälle als göttliche Fügung und als eine Art Paß für den Himmel betrachten. Eine räuberische Bande suchte einst aus diesem Aberglauben ihrer Landsleute an einem Ghaut Nutzen zu ziehen. Die Eingebornen hatten dort Jahrhunderte gebadet, ohne daß irgend ein Unglücksfall bekannt geworden wäre, als eines Tages eine Frau mitten aus der Gesellschaft unter dem Wasser verschwand, ein Umstand, der sich längere Zeit jeden folgenden Tag erneuerte. Man vermuthete, ein Alligator befinde sich in der Nähe – aber nachher erfuhr man, daß jene Räuberbande sich am jenseitigen Ufer des Stroms, der an dieser Stelle tief, aber nicht sehr breit war, im Rohre versteckt und ein Seil mit einem Haken in das Wasser des Ghauts geworfen hatte, gerade wo die Leute badeten. Einige von der Bande badeten ebenfalls mit, tauchten unter und machten das Seil an den Beinen einer Frau fest, die alsdann von ihren auf der andern Seite versteckten Kameraden unter das Wasser gezogen wurde. Sie können sich vielleicht nicht erklären, warum die Schurken so viel Mühe anwandten, aber Sir, die eingebornen Frauen, besonders die von einer hohen Kaste und die Reichen, tragen, außer anderem werthvollen Schmucke, Spangen an Armen und Beinen, die sie beim Baden nie ablegen, da sie befestigt sind und nicht weggenommen werden können. Daß der vermeintliche Alligator in seiner Nahrung so lecker war, indem er stets eine Brahmanin oder ein Rajahput-Mädchen raubte, führte hauptsächlich zur Entdeckung des Komplottes. – Wir befinden uns jetzt gerade dem Diamanthafen gegenüber; dieses ist ein sehr ungesunder Ort, das kann ich Ihnen versichern. Rudert ein wenig an Backbord, Mr. Jones, – fünf bis sechs Faden mehr Kabeltau! Wir schleppen zu schnell. Dies ist eine sehr gefährliche Ecke, um welche wir eben herumfahren. Wenn wir acht weitere Meilen zurückgelegt haben, so wollen wir vor Anker gehen und zu Mittag essen. Ich bitte um Verzeihung, mein junger Herr, aber es ist mir lieb, wenn Sie den Kompaß unberührt lassen. Sie werden mich entschuldigen, ich bin Kapitän auf meinem Schiffe.«

Der Lootsen-Schooner kam ohne Schaden um die genannte Ecke herum und ging in weniger als einer halben Stunde einem großen Dorfe gegenüber vor Anker. Der Kapitän sagte, daß man wegen der langsamen Fluth vor Beendigung des Mittagessens nicht weiter fahren könne, weßwegen er während der Ebbe hier bleiben und erst am andern Morgen in der Frühe den Anker lichten wolle. Wenn daher Kapitän M. und die übrigen Herren Lust hätten, einen Ausflug zu machen, so sei ein Boot für sie in Bereitschaft. Dies wurde mit Vergnügen angenommen. Nach dem Essen ließ der Kapitän des Schooners ein Boot bemannen, und begleitete auf die Bitte Kapitän M.'s die Gesellschaft an's Ufer. Bei ihrer Landung verkündigte das Zusammenströmen der Einwohner und eine lärmende Musik, daß etwas Außergewöhnliches im Werke sei. Auf seine Frage erfuhr der Lootsen-Kapitän, daß der Rajah des Dorfes den Strom hinaufgefahren, um in einem entfernten Tempel sein Opfer darzubringen, aber nicht zu der von ihm bestimmten Zeit zurückgekehrt sei. Daher fürchteten die Einwohner, es möchte ihm ein Unfall begegnet sein, und suchten deßwegen die Gottheit zu versöhnen.

»Sie werden jetzt Gelegenheit haben, etwas ganz Ungewöhnliches zu sehen, nämlich einen Tanz zu Ehren Schiva's. Sie brauchen nicht so zu eilen, junger Herr,« sagte der Kapitän zu Courtenay; »der Tanz wird bis Mitternacht dauern.«

»Wie verdammt ärgerlich ist dieser Kapitän auf seinem Schiffe!« bemerkte Courtenay gegen Macallan; »junger Herr! kann denn der Kerl mein Epaulett nicht sehen?«

»Es ist aber doch keine Beleidigung, so zu sagen? Sie haben auch ein so jugendliches Aussehen und sicherlich sind Sie auch nicht unzufrieden, wenn Sie mit Herr angeredet werden.«

»Allerdings nicht; aber gerade das macht mir Verdruß, weil ich nichts dagegen einwenden kann.«

Bald kam die Gesellschaft auf dem kleinen Vorplatze einer Pagode an, wo das Fest stattfinden sollte. Die Pagode war gerade nicht groß, aber offenbar sehr alt, und die Basreliefs, die sich an ihr befanden, und welche Aufzüge zu Ehren der Gottheit darstellten, waren von einer weit besseren Ausführung, als es gewöhnlich bei Hindu-Tempeln der Fall ist. Die Kuppel war verfallen: die Natur hatte die Kunst überwunden. An ihrer Stelle war ein kleiner Baum aus dem Akazien-Geschlecht emporgewachsen und stand, indem seine Zweige lustig im Winde wogten, wie ein jugendlicher Fürst da, der über die mannigfachen Gesträuche und Pflanzen, welche überall aus den Rissen des Gebäudes hervorsprossen, regierte und dieselben beschützte.

