Karl May
Auf fremden Pfaden
Karl May

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Um des Kindes willen

Die Leute von el Achadid behandelten uns freundlich. Sie boten uns Wasser umsonst und Früchte, Mehl und andere Nahrungsmittel zu den niedersten Preisen an. Einer von ihnen war von einem Ritte nach Wasit heimgekommen und dabei auf Abd el Birr und seine Handhala-Araber gestoßen. Als er das so nebenbei erwähnte, bemerkte ich, daß Feindschaft zwischen Achadid und den Handhala herrschte, und da erzählte ich, weshalb wir in diese Gegend gekommen waren. Hierauf wurde uns von ganzem Herzen guter Erfolg gewünscht; wir mußten als Gäste in dem Orte bleiben und bekamen, als wir am nächsten Morgen weiterritten, alle Auskunft, die uns nötig war, weil bei den Muntefik die Kenntnis der Örtlichkeiten nun nach und nach zu mangeln begann.

Wir wußten nun, daß wir die Malik Ben Handhala eine halbe Tagereise vor uns hatten, und mußten uns bemühen, diesen Vorsprung einzubringen. Leider wurde uns dies durch den Knaben erschwert, welcher trotz aller Sorgfalt, die Omar auf ihn richtete, unser schnelles Reiten nicht aushalten konnte. Die Muntefik räsonnierten darüber, doch Omar machte sich nichts daraus. Die blauen Augen hatten es ihm angethan, und er schien mehr an den Knaben als an die Blutrache zu denken, die uns und vor allen Dingen ihn hierher geführt hatte. Er plauderte in einem fort mit seinem »Lakit«, obgleich er immer nur das Wort Zarka als Antwort bekam. Ob wohl die Mutter dieses Knaben diesen Namen trug?

Gegen Ende dieses Tages kamen wir wieder auf die Fährte der Handhala und beschlossen, nur dann von derselben abzuweichen, wenn es einen Ort zu umreiten gab, dessen Bewohner uns nicht sehen sollten.

Die Verfolgten hatten sich bis jetzt auf der Wasitstraße gehalten; am nächsten Vormittage aber führte ihre Spur nach Mawija hinüber, welches an der Mekkastraße liegt. Wir hatten gehört, daß dieser Ort von den Anbararabern bewohnt wird, vor denen wir uns, wie wir meinten, nicht zu verbergen brauchten, da sie nicht zum Tamimstamme gehörten, und hielten es für geboten, uns nach den Handhala zu erkundigen. Dennoch gebrauchte ich die Vorsicht, die andern außerhalb des Ortes zu lassen und mit Halef allein hineinzureiten.

Einige Männer standen bei den ersten Hütten und Zelten. Als sie uns kommen sahen, rannten sie fort, wohl um die Kunde von der Ankunft zweier fremder Reiter rasch zu verbreiten. Dennoch sahen wir, als wir uns schon mitten im Dorfe befanden, keinen andern Menschen als eine alte Frau, die ich nach dem Schech el Beled fragte. Sie bezeichnete mir ein großes Zelt als die Wohnung desselben. Wir ritten hin und riefen. Da wurde der Vorhang zurückgeschlagen, und der Beherrscher des Dorfes erschien in der Öffnung. Ohne abzuwarten, was wir von ihm wollten, lud er uns ein, bei ihm einzutreten und den Tschibuk mit ihm zu rauchen. Ich entschuldigte mich mit dem Mangel an Zeit; er aber ließ das nicht gelten und wiederholte seine Einladung in so dringendem Tone, daß es eine unverzeihliche Beleidigung gewesen wäre, wenn wir dieselbe auch jetzt noch zurückgewiesen hätten. Und Feinde durften wir uns hier nicht machen, weil uns der Rückweg wieder herführen mußte. Wir stiegen also ab, banden die Pferde an zwei Zeltstangen und traten ein.

Unser Wirt begrüßte uns mit einem vollständigen Ahla wa sahla wa marhaba, was die geringe Befürchtung, die ich doch hegte, sofort verscheuchte, denn einer, dem man nicht wohl will, wird nie so gegrüßt, und ließ uns niedersetzen. An einem Pfahle hingen mehrere Tabakspfeifen, von denen er uns die beiden besten aussuchte; dann gab er uns Tabak und auch Feuer. Er war im höchsten Grade freundlich, setzte sich zu uns und begann ein Gespräch, ohne uns nach unseren Verhältnissen und Absichten zu fragen.

