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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Villa »Alligator«, – 7 Uhr 59 Minuten abends, zweiter, auf die Bankettnacht folgender Tag.

Kein Fenster der Villa ist erleuchtet. Sämtliche Rolläden dicht geschlossen. Finsternis ringsum und das große Schweigen. Irgendwo winselt es – der Wind, der durch die dunkel ragenden Zypressen streicht.

In dem verschwenderisch mit Tiger- und Leopardenfellen, Stoßzähnen von Elefanten und getrockneten Schlangen- und Krokodilshäuten, mit Geweihen und vielen anderen Trophäen ausgestatteten Jagdzimmer der Villa »Alligator« sitzt, in undurchdringliche Finsternis eingesponnen, ein einsamer Mann. Ruhigen Pulsschlages harrt er der sechzigsten Minute der ablaufenden Stunde entgegen.

Mit steter Sicherheit rückt der große Sekundenzeiger des Chronometers in der Hand des Mannes der Ziffer 12 des leuchtenden Radiumblattes entgegen. Jetzt –, endlich deckt sich der große Sekunden- mit dem Minutenzeiger genau auf dem Markstrich der Ziffer 12. Der Stundenzeiger weist unverrückt auf Punkt 8 Uhr–...

Da – mit einem Male füllt magischer Höllenschein den schweigenden Raum. Verlöscht wieder, so geheimnisvoll wie er entstanden. Und springt noch ein zweites- und drittesmal auf. Dann ist wieder Nacht und Finsternis und das große lautlose Schweigen verlassenster Einsamkeit.

Draußen hatten sich zwei verhüllte Gestalten dem Eingang der unheimlichen Villa genähert. Brummend streckte sich eine Hand nach dem Klingelzug aus. Setzt ihn in Bewegung – aber kein Klingellaut schrillt durch den Korridor des schlafenden Hauses.

» Damned!« flucht der Mann leise, »will man gar den Platzkommandanten von Bombay zum Narren halten?« Heftiger zieht er den Griff und reißt ihn beim drittenmale beinahe ab. Ohne daß auch jetzt ein Klingelzeichen zu vernehmen gewesen wäre, springt plötzlich die Tür auf. Auch war kein menschliches Wesen zu erblicken, das geöffnet haben könnte.

»Hier spukt es scheinbar,« ließ sich die Mannsstimme wieder hören. Und zu der Gestalt ihm zur Seite gekehrt: »Sie haben mich wohl in der geheimen Absicht hierher gelockt, meine schöne Freundin, um mich das Gruseln zu lehren. Als ob es dieses Schrittes erst bedurft hätte! Vilja, – Herrin, Sie wissen doch –«

»Voran, schlotterndes Gebein« zischelte die Schöne unter ihrem dichten Schleier hervor.

Im Augenblick, als der Colonel den Fuß über die Schwelle setzte, fühlte er, wie eine Hand sich in seinen linken Unterarm einkrallte und der warme Hauch menschlichen Atems ihm den Gehörsgang hinankroch. »Colonel,« flüsterte die Stimme seiner Begleiterin, »ich will Sie als Mann sehen! Vergessen Sie das nicht – bei Strafe ewiger Verbannung aus meinen Augen!«

Kaum war die Türschwelle überschritten, so wurde die Tür hinter beiden geräuschlos zugezogen. Gleichzeitig flammten elektrische Glühkörper auf.

»Gar so verwunschen ist das Haus doch nicht,« begrüßte der Colonel das befreiende Licht. »Wir sehen hier den lichten Geist der Neuzeit am Werke. Der Besitzer der Villa scheint eine Schwäche für technische Spielerei zu haben. Bemerken Sie dort am Treppenpfosten den flammenden Lichtpfeil, schönste Freundin? – Folgen wir also dem fahrtweisenden Leuchtturm durch die Fährnisse dieser Wüste!«

Auf dem obersten Treppenabsatz verlangsamte der Colonel seine Schritte. »Ich habe das warnende Gefühl, Carissima,« flüsterte er, »als segelten wir direkt in den Rachen eines schlimmen Abenteuers.«

