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Achtundvierzigstes Kapitel.

Hätt' ich von vierzig Pfaffen doch die Stimme,
Wie wollt' dein Lob ich singen, Heuchelei!
Wie eine Tugend prahlst du laut und nichts
Ist deine That.

Byron.

Die Heuchelei gibt kund sich überall
Und täglich schafft sie Heil'ge ohne Zahl;
Sie ist 'ne Gabe, deren falscher Schein
Getroffen wird beim Pöbel nicht allein;
Auch die Gesetze leihen ihr noch Macht,
Wodurch sie oft zu Ehren wird gebracht.

Hudibras.

 

Alles durchdringendes Wesen, dessen freier Geist über die Erdendinge sich ausbreitet – Mächtiger, der du über Stationen und Länder, Königreiche und Städte, über Höfe und Paläste, kurz über jede menschliche Wohnung bis zur Hütte herab herrschest – der du ein Rathgeber der Fürsten bist und zu Gerichte sitzest – der du den liebenden Jüngling lächeln und das Mädchen erröthen lässest – der du die Uniform des Sergeanten und den Bischoffsrock mit Ehrfurcht umkleidest – der du bei unserer Erziehung, unserer Verheirathung, unserem Begräbnisse und bei der Wahl unserer Trauerkleider thätig bist, – sei gegrüßt!

Steige herab, Geist der Lüge, und führe meint Feder, damit die Erbärmlichkeit und Heuchelei des Einzelnen unter der Abscheulichkeit des Ganzen verschwinden.

Chamäleons-Geist, der du das Elend unsers Lebens bald
vergrößerst, bald es mit scheinbaren Freuden umgibst – der du
bald abscheulich, bald anziehend bist – der du mit deinem mystischen
Schleier die Strahlen der Schönheit der Tugend trübst
und die schwarze Mißgestalt des Lasters verbirgst – unvergängliche,
ruhmwürdige, unsterbliche Lüge, sei gegrüßt!

Ich rufe dich an und beginne nun mit meiner talismanischen
Feder meinen Zauberspruch. Ich beschwöre dich bei den
Bücklingen der Hofleute, bei den Versprechungen großer Männer,
bei den erkauften Eidschwüren, bei dem Lächeln der Weiber und
den Thränen lachender Erben – erscheine!

Bei deinen Lieblingswerken, dem Schuldentilgungsfond – den
Segnungen des freien Handels – den Aktien-Gesellschaften –
dem Schrecken des Pfaffenthums – der Liberalität ostindischer
Direktoren und der Aufrichtigkeit westindischer Philanthropen – steige herab!

Bei dem jährlichen Schaugepränge – bei der Parlamentsreform
– bei Burdett's Demokratie und dem erstem April –
bei Bartlemy's Messen und dem Minister-Budget – komm!

Bei den Berathungen der Advokaten und den Kanzlei-Fristen –
den öffentlichen Versammlungen und den öffentlichen Diners –
den loyalen Toasten und dem Dreimal Drei – bei weiblichen
Gönnerinnen und Lorddirektoren – bei verlockenden Subscription
für den Präsidentenstuhl – steige herab!

Bei dem Nolo episcopari der Bischöfe – komm!

Bei Zeitungspuffs und Zeitungsberichten – bei den patentisirten
Arzneien und tragbaren Kleiderkapseln – bei den Flaschen der
Weinhändler und den non plus ultra Korkziehern – bei H–t's
Korn und C–tt's Mais, bei W–'s Stiefelwichse und W–'s
Champagner – erscheine!

Bei den Doktoren, den fashionabeln Schneidern, Friseurs, Schuhmachern,
Modehändlern, Juwelieren – allen Auktionatoren
und allen Bazars – komme mir zu Hülfe!

Bei deinen uneigennützigen Verehrern – bei dem ränkevollen
W–e, bei Z– M–y, dem Advokaten S–ns, W–m, S–th,
T–J B–n, Sir G–r, und Dom M–l – erscheine!