Da war es mir, als ob ich draußen die Schritte vieler Leute hörte, leise Schritte, was meinen Argwohn sofort wieder wachrief.

»Die Bewohner Mawijas scheinen nicht daheim zu sein,« sagte ich. »Ich habe nur einige Männer und eine Frau gesehen.«

Da stand er auf, nahm plötzlich eine ganz andere Miene an und antwortete:

»Sie sind daheim, alle, und haben auf euch gewartet.«

»Gewartet?« fragte ich, noch ruhig sitzen bleibend. »Wußtet ihr denn, daß wir kommen würden?,‹

»Wir wußten es. Abd el Birr, der Scheik der Handhala, hat uns gesagt, daß ihr Christenhunde kommen werdet, um die heilige Pilgerstraße zu besudeln. Das werdet ihr mit eurem Leben bezahlen. Unsere Männer haben sich versteckt, um euch stinkenden Hunden – –«

»Schweig!« fuhr ich ihn an, indem ich aufsprang und Halef sich ebenso rasch aufschnellte. »Ja, ich bin ein Christ; der Hund aber bist du!«

»Und deine Leute sind Hundesöhne und feige Abkömmlinge von Hundeenkeln, denen wir die Peitsche geben werden!« unterbrach mich mein wackerer, furchtloser Halef, indem er eine kurze, starke Lederpeitsche, welche am nächsten Pfahle hing, herunterriß und ihm mit derselben gedankenschnell zwei, drei, vier Hiebe quer über das Gesicht versetzte.

Der Kerl wollte schreien, kam aber nicht dazu, denn ich schlug ihn zu Boden und öffnete dann den Vorhang, welcher als Thüre des Zeltes diente. Da draußen standen jetzt über hundert bewaffnete Männer und Burschen bereit, die Schänder der heiligen Straße zu ermorden und zu zerreißen; hinter ihnen hatten sich die Weiber zusammengeschart. Ich wollte aufs Pferd und fort, mitten durch sie hindurch; da aber schob mich mein listiger Hadschi Halef zur Seite und schrie, ehe noch einer von ihnen zu einem Ruf des Fanatismus kam, ihnen zu:

»Was fällt euch denn ein, ihr gläubigen Moslemim, ihr tapfern Krieger von Mawija! Wir gehören zu den Handhala und wurden von Abd el Birr zu euch gesandt, um dem Schech el Beled zu melden, daß die erwarteten Ungläubigen in kurzer Zeit ankommen werden, ihr habt eure Verstecke zu früh verlassen. Sie können jeden Augenblick erscheinen, und wenn sie euch hier versammelt sehen, werden sie draußen bleiben und entfliehen. Verbergt euch also schleunigst wieder, solange es noch Zeit ist! Schnell, schnell, fort, sonst entgehen sie uns!«

Um sie irre zu leiten und seinen Worten Nachdruck zu geben, verschwand er rasch wieder im Zelte, und ich folgte ihm ebenso schnell. Der Schech lag betäubt am Boden. Wir blickten durch eine Ritze hinaus und sahen, daß sich das Volk schleunigst entfernte. Der schlaue Hadschi bemerkte diesen seinen Erfolg und sagte, vergnügt lachend:

»Siehst du, wie es hilft, Sihdi! Du hättest wohl zwanzig und noch mehr mit der Faust erschlagen; vor meiner Zunge aber reißen sie alle, alle aus. Hamdulillah, jetzt sind sie fort! Nun wieder hinaus und auf die Pferde!«

Es war kein Mensch mehr draußen zu sehen, aber eben als wir aufstiegen, kamen einige Personen hinter einer langen, niedrigen Hütte hervor; ich erkannte Abd el Birr und drei von seinen Handhala.