»Gefahr und Abenteuer sind mir so lieb wie ein Schlafkamerad. Meine Nerven bedürfen beider,« gab das Weib zurück. Ihre feinen Nasenflügel zitterten heftig unter dem leicht mitschwingenden Schleiergewebe. Signora war sehr erregt; mehr als sie eingestanden hätte. Es war das Fieber brennendsten Rachedurstes. Sie fauchte wie eine Wildkatze. Und höhnte:

»Sie sind ja heute sehr poetisch angehaucht, Feigling, der Sie sind, voran jetzt, sage ich! Hollah –! Soll ich Ihnen die nötige Zivilcourage erst einbläuen, säbelrasselnder Knecht? – Avanti –!«

Sie erstiegen so die Treppe.

Als Mr. Webster die Ankommenden im Treppenhaus wußte, trat er von dem Signalkasten, der durch ein dreimaliges Aufleuchten einer elektrischen Birne den Wunsch der Einlaßbegehrenden übermittelt hatte, und nachdem der Detektiv mittels eines fernmechanischen Türdrückers die Haustür drunten geöffnet und wieder geschlossen hatte, zurück und faßte an einer bestimmten Stelle des Jagdzimmers Posto.

Verscheucht war jetzt aus dem Zimmer die Fülle der Finsternis, von der Decke rieselt aus einer türkisfarbenen Schale bläuliches Zwielicht herab das alle Gegenstände im Zimmer unwirklich erscheinen lässt, als blicke man durch eine blinde Fensterscheibe.

Allein die hohe Gestalt des Detektivs steht in mitten des Raumes. Kein unbewegliches Gesicht ist der Tür zugekehrt, der einzigen des Zimmers. Auch mündet keine zweite Tür vom Treppenflur draußen, den die Ankommenden benutzen mußten, in irgendein anderes Zimmer. Jetzt geht die Tür auf. Im Rahmen erscheint eine breite Gestalt, dicht dahinter die schmächtigere seiner Begleiterin. Der Mann setzt den ersten Schritt in das Zimmer, bleibt stehen und erhebt aus der faltigen Umhüllung die rechte Hand zum Gruße.

Im selben Moment schießt eine feurige Schlange durch die Luft, eine weiße Wolke hinter sich aufwirbelnd. Ein scharfer Knall, – und hundertfaltiges Klirren schüttert durch die bang lastende Stille der unheimlichen Zimmer. Die Kugel hatte die Gestalt des Detektivs inmitten des Zimmers durchbohrt, war aus dem Rücken wieder herausgetreten und schlug prasselnd in die Scheibe des von der Decke bis herab zum Boden reichenden Spiegels an der Rückwand.

Der Colonel, noch immer die rauchende Waffe in der herabgesunkenen Hand, stand und starrte nach der Stelle direkt unter der Lichtschale, wo eben noch eine Gestalt gestanden und jetzt nichts mehr zu sehen war. Kein Blut, und auch nicht der Körper des Erschossenen.

Die Principessa, um sich an den Qualen ihres hingerichteten Todfeindes sattsaugen zu können, hat mit einem unschönen hastigen Griff den Schleier vom Gesicht gerissen, starrt und gefriert fast zu Eis. So groß war ihre Enttäuschung. Und stößt dann ein irres Lachen aus.

»Bravo, Colonel,« ruft eine von Lachen und Hohn geschüttelte menschliche Stimme, »bravo, – gut gezielt! Sie sind ein Meisterschütze. Nur sollten Sie es höflichst unterlassen, meine kostbaren Spiegelscheiben in Trümmer zu schießen.«

»Ist dort jemand?« ruft der bestürzte Colonel, die Waffe zur Brusthöhe hochführend. So sehr er auch seine Augen anstrengt, – eines menschlichen Wesens wird er nirgends gewahr. Eine unheimliche Beklommenheit bedrückt den in offener Feldschlacht gewiß nicht feigen Colonel. Aber hier –; man fühlt sich von feindlichen Mächten umringt, ohne eines einzigen Feindes ansichtig zu werden.

