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AIs wir zu Halef zurückkehrten, war er erwacht. Seinen schmerzenden Kopf in den Händen haltend, rief er mir entgegen:
»O, Sihdi, was ist geschehen! Daß mir mein Kopf brummt wie damals der große Bär, den wir bei der Hütte des Kohlenhändlers erlegten, das thut nichts, denn er wird zu brummen aufhören; aber Mesud ist tot, und du hättest auch beinahe dein Leben lassen müssen. Ich wäre vor Gram gestorben, vor Schmerz um deinen Tod; Hanneh, die beste unter allen Frauen, wäre eine betrübte Witwe und Kara, mein Sohn, ein trauernder Waisenknabe geworden. Und daran ist dieser Abd el Kahir, der Scheik, der Mörder und Räuber schuld! Allah sende ihn in den Teil der Hölle, wo selbst das Feuer so kalt ist, daß es noch gekocht werden muß!«
»Ich bin doch nicht so gut weggekommen, wie du denkst,« erwiderte ich ihm. »Die Kerls haben meine Gewehre mitgenommen.«
Da sprang er, seine Schmerzen vergessend, auf und sprach nicht, sondern schrie förmlich:
»Deine Gewehre? Denen wir so oft unsere Rettung zu verdanken hatten? Die so ganz unersetzlich sind? Ist das wahr, Sihdi?«
»Leider, ja.«
»So sende Allah diesen Scheik ja noch nicht in die Hölle, sondern warte damit so lange, bis wir die Gewehre wieder haben! Du magst sie doch nicht missen, sondern wirst sie wieder holen?«
»Ganz gewiß!«
»So recht, so recht, Sihdi! Diese Flinten haben dich zu allen Völkern und in alle Länder der Erde begleitet, und wenn ihre Stimme erscholl, sind wir Sieger in allen Gefahren gewesen. Was wären wir ohne sie? Menschen ohne Arme und Beine, Vögel ohne Flügel und Tabakspfeifen ohne Feuer! Wir müssen sie holen, unbedingt, unbedingt, und wenn man sie noch so gut und noch so pfiffig verstecken sollte! Und wenn wir sie haben, dann werde ich diesem Abd el Kahir einen viel kräftigeren Klapps auf den Kopf versetzen, als er mir gegeben hat, einen Klapps, von dem er ganz gewiß nicht wieder erwachen soll, wie ich von dem seinigen!«
»Warum hast du nicht besser aufgepaßt? Du wußtest doch, daß ich ihm nicht traute!«
»O, dieser Sohn einer Hündin war so freundlich und zutraulich, daß es mir fast wehe that, ihn in einem so schlimmen Verdachte gehabt zu haben.«
»Ich begreife ihn. Er hat Mesud seinen Leuten in die Hände geführt und ist dann, von unsern betenden Haddedihn unbemerkt, nach hier zurückgekehrt, um dich und mich in dieselbe Falle zu bringen. Da er dich allein antraf, hat er dich niedergeschlagen, um mich, sobald ich wiederkommen würde, mit deinem Gewehre zu töten. Daß ich vorher seinen Leuten in die Hände fiel und daß diese vertrieben wurden, dafür konnte er nicht. Nun haben wir keine Pferde und müssen nach Basra laufen.«
»Das ist schlimm. Wären wir beritten, so könnten wir sofort den Spuren dieser Mörder folgen und würden sie einholen.«
»Wir werden sie finden, ohne daß wir ihnen folgen. Wir wissen ja, wer sie sind, und der Scheik der Muntefik kann nicht vom Erdboden verschwinden. Wir werden sofort, wenn wir nach Basra kommen, zum Mutessarif gehen und ihm erzählen, was geschehen ist. Er muß uns helfen.«
»Wenn Allah giebt, daß er will!«
»Er muß wollen, denn ich werde ihm zeigen, daß ich im Schatten des Padischah stehe. Hast du dich so weit erholt, daß du den Rückweg mitantreten kannst?«
»O, ich bin schnell gesund geworden, als ich von dem Verluste deiner Gewehre hörte. Wir können gehen.«
»Gut! Aber den Toten dürfen wir nicht unbewacht lassen. Der Mutessarif wird Beamte herschicken, welche den Thatbestand aufzunehmen haben. Wir lassen Mesud also jetzt unbeerdigt liegen und kehren mit diesen Beamten zurück, um ihn dann zu begraben.«
Da sagte Omar Ben Sadek:
»Mesud war mein Verwandter, und wie ich darum die Blutrache auszuführen habe, werde ich auch bei ihm bleiben, bis ihr wiederkehrt.«
Er entfernte sich, ohne meine Zustimmung abzuwarten; wir aber traten den Heimweg nach Basra an. Ich gestehe aufrichtig, daß mir der Verlust meiner Gewehre ebenso zu Herzen ging wie Mesuds Tod. Was Halef gesagt hatte, war richtig: wir hatten diesen Waffen viele unserer Erfolge und oft sogar das Leben zu verdanken gehabt. Welche Dienste hatte besonders der Henrystutzen mir und andern erwiesen! Ich war wirklich fest entschlossen, auf seine Wiedererlangung das Leben zu setzen.
