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Ich bin entschieden eine Belästigung – beginne mein Leben mit einem halben Dutzend fruchtloser Reisen – finde eine Heimath sammt einem Nährvater und spreche gelehrt von Drehkreuzen und Erzbischöfen.
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Was soll aus dem Kinde werden? Das ist eine furchtbare Frage, die schon oft unter allen Arten von Leuten gestellt wurde. Von allen möglichen Gegenständen ist ein Kind am allerschwersten los zu werden. Ein Weib kann man sich allenfalls ohne viel Herzbrechen vorn Hals schaffen, sogar einen Freund wie Schutt aus dem Wege räumen, und doch dabei ruhig bleiben – aber ein hülfloses, neugeborenes Kind! – Oh in seinem schwachen Winseln liegt eine ergreifende Beredtsamkeit, die sogar Fremden zum Herzen dringt: sie muß wie glühendes Feuer wühlen in den Eingeweiden der Mutter.
Der ganze Haushalt wurde augenblicklich in Bewegung gesetzt, um eine Amme auszusuchen. Endlich wurde eine solche in dem sehr hübschen Weibe eines liederlichen Brettschneiders, Namens Brandon, gefunden. Letzterer hatte viele Wechselfälle des Lebens gesehen und als Soldat, als Bedienter und als Matrose gedient; dabei war er ein verschmitzter, sinnlicher und harter Mann, mit einer unüberwindlichen Vorliebe für starkes Bier und die Kugelbahn. Seine Frau war ein sanftmüthiges kleines Geschöpf von ungemein gedrungener und ansprechender Gestalt. Ihr Gesicht glühete von Gesundheit; auch war sie, wie vorhin bemerkt, sehr hübsch und hätte wohl schön genannt werden können, wenn man anders diesen edlen Ausdruck auf die gemeine Atmosphäre, in der sie athmete, anwenden dürfte. Brandon war ein tüchtiger Arbeiter, ließ sich aber während der Hälfte der sechs Arbeitstage in der Woche unfehlbar, die Pfeife im Munde, beim Bierkrug oder auf dem Kegelgraben betreffen, weshalb sich Niemand wundern wird, wenn es viel Elend in seinem Hause gab, welches oft noch durch seine Rohheit erhöhet wurde. Und doch war er ein ganz angenehmer Kerl, wenn er Geld in der Tasche hatte, und ein ganz fideler Bursche, wenn er es verthat. Seine Frau halte ihn vor nicht langer Zeit mit einem schönen Mädchen beschenkt, und ihr Mutterherz blutete über den Mangel, mit welchem das rücksichtslose Benehmen ihres Mannes sie nun schon so lange vertraut gemacht hatte.
Diese ganze Zeit über schrie des Lesers gehorsamer Diener, und Niemand ließ sich ausfinden, unter so sonderbaren Umständen die Sorge für ein Wickelkind zu übernehmen, das unverweilt von seiner Mutter wieder vergessen werden sollte. Endlich fiel einer der Wirthshausmägde ein, sie habe Mrs. Brandon sagen hören, daß sie gerne noch ein anderes Kind außer ihrem eigenen säugen würde, wenn sie sich dadurch einigermaßen ihrem Mangel entziehen könnte. Da sie nun damals von Gesundheit strotzte und zwei schöne Milchbrüste hatte (denn mit einer einzigen wäre mir bei der Abwechslung nicht gedient gewesen), so wurde sie herbeibeschieden. Sobald sie übrigens hörte, daß ich ohne nähere Nachweisungen unmittelbar ihrer Obhut übergeben und für mögliche Unfälle nicht einmal eine Adresse zurückgelassen werden sollte, waren alle ihre Wünsche, sich selbst und ihr Kind in eine bessere Lage zu versetzen, doch nicht stark genug, um sie zu bewegen, sich auf die Gefahr einzulassen. Man bot ihr anderthalb Guineen wöchentlich und wollte ihr das erste Quartal zum Voraus bezahlen, aber vergeblich. Endlich ließ sie sich aber doch durch eine zugäbliche Zehnpfundnote ermuthigen, und da viel Flanell nöthig war, so wurde ich, noch ehe ich drei Stunden zählte, gebührend ausgestattet, um unverweilt das Dach zu verlassen, das ich nicht ein mütterliches nennen kann, um in den Kampf mit der Welt hinauszutreten.