Das getäuschte Weib an seiner Seite erliegt einem Wutparoxismus. Den Colonel erfaßt angesichts seiner rasenden Freundin glühender Schmerz.

Seine Lippen schwirren. »Ist dort jemand?« lallt er dumpf. »–je–jemand?« Von dem Impuls getrieben, von dieser Stätte gespenstischer Verrücktheit loszukommen, zieht er sich wankenden Schrittes auf die rettende Tür zurück. Im Augenblick, da er die Hand nach der Klinke ausstrecken will, rasselt eine Gittertür hernieder. Ihr Rattern klingt seinen gepeinigten überreizten Gehörsnerven wie das schrille Lachen höhnischer Kobolde.

Der Colonel und seine Begleiterin waren jetzt Gefangene des Detektivs und ihm auf Gnade und Ungnade preisgegeben. Nach dem Vorfall im Salon der Principessa Jaguar mußte sich Mr. Webster von seiten dieser rachsüchtigen und hinterlistigen Person auf jede erdenkbare Niedertracht von vornherein gefaßt halten. Seine Vorkehrungen ließen denn auch ihren plan zuschanden werden. Eine geschickte optische Täuschung spiegelte seine Gestalt als inmitten des Zimmers stehend den Eintretenden vor. Unter dem Schutze der nachfolgenden Verwirrung der beiden war dann durch einen maschinellen Trick auch die wirkliche Gestalt des Detektivs dem Feuerbereich des Armeerevolvers entzogen worden. Raum war der Schuß verhallt, so drückte Mr. Webster den Schaltknopf, auf dem sein rechter Zeigefinger, diesen Moment erwartend, solange regungslos gelegen hatte, nieder und ließ sich durch einen geheimen Fahrschacht nach dem direkt daruntergelegenen Zimmer automatisch befördern.

»Ist dort jemand!!« ließ sich die heisere Stimme des Colonels jetzt zum dritten Male vernehmen.

Worauf von irgendwoher eine zweite Stimme, klar und sachlich und ohne den leisesten Beilaut einer offen oder verschleiert mitschwingenden Gefühlsbewegung, zur Antwort gab:

»Hier Mr. Harry Webster aus Newyork. – Wer dort?«

»Wenn Sie ein Wesen von Fleisch und Blut sind gleich mir, so treten Sie hervor, Mann, damit man auch bestimmt weiß, es mit einem rechtschaffenen Christenmenschen zu tun zu haben.« So der Colonel.

Hierauf die Stimme des Unsichtbaren: »Was Sie freilich nicht zu sein scheinen, denn sonst müßten Sie wissen, daß geschrieben steht: »Du sollst nicht töten!« – Nicht einmal in Indien – hahaha!!«

»Wissen Sie auch, Mister, daß es der Platzkommandant von Bombay ist, zu dem Sie so zu sprechen wagen?!« Dem Colonel kehrte ersichtlich der Mut wieder. Immerhin hielt er an der tröstlichen Erkenntnis fest, es mit einem mehr »fairen« Gegner zu tun zu haben, als er selbst er war. Denn er, Colonel Winfried Barney, Esquire, hätte an Stelle jenes den anderen längst niedergeknallt.

»Eben weil Sie der Platzkommandant von Bombay sind, habe ich Sie hierher zitiert.«

»Sie sprechen ja, als ob Sie ein Zauberer wären.«

»Zu viel der Ehre Colonel. Ich bin nur – ein Detektiv.«

»Was habe ich mit einem solchen zu tun?« fragte der Colonel im Tone der Entrüstung.