Mittag war längst vorüber, als wir in Basra ankamen, und wir begaben uns, ohne vorher zu essen, sofort nach der Residenz des Mutessarif. Dieser war, wie ich wußte, ein Gesinnungsgenosse des berühmten Midhat Pascha, welcher als Generalgouverneur von Bagdad so viel für das Wohl dieser Provinz gethan und erreicht hatte, also ein reformatorisch gestimmter Moslem, und so hoffte ich, daß ihm mein Glaube keine Veranlassung sein werde, mir seine Hilfe zu versagen.
Ich wurde von der Dienerschaft mit dem Bedeuten abgewiesen, daß ich morgen oder übermorgen oder auch in einigen Wochen, »wie Allah will«, wieder anfragen solle, weil der Gebieter gerade jetzt eine wichtige Besprechung habe. Es fiel mir aber nicht ein, mich auf türkisch fortkomplimentieren zu lassen, sondern ich schickte ihm meine Legitimationen hinein und wartete den Erfolg ab. Schon nach einigen Minuten wurde ich unter tiefen Verbeugungen aufgefordert, in das Selamlük zu treten.
In diesem saß, rauchend und Kaffee trinkend, der Gouverneur mit einem sonnverbrannten und beduinisch gekleideten Manne, der aber kein gewöhnlicher Nomade sein konnte, weil er die Ehre hatte, an der Seite des Mutessarif Platz zu finden.
Dieser empfing mich mit einer sehr gnädigen Handbewegung, winkte mich näher, drückte meine mit dem großherrlichen Siegel versehenen Papiere an die Stirn, den Mund und die Brust und forderte mich, sie mir zurückgebend, auf, mich ihm gegenüber niederzusetzen. Er that dies mit Hilfe der französischen Sprache, welche er aber in der Weise radebrechte, daß ich ihn nicht halb verstehen konnte, sondern erraten mußte, was er meinte.
Als ich mich gesetzt hatte, klatschte er in die Hände, um mir auch Kaffee und eine Pfeife reichen zu lassen; dann saßen wir uns eine Weile stumm, rauchend und trinkend gegenüber. Er befand sich augenblicklich in großer Verlegenheit. Wie sollte ich, der Europäer, ihn bei seinem so mangelhaften Französisch verstehen! Endlich begann er, wieder zu sprechen, aber so wirr, daß ich es wagte, ihm in die Rede zu fallen und mitzuteilen, daß mir die Sprache des Landes geläufig sei.
»Allah sei Dank!« rief er da froh aus. »Die Sprachen des Abendlandes sind wie die Räder eines Ochsenwagens; man hört sie wohl rollen, aber sie haben keine Worte. Der Padischah, dem Allah tausend Jahre geben möge, hat dich mit seinem ganz besonderen Schutz begnadigt. Ich habe deinen Namen auf dem Papiere gesehen. Wie ist er auszusprechen?«
»Mein Name klingt hier fremd. Vielleicht hast du die Güte, mich bei demjenigen zu nennen, den mir die Bewohner dieses Landes gegeben haben.«
»Wie lautet er?«
»Kara Ben Nemsi.«
Da stieß der neben ihm sitzende Beduine einen Ruf der Überraschung aus und fragte mich, seine Augen gespannt auf mich richtend:
»Bist du etwa jener Almani, welchem Muhammed Emin seinen berühmten Hengst Rih geschenkt hat?«
»Ja, der bin ich.«
»Maschallah! So habe ich viel von dir gehört.«
Er sprach hierauf leise auf den Mutessarif ein, was keine Höflichkeit gegen mich war, aber doch recht gut gemeint zu sein schien, denn das Gesicht des Gouverneurs wurde heller und heller, bis um seinen Mund ein breites Lächeln entstand und er mich fragte:
»Auch ich habe schon von dir gehört. Du bist also der Fremdling, welcher damals den Mutessarif von Mosul so listig gezwungen hat, seinen eignen Makredsch abzusetzen und zur Befreiung seines Gefangenen selbst beizutragen?«
»Ja,« antwortete ich der Wahrheit gemäß, obwohl mir diese Frage keineswegs angenehm sein konnte.
Bis jetzt hatte er nur gelächelt, nun aber lachte er laut und fuhr fort:
»Du brauchst keine Sorge zu haben, denn dieser Mutessarif war mein Gegner, welcher mir und andern viel zu schaffen gemacht hat. Man erfuhr, wie es damals zugegangen war; der Koch hatte den Verräter gemacht, und sein Herr wurde bald darauf versetzt. Ich bin dir sehr wohlgewogen. Wenn du etwa gekommen bist, einen Wunsch auszusprechen, so soll er dir erfüllt werden, wenn es möglich ist.«
»Ich bin allerdings mit einer Bitte gekommen.«
»So sprich sie aus!«
»Ich sehe mich gezwungen, dich um deinen Schutz anzurufen.«
»Gegen wen?«
»Gegen Abd el Kahir, den Scheik der Muntefikaraber.«
»Gegen Abd. el Kahir?« fragte er erstaunt.
»Gegen Abd el Kahir?« sagte auch der andere.
Die beiden sahen einander mit großen Augen an und schüttelten die Köpfe.
»Hast du etwas gegen diesen Scheik?« erkundigte sich hierauf der Mutessarif.
»Nicht nur etwas, sondern sehr viel.«
»Sage es.«
»Abd el Kahir ist ein Räuber und Mörder, um dessen Bestrafung ich dich bitten möchte.«
»Räuber! Mörder!« riefen beide zu gleicher Zeit.