Meine Mutter drückte außer sich glühende Küsse auf meine stöhnenden Lippen, rief heiße Segenswünsche auf mich nieder, die sie in ihrer Person nicht zu stören gedachte, und schärfte meiner Pflegerin bei der Liebe zu ihrem eigenen Kinde feierlich ein, gewissenhafte und mütterliche Sorge für mich zu tragen. Damit übrigens der Jammer dieser Scene für diejenige, welche mich geboren, nicht verhängnisvoll werde, schaffte man mich und meine Amme in aller Eile fort, noch ehe der Tag meiner Geburt völlig angebrochen war.
Dieser Tag war zufällig einer von denen, an welchen der Brettschneider auf Arbeit ausgegangen war. Er war früh aufgebrochen und eben eifrig im Geschäft begriffen, als ein dienstfertiger Freund zu ihm kam, um ihm mitzutheilen, daß sein Weib der Familie einen Zuwachs gegeben habe, ohne sogar um seine Erlaubniß zu bitten. Statt daher in seiner Arbeit fortzufahren, warf er sein Geräthe nieder, nahm seine Laterne auf und eilte nach Haufe, um daselbst aufzuräumen. Der Unmensch! möge ihm für alle Ewigkeit die Säge in den Händen kleben! Er fluchte fürchterlich und betheuerte mit schweren Eiden, daß ich augenblicklich sein unwirthliches Dach verlassen müsse, weshalb meine sanfte Pflegemutter, die ihre Thränen mit meinem Schreien vereinigte, sich genöthigt sah, mich an dem unheimlichen Regenmorgen, der nebelich über so vielem Elend grauete, zu meiner Mutter zurückzutragen.
Die dringendsten Bitten und eine Zugabe von fünf Pfunden bewogen endlich Mrs. Brandon, mich wieder an ihr Herz zu nehmen und zu versuchen, ob sie das Mitgefühl ihres Gatten nicht zu wecken im Stande sei. Sie kehrte zu ihm zurück, aber inzwischen hatte sich dieser Mensch mit zwei Rathgebern benommen – mit einem betrunkenen Gehülfen, der unter ihm diente, und seinem eigenen Geize. Ich berichte bloße Thatsachen. Vielleicht glaubt man mir nicht – je nun, ich kann's nicht ändern – aber dreimal wurde ich hin- und hergetragen, und jeder Gang brachte dem Brettschneider fünf Extrapfunde ein, bis endlich mein kleiner Kopf einen Ruheplatz fand. Alle diese Thatsachen habe ich wiederholt aus dem Munde meiner Pflegemutter getreulich so vernommen, wie ich sie hier aufzeichnete.
An jenem denkwürdigen Morgen fuhr die vierspännige Chaise wieder vor der Thüre des Gasthofes an; die durch Schleier und Halstücher verhüllte Dame wurde hineingehoben, und der Wagen rasselte in nördlicher Richtung mit aller Eile durch die Straßen von Reading. Ich will keine Thatsachen berichten, von denen ich nicht zuverlässige Kunde habe, und kann deshalb ebensowenig angeben, welchen Weg die Chaise mit ihrem einsamen Insassen nahm, als ich im Stande bin, eine rührende Schilderung von Gefühlen zu geben, die ich nicht als Augenzeuge zu bestätigen vermag. Ich erfuhr später, daß diese Dame meine Mutter war, wagte aber nie eine Frage über diese Punkte, obschon ich aus der Kraft und Innigkeit aller guten und zärtlichen Gefühle, die ihren Charakter bezeichneten, nur den Schluß ziehen kann, daß es ein wohlwollendes Erbarmen der Vorsehung war, wenn sie jene Reise in der Betäubung der Schwäche und Erschöpfung, oder gar in der Irre des Deliriums machte.