»Fragen Sie lieber, was ich mit Ihnen zu tun gedenke, dann läßt sich eher eine befriedigende Antwort geben.«

»Wollen wir diese Art von Fernunterhaltung auf drahtlosem Wege, wie mir scheint, nicht lieber sein lassen, Herr Detektiv?«

»Sie müssen entschuldigen, Herr Colonel,« gab der unsichtbare Detektiv, den vom Parterre aus ein vorzüglich den Schall leitender Schacht mit dem Jagdzimmer verband, zurück. »Ihr Wunsch hat Anklang gefunden in meinem Ohr, nicht aber im Herzen. Doch will ich Ihnen soweit entgegenkommen und die Unterhaltung auf eine mehr sachliche Grundlage stellen. Sie werden mir mit militärischer Kürze und Genauigkeit einige »Kleine Anfragen«, um mich parlamentarisch auszudrücken, ohne Zögern beantworten. – Bitte, – keinen Widerspruch! Das Recht zu Gegenfragen soll Ihnen unbenommen sein.«

»Ich nehme Sie beim Wort,« schaltete der Colonel rasch ein, »und stelle hiermit zu den gleichen Bedingungen an Sie die »Kleine Anfrage«: Zu welchem Zwecke lockt man mich hierher? Ist das auch ein Empfang, wie er der Würde und dem Rang eines Mannes von Stand entspricht?«

»Sie haben gleich zwei »Kleine Anfragen« an mich gerichtet,« erwiederte der Detektiv, »und so beantworte ich zunächst nur die kleinste. Aber mit einer Gegenfrage, weil ich aus naheliegenden Gründen als erster das Recht zu fragen habe: Ist das auch eine Begrüßung, wie sie unter Ehrenmännern üblich sein sollte, frage ich Sie? Ich meine –, so mit dem Revolver in der Faust.«

Auf diese Frage blieb der Colonel die Antwort schuldig.

»Da Sie um eine Antwort verlegen scheinen, so will ich sie Ihnen geben: was Sie getan haben, Colonel, ist gemeinstes Cowboytum! –

Der Colonel empfand wohl die ganze Schwere der Beleidigung; ein erbärmlicher Rest von Gerechtigkeitsgefühl mochte ihm ja doch sagen, wie sehr jener mit seinem Vorwurf im Recht war, und so suchte er über die Peinlichkeit der Minute mit einer spöttischen Volte hinwegzukommen:

»Mehr wissen Sie mir nicht zu sagen?«

»O ja!« gab der Detektiv rasch zur Antwort. »Sehr viel sogar, und ausnahmslos Dinge, die Sie sehr interessieren dürften. Zum Beispiel: Es hat heute nachmittag der sehr ehrenvolle Colonel Winfried Barney ein Todesurteil unterfertigt, wonach ein gewisser Bhaskara mit noch zehn anderen Indern im Wallgraben der Bombayer Zitadelle erschossen werden soll. Dieser Bhaskara nun ist mein Freund, darf also nicht hingerichtet werden. Bitte, keine Widerrede! – Ich will, daß dem so sei! Er hat keinen Zweck, meinem ausgesprochenen Willen Trotz entgegenzusetzen. Ich verlange von Ihnen das Leben dieser Mannes, dann soll Ihnen auch das Ihre, das Sie nach Ihrem feigen Mordanschlag auf mich weit eher verwirkt haben, als mein Schützling das seine, großmütig geschenkt sein.«

»Ihre Großmut beschämt mich ebensosehr, Mister, als der ungleiche Handel mein Standes- und mein Ehrgefühl verletzen muß. Bedenken Sie: das Leben eines Inders gegen das des Platzkommandanten von Bombay!«

»Das Ehrgefühl lassen Euer Höchstgeboren setzt schicklicher ganz aus dem Spiele,« erwiderte der Unsichtbare, und seine Stimme klang ernst und streng dabei. »Treten Sie also gefälligst von der Apothekerwage Ihrer Ehrbegriffe herunter und auf die Dezimalwage greifbarer Dinge hinauf. Ich lege nun zu dem einen Inder das Gewicht der Menschenleben der zehn anderen noch hinzu, und Sie werden finden, Colonel, daß Ihr Leben nicht mehr und nicht weniger als elfmal im ganzen und im einzelnen aufgewogen ist. – Sie geben also die elf zusammen frei. Was, sind Sie nun gebessert?«

»Es sind Hochverräter!« wandte der Colonel ein.