Sie schienen diesen Scheik für einen grundehrlichen und grundbraven Mann zu halten; darum beeilte ich mich, sie etwas besser zu belehren, indem ich ihnen erzählte, was geschehen war.
Der Mutessarif hörte mich ruhig an; des andern aber bemächtigte sich eine stets wachsende Aufregung, in welcher er mich oft mit einem Kraftworte unterbrach. Als ich fertig war, rief er, sichtlich im höchsten Zorne, aus:
»Sollte man das für möglich halten! Kann so etwas wirklich geschehen! Wehe diesem Hunde, wenn ich ihn jemals erwische!«
Um den Mund des Mutessarif spielte wieder ein Lächeln, diesmal aber ein ironisches.
»Kannst du uns die Versicherung geben, daß deine Erzählung wirklich wahr ist?« fragte er mich.
»Ja.«
»Ich glaube, daß du in fester Überzeugung sprichst, aber du irrst dich; du hast die Wahrheit nicht gesagt, sondern einen völlig Unschuldigen beschuldigt.«
»Wenn dies der Fall ist, so habe ich richtig geahnt, und der Mann ist gar nicht Abd el Kahir, der Scheik der Muntefik, gewesen.«
»Er war es nicht, denn Abd el Kahir sitzt hier vor deinen Augen neben mir.«
Es läßt sich denken, daß diese unerwartete Eröffnung mich nicht sonderlich erbaute; aber in Verlegenheit brachte sie mich doch nicht, denn der Scheik hatte keine Veranlassung, mir zu zürnen. Um so mehr ergrimmt war er auf den Menschen, der sich seines Namens bedient hatte. Er sprang auf, lief im Selamlük hin und her und fragte immerfort, wer es doch wohl gewesen sein möge. Ich beschrieb die Person möglichst genau und erwähnte dabei auch die Stirnnarben.
»Das ist kein Kennzeichen,« meinte er. »Es giebt Stämme, bei denen alle Krieger Narben tragen.«
»Das meine ich eben. Man kann dadurch vermuten, zu welchem Stamme er gehört.«
»Sie können auch von einer zufälligen Verwundung herrühren.«
»Nein. Ich bin vollständig überzeugt, daß sie mit Absicht eingeschnitten worden sind.«
»Dann wäre es notwendig, zu wissen, ob seine Leute gerade auch solche Narben hatten.«
»Das kann ich nicht sagen.«
»Du mußt es aber doch wissen, denn du hast sie gesehen und sogar mit ihnen gekämpft!«
»Gesehen nur einen einzigen Augenblick, und während des ebenso kurzen Kampfes waren wir in dichten Staub gehüllt.«
»Deine Haddedihn wissen es vielleicht?«
»Darf ich gehen, sie zu fragen?«
»Wenn du erlaubst, thue ich es selbst.«
Er ging; als er nach kurzer Zeit zurückkehrte, sagte er:
»Sie haben alle dieselben Stirnnarben gehabt, welche also ein Stammeszeichen sind. Zwei Narben, eng nebeneinander von rechts nach links schräg über die Stirn gehend, werden von einigen Abteilungen der Tamimaraber getragen.«
»Wo wohnen diese?« erkundigte ich mich.
»Auf dem Karawanenwege von hier nach Mekka,« antwortete er.
»Kannst du die Gegend nicht genauer angeben?«
»Da müßte ich wissen, zu welchem Zweige der Tamim diese Halunken gehören, welche sich meines ehrlichen Namens bedient haben. Das soll ihnen vergolten werden. Es ist das eine Schändung, welche nur mit Blut abgewaschen werden kann. Ich schließe mich den Truppen an, welche du gegen sie aussenden wirst.«
Der Mutessarif, an den diese letzten Worte gerichtet waren, zuckte die Achseln und erklärte:
»Meine Macht erstreckt sich nur bis EI Hufeir, wo die Grenze von Irak ist; die Tamin aber wohnen jenseits derselben. Ich werde den Händler kommen lassen, bei dem der angebliche Scheik gewesen ist.«
Es wurde ein Polizeisoldat geschickt, diesen Mann zu holen. Wir erfuhren, daß er den echten Abd, el Kahir ebensowenig kannte wie ich vorher, und dem falschen seine Versicherung, es zu sein, geglaubt hatte. Dieser hatte ihm verschiedene Gegenstände verkauft, welche sehr wahrscheinlich die Ergebnisse eines Beutezuges waren.
Nun wußten wir gerade soviel wie vorher. Wir berieten hin und berieten her und kamen zu dem Resultate, daß die Mörder bei den Tamim zu suchen seien. Es blieb uns also gar nichts anderes übrig, als uns nach der Karawanenstraße zu wenden.
Eine kleine Hoffnung hatte ich doch noch außerdem, und diese setzte ich auf die Spuren der Räuber. War es mir möglich, diesen heute noch eine Strecke zu folgen, so ließ sich hoffen, doch vielleicht etwas Genaueres zu erfahren. Als ich dies dem Scheike sagte, forderte er mich eifrig auf, die Verfolgung sofort zu beginnen. Ich war gern bereit dazu, hatte aber kein Pferd. Da stellte mir der Mutessarif eines zur Verfügung und ließ es eiligst satteln.