Ungefähr fünfzehn Männer begannen den Tanz; sie waren völlig nackt und ihr langes Haar flatterte an ihnen herunter. Sie machten mit der größten Behendigkeit und Genauigkeit die mannigfaltigsten und sonderbarsten Wendungen, indem sie ihre Hände und Arme umherwarfen und äußerst geschickt, jedoch auf eine schreckliche Art, ihre Leiber bis zu den Fingern verrenkten.

Bisweilen bildeten sie plötzlich einen Kreis, und indem sie ihre Köpfe schüttelten, flatterte ihr langes Haar wild umher, so daß die Spitzen derselben auf einen Augenblick im Mittelpunkte zusammentrafen. Dann drehten sie wieder ihre Köpfe auf den Schultern mit einer solchen Schnelligkeit herum, daß das Auge beinahe dadurch geblendet wurde, während ihr Haar umherflog, wie ein Haderlumpen in den Händen einer starkgliederigen Hausmagd. Ihre Bewegungen geschahen nach dem Takte der Tomtoms, während ein alter Brahmine mit weißem Barte an dem Eingange der Pagode saß und, mit einem kleinen Bambusrohre auf seine linke Hand schlagend, die ganze Ceremonie leitete. Nachdem sie einige Augenblicke die ungestümsten Bewegungen ausgeführt hatten, gab er ein Zeichen zum Aufhören. Die Tanzenden, rauchend vor Schweiß, der aus jeder Pore drang, banden ihr nasses Haar auf der Stirne zusammen und machten einer andern Schaar Platz, die denselben Tanz wiederholte.

»Soll das Religion sein?« fragte Seymour Macallan mit einigem Erstaunen.

»Diese Frage läßt sich nicht so kurz beantworten. Wir müssen annehmen, daß es als solche gilt, denn ihre Verehrer sind wenigstens aufrichtig.«

»Allerdings! Wenigstens die Wärme ihrer Frömmigkeit ist außer allem Zweifel,« bemerkte Courtenay trocken.

Durch die ungewöhnliche Hitze und Ausdünstung von den in Masse zusammengedrängten Einwohnern, die dem Tanze anwohnten, sahen sich Kapitän M. und seine Begleiter gezwungen, die für einen Europäer so neue und anziehende Scene zu verlassen. Auf den Rath ihres Führers setzten sie ihren Spaziergang nach den äußeren Theilen des Dorfes fort.

»Ich landete schon oft bei diesem Dorfe,« bemerkte der Kapitän, »denn man verfertigt hier die kleinen, in Kalkutta so beliebten Matten, und ich hatte häufig Aufträge, solche mitzubringen. Wenn Sie Lust haben, kann ich Ihnen eine Neuigkeit zeigen, aber Sie müssen sich im Voraus auf keinen ergötzlichen Anblick gefaßt machen. Der Nullah, welcher hier fließt, läßt oft todte Körper am Ufer zurück. Es ist jetzt halb Ebbe und wenn Sie gerne Geier und Schakals sehen möchten, so kann ich Ihnen eine Menge davon zeigen. Aber Sie müssen sich auf eine widerwärtige Scene vorbereiten; denn diese Thiere kommen nicht ohne Ursache zusammen.«

»Wahrscheinlich um die todten Körper zu rauben?« erwiederte Kapitän M. »Aber da ich diese Thiere noch nie in ihrem wilden Zustande gesehen habe, so will ich meinen Abscheu vor dem widerlichen Anblicke bekämpfen, keineswegs übrigens diejenigen, welche keine Lust haben, sich an diesen Ort zu begeben, zur Theilnahme zwingen.«

»Seit ich diesem Tanze zugeschaut,« bemerkte Courtenay, eine Prise nehmend, »bin ich vollkommen auf jede Mahlzeit vorbereitet; es kann unmöglich etwas Widrigeres geben.«

Macallan und Seymour drückten den Wunsch aus, weiter zu gehen; der Lootsen-Kapitän zeigte ihnen also den Weg und sagte: »Die Thiere bringen den Klimaten, wo sie einheimisch sind, den größten Nutzen. Sie leisten den nämlichen Dienst auf dem Lande, wie die Alligators in dem Wasser, nämlich den der öffentlichen Gassenkehrer. Die Zahl der Leichen, welche in den Ganges geworfen werden, ist unglaublich. Ist ein Hindu krank, so wird er von seinen Verwandten an den Fluß getragen, und, wenn er nicht wieder aufkommt, hineingeworfen. Es heißt sogar, daß die Verwandten, ohne den Verlauf der Krankheit abzuwarten, denjenigen, welche Geld besitzen, den Mund mit Erde verstopfen, und so ihre Genesung unmöglich machen. Es befindet sich ein starker Strudel jenseits dieser Spitze: die Leichen werden dort in den Nullah hineingezogen und liegen zur Zeit der Ebbe trocken.«

»Was ist ein Nullah?« fragte Seymour.