Der Detektiv tat den Einwand mit zwei kurzen Worten ab:

»Dehnbarer Kautschukbegriff.«

Der Colonel merkte, daß er auf diesem Wege nicht zu seinem Ziel gelangen würde. So versuchte er es mit einem anderen Mittel. Er sagte:

»Unserer Verabredung gemäß dürfte die Reihe des Fragens wieder an mir sein. Sie erlauben wohl, Mister?«

»Gerne, Colonel.«

»Woher wissen Sie denn überhaupt, daß ich ein solches Todesurteil unterfertigt habe?«

»Da muß ich Ihnen zunächst wieder mit einer Gegenfrage kommen Colonel: Stimmt es, daß Sie heute nachmittag, 4 Uhr 47 Minuten genau, vom militärischen Vorsteher der Zitadelle angerufen wurden? Man wollte meines Erinnerns wissen, was mit den elf Indern zu geschehen habe – ja?«

»Allerdings – das stimmt.«

» Very well –, und Sie riefen zurück, die Ordonnanz mit dem unterfertigten Todesurteil sei bereits unterwegs –, stimmt's?«

»Es stimmt nicht nur, es verstimmt mich sogar, daß Sie das so genau wissen, woher haben Sie diese Geheimwissenschaft?«

»Das zu erfahren, war einfach genug,« sagte der Detektiv trocken und schmucklos. »Es hat uns nur 24 Stunden Ausdauer gekostet, weiter nichts. Ungefähr so lange nämlich war mein Gehilfe in Ihre Telephonleitung eingeschaltet gewesen. Es lohnte sich schon der kleinen Mühe. Denn nicht nur das vorerwähnte Gespräch fing er aus, sondern auch das intime Girren zwischen Ihnen und der entzückenden Principessa Jaguar.«

»Das ist ja ein ganz –«

»– ganz harmloser Trick,« beschwichtigte der Detektiv den ausbegehrenden Colonel. »Und nicht einmal mehr ganz neu. wird überall dort angewandt, wo es Leitungsdrähte und waghalsige Burschen gibt, die mit Freuden die günstige Gelegenheit wahrnehmen, ein so herrliches Panorama, wie das von Bombay, auch einmal aus der Vogelperspektive zu genießen, will besagen: vom Dache eines Hauses mit Drahtgerüst aus. Auf diesem, wie gesagt, nicht mehr ganz ungewöhnlichen Wege erfuhr ich durch Vermittelung meines Gehilfen alles, was mir zu wissen nottat. Auch das, daß Sie unsere gemeinsame Freundin da Ramini augenblicklich in das Joch ihres Triumphwagens gezwungen hat, womit nicht gesagt sein soll, daß Sie deshalb schon ein Zugochse zu sein brauchen.«

Der Colonel schäumte vor Wut. Da er sich aber sagte, daß er weder mit Worten noch Werken gegen seinen überlegenen Widersacher etwas ausrichten konnte, nahm er seine Zuflucht zur List. Denn: im Kriege wie im Kriege! » Allright,« rief er schließlich zurück, »ich erkläre mich mit Ihrem Vorschlag für einverstanden. Nehmen Sie also die elf Inder, sie sind bei Lichte betrachtet, des Schusses kaiserlichen Pulvers doch nicht wert. Abgemacht, und mein Wort zum Pfand! Das genügt wohl.«

»Für mich könnte es allenfalls genügen – ich sage: es könnte –, nicht aber für die Wache auf der Zitadelle. Ich betrachte das Ganze als ein Geschäft, und da heißt es: Erst Geld, dann Ware. Also, erst die Inder, dann Ihre Freiheit. Ich nehme an, daß Sie eine zu gute Meinung von der Wachsamkeit und der Disziplin Ihrer Soldaten haben, um sich selbst zu sagen, daß ich mich auf der Zitadelle als Ihren Abgesandten vorschriftsmäßig legitimieren muß. Sie haben also die gewinnende Liebenswürdigkeit, mir sogleich einen handschriftlichen Haftentlassungsschein mit Ihrem beigedruckten Siegel auszustellen. Ich bitte, sich einen Augenblick nicht von der Stelle zu rühren. Der Schreibtisch mit allem Nötigen wird sofort zur Stelle sein. Achtung –!«

Und in der Tat – kaum war die Ankündigung ausgesprochen, als sich auch schon, durch einen kunstvollen Mechanismus in Bewegung gesetzt, eine zweiflügelige Falltür im Boden öffnete. Langsam hob sich der Schreibtisch an die Oberfläche.