Der Scheik brannte vor Begierde, die Schuldigen bestraft zu sehen, und war entschlossen, mir morgen früh mit den Haddedihn nachzukommen, welche er beritten machen wollte. Sie konnten leider nicht gleich mit mir fort, weil sie eben noch keine Pferde hatten und vorher ihren Mesud Ben Hadschi Schukar begraben mußten. Mein Hadschi Halef aber wollte sich nicht bis morgen halten lassen, und der Mutessarif war so freundlich, auch für ihn ein Pferd zur Verfügung zu stellen.
Ich konnte nicht wissen, wohin mich die Spuren führen würden, und da war es leicht möglich, daß die Nachfolgenden uns nicht finden konnten. Um dies zu vermeiden, wurde ausgemacht, daß ich auf alle Fälle in dem nicht allzuweit von Basra entfernten Orte Mangaschania eine Botschaft oder Weisung zu hinterlassen habe.
Nun standen die Pferde im Hofe; ich verabschiedete mich von dem Mutessarif und ritt mit Halef fort, ohne ein Gewehr mitzunehmen. Ich hätte mir zwar eines geben lassen können, hielt es aber für besser, gar keins zu haben als ein schlechtes. Wir ritten im Galopp nach Kubbet el Islam, wo wir zunächst Omar Ben Sadek benachrichtigen und dann nach den Spuren der falschen Muntefikaraber suchen wollten. Omar saß bei der Leiche seines Schwagers und hatte neben derselben sein Messer in die Erde gesteckt. Dies war nach dem Gebrauche der Haddedihn das Zeichen seines festen Entschlusses, den Tod Mesuds an dem Mörder blutig zu rächen. Dieser Entschluß sprach sich auch in der finstern Erstarrung aus, in welcher seine Züge lagen, und in dem Blicke, mit welchem er uns empfing. Er hörte mich ruhig an, als ich ihm erzählte, was wir in Basra erfahren und erreicht hatten, und sagte dann:
»Hätte der Bruder meines Weibes auf dich gehört, Emir, so wäre er noch am Leben; ich habe ihn aber dennoch zu rächen und werde nicht eher nach den Zelten der Haddedihn zurückkehren, als bis ich den Thäter niedergestreckt habe. Ed dem b' ed dem, Blut um Blut, und ich muß es erfüllen, wenn ich mich nicht von dem ganzen Stamme verachten lassen will.«
»Ja, diese Blutthat muß gerächt werden,« stimmte Halef sehr ernst bei. »Wenn wir nicht alles aufböten, den Mörder zu finden und zu bestrafen, so dürften wir unsern Kriegern nicht vor die Augen treten, und Hanneh, das schönste und beste Weib unter den allerbesten Frauen, würde irre an mir werden.«
Wir verabschiedeten uns bis auf morgen von Omar und ritten nach der Nordseite der Ruinen, wo wir auf die Fährte der Mörder trafen. Diese war so deutlich, daß gar keine Kunst dazu gehörte, ihr zu folgen. Sie zeigte nach Westsüdwest, und wenn sie diese Richtung beibehielt, so mußte sie uns nach der Pilgerstraße von Basra nach Mekka führen. Dies war mir lieb und doch auch wieder nicht angenehm. Lieb, weil die Straße verhältnismäßig eng bewohnt ist und wir also den Vorteil hatten, Erkundigungen einziehen zu können, unlieb aber deshalb, weil die Bewohner dieser Mekkastraße äußerst unduldsame Muhammedaner sind, bei denen ich in große Gefahr geriet, falls sie entdeckten, daß ich ein Christ sei.
Da wir der Spur nur bis zum Abende folgen konnten, trieben wir unsere Pferde zur möglichsten Eile an und hatten, als es dunkel wurde, eine tüchtige Strecke hinter uns gelegt. Da lagerten wir uns und ritten, sobald der Tag graute, weiter. Zwei Stunden später erreichten wir Mangaschania, einen Ort, an welchem schon vor Muhammed der Araberhäuptling Keis einen Wachtturm erbauen ließ. Ich fand ein elendes Nest, welches von den Beni Mazin vom großen Stamme der Tamim bewohnt wurde, doch söhnte mich damit der Umstand aus, daß wir verabredet hatten, hier Nachricht zu hinterlassen. Hätte uns die Spur wo andershin geführt, so wäre dies mit Zeitverlust verbunden gewesen.
Vor dem Orte lungerten einige Kerls herum, welche uns mit einer Freundlichkeit begrüßten, deren Aufrichtigkeit nicht ganz zweifellos zu sein schien. Es kam mir vor, als ob sie nach uns ausgeschaut hätten, und die allzu forschenden Blicke, mit denen sie uns betrachteten, wollten mir wenig gefallen. Ich fragte sie, ob der Scheik el Beled zu sprechen sei, und ließ mich, als sie dies bejahten, zu ihm führen. Er wohnte in einer ziemlich umfangreichen Erdhütte, aus deren offener Thüre er trat, als er uns kommen hörte. Auch hier kam es mir so vor, als ob er uns erwartet habe. Ich fragte ihn, ob er den Reitertrupp gesehen habe, welcher vor uns hier durchgekommen sei.
»Natürlich habe ich ihn gesehen,« antwortete er. »Sie haben hier am Brunnen gehalten und ihre Schläuche gefüllt.«
»Wohin sind sie dann?«
»Dahin,« sagte er, indem er nach Westen deutete,.