»Unter einem Nullah versteht man eine Bucht.«

»Ich war thörichter Weise so stolz, daß ich nicht fragen mochte,« fügte Courtenay hinzu, »aber da Seymour das Beispiel gegeben hat, so sagen Sie mir auch, was ein Ghaut ist.«

»Ein Landungsplatz. Sehen Sie, dort auf jenem Baume sitzen einige Geier,« fuhr der Lootsen-Kapitän fort, indem sie längs dem Nullah hinaufgingen. Sobald sie oben angekommen waren, sahen sie sieben bis acht Leichen – umgeben von Geiern und Schakals, bunt durcheinander gemischt, die daran fraßen – im Schlamme liegen.

Als die Gesellschaft sich näherte, flohen die Schakals, blickten jedoch öfters zurück und drehten sich von Zeit zu Zeit nach ihnen, als ob sie fragen wollten, warum man sie an ihrem Mahle verhindere. Die Geier dagegen machten gar keinen Versuch, sich zu entfernen, bis Macallan ihnen auf einige Schritte nahe gekommen war, wo alsdann diejenigen, welche konnten, sich auf ein paar Ellen entfernten oder auf die untern Zweige eines nahen Baumes flogen, auf welchem andere, die bereits satt waren, mit herabhängenden Schwingen auf die Rückkehr des Appetites warteten, um ihre Mahlzeit auf's Neue wieder zu beginnen; einige hatten sich dermaßen angefressen, daß sie nicht von der Stelle konnten. Ihre Schwingen flatterten im Schlamme; die Schnäbel hatten sie aufgesperrt, als wenn sie nach Luft schnappten, ihre blitzenden Augen hatten in Folge des zu vielen Fressens allen Glanz verloren – so blieben sie sitzen, wobei ein so widriger Duft von ihnen ausströmte, daß die zahlreichen Gebeine und die Ueberreste halb zerfleischter Leichen im Vergleich mit diesen ekelhaften Proben lebendiger Verwesung noch Balsam zu sein schienen.

Einige Minuten schaute die Gesellschaft dieser Scene schweigend zu, kehrte darauf mit allgemeiner Uebereinstimmung wieder um, und brach nicht eher, als dieser Ort weit hinter ihnen lag, das Schweigen.

»Ich glaube jetzt beinahe,« sagte Courtenay, indem er seine Dose aus der Tasche zog, »daß man es hier selbst einem Wilden nicht übel nehmen könnte, wenn er hie und da schnupfen würde. Haben Sie jemals einen solchen Gestank erlebt? Er hat in der That meine Dose angesteckt. Sie riecht jetzt stark nach Geiern,« fügte er bei, indem er den Inhalt derselben auf den Boden schüttete. »Das ist doch verdammt ärgerlich.«

»Wir haben wirklich für einen Tag genug gesehen und gehört,« sagte Kapitän M., als sie sich wieder in ihr Boot begaben. »Vielen Dank, Mr. –, daß Sie unseren Wünschen so gütig entgegen gekommen sind.«

»Bitte sehr, Kapitän M., ich bedaure nur, daß das, was ich Ihnen gezeigt habe, mehr neu, als angenehm war; wenn Sie aber nach Kalkutta kommen, so werden Sie Neues und auch zugleich Angenehmes treffen.«

Nach drei Tagen, welche äußerst rasch dahin zu fliegen schienen, indem der Lootsen-Kapitän durch seine Anekdoten den Passagieren unaufhörlich Unterhaltung verschaffte, erreichten sie bei gutem Winde Garden-Reach, und die Stadt der Paläste, die einzige, welche diesen Namen verdient, breitete sich in all' ihrer Herrlichkeit vor ihnen aus.

Aber ich will sie nicht beschreiben – seid deßwegen unbekümmert, meine Leser. Dies kommt mir als Romanenschreiber nicht zu, und ich mache es mir zur Pflicht, alles nicht nothwendig zur Erzählung Gehörende zu vermeiden. Kapitän Hall, der bereits Nord- und Südamerika und Lu-Chu geschildert hat, wird ohne Zweifel auch hieher kommen, und dann vielleicht gelegentlich Afrika berühren; und da ich im Stande bin, mein Buch mit Dichtung zu füllen, ohne auf seine Thatsachen überzuschweifen, so verweise ich euch auf das Werk dieses Kapitäns, sobald es erscheint; denn dort werdet ihr eine Beschreibung dieses großartigen Denkmals der Räuberei, dieses übertünchten Grabes des Lasters, finden.


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