»Bitte, Platz zu nehmen,« ließ sich des Detektivs Stimme wieder hören. Ohne Zögern füllte der Colonel die gewünschte Verfügung aus. Als dann der Schreibtisch wieder im Parterrezimmer gelandet war, überprüfte der Detektiv das Schriftstück sorgfältig auf Richtigkeit und Unverfänglichkeit des Inhalts. Irgend etwas Verdächtiges ließ sich nicht feststellen. Auch nicht Spuren der Anwendung einer sympathetischen Tinte. Um keine Vorsichtsmaßregel außer acht zu lassen, rieb der Detektiv den ganzen Bogen sorgfältig mit Kohlenpulver ab. Der hiermit erzielte negative chemische Beweis erst ließ den Detektiv das Schriftstück für ungefährlich halten. Denn drei Worte einer geheimen unsichtbaren Weisung mit der genannten Tinte hätten im Handumdrehen aus dem Befreier einen Gefangenen machen können.

Mr. Webster faltete das Schriftstück zusammen, versenkte es in seine Brusttasche und rief nach oben: »Hallo –!«

»Sie wünschen?« kam es prompt von oben zurück.

»Oh, nichts Besonderes, Colonel. Ich wollte Ihnen nur sagen, daß Sie ein – Betrüger sind

Unten war zu hören, wie ein Stiefel heftig den Boden oben stampfte.

»Für diese Beleidigung eines britischen Offiziers werde ich Sie zur Rechenschaft ziehen. Erklären Sie sich zur Sache bitte!«

»Was ich Ihnen zu erklären habe, ist kurz folgendes: Der sehr ehrenwerte Colonel Winfried Barney will sein elendes Leben mit einer Lüge erkaufen! Deckt sich dieser Vorgang etwa mit den Ehrbegriffen eines britischen Offiziers?«

»Wovon sprechen Sie eigentlich, Mister?«

»Sollten Euer Herrlichkeit wirklich ein so kurzes Gedächtnis haben, daß Sie nicht mehr wissen, daß das von Ihnen unterfertigte Todesurteil die Stunde der Vollstreckung eigenschriftlich auf heute abend 6 Uhr festsetzte? Gegen das Leben von elf Toten wollen Sie Ihr eigenes einhandeln. Das ist schlimmer als Wucher und Schacher.«