»Also nicht auf der Pilgerstraße weiter?«
»Nein, denn da würden sie nicht nach ihrem Duar kommen, und sie wollten doch heim.«
»Heim? So weißt du also wohl, wo sie wohnen?«
»Ja.«
»Und wer sie sind?«
»Freilich weiß ich es.«
»Nun, wer?«
»Es war Humam Ben Dschihal, der Scheik der Hadescharaber mit einigen Kriegern. Sie sind in Kubbet el Islam gewesen, um Ibn Risaa zu verehren. Der Scheik hatte ein Gelübde gethan.«
»Und wo wohnen sie?«
»Im Wadi Bascham, jenseits der Wasit-Straße, drei Tagereisen von hier.«
»Du bist sicher, daß du dich nicht irrst?«
»Wie sollte ich mich irren! Human Ben Dschihal ist mein Freund und Bruder, den ich oft besuche.«
»Wie lange hat er sich hier aufgehalten?«
»Keine halbe Stunde; er hatte sehr große Eile, nach seinem Wadi Bascham zu gelangen.«
»Hat er dir gesagt, weshalb?«
»Nein, denn ich habe ihn nicht gefragt. Wollt ihr absteigen und eure Schläuche füllen?«
Wir hatten Schläuche mitbekommen, denn ein Wasserschlauch gehört, sozusagen, in jenen Gegenden zum Sattelzeug.
»Ja, wenn ihr es erlaubt,« antwortete ich.
»Ich erlaube es, wenn ihr dafür die gebräuchliche Taxe bezahlt.«
Ich gab ihm das Geld, welches eine nur geringe Summe war, stieg ab und gebot Halef, die Pferde an den Brunnen zu führen, sie dort zu tränken und dabei die Schläuche mit Wasser zu füllen. Dann machte ich allein einen Gang um den Ort, um nach den vorhandenen Spuren zu sehen. Es war richtig – die Fährte, welcher wir zu folgen hatten, führte in der bezeichneten Richtung weiter; der Schech el Beled schien mich also nicht belogen zu haben. Dennoch aber hatte ich das Gefühl, daß ich ihm nicht trauen dürfe.
Da wir nun wußten, mit wem wir es zu thun hatten, war Eile nicht nötig, und wir konnten hier in Mangaschania auf den Scheik der Muntefik warten, um dann mit ihm und seinen Leuten zusammen weiterzureiten; ein augenblickliches Verfolgen der Fährte war nun überflüssig geworden. Halef war damit einverstanden.
Die Leute von Mangaschania brachten uns für eine geringe Bezahlung zu essen und verhielten sich überhaupt sehr aufmerksam gegen uns. Dabei behandelten sie mich mit großer Scheu, und ich bemerkte wiederholt, daß ihre Augen mit einem ganz besonderen Ausdrucke auf meinem Gesichte ruhten. War ich ihnen als der bekannte Kara Ben Nemsi beschrieben worden? Das konnte nur der Mörder gethan haben, welcher überzeugt war, daß ich ihn verfolgen werde, und ihnen dies gesagt hatte. Das vergrößerte mein Mißtrauen.
Kurz nach Mittag kam Abd el Kahir mit unsern Haddedihn und seinen Muntefikarabern. Er hatte nicht geglaubt, mich hier zu finden. Als ich ihm sagte, was ich erfahren hatte, rief er aus:
»Das leuchtet mir ein, Emir. Dieser Scheik der Hadescharaber ist ein Räuber, und ich traue ihm wohl zu, daß er es gewesen ist. Allah wird ihn dafür vernichten, daß er es gewagt hat, meinen ehrlichen Namen zu mißbrauchen! Wir reiten ihm augenblicklich nach. Ich kenne den Weg nach dem Wadi Bascham, wenn ich auch noch nicht dort gewesen bin.«
Wir brachen sogleich auf und ritten, bis es dunkel geworden war. Dann lagerten wir uns mitten in der Wüste. Ich bat den Scheik, Wachen auszustellen; er lachte darüber und that es nicht. Da ich aber diese Vorsicht nie zu versäumen pflege, loste ich die Wachen mit den Haddedihn aus. Ich selbst übernahm mit einem von ihnen die erste. Nach zwei Stunden wurden wir von Halef und Omar abgelöst und legten uns nieder. Bald aber weckte mich ein Schuß. Ich sprang auf und fragte, wer geschossen habe. Omar war es gewesen. Er hatte eine Gestalt heranschleichen sehen und sie angerufen; da eine Antwort nicht erfolgt war, hatte er auf sie geschossen. Ob es ein Mensch oder ein Tier gewesen war, wußte er nicht.
Wir suchten vorsichtig nach und fanden einen sehr gut bewaffneten Beduinen, dem Omars Kugel den Kopf durchlöchert hatte; er war tot. Beim Scheine einiger Zündhölzer erkannten wir zu unserem Erstaunen in ihm einen der Räuber, die wir verfolgten.
»Siehst du, wie recht ich hatte, daß ich Wachen ausstellte,« sagte ich zu dem Scheik. »Sie haben auf uns gewartet und uns umschlichen, um uns zu überfallen. Jetzt müssen wir doppelte Posten ausstellen.«
Dies geschah und es ereignete sich bis zum Morgen nichts Feindseliges mehr. Als es dann hell geworden war, sahen wir freilich die Stapfen der Menschen, welche nur durch Omars Aufmerksamkeit von der Ausführung ihres Vorhabens abgehalten worden waren. Ihre neue Spur wich von ihrer bisherigen Richtung links ab.