»Ihr seid betrogen worden, betrogen, betrogen!« brüllte er wütend. »Auf sie, ihr Dummköpfe, schnell auf sie, sonst entgehen sie uns!«

Halef hätte ihn niederschießen können, that es aber natürlich nicht. Er hatte die Peitsche in der Hand behalten; er that mit derselben einige sehr bezeichnende Hiebe durch die Luft; dann galoppierten wir fort, zum Dorfe hinaus, verfolgt von einem Wutgeheul, wie man es sonst nur von Indianern zu hören bekommt.

Es stand zu erwarten, daß die fanatischen Menschen uns verfolgen würden; darum hielten wir uns, als wir unsere Gefährten erreichten, nicht bei ihnen auf, sondern jagten an ihnen vorüber und riefen ihnen zu, schnell nachzukommen. Um die Verfolger irre zu leiten, ritten wir gerade nordwärts, wohin wir gar nicht wollten, und sahen, als wir uns dann umblickten, auch wirklich eine Reiterschar, welche den Ort verlassen hatte; diese Leute sahen aber ein, daß unser Vorsprung schon zu groß war, und kehrten nach wenigen Minuten wieder um. Nun ritten wir in einem weiten Bogen langsam wieder in unsere ursprüngliche Richtung zurück, wobei Halef den andern unser Abenteuer erzählte und sich nicht wenig auf seine Pfiffigkeit zu gute that.

Also wir hatten die Handhala eingeholt, weil sie in Mawij a geblieben waren, um uns zu verderben. Abd el Kahir riet, sie auf dem Wege nach dem nächsten Orte zu überfallen; ich aber ging nicht darauf ein, weil vorauszusehen war, daß sie gerade jetzt sehr vorsichtig sein würden. Dieser nächste Ort, er Rakmatan, gehörte den Handhala, und ich wollte mich nicht zwischen zwei Feuer bringen, sondern den Überfall desselben erst jenseits desselben unternehmen. Man stimmte mir bei.

Dieses Rakmatan liegt am oberen Ende des Wadi Falg und ist unter den Muhammedanern berühmt, als der einstige Wohnort des Dichters Malek Ben er Reïb el Mazini. Es war vorauszusehen, daß Abd el Birr nach dem Geschehenen Mawij a nicht so schnell verlassen und dann in Rakmatan bei seinen Stammesgenossen bleiben werde. Wir waren erwischt worden, und nun glaubte er gewiß, daß wir nicht wiederkommen würden; wir hatten daher wohl bis morgen Zeit. Wir beeilten uns also gar nicht und machten einen Umweg, um ja nicht gesehen zu werden. Es dunkelte bereits, als wir jenseits Rakmatan auf der Pilgerstraße ankamen. Wir versteckten uns da hinter den Felsen des Wadi Maskat er Raml, hinter welchem die esch Schiha-Wüste beginnt.

Omar hatte nur für seinen Knaben Zeit und Augen, und es war wirklich rührend, zu sehen und zu hören, wie zart er für ihn sorgte und in welch weichen Tönen er zu ihm sprach; eine Mutter hätte nicht lieber und aufmerksamer sein können. Das Kind wollte aber auch keinen Augenblick lang von ihm lassen.

Es lag mir natürlich daran, zu erfahren, ob Abd el Birr schon in dem Orte angekommen oder wider alles Erwarten schon vorüber sei; darum beschloß ich, kundschaften zu gehen. Halef wollte mit, konnte aber nichts nutzen, sondern nur schaden. Den hellen Haïk, der mich leicht verraten konnte, ließ ich natürlich zurück.