»Auch das wissen Sie also?« entfuhr es dem unbedachten Colonel. »Aber woher?«

»Ihr in der ersten Frage enthaltenes Eingeständnis sichert Ihnen Beantwortung der zweiten Frage zu,« erwiderte der Detektiv. »Hören Sie also: Gleich nachdem mein Telephonist von der Absendung des Todesurteils Kenntnis erhalten hatte, benachrichtigte er mich von dem Gehörten. Ich warf mich in meinen Wagen und kam gerade in dem Augenblick vor der Zitadelle an, als sich die schweren Torflügel hinter der eintretenden Ordonnanz schlossen. Das war ein Fehlschlag, der aber mein Konzept nicht ernstlich verderben konnte. Angeblich von Ihrem Fernsprechanschluß, in den mein Gehilfe nach wie vor eingeschaltet blieb und unter Ihrer Nummer – letzteres deshalb, damit bei etwaigen Nachforschungen seitens der Zitadelle alles seine Richtigkeit habe und kein noch so leiser Verdacht aufkommen konnte –: unter diesen Vorsichtsmaßregeln wurde die Zitadelle eine Viertelstunde später angerufen und in Ihrem werten Namen die einstweilige Einstellung der Exekution befohlen, bis eine schriftliche Weisung Ihrerseits die Sache endgültig entscheiden würde. Da ich nun weiß, daß in der Gerichtspraxis von heute bei allen den ähnlichen Verfügungen dem Eingang des Schriftstückes in der Regel eine telephonische Benachrichtigung vorausläuft, so haben Sie die Güte, Colonel, jene getrocknete Alligatorhaut dort, gleich rechterhand der Tür, zurückzuschlagen. Sie werden darunter einen Telephonapparat vorfinden. Den benutzen Sie zu folgendem Gespräch: Hier Colonel Barney, Kommandantur Bombay. Der Gefangene Bhâskara und zehn weitere dort eingelieferte Inder sind auf freien Fuß zu setzen. Eine Ordonnanz wird in spätestens zehn Minuten mit der schriftlichen Entlassungsverfügung dort eintreffen.« Und kein Wort mehr, Colonel! Ich verwarne Sie ernstlich. Bei dem geringsten Versuch einer Verräterei wird Ihnen eine Kugel aus meinem Browning die Seele aus dem Leibe blasen und Ihre unfreiwillige Höllenfahrt würde nicht einmal eine Sühne finden. Denn es ist dafür gesorgt, daß auf der Fernsprechzentrale das Lämpchen Ihrer Nummer aufglüht. – Nun ans Werk, ich bitte.«

Der Colonel tat in allem genau nach erteilter Weisung.

»Ich danke,« ließ sich der Detektiv wieder vernehmen, nachdem er sich überzeugt hatte, daß der Colonel den Hörer angehängt hatte. »Ich muß mich jetzt leider von Ihnen verabschieden, ohne Ihnen die Hand schütteln zu können. Nehmen Sie das nicht zu tragisch. Noch eins: Ich werde mich Ihres Viktoriawagens bedienen und danke Ihnen im voraus für Ihre freundliche Zusage. Daß ich über Sie einstweilen Stubenarrest verhängen muß, werden Sie, nachdem ich Sie einen Einblick in gewisse Berufsgeheimnisse habe tun lassen, nur begreiflich finden. Machen Sie sich nicht die überflüssige Arbeit, in meiner Abwesenheit eine telephonische Verbindung mit der Außenwelt herzustellen. Der Draht ist bereits durchschnitten. Über Verpflegung sollen Sie sich nicht zu beklagen haben. Auch sind Sie ja in der denkbar besten Gesellschaft. Empfehlen Sie mich bitte unserer reizenden Principessa Jaguar. Und nun: Leben Sie wohl! Good bye!«

Knapp zehn Minuten später sauste der Kraftwagen des Colonels durch die düstere Torfahrt der Zitadelle, ohne daß die Wache den bekannten Wagen des Kommandanten anzuhalten sich erlaubt hätte. Mr. Webster, in der Uniform eines britischen Adjutanten, ließ sich ungesäumt dem Befehlshabenden melden.

»Auf dienstlichen Befehl des Herrn Platzkommandanten von Bombay,« rapportierte er kurz und überreichte das versiegelte Schreiben. Der Befehlshabende prüfte Siegel und Umschlag, erbrach das Schreiben und las sorgfältig den Inhalt durch.

»Zu Befehl!« sagte er kurz, legte salutierend die Rechte an den Mützenrand und trat ab, die Haftentlassung der elf Inder zu veranlassen.

Ohne Überhastung, ohne eine Frage nach dem Grunde ihres so plötzlich gewendeten Lebensblattes verließen die elf Befreiten eine Stätte, die ihr Grab hätte werden sollen, nachdem sie bald 24 Stunden lang dem minutenweise näher an sie herangeschobenen Tode mit stoischem Gleichmut ins grinsende Antlitz geschaut hatten.

Nicht gezittert, nicht einmal mit der Wimper gezuckt hatten sie im Angesicht der knöchernen Majestät des Allbezwingers. Jetzt aber waren sie dem Leben wiedergegeben. Doch jauchzten sie nicht, noch frohlockten sie.

Denn jedem Menschen ist sein Los bestimmt von Anbeginn an.


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