Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einundsechszigstes Kapitel

Beweis, daß Hammelskeulen oft Freundschaften von langer Dauer hervorrufen. – Der Werth des guten Korns wird am besten erkannt, wenn es gut gedroschen ist.

————

Am nächsten Tage ankerten wir in den Dünen. Schwach, steif und krank musterte ich mein Aeußeres im Spiegel. Mein zerbeultes Gesicht bot einen abscheulichen Anblick, aber ich kümmerte mich nicht darum, denn als Gefangener hatte ich ja ohnehin keine Gelegenheit, dem Düster des Zwischendecks zu entkommen. Dies war wirklich eine recht glückliche Rückkehr zu den heimischen Gestaden.

Ich blieb übrigens doch nicht ganz unbedauert – nicht ganz ohne Theilnahme. Sowohl Doktor Thompson, als der Zahlmeister kamen oft, um nach mir zu sehen. Namentlich schien der Doktor meine Lage tief mitzuempfinden. Er sagte mir, er habe eine seltsame Geschichte gehört, könne aber vor der Hand noch nicht auf die Einzelnheiten eingehen. Dabei versicherte er mich, er glaube durchaus nicht, daß ich an einer Reihe schnöder Täuschungen Theil genommen, die gegen eine alte, ausgezeichnete und reiche Familie geübt worden seien, und forderte mich auf, das Beste zu hoffen, unter allen Umständen aber ihn als Freund zu betrachten. Der Zahlmeister sprach in ähnlicher Weise. Ich erklärte Beiden, ich sei überzeugt, daß sie, nicht ich, das Opfer eines Betrugs wären, denn ich habe ja nie auf was immer für eine Stellung oder Abkunft Anspruch gemacht; meine Familienangelegenheiten seien mir ein vollkommenes Geheimniß – übrigens müsse ich doch fragen, wie sie Vertrauen in die Aussagen eines Menschen setzen könnten, der in so gemeiner Eigenschaft mit mir zusammengekommen, mir so viele Schuftigkeiten bekannt, und die Wahrheit seiner eigenen Zugeständnisse durch sein heillos schändliches Benehmen an Bord bekundet habe. Zu alledem lächelten sie aber weise und sagten, sie hätten ihre Gründe dazu.

»Gut,« sagte ich; »ihr seid verständig und in Vergleichung gegen mich alte Männer. Diesen Daunton könnt ihr nicht für einen moralischen Charakter oder überhaupt für ehrlich halten; aber dennoch tretet ihr auf seine Seite, obschon ihr mir sagt, daß ihr meine Freunde seid. Was alles dies zu bedeuten hat, weiß ich nicht. Kann er beweisen, daß er mein Bruder ist, so ist die Welt weit genug für uns Beide – er soll sich aus meinem Wege halten, wenn er kann. Verlaßt Euch darauf, Doktor, er handelt nach zu später Ueberlegung, und sieht sich zu verzweifelten Schritten genöthigt. Ihr bemerktet seine erbärmliche Feigheit auf der Laufplanke. Warum schickte er nicht während der vielen Stunden, die er in Eisen lag, und ehe die Züchtigung, die er so sehr fürchtete, an ihm verübt wurde – nach Euch, um sie Euch zu vertrauen und so sich zu retten? – Blos weil er damals noch nicht daran dachte. Beim Himmel – jetzt geht mir ein Licht auf! Er ist ein Dieb – hat irgendwo Einbruch begangen und Papiere gestohlen, die sich auf mich beziehen. Ohne Zweifel folgte er mir anfangs in der Absicht, das entwendete Geheimniß mir zu einem theuern Preise zu verkaufen, und hat sich seitdem darauf besonnen, seinen Plan gegen einen einträglichern und heillosern zu vertauschen.«

»Mein armer Junge,« sagte der Doktor freundlich, »Ihr seid in einer Selbsttäuschung befangen. Doch lassen wir den Gegenstand; ich will Euch mit meiner Lanzette die Augen punktiren, denn sie sind furchtbar gequetscht. Nun, Rattlin, wir gehen jetzt unmittelbar nach Sherneß, um daselbst abbezahlt zu werden. Ihr könnt Euch daraus verlassen, daß sich der Kapitän in Betreff Eures Arrestes eines Bessern besinnen wird, namentlich da die zwei Männer am Steuer dem Quartiermeister entschieden widersprechen und behaupten, daß das Ruder hart an Steuerbord, nicht aber hart an Backbord gesetzt worden sei. Es scheint uns übrigens von geringem Belange, wie das Steuer gehandhabt wurde, da das Schiff in so großer Nähe erst entdeckt wurde, und die Schuld liegt augenscheinlich auf Seite derjenigen, welche so jämmerlich zu Grunde gegangen sind. Beiläufig, unter den Lords der Admiralität ist ein Wechsel vorgegangen – es sind jetzt zwei neue jüngere eingetreten.«