Ich hatte bei unserer Ankunft im Wadi Maskat er Raml das Dorf liegen sehen und schätzte die Zeit, es jetzt in der Dunkelheit zu erreichen, auf eine halbe Stunde. Als diese verflossen war, stand ich vor der ersten Hütte. Aus den Fensteröffnungen der Wohnungen glänzte der Schein der Lichter oder Sesamöllampen. Der Ort war in eine Krümmung des Wadi Falg geschmiegt, und wenn ich nicht gesehen werden wollte, mußte ich meine Beobachtungen im Rücken des Dorfes machen. Ich schlich mich von einer Wohnung zur andern, bis ich am obern Ende angekommen war; dann kehrte ich wieder zurück, um meine Aufmerksamkeit auf ein Bauwerk zu richten, welches das größte war und also wohl dem reichsten Manne, wenn nicht dem Schech el Beled gehörte. Vor der Thür desselben waren, wie ich bemerkte, mehrere Pferde angebunden. Die hintere Wand hatte vier Fensteröffnungen, von denen drei erleuchtet waren. Ich schlich mich an die erste und sah hinein. Ich sah einen kleinen, ganz primitiv eingerichteten Raum, in welchem eine weibliche Gestalt unbeweglich auf einer Strohmatte saß. Sie schien nach dem Nebenraume zu lauschen, in welchem Stimmen zu hören waren. Diesen zweiten Raum konnte ich durch das nächste Fenster überblicken. Er war größer. Zwei Männer befanden sich darin. Der eine von ihnen ging in großer Erregung hin und her; es war der Scheik der Handhala.

»Also mein Sohn, mein einziges Kind, mir in meinem Alter spät geboren, ist fort, geraubt von Humam Ben Dschihal, dem verfluchten Hadeschhunde!« rief er. »Ist er es wirklich gewesen? Wer hat ihn erkannt?«

»Dein Weib; sie kennt ihn ja genau. Sie ist mit dem Kinde auf dem Makbara gewesen, ganz allein, und da von ihm überfallen worden.«

»Diese Verruchte, diese der Hölle Verfallene! Ich werde mit ihr abrechnen, bald, sehr bald! Denn ich werde sofort weiter reiten, um daheim meine Krieger zum Rachezuge zu versammeln. Sobald unsere Pferde gefressen und sich ein wenig ausgeruht haben, geht es fort von hier. Wir werden das Wadi Bascham dieses Kinderräubers der Erde gleich machen. Er hat sich fürchterlich gerächt, wie er sich entsetzlicher gar nicht rächen konnte. Er kannte meine unendliche Liebe zu diesem Kinde und hat es sicher unterwegs ermordet. Und dieses Weib, was thut sie jetzt? Sie wird daheim sitzen und an nichts anderes denken, als daß ihr das Trauerkleid gut zu Gesichte steht. Sie ist dem Tode verfallen. Meine erste Kugel gilt nicht dem Räuber meines Knaben, sondern ihr, das schwöre ich bei – –«

»Halt, schwöre nicht!« unterbrach der Hausherr den Wütenden. »Dein Weib ist nicht daheim.«

»Wo sonst?«

»Sie ist dem Räuber nach wie eine Löwin, der man ihr junges genommen hat.«

»So hat er sie auch getötet, und so ist sie leider ihrer Strafe entgangen. Was nützt es, daß sie ihm nachgefolgt ist! Darfst du sie da eine Löwin nennen? Sie hätte ihr Kind wie eine Löwin verteidigen sollen! Ich schwöre es bei Allah und allen Khalifen, daß ich ihr, wenn ich sie finde – –«

»Halt, schwöre nicht!«

Das sagte nicht der andere wieder, sondern der Ruf erscholl vom Eingange zum Nebenraume her, wo die Frau stand, die ich vorhin gesehen hatte. Nun folgte eine Scene, welche zu beschreiben sich die Feder sträubt. Man erlasse sie mir! Sie war in ihrer Mutterangst hierher gekommen, um den befreundeten Stamm um Hilfe zu bitten, und befand sich erst seit einigen Stunden hier, wo sie so unerwartet mit ihrem Manne zusammentraf. Dieser schäumte vor Wut, warf sie nieder, zerrte sie hin und her, trat sie mit Füßen und hätte sie erschossen, denn er riß das Pistol einigemal hervor, wenn er nicht von dem andern daran verhindert worden wäre. Endlich zog er sie an den Haaren aus dem Hause, schleuderte sie dort hin und brüllte laut dazu:

»Enti talikah bit telateh!«

Das heißt zu deutsch: »Du bist dreimal verstoßen«, und ist die gesetzlich vorgeschriebene Scheidungsformel. Sie war von diesem Augenblicke an nicht mehr seine Frau.

Ich schlich mich um das Haus, um nach ihr zu sehen, so gefährlich dies für mich war; da kam sie weinend um die Ecke. Sie erschrak, als sie mich sah.