Bei allen deinen begabten Anhängern – steige herab!

Du gehorchst noch nicht? – Denn bei dem lebenden B–m, und dem Schatten C–gs, komm!

Rebellischer und ungehorsamer Geist! ich sage dir, du mußt kommen, sitzest du nun im Kriegsrathe, um einen Kampf anzuzetteln, in welchem Tausende fallen sollen, oder hilfst du einen Rock wattieren, in den ein Neuntel von einem Mann gesteckt wird – oder bedienst du die mächtige Artillerie eines Weibes gegen einen unbewaffneten Mann und leitest das Feuer ihrer Blicke, die gleich dem ägyptischen Könige ein Reich verschwenden – oder hilfst du einem Kammermädchen einen Skandal anrichten – so mußt du dennoch erscheinen. Es gibt noch einen mächtigen Zauberspruch, einen gewaltigen Namen, der dich zitternd mir zu Füßen legen wird. – Jetzt –

Bei Allem, was verächtlich ist – (Der Lügengeist steigt herab unter einem nachgemachten Kupferplatten-Donner.)

Nun zu! Lenke meine Feder so, daß die Schlechtigkeit und Heuchelei des Individuums über der Abscheulichkeit der ganzen Scene vergessen wird. –

Die Jokeys trugen nach dieser Katastrophe kein Bedenken, Alles zwischen ihnen und ihrem Herrn Vorgefallenen auszuplaudern; die Sache wurde sehr bald in ganz Cheltenham bekannt, wie es stets aus einem Platze der Fall ist, wo die Leute nichts zu thun haben, als von einander zu reden. Die einzige Widerlegung, welche die Wahrheit des Gerüchtes bezweifeln ließ, bestand in dem Betragen Rainscourt's. Er war ganz untröstlich – warf sich über die Leiche hin und erklärte, daß ihn nichts von seiner lieben – lieben Klara zu trennen vermöge. Der ehrwürdige alte Pfarrer, welcher Mrs. Rainscourt in ihren letzten Augenblicken mit geistlichem Troste zur Seite gestanden hatte, brachte ihn nicht ohne Mühe am andern Tage, mit Hülfe der Bedienten, in ein anderes Zimmer. Einige meinten, er bereue sein liebloses Betragen und werde von Gewissensbissen gequält; die Frauenzimmer sagten, ein Mann sehe den Werth seiner Gattin erst dann ein, wenn er dieselbe verloren; Andern erschien sein Kummer nur als Heuchelei, obwohl sie zu gleicher Zeit zugaben, daß sie nicht im Stande seien, die selbstsüchtigen Gründe zu entdecken, von denen geleitet er eine solche Rolle spiele.

Als aber Mr. Rainscourt durchaus verlangte, das Herz der Dahingeschiedenen sollte einbalsamirt und in einer massiven goldenen Urne beigesetzt werden, da hielt ganz Cheltenham, wenigstens die Damen, seinen Schmerz für aufrichtig; und die Herren, sowohl verehlichte, als ledige, waren entweder zu gescheit, oder zu höflich, wenn man ihnen Mr. Rainscourt als das Muster aller Ehemänner vorhielt, eine entgegengesetzte Ansicht zu äußern. Zudem bürgte Mr. Potts, der Pfarrer, welcher mit einem schönen Geschenke dafür, daß er Mrs. Rainscourt nach dem Grabgewölbe begleitet hatte, und außerdem bei dieser Gelegenheit mit einem reichen Geschenke für die Armen bedacht worden war – für Rainscourt's aufrichtigen Kummer. »Wie könnte Jemand seine Aufrichtigkeit glänzender an den Tag legen?« dachte Mr. Potts, der, von dem reichen Geschenke verblendet, ganz vergaß, daß, obwohl das Unglück uns gegen die Leiden Anderer theilnehmend macht, wir doch auf der andern Seite eben so sehr (wo nicht noch mehr) freigebig sind, sobald uns ein unerwartetes Glück widerfährt.