»Sie wollen uns ablenken,« sagte der Scheik; »das soll ihnen aber nicht gelingen. Wir folgen ihnen nicht, sondern reiten weiter, gerade auf das Wadi Bascham zu.«
Ich stimmte bei, und so wurde die alte Richtung beibehalten. Wir kamen während des ganzen Tages durch Gegenden, welche zwar nicht Wüste genannt werden konnten, aber doch recht gut hätten in der Sahara liegen können. Gegen Abend kamen wir an den von Wasit nach Dsul Oschar führenden Karawanenweg, wo wir während der Nacht an einem Brunnen lagerten, der reichliches aber schlechtes Wasser führte. Am Morgen ritten wir weiter. Wir wollten bis in die Nähe des Wadi Bascham, um dort den Mördern aufzulauern. Es sollte aber anders kommen.
Es war noch nicht Mittag, als wir einen Reitertrupp erblickten, welcher sich in einem spitzen Winkel uns von links herüber näherte. Es waren nur vier Mann, vielleicht ein Teil von denen, die wir erwarteten. Wir griffen zu den Waffen und hielten an, um sie herankommen zu lassen. Sie setzten ihre Pferde in Galopp, und bald sahen wir, daß wir uns geirrt hatten. Mit diesem »wir« sind jedoch nicht die Muntefik gemeint, denn als der Scheik derselben die Gesichter der Nahenden erkannte, rief er aus:
»Sie sind es, Emir, sie sind's! Der, welcher voranreitet, ist Humam Ben Dschihal, der Scheik der Hadesch.«
»Du kennst ihn genau?« fragte ich.
»Ja.«
»So hat uns der Schech el Belud von Mangaschania belogen, denn diese Männer waren es nicht, die uns in Kubbet el Islam überfielen.«
»Was? Wie? Diese nicht?«
»Nein.«
»So verdamme Allah den Lügner! Ich werde ihn bestrafen lassen!«
Die vier Hadescharaber kamen heran und grüßten uns. Als ihr Anführer sich nach der Ursache und dem Ziele unseres Rittes erkundigte, hielt ich es für das Klügste, ihm die Wahrheit zu sagen. Er sah allerdings wie ein echter Räuber aus, doch sind die dortigen Beduinen alle mehr oder weniger Spitzbuben.
»Allah 'l Allah!« lachte er, als er mich angehört hatte. »Ich nehme es euch nicht übel, daß ihr mich für den Räuber gehalten habt; aber ich sage dir, daß ich es besser gemacht hätte als er. Aber ich möchte gern wissen, wer der ist, mit dem ich verwechselt worden bin. Willst du ihn mir nicht einmal beschreiben!«
Ich folgte dieser Aufforderung; als ich die beiden Narben erwähnte, rief er aus:
»Maschallah! Gingen sie von rechts nach links schräg abwärts über die Stirn?«
»Ja.«
»Hatte nur er diese Narben?«
»Nein. Jeder seiner Leute hatte sie auch und genau ebenso.«
»So habe ich es, ich hab's! Ich weiß, wer er ist!«
»Nun, wer?« fragte ich, im höchsten Grade gespannt.
»Es ist – – doch halt!« unterbrach er sich, indem sein Gesicht einen lauernden Ausdruck annahm. »Ihr werdet ihn verfolgen?«
»Ja.«
»Wenn es sein muß, bis zu seinem Lagerdorfe hin?«
»Sicher!«
»So gieb mir ein Versprechen!«
»Welches?«
»Daß du auf dem Wege, den ich dir beschreibe, hinreiten wirst.«
»Das kann ich nicht versprechen, denn es ist möglich, daß unvorhergesehene Umstände mich unterwegs zwingen, von diesem Wege abzuweichen.«
Da fiel Abd el Kahir, der Scheik der Muntefik, schnell ein:
»Wenn du dich weigerst, dieses Versprechen zu geben, so erfahren wir nichts. Ich gebe es hiermit an deiner Stelle.«
»Gut, ich halte dich beim Worte!« sagte der Scheik der Hadesch. »Übrigens braucht ihr ihm nicht zu folgen, denn wenn ihr mit mir nach dem Wadi Bascham reitet, fällt er in eure Hände. Auch ich habe eine Blutrache mit ihm. Sein Stamm steht mit dem meinigen in Fehde; ich war jetzt dort und habe dafür gesorgt, daß er mir in die Hände läuft. Ich erfuhr, daß er nach Basra ritt, und bin nach seinem Duar gezogen, um ihm einen Streich zu spielen. Was für einer dies ist, das braucht ihr nicht zu wissen; aber ihr könntet ihn mir leicht vereiteln, wenn ihr nicht den Weg einschlüget, den ich euch vorzeichne. Ich weiß ganz gewiß, daß er sofort gegen mich ziehen wird, sobald er von Basra zurückkehrt. Es ist nämlich Abd el Birr, der Scheik der Malik Ben Handhala im Wadi esch Schagina.«
»Allah 'w Allah! Das ist möglich; ja, das glaube ich! Und nun weiß ich auch, weshalb der Schech el Beled von Mangaschania uns belogen hat. Er ist ja sein Stammesgenosse. Mangaschania wird von den Beni Mazin bewohnt, welche zu dem großen Stamme der Tamim gehören, und die Malik Ben Handhala gehören auch zu demselben. Er hatte sich dem Schech anvertraut.«
»Du hast recht. Ich sage dir, der Mörder, den ihr sucht, ist wirklich dieser Abd el Birr; das schwöre ich dir beim Kuran zu.«
»So müssen wir ihm nach.«
»Wollt ihr ihn nicht lieber in meinem Wadi, bei mir erwarten? Er kommt sicher.«
»Nein; wir haben keine Zeit dazu.«
»So reitet bis zu euerm letzten Nachtlager zurück, und folgt von dort aus seinen Spuren. Er wird sich auf der Wasit-Straße halten bis nach Dsul Oschar hinüber, und dann auf dem Mekkawege weitergehen. Willst du das?«
»Ja, ich verspreche es dir. Es ist ja auch der kürzeste Weg nach seinem Dorfe.«
Ich war anderer Meinung, als Abd el Kahir, sagte aber nichts, sondern hob mir das für später auf. Es wurden noch einige höfliche Redensarten gewechselt; dann trennten wir uns; das heißt, wir kehrten auf dem Wege zurück, den wir gekommen waren, Humam Ben Dschihal aber blieb mit seinen drei Hadesch halten, um zu sehen, ob wir das ihm gegebene Versprechen auch erfüllten. Ich drehte mich öfters, ohne daß es ihm auffallen konnte, nach ihm um; sobald wir jedoch so weit von ihm fort waren, daß er uns nicht mehr sehen konnte, wich ich von unserm Wege rechts ab.