»Wirst du Zarka genannt?« fragte ich leise.

»Ja. Wer bist du?« brachte sie mühsam hervor.

»Dein Freund. Ich bringe dir Hilfe. Komm mit mir!«

Ich nahm sie bei der Hand und führte sie fort. Sie folgte mir ohne Weigerung, mir, einem Fremden, von dem sie sich nicht berühren lassen durfte. Es war ihr ja nun alles gleich. Leise vor sich hinweinend und schluchzend ging sie eine halbe Stunde neben mir her, bis wir in das Wadi Maskat er Raml kamen. Da, wo die Gefährten hinter den Felsen steckten, war die zärtliche Stimme Omars zu hören, und eine andere, feinere, antwortete ihm mit einem zweimaligen »Zarka« darauf. Da stieß die Frau einen schrillen Schrei aus und stürzte vorwärts.

Was soll ich sagen! Sträubte sich vorhin die Feder, mir zu gehorchen, so möchte ich jetzt wohl gar zu gern das unendliche Entzücken der Mutter schildern, vermag es aber nicht und schweige also wieder, freilich aus ganz anderm Grunde.

Der mit dieser Wendung zunächst höchst unzufriedene Omar warf mir zehn Fragen auf einmal vor, und die andern wollten ebenso Erklärung haben, aber es gab keine Zeit dazu, weil Abd el Birr, der Handhala, so rasch aufbrechen wollte. Sollte er uns nicht entgehen, so mußten wir eilen. Zarka wurde mit dem Kinde so weit in das Wadi hineingeschafft, daß sie nicht hören konnte, was geschah; dort blieben zwei Haddedihn, die ich instruierte, bei ihr. Dann wurde mein dreißig Ellen langer, unzerreißbarer Lasso quer über den Weg gezogen; die Pferde sollten darüber stürzen, so daß uns der Fang sicherer und leichter war. Dann warteten wir.

Es verging aber eine Viertelstunde, ehe wir den Hufschlag nahender Pferde hörten. Sie kamen trotz der Dunkelheit im scharfen Trabe. Der Scheik fluchte, wetterte und trieb zur Eile an. Jetzt waren sie da. Ohne den Lasso wären sie in einigen Sekunden vorüber gewesen, wenn wir nicht hätten auf sie schießen wollen; so aber kam keiner vorbei; alle Pferde stürzten und die Reiter mit ihnen. Wir waren natürlich sofort über die letzteren her, ich über den Scheik, der sich durch seine Stimme kenntlich gemacht hatte. Er lag erst vor Schreck bewegungslos; dann wollte er sich wehren, wollte auf, konnte aber nicht und sank mit einem Schmerzensschrei wieder nieder. Er hatte das rechte Bein gebrochen. Sie wurden alle gebunden und nebeneinander niedergelegt; es fiel kein Wort dabei, und ich gebot auch bis zu meiner Rückkehr Schweigen. Dann nahm ich dem Scheik die beiden Pistolen aus seinem Gürtel und ging dem Dorfe zu.

Dort angekommen, schlich ich mich erst hinter den Häusern bis zu dem größten hin, welches, wie ich dann erfuhr, wirklich dem Schech el Beled gehörte, ging dann ganz offen nach der vordern Seite desselben und trat ein. Der Schech saß rauchend ganz allein im großen Raume; er wollte die Erregung der letzten Stunde durch die Pfeife beruhigen. Als er mich sah, sprang er überrascht auf.

»Kennst du diese Waffen?« fragte ich, sie ihm vorhaltend.