Mag sich die Sache nun verhalten, wie sie will, Rainscourt's Benehmen würde für musterhaft erklärt. Alle Winke und Vermuthungen in Beziehung auf frühere Zwistigkeiten wurden als Lügen gebrandmarkt, und ganz Cheltenham sprach von Nichts, als der verstorbenen Mrs. Rainscourt, dem lebenden Mr. Rainscourt, dem Herzen und der prächtigen goldenen Urne.

»Wissen Sie nicht, wie es dem armen Mr. Rainscourt geht?« war die gewöhnliche Frage, wenn sich die Damen am Brunnen versammelten, um, den Vorschriften ärztlicher Lügengeister gemäß, Nummer drei oder Nummer vier hinunter zu schlürfen.

»Er soll resignirter sein – Einige wollen ihn nach Dunkelwerden außer dem Hause gesehen haben.«

»Wie? Natürlich aus dem Kirchhofe. Der arme, liebe Mann!«

»Miß Emiliens Kammermädchen hat meiner Abigail gestern Nacht gesagt, daß sich ihre Herrschaft in den Trauerkleidern sehr gut ausnehme. Vermuthlich wird sie vor ihrer Abreise von Cheltenham nimmer auf die Promenade kommen.«

»Das soll sie auch nicht!« erwiederte eine junge Lady, der es gar nicht in den Kopf wollte, daß eine so schöne und reiche Erbin zu Cheltenham sich aufhalte. »Es wäre sehr unanständig, wenn sie dieß thäte; man müßte es ihr zu verstehen geben.«

Mit Ausnahme Mr. Pott's hatte es Niemand gewagt, die Einsamkeit Mr. Rainscourt's zu stören, der den ganzen Tag, bei geschlossenen Fensterläden und die Arme vor sich auf dem Tische, auf dem Sopha lag. Der würdige Pfarrer besuchte ihn jeden Abend, brachte immer von Neuem seine Trostgründe vor und wies ihn aus die Pflicht christlicher Ergebenheit hin. Ein tiefer Seufzer, ein schweres Ach, oder ein langgezogenes Oh! waren die einzigen Antworten, welche man mehrere Tage lang von dem betrübten Wittwer hörte. Aber die Zeit wirkt Wunder. Mr. Rainscourt lieh endlich auch den Neuigkeiten des Tages wieder ein Ohr und lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit auf die Antworten, welche er in Beziehung auf das, was die Welt über ihn sagte, dem Pfarrer durch indirekte Fragen entlockte.

»Ich bitte, Mr. Rainscourt, hängen Sie Ihrem Kummer nicht länger nach. Jede Uebertreibung ist Sünde. Meine Pflicht gebietet mir, Ihnen dieß zu bemerken, und Ihnen kommt es zu, aus meine Worte zu hören. Man kann zwar nicht erwarten, daß Sie sogleich zu der Welt und ihren Ergötzlichkeiten zurückkehren; aber da ein Anfang dazu gemacht werden muß, warum sollten Sie heute nicht in meiner und Mrs. Pott's Gesellschaft zu Mittag speisen? Folgen Sie doch meinem Rathe – meine Frau wird hoch erfreut sein, Sie an ihrem Tische zu sehen – wir speisen um fünf Uhr. Ein Fleischgericht – und weiter nichts.«

Rainscourt, welchem die Einsamkeit bereits nicht mehr behagte, lehnte die Einladung des Pfarrers zwar ab, aber doch so, daß dieser sie zu wiederholen für gut fand. Endlich nahm er sie, aber scheinbar sehr ungerne, an. Der Pfarrer verweilte bei ihm bis zur Essenszeit, und führte alsdann Rainscourt, der, in volle Trauer gekleidet, die Augen stets auf den Boden heftete, über die Straße.