Sie verließ ihr neugebornes Kind und schleuderte es von der Wärme ihres eigenen Busens in den kalten Miethlingsschooß einer Fremden. Ich höre nun freilich einige puritanische, weltbeobachtende, gesteifte Exemplare von weiblicher Strenge ausrufen: »Und darin hat sie eine große Schändlichkeit begangen.« Die Thatsache gebe ich zu, aber die Schändlichkeit muß ich völlig in Abrede ziehen. Stolz trete ich an die Seite meiner viel gekränkten Mutter und sage diesen geschnürten Dämchen, daß mehr Muth, mehr Liebe, mehr Frömmigkeit in diesem heroischen Akte lag, als in dem Gefühl und in der achtbaren Zärtlichkeit von tausend Müttern, deren einzige Empfehlung ihre ehrbare Aufführung ist, – ehrbar, weil sie nicht in Versuchung geführt wurden – und deren größte Wonne darin besteht, Opfer, die sie nie bringen könnten, zu verhöhnen, und einen Heldenmuth zu verspotten, den sie nicht zu begreifen vermögen.
Daß viel Elend und Leiden dadurch veranlaßt wurde, will ich nicht läugnen; aber dennoch darf ich nicht säumen, ein Wesen von aller Schuld und Schande frei zu sprechen, dessen Grundsätze so edel waren und dessen Leben so mackellos dastand, wie es nur die Tugend selbst vorschreiben konnte. Die Schmach und das Elend, das meiner Aussetzung folgte, mag die wahren Urheber treffen und ihnen als schwerste Last auf der Seele liegen, wenn sie aufstehen zur Verantwortung am jüngsten Gericht; das glühende Roth der Schaam färbe ihre Gesichter in der Stunde, wenn diejenigen, welche die Welt als ihren Götzen anbeteten, es nicht mehr wagen dürfen, die Gemeinheit und Niederträchtigkeit irdischer Größe zum Deckmantel zu nehmen in der Stunde, in welcher die Handlungen der Menschen gewogen werden in der Wagschaale einer allwissenden Gerechtigkeit.
Wir haben oben gesagt, daß Brandon ein Brettschneider war; wir müssen ihn aber jetzt Mr. Brandon nennen, denn er kaufte sich ein Paar Stulpenstiefel, einen eleganten Rock, und hielt sich trotz dem, daß er oft betrunken nach Hause kam, für einen ganzen Gentleman. Man sieht ihn nunmehr weit häufiger auf dem Kegelgraben, als je zuvor, und er hat statt des Quarts eine halbe Gallone vor sich stehen. Er entscheidet gebieterisch über ehrliches und unehrliches Spiel, und seine Stimme hat bedeutendes Gewicht in fast allen Streitsachen, die in den zwei lustigen Brettschneidern unweit des Lambeth-Weges, oben in der Gurgelschneidergasse gelegen, verhandelt werden. Heutzutage ist freulich Alles geändert. Vergeblich sehen wir uns nach den zwei lustigen Brettschneidern um. Wenn wir fragen, wo sie sind, so wird nicht das Echo, sondern der Erzbischof von Canterbury Antwort geben, denn er hat ganz priesterlich aller dortigen Lustigkeit ein Ende gemacht, indem er das Haus niederriß und an dem Orte eine große Werste aufbauen ließ, wo vordem ein sehr hübscher Baumgang stand, der zu besagten lustigen Brettschneidern führte. Die Gurgelschneidergasse ist nicht mehr, obschon sie, trotz ihres schuftigen Namens, ihrer Zeit einen recht hübschen Spaziergang abgab, und ihre vielen Drehkreuze waren eben so viele Gottesgaben für die kleinen Knaben, welche sich derselben gratis als Carrousels bedienten, für das sie bei jeder Messe des Königreichs mit ihren Pencen hätten ausrücken müssen. Wir können sehr gut begreifen, warum die Drehkreuze dem hohen Würdenträger so viel Anstoß gaben, denn in Wahrheit sind alle jene Gebäude, das Vermiethen der Häuser, die Verbesserung des Grund und Bodens, und das Zerstören von armer Leute Lieblingsspaziergängen nichts mehr, als eine verbesserte Lesart der Worte: »zum Besten der Geistlichkeit.« Dennoch können wir uns nicht entbrechen, die Wegräumung der Drehkreuze zu bedauern, und es thut uns sowohl um ihrer, als um unserer selbst willen leid, daß ihre Beweglichkeit sie in dem Lichte einer stets rebellirenden Schmähschrift erscheinen ließ und so ihre unzeitige Zerstörung herbeiführte.
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