»Was thust du?« fragte Abd el Kahir. »Du reitest falsch.«
»Ich reite sehr richtig.«
»Es würde ein Umweg sein.«
»Das Gegenteil. Unsere Feinde sind nach Südwest, wir aber reiten jetzt gerade nach Süd. Wie wollen wir sie da einholen!«
»Wir reiten ihnen ja von unserm letzten Lagerplatze aus nach!«
»Das würde einen Winkel geben, einen Umweg, welcher über einen ganzen Tag beträgt.«
»Ich habe es aber versprochen!«
»Ich nicht. Der Gegenstand ist von gar keiner Bedeutung für dich, und wenn du nicht nach deinem zu schnell gegebenen Versprechen handelst, wirst du keine große Sünde begehen. Willst du aber dein Wort halten, so habe ich gar nichts dagegen; reite du weiter! ich aber habe nichts versprochen und werde keinen Umweg machen, denn ich will die Kerls einholen, noch ehe sie ihr Dorf erreichen. Sind sie erst dort, dann ist es gefährlicher, an sie zu kommen. Außerdem kam mir das Benehmen des Scheiks der Hadescharaber verdächtig vor. Er hat etwas gethan, was wir nicht wissen sollen, und derartige Verheimlichungen lasse ich nie unaufgedeckt. ich muß stets wissen, woran ich bin.«
Ich ritt weiter; Halef, Omar und die Haddedihn folgten mir, und die Muntefikaraber kamen uns nach einiger Zeit doch nach, als sie sahen, daß wir nicht umkehrten. Was ging mich das leichtsinnige Versprechen ihres Scheiks an! Ich hatte auf unser Unternehmen Rücksicht zu nehmen, nicht aber auf den mir so verdächtig erscheinenden Wunsch Humam Ben Dschihals.
Wir ritten also nach Südwest und kamen bald an die Spuren des letztgenannten und seiner Leute. Diesen folgten wir bis zum Abende, ohne daß irgend etwas geschah. Die Gegend war im höchsten Grade trist, und unser Wasser ging zur Neige. Ich wollte aber nicht südwärts nach der Wasitstraße einlenken, weil dies ein Umweg war und gerade hier mehrere Unterabteilungen der Tamim an derselben wohnten. Die hielten es natürlich mit Abd el Birr, von dem sie jedenfalls über uns benachrichtigt worden waren. Wir wären da wohl kaum unsers Lebens sicher gewesen. Später gab es an derselben Straße Angehörige anderer Stämme, denen wir mehr Vertrauen schenken konnten. Darum strengten wir unsere Pferde soviel wie möglich an, um eine tüchtige Strecke hinter uns zu legen, und infolgedessen waren, als es dunkel wurde, nicht nur die Pferde, sondern auch die Reiter ungewöhnlich ermüdet. Wir schliefen alle rasch ein, die Wache natürlich ausgenommen. Abd el Kahir hielt es nach der letzten Erfahrung gar nicht mehr für überflüssig, Wächter auszustellen.