»Da ist Mr. Rainscourt!« »Da ist Mr. Rainscourt!« flüsterten einige von den Spaziergängern, welche die Straße heraufkamen.

»Nein! Das ist er nicht.«

»Ja, er ist's; Mr. Potts ist bei ihm! Sehen Sie nicht seinen schönen großen Hund hinter ihm? Er geht nie ohne denselben aus! Ist es nicht ein superbes Thier? Es ist ein ostindischer Polygarhund und heißt Tippo.«

Das Pfarrhaus war ganz in der Nähe von Mr. Rainscourt's Wohnung. Sie traten bald in dasselbe ein und waren nun vor den spähenden Blicken der Müssiggänger und Neugierigen sicher.

»Ich habe Mr. Rainscourt beredet, zu uns zu kommen und mit uns zu Mittag zu speisen, meine Liebe.«

»Sehr erfreut, Sie bei uns zu sehen,« erwiederte Mrs. Potts, indem sie ihrem Manne einen grimmigen Seitenblick zuschleuderte.

Mr. Rainscourt machte eine kleine Verbeugung, setzte sich auf das Sopha und bedeckte das Gesicht mit der Hand, als wäre ihm das Tageslicht zuwider.

Mrs. Potts nahm die Gelegenheit wahr, schlüpfte aus der Thüre und winkte ihrem Gatten hinaus.

»Ich will den Wein abklären. Ganz im Familienkreise, Mr. Rainscourt – keine Komplimente.«

»Entschuldigen Sie,« fuhr der Pfarrer fort, als er wie ein Schuljunge, der die Ruthe bekommen soll, den Befehlen seiner Frau Folge zu leisten sich anschickte.

»Nun, meine Theure?« sagte Mr. Potts demüthig, sobald er die Thüre zugemacht hatte. Aber Mrs. Potts antwortete nichts, bis sie ihren Gemahl so weit vom Wohnzimmer hinweggelockt hatte, daß sie glauben konnte, Mr. Rainscourt werde auf den hohen Ton nicht aufmerksam, den sie jetzt anzustimmen beabsichtigte.

»Ich muß sagen, Mr. Potts, du bist ein rechter Narr. Es ist Samstag – alle Mägde sind mit der Wäsche beschäftigt – und mir noch Jemand zum Essen einladen? Es ist nichts, gar nichts zum Essen da. Man möchte wahrhaftig aus der Haut fahren.«

»Nun, meine Theure, das hat nichts zu sagen; der arme Mann wird höchst wahrscheinlich keinen Bissen berühren; er ist vom Schmerze ganz niedergebeugt.«

»Larifari,« entgegnete die Dame; »der Kummer nimmt den Appetit nicht, Mr. Potts; im Gegentheil, betrübte Leute bekümmern sich mehr um ein gutes Mittagsmahl, als Andere. Es ist der einzige Genuß, dessen man, ohne in den Augen der Welt als gefühllos zu erscheinen, sich erfreuen darf.«

»Nun, das mußt du besser wissen, meine Liebe; allein ich glaube nicht, daß, wenn du stürbest, ich nur einen Bissen essen könnte.«

»Und ich sage dir, Potts, daß mir das Essen recht schmecken würde, wenn du auch gleich morgen stürbest. Es ist recht dumm von dir! Sally, lauf und nimm das Tischtuch wieder weg; es ist ganz schmutzig; decke eines von den feinen damastenen.«

»Es wird zu groß für den Tisch sein, Madame.«

»Thut nichts – nur schnell! Geh' zum Nachbar hinüber und bitte den alten Deutschen, herüberzukommen und bei Tische aufzuwarten. Er soll dafür eine halbe Maß Bier erhalten.«

Sally richtete diesen Befehl aus. Mr. Potts, dessen Wein schon längst abgezapft war, kehrte mit seiner Gattin, nachdem sie ihn tüchtig abgezankt hatte, wieder in das Wohnzimmer zurück.