»Ich bitte um Verzeihung. Doktor, aber was zum Teufel kann einen halb verhungerten, gefangenen, zerbläuten und zerlumpten Reffer ein Wechsel der jüngeren Admiralitäts-Lorde kümmern?«

Es betraf mich allerdings weit mehr, als ich damals wußte.

»Nun,« sagte ich zu dem Zahlmeister, »wenn Ihr mir eine wirkliche Gefälligkeit erweisen wollt, so wechselt mir etwas von meinem spanischen Gelde in englisches aus, und laßt das erste Marketenderboot, welches anlangt, sich darauf gefaßt machen, daß es mit Ballast an die Küste zurückkehre, denn ich werde es gewiß bis auf's Letzte ausräumen.«

Meinem Gesuch wurde augenblicklich willfahrt und meine Freunde verabschiedeten sich.

Die gesegneten Träger der guten Dinge dieses Lebens, die Marketender- oder Bumboote hatten noch nicht herankommen dürfen, und ich schickte Master Bill alle fünf Minuten hinauf, um nachzusehen. Das Elend in einer Midshipmanskajüte ist groß, wenn alles Töpfergeschirr zerbrochen, aller Grog getrunken und alles Salzfleisch aufgezehrt ist; aber auch überschwenglich groß ist die Wonne in derselben Kajüte, wenn man nach langem Kreuzen endlich in einen Hafen kommt und der erste Laib weichen Brodes auf dem Tische liegt, die erste Hammelskeule in dem Kessel siedet, und das erste Pfund frischer Butter den Mund der Harrenden wässerig macht. Ihr Aldermänner von London, die ihr viel – und ihr Epikuräer des Westendes, die ihr köstlich speist – nie habt ihr erfahren, was eigentlicher Hochgenuß ist. Geht sechs Monate mit Midshipmans-Rationen, die mit Midshipmans-Unbedachtsamkeit gereckt werden, auf die See, und wenn ihr zurückkehrt, so wird euch das schmierigste Bumboot, das zuerst gegen die Schiffsseite schlägt, eine praktische Lehre über die Kunst, ein Mahl zu würzen, geben.

Es ist freilich sehr unromantisch und gar nicht für den Helden eines dickleibigen Werkes passend, daß ich bekennen muß, wie für eine Weile die Impulse meines gekränkten Innern dem Nagen des Hungers völlig gewichen waren, und ich weit mehr an den ersten saftigen Schnitt in eine Southdowner Schöpsenkeule, als an Josua Daunton, dachte.

Endlich trat der gesegnete Augenblick ein. Das Bumboot und die Fregatte rieben sich liebend aneinander, und wie einen Engel, der vom Himmel niedersteigt, sah ich Bill die Hinterlucke herunterkommen, mit strahlendem Gesichte, in jeder Hand eine Schöpsenkeule, unter jedem Arm zwei Brodlaibe, und zwischen jedem Brodpaar ein Pfund frischer Butter eingeklemmt tragend. Ich legte Schöpsenkeulen auf den Tisch, um mich an ihrer Betrachtung weiden zu können, und schickte meinen Boten hinauf, um so viele Porterflaschen zu holen, als zu kaufen waren. Ich sollte mich aber dieser himmlischen Kontemplation nicht allein erfreuen, denn meine fünf Tischgenossen kamen herzu, um sich des ganzen Glückes zu erfreuen. Wie andächtig beäugelten wir das zarte Fett, und wie duftig roch uns schon zum Voraus der herrliche Braten in die Nase! Wir hielten Reden an die Keulen – hätschelten sie liebend mit unsern Händen – und als erst Bill, mit unterschiedlichen Porterflaschen beladen, wieder erschien, lief unser Entzücken mit einer Geschwindigkeit von vierzehn Knoten in der Stunde.