Ich wurde auch heute bald wieder geweckt und zwar abermals durch Omar Ben Sadek. Er rüttelte an meinem Arme und sagte leise, um die andern Schläfer nicht zu stören:
»Sihdi, steh doch einmal auf und horch, was das für Töne sind! So eine Tierstimme habe ich noch nie gehört.«
Ich that ihm den Willen, entfernte mich mit ihm eine kleine Strecke vom Lagerplatz und horchte. Es herrschte die tiefste Stille rund umher. Doch bald wurde sie durch einen eigentümlichen Ton unterbrochen, den ich allerdings auch nicht unterzubringen wußte. Eine Tierstimme war es nicht, und als sich dieser Ton einigemal wiederholt hatte, sagte ich:
»Sonderbar! Wenn dies nicht die Stimme eines rufenden Kindes ist, so weiß ich nicht, wem sie gehören soll. Schakal oder Fennek ist es nicht, Hyäne vollends gar nicht. Gehen wir langsam näher!«
Wir setzten uns in Bewegung, und je weiter wir kamen, desto deutlicher wurden die Laute; dann unterschieden wir die beiden Silben Zar – – ka, die von einer klagenden Kinderstimme gerufen wurden. Zarka ist das Femininum des arabischen Wortes asrak, welches blau bedeutet; hier war es also wohl der Name einer Frau oder eines Mädchens. Ein Kind allein hier in der Wüste? Unmöglich! Es waren jedenfalls andere Personen dabei, und da galt es, vorsichtig zu sein. Wir schlichen uns näher und immer näher, bis wir zu unserm Erstaunen sahen, daß das Kind allerdings ganz mutterseelenallein im Sande lag. Das konnte eine Falle sein, und darum beschloß ich, die Umgegend recht sorgfältig abzusuchen.
Dies dauerte ziemlich lange, und als ich damit fertig war und zu Omar zurückkehrte, saß er an der Erde, mit dem Kinde auf dem Arme. Es hatte die Ärmchen um seinen Hals geschlungen und schlief.
»Pst, Sihdi, wecke es nicht!« flüsterte er. »Es schläft. Wir wollen ganz leise, ganz leise zurückkehren.«
Er stand langsam auf, um das Kind ja nicht etwa durch eine schnelle Bewegung zu wecken, und trug es nach dem Lager. Dort setzte er sich nieder und blieb die ganze Nacht vollständig bewegungslos sitzen, er, der rauhe Beduine, den ich nur seinem Weibe gegenüber weich gesehen hatte. Die letzte Wache war auf mich gefallen, und so sah ich beim Anbruche des Tages die rührende Hingebung, welche er für den Findling hegte. Es war ein Knabe.
Da regte sich dieser und ließ, noch schlaftrunken, wieder den Namen Zarka hören. Dann schlug er die Augen auf, aber was für Augen! Sie waren blau; fast möchte ich sagen, himmelblau, wenn es überhaupt himmelblaue Augen gäbe, denn die himmelblaue Farbe der Augen ist lediglich eine Erfindung der Dichter. Ein Araberknabe himmelblaue Augen! Omar stieß einen lauten Ruf der Überraschung aus und war ganz entzückt darüber; es war allerdings ein Knäblein, wie gemalt, vielleicht anderthalb Jahre alt. Der Ruf weckte die Schläfer auf, die nicht wenig verwundert waren, als sie das Kind erblickten. Dieses fürchtete sich vor ihnen, suchte Schutz am Halse Omars und rief wieder nach seiner Zarka. Wir gaben ihm zu trinken und einige weiche Datteln; da beruhigte es sich.
Was mit dem Knaben thun? Ihn mit uns nehmen, das ging wohl kaum; noch weniger konnten wir ihn hier zurücklassen. Der nächste Ort war el Achadid, an der Wasitstraße; dorthin wollten wir ihn bringen, denn es war zu vermuten, daß er dorthin gehörte. Das zwang uns zu einem Umwege, war aber nicht zu ändern. Wir saßen also auf und schlugen die Richtung nach diesem Orte ein. Das Kind fürchtete sich vor uns allen und weinte, wenn sich einer von uns ihm näherte; zu dem braven Omar aber zeigte es sonderbarerweise eine wahre Zärtlichkeit, über welche er ganz glücklich war. Er hatte es bei sich auf dem Pferde und sorgte dafür mit einer Aufmerksamkeit, die ich ihm gar nicht zugetraut hätte.
»Sihdi,« sagte er, »das ist ein wahrer Herzensknabe. Ich schwöre bei Allah, daß ich ihn seinem Vater wiedergeben werde.«
»Und wenn wir diesen nicht finden?«
»So nehme ich ihn mit mir und bringe ihn meiner Sahama, dem Weibe meiner Liebe, die voller Wonne über ihn sein wird.«
Seine Zuneigung zu dem Knaben wuchs von Stunde zu Stunde, und als wir gegen Abend in der Nähe von el Achadid angekommen waren, sagte er:
»Ich wollte, die Eltern wären nicht zu finden. Sieh, wie er mich am Barte zerrt und dabei lacht! Aber trotzdem sollen sie ihn wieder haben, und wenn sie noch so weit von hier wohnen. Bei Allah, ich werde ihnen ihr verlorenes Glück wieder bringen!«
Er ahnte nicht, was dieses »bei Allah« bald für Folgen haben würde.
Da el Achadid von keiner Abteilung der Tamim bewohnt wurde, hatten wir nichts zu besorgen und ritten in den Ort. Unsere Nachfragen waren vergeblich. Niemand kannte den Findling, und kein Mensch wußte, wo in den benachbarten Duars ein Kind seinen Eltern abhanden gekommen war. Ich machte den Vorschlag, den Knaben hier zu lassen. Uns mußte er genieren, und die Bewohner dieses Ortes konnten seine Herkunft ausfindig machen. Da aber sagte Omar:
»Nein, Sihdi! Ich habe ihn gefunden, und wenn wir seine Eltern nicht entdecken, so gehört er mir und wird mein Kind. Soll ich ihn Zarka nennen?«
»Das ist ja ein weiblicher Name.«
»Gut, so soll er Lakit heißen. Es giebt keinen Namen, welcher besser für ihn paßt.« – –