»Mein lieber Mr. Potts ist so delikat bei seinem Weinzapfen,« bemerkte die Lady, während sie eintrat, mit einem graziösen Lächeln; »er ist so langsam dabei und zankt beständig, wenn ich dieß Geschäft für ihn versehen will.«

Mr. Potts war über diese letzte Beschuldigung ein wenig bestürzt; doch stimmte er, als ein gut dressirter Ehemann, zuletzt lachend bei. Es verfloß eine langweilige halbe Stunde – während welcher die Frau Pfarrerin den Faden des Gesprächs ganz allein führte; denn des Pfarrers Antworten waren nur einsilbig und Rainscourt sprach gar nichts, bis endlich der deutsche Aufwärter meldete, das Mittagessen sei bereit.

»Meine Herren, das Mittagessen steht auf dem Tisch.«

»Kommen Sie, Mr. Rainscourt,« sagte der Pfarrer in bittendem Tone.

Rainscourt stand auf und schritt, ohne der Dame seinen Arm zu geben, welche den ihrigen schon gekrümmt ausstreckte, an der Seite Mr. Potts' aus dem Zimmer. Die Eheherrin folgte nun nach und ihre Blicke schienen zu sagen, der Verlust einer Frau sei keineswegs ein Grund zur Vernachlässigung aller Höflichkeit gegen eine andere.

Die Schüsseln wurden aufgedeckt und es kamen zwei kleine Stückchen Braten, viel zu klein für drei Personen, und ein Kartoffelgericht zum Vorscheine.

»Darf ich Ihnen ein Stückchen Braten vorlegen, Mr. Rainscourt? Ich fürchte nur, das Mittagessen ist sehr schmal ausgefallen.«

Rainscourt dankte mit einer schweigsamen Verbeugung, und der Braten verschwand in kurzer Zeit unter den Kauorganen des Pfarrers und der Pfarrerin.

Die Gerichte des ersten Ganges wurden abgetragen, und der Deutsche erschien mit einer bedeckten Schüssel. Sally folgte hinter ihm, brachte etwas Gemüse und ging dann wieder in die Küche, um noch mehr zu holen.

»Ich fürchte nur, das Mittagessen ist sehr schmal ausgefallen,« wiederholte die Lady. »Schneider, nehmt den Deckel weg. Darf ich Ihnen ein Stückchen von diesem vorlegen?«

Rainscourt wandte sich um, um zu sehen, ob die angetragene Speise seinen Appetit reizen könnte, und erblickte ein – dampfendes Ochsenherz.

»Mein Weib! mein Weib!« rief er vom Sopha aufspringend, bedeckte das Gesicht mit den Händen, als ob der Gegenstand, welcher eine solche Erinnerung in ihm geweckt, ein Gräuel sei, und machte den Versuch, aus dem Zimmer zu springen. Allein seine Flucht war mit Schwierigkeiten verknüpft. In der Eile hatte er sich in das lange Tischtuch verwickelt, das bis auf den Fußboden herabhing, und zog Alles zur größten Bestürzung der Anwesenden mit sich fort. Da er noch überdieß sich die Augen zuhielt, rannte er an den Deutschen, welcher gerade eine Schüssel von Sally in Empfang nehmen wollte, dermaßen an, daß er ihn an die Magd hinschleuderte und beide mit einander auf den Boden stürzten.

»Ach mein Gott! mein Gott!« schrie der Deutsche, dessen Gesicht von dem dampfenden Erbsenbrei, den er so eben noch in der Hand getragen hatte, über und über bedeckt war.

»O Herr Je! Herr Je!« jammerte Sally, auf dem Fußboden hin und her kugelnd.

»Mein Weib! mein Weib!« wiederholte Rainscourt, indem er über beide hinwegschritt und seine Flucht fortsetzte.

»O mein Mittagessen, mein Mittagessen!« klagte der Pfarrer, während er die allgemeine Zerstörung überblickte.