Meine Tischgenossen setzten sich mit einem liebenswürdigen Lächeln auf die Verschlüsse. Wie leid that es ihnen, daß meine Augen so zerbläut und mein Gesicht so geschwollen war! Mit welcher Leutseligkeit lächelten sie mir zu! Ich war von ächtem Schrote – der beste Kerl von der Welt – und der Teufel sollte den holen, der mir nur ein Haar meines Hauptes krümmte. Sie waren Alle bereit, für mich sogar einen Schritt weiter, als in's Fegfeuer, zu gehen.

»Gentlemen,« sagte ich, indem ich aus meinen vier Brodlaiben, meinen zwei Pfunden frischer Butter, und meinen eilf Porterflaschen eine halbkreisförmige Barrikade um mich zog (denn ich war eben im Begriffe, der zwölften den Kopf abzuschlagen, obschon dieselbe den Umständen nach wohl hätte auf den Korkzieher warten können). »Gentlemen, haltet eure Messer bereit – wir wollen ein Lunch haben.« Shylock hat nie das seinige heftiger geschwungen, als meine Kameraden die ihrigen, während sie die Brodlaibe in's Auge faßten. – »Aber da ich nicht glaube, in der letzten Zeit ganz gut von Euch behandelt worden zu sein (die Gesichter wurden sehr ernst), und da ihr ferner wohl wißt, wie ich an diesem Tische viel Geld für wenig Dank ausgelegt habe (die Gesichter wurden ganz niedergeschlagen), so erlaubt mir, euch daran zu erinnern, daß sich noch etwas Zwieback in dem Brodsack befindet, und daß dies vor mir mein Privateigenthum ist.«

Die Kinnladen meiner Tischgenossen sanken nieder, als fühlten sie, daß es hier nichts für sie zu kauen gäbe. Ich schritt mir ein schönes Stück Brod ab, bestrich es dick mit Butter, füllte meinen Becher mit schäumendem Porter, und aß den ersten köstlichen Bissen mit einem recht emphatischen Schmatzen. Dann brach ich über die Jammerblicke meiner Umgebung in ein lautes Gelächter aus.

»Wie konntet ihr auch so niedrig von mir denken?« sagte ich. »Ihr habt mich nach euern Naturen behandelt, und ich behandle euch nach der meinigen. Fallt darüber her, ihr Hunde, und zehrt auf, was da ist! Pickt die Krumen auf, ihr Vogelscheuchen, wie euch der Kreole nannte, und füllt euch an. Doch haltet und seid auch gegen euren Appetit gerecht. Ungeachtet des Lunches werden wir auch ein Diner haben. Laßt uns daher die vier Laibe in acht gleiche Portionen theilen. Wir sind hier unserer sechs und Bill muß auch seinen Antheil kriegen. Wir können noch mehr haben, wenn die Schöpsenkeulen ihre Aufwartung machen.«

Jeder trank eine Flasche Porter und versorgte seinen halben Laib mit wunderbarer Geschwindigkeit, wobei uns auch Bill lustige Gesellschaft leistete. Meine Tischgenossen verließen sodann die Kajüte, und erklärten mich für einen guten Burschen. Die achte Portion Butterbrod mit einer Flasche Porter blieb auf dem Tische stehen; ich schickte dann den Diener wieder nach dem Bumboot, um weitere Zugaben einzukaufen, die zur Vervollständigung unsers Schöpsenmahles nöthig waren.

Inzwischen hatte Pigtop, der unmittelbar vor dem Fenster unserer Kajüte in seiner Hängematte lag, dem Vorgefallenen in einer wahren Tantalusqual zugesehen. Ich kauerte mich in eine Ecke des Lochs und versank allmählig in unangenehme Betrachtungen, als Mr. Pigtop aus seiner Matte kroch, in die Kajüte kam, und sich so fern als möglich von mir niedersetzte.

»Rattlin,« sagte er endlich in einem kläglichen Tone, »Ihr habt mich furchtbar zerschlagen.«

»Ihr wolltet's selbst so haben – thut mir leid.«

»Nun, ich danke Euch – ich meine nicht gerade das Schlagen, denn Ihr wißt, daß ich Euch wie ein Mann entgegenstand. Herrscht noch Groll zwischen uns?«

»Von meiner Seite nicht – warum habt Ihr mich herausgefordert?«

»Ich hatte Unrecht – höllisch Unrecht – und vielleicht würde ich es schon früher zugestanden haben – aber Ihr habt so ein rasches Temperament, und dann gedachte ich jenes harten Schlages auf den Mund. Ich bin am schlechtesten dabei weggekommen. Es geht mir zu Herzen, Rattlin, daß ich, ein alter Seemann, der nahe an den Vierzigen steht, von einem bloßen Knaben niedergeschlagen werden mußte. Es ist nicht anständig – nicht geziemend – ist nicht natürlich – ich werde es nie verwinden können – wollte Gott ich könnte die Geschichten von gestern ungeschehen machen.«

»Das wäre auch mein herzlicher – mein glühender Wunsch.«

»Gut – das ist freundlich gesprochen. Ich alter Kerl, der ich Euer Vater sein könnte, und schon fünfundzwanzig Jahre auf der See bin, muß noch geschlagen werden, daß ich mich nicht mehr rühren kann. Thut mir leid, daß ich je in dieses verwünschte Schiff getreten bin.«

»Wie viel davon,« dachte ich, »mag wohl auf Rechnung eines natürlichen guten Gefühls – und wie viel auf Rechnung des guten Appetits kommen?« Indeß that es mir doch leid um den armen Teufel.

»Rattlin, 's ist uns in der letzten Zeit ärmlich ergangen, und wir haben miserable Kost gehabt. Das Schiff ist eine schwimmende Hölle gewesen. Ich bin fast ohnmächtig, weil ich nichts habe, was meinen Kräften aufhelfen könnte. Ist jenes Brod und jene Flasche Porter Privateigenthum?«

»Sie gehören mir; ich mag sie Euch aber nicht anbieten, weil ich nicht wünsche, daß Ihr von mir glaubt, ich affektire Großmuth. Um der Achtung willen, die ich stets einem alten Seemann zolle, sage ich Euch aufrichtig – wenn Eure Gefühle hinreichend freundlich gegen mich sind, um zuzulangen, so thut es – es ist Euch von Herzen gegönnt und möge Euch wohl bekommen; aber wenn Ihr immer noch Groll gegen mich hegt, so werdet Ihr es um Eurer eigenen Ehre willen zurückweisen, und wenn Ihr vor Hunger sterben müßtet.«

»Rattlin, ich will mit Euch Brod brechen, als mit einem Freunde. Es thut mir verteufelt leid, daß ich Vorurtheile gegen Euch hegte – da habt Ihr meine Hand darauf.«

Ich drückte sie herzlich und entgegnete:

»Pigtop, ich kann nicht bereuen, daß ich mein Bestes that, die mir zugefügte Kränkung zu ahnden, obschon mir die Folgen aufrichtig leid sind. Fortan mögt Ihr mich zweimal kränken, ehe ich meine Hand einmal gegen Euch erhebe.«

»Ich will Euch nie wieder verunglimpfen – will Euer treuer Freund sein – und vielleicht finden sich die Mittel, es zu beweisen.«

Nun kam die Reihe des Erstaunens an mich. Statt daß der hungrige Altgeselle wie ein gieriger Wolf über das Brod herfiel, brach er nur eine kleine Ecke ab, aß sie und wollte sich eben wieder zurückziehen, als ich ihm zurief:

»He, Pigtop! was ist jetzt in dem Wind? Mein Freund, Ihr erweist meinem Mahle nur wenig Ehre, und ich bin überzeugt, daß Ihr's brauchen könnt.«

»Nicht doch,« versetzte Pigtop mit Gefühl. »Ihr sollt nicht glauben, daß der alte Seemann das Geburtsrecht seiner Ehre für ein Linsengericht verkauft.«

»Bei Allem, was aufrichtig ist, das war schön gefühlt und gut gesprochen! Aber dennoch sollt Ihr diese Flasche Porter trinken und dieses Butterbrod essen – ich will es deshalb in vortreffliche Rundstücke schneiden. Zum Henker, Ihr sollt nicht meine Freundschaft annehmen und dabei mein Mahl zurückweisen. Euer Geist gefällt mir so wohl, Pigtop, daß ich um Euretwillen nie wieder einen Mann beurteilen will, bis ich ihn gesund zerdroschen habe.«

Meine Tischgenossen staunten nicht wenig, wie sie mich, als sie sich pünktlich zu dem Schöpsenbraten einstellten, Hand in Hand über den Tisch mit dem alten Pigtop einer andern Porterflasche zusprechen sahen.

*

 


 << zurück weiter >>