»Und o du Tölpel aller Tölpel!« schrie die Lady mit in die Seite gestemmten Armen, »daß du einen solchen Menschen zum Essen einladen magst.«

»Nun ich habe nicht im Geringsten daran gedacht, daß er es so zu Herzen nehmen könnte,« antwortete der Pfarrer demüthig.

Allein wir müssen Rainscourt begleiten, welcher – sei es nun, daß der Vorfall ihn wirklich ergriffen hatte, oder da er wußte, daß eine solche Scene unter die Leute kommen würde, es für räthlich hielt, einige Rührung blicken zu lassen – mit raschen Schritten nach der Promenade lief, wo er mit der stummen Eile eines Gespenstes durch den gedankenlosen Haufen hinschlich. Nachdem er die Blicke der Zuschauer gehörig auf sich gezogen hatte, sank er auf eine der abgelegensten Bänke nieder und richtete seine Augen eine Zeitlang ernsthaft zu den Wolken empor, aus welchen, wie man glaubt, freundliche Geister herabschauen und über die Thorheit und Verkehrtheit der sündhaften Welt weinen. Als sich sein Auge wieder zur Erde senkte, erblickte er – Schrecken über Schrecken – das Ochsenherz, dessen sich sein großer Hund während der Verwirrung beim Mittagessen bemächtigt und es im Munde herbeigetragen hatte. Da es ihm zu heiß war, so hatte er es auf einige Augenblicke niedergelegt und war so eben damit bei seinem Herrn angekommen.

Er war kaum einen Fuß von der Bank entfernt, und an der Beute nagend schaute er gleichsam höhnisch zu seinem Herrn empor, und wedelte mit seinem langen, behaarten Schweife.

Abermals trat Rainscourt hastig seinen Rückzug an, und zwar nach seiner Wohnung, begleitet von dem treuen Thiere, welches, über die ungewöhnlich schnellen Bewegungen seines Herrn entzückt, mit seiner Beute vor ihm herlief, indem es zu höflich war, früher an sein Mahl zu gehen, als bis sich eine günstigere Gelegenheit darbot. Rainscourt klopfte an die Thüre. Sobald geöffnet wurde, sprang der Hund voraus, gerade auf das Trauerzimmer zu, legte sich mit dem Herz unter den Tisch, auf welchem die goldene Urne stand, begrüßte seinen Herrn mit ein paar freundlichen Schwanzschlägen auf den Boden und begann sein Mahl.

Rainscourt rief einen Bedienten und sagte, ohne die Urne, den Hund oder den Menschen anzublicken, in barschem Tone: »Nimm dieses Herz und wirf es weg.«

»Sir!« erwiederte der Diener erstaunt, welcher den Hund und dessen Beschäftigung nicht bemerkte.

»Wirf es sogleich weg! Hörst du?«

»Ja, Sir,« versetzte der Bursche, nahm die Urne vom Tische und verließ das Zimmer, indem er auf der Treppe vor sich hin murmelte: »Ich stellte mir vor, daß es nicht lange dauern würde.« Als der vermeinte Befehl ausgeführt war, kehrte er zurück und sagte: »Wo befehlen Sie, Sir, daß ich die Urne hinstellen soll?«

»Die Urne?« rief Rainscourt. Jetzt wandte er sich um und erblickte das leere Gefäß.

Das war zu viel. Am nämlichen Abend noch setzte er sich in den Wagen und verließ Cheltenham für immer.

In der nächsten Woche waren allerlei Gerüchte im Umlauf. Einige sagten, der böse Hund habe die Urne zerbrochen und das einbalsamirte Herz gefressen. Jeder wußte etwas Anderes, und vor Ablauf der Woche hatten sich sämmtliche Geschichten in's Fabelhafte verloren.

Nur in Einem Punkte waren Alle der gleichen Meinung – darin nämlich, daß Mr. Rainscourt's Kummer nichts als Heuchelei war.


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