»Maschallah! Die Pistolen des Scheikes der Malik Ben Handhala!«

»Sie sind es. Er gab sie mir als Erkennungs- und Beglaubigungszeichen mit. Er ist nicht weit fortgekommen. Es handelt sich um ein Geheimnis, welches nur du allein heute erfahren darfst. Hast du einige Fananir

»Ja.«

»Hole sie, und folge mir! Es ist Wichtiges geschehen.«

»Was? Wer bist du? Ich kenne dich nicht.«

»Du wirst es von ihm selbst erfahren. Beeile dich! Es darf keine Minute verloren werden.«

Der sehr bestimmte Ton, in welchem ich sprach, und die Pistolen hatten die beabsichtigte Wirkung – Er holte mehrere

Plural von Fannar, Papierlaternen; andere giebt es dort nicht Laternen, zündete eine davon an und ging mit. So sehr er unterwegs Auskunft von mir forderte, ich gab sie ihm nicht; doch als wir an Ort und Stelle waren, sagte ich ihm, daß er mein Gefangener sei, aber nichts zu befürchten habe, falls er sich ruhig bis zum Morgen verhalte. Er wurde auch gebunden, ehe er sich versah; dann steckten wir alle Laternen an, so daß Licht genug vorhanden war, alles zu sehen.

Nun fiel zunächst der Scheik der Muntefik in den heftigsten Vorwürfen und Schmähreden über den Scheik der Handhala her; ich ließ ihn einige Zeit gewähren; dann aber, als er gar nicht aufhören wollte und es zu toll trieb, gebot ich ihm mit den Worten Ruhe:

»Nun laß es endlich gut sein! Es handelt sich bei dir um eine Beleidigung, für welche du Abbitte oder irgend eine für ihn ungefährliche Strafe verlangen kannst, nicht aber um etwas, was den unbedingten Tod erfordert. Hier aber steht der Bluträcher, welcher das Leben dieses Gefangenen fordern kann. Laß ihn nun auch zu Worte kommen!«

Ich deutete dabei auf Omar, welcher, seit Abd el Kahir gefangen war, kein Wort gesagt hatte. Jetzt trat er näher und blickte ihm finster in das Gesicht. Ich gab Halef einen heimlichen Wink. Dieser verstand mich und ging unauffällig fort, um Zarka herzubringen.

»Du hast den Bruder meines Weibes ermordet,« sagte jetzt Omar; »ich bin der Rächer. Kennst du das Gesetz, welches lautet: Blut um Blut, Leben um Leben?«

»Töte mich!« antwortete der Gefragte. »Allah hat mich durch diesen Kara Ben Nemsi Emir in deine Hand gegeben. Er hat mir die Freude meines Lebens, mein einziges Kind, den Sohn meines Alters genommen; ich mag nicht länger leben. Ich werde dir dankbar dafür sein, wenn du mir eine Kugel giebst.«

Das hatte Omar nicht erwartet; er kam dadurch in Verlegenheit. Er wollte den Gefangenen strafen, nicht ihm aber eine Wohlthat erweisen. Er blickte erst ihn und dann auch mich ratlos an.

»Schieß ihn tot, oder nimm das Messer, Omar!« forderte ich ihn auf.

Seine Verlegenheit wuchs. Er wollte Rache, aber ein Henker zu sein, einen Wehrlosen zu töten, das fiel ihm nicht ein.

»Ich verstehe dich,« fuhr ich fort. »Ja, wärest du ein Christ, so könntest du dich fürchterlich rächen, indem du glühende Kohlen auf sein Haupt sammeltest.«

Er blickte unentschlossen vor sich nieder. Da bäumte sich der Gefangene unter seinen Fesseln und trotz seines Beinbruches auf und stieß einen lauten, unartikulierten Ruf aus. Sein Weib war gekommen, den Knaben an der Hand. Sie kniete neben ihm nieder und hielt ihm das Kind zum Kusse hin. Eine ungeheure Aufregung bemächtigte sich seiner. Seine Augen schienen aus ihren Höhlen treten zu wollen, und er schrie mit einer Stimme, welche schier unmenschlich klang:

»Er lebt, mein Sohn, er lebt! Emir, laß mir die Hände los, gieb sie mir nur einen Augenblick, einen einzigen Augenblick frei, damit ich mein Kind umarmen, nur einmal berühren, nur einmal streicheln kann!«

Ich bückte mich nieder und band ihm die Arme los. Da griff er zu und zog den Knaben an das Herz, liebkoste ihn wie närrisch, gebärdete sich wie wahnsinnig, zog dann auch die Frau an sich und rief:

»Ich habe dich verstoßen; ich nehme dich wieder auf. Du bist wieder mein Weib, mein teures, gutes Weib. Willst du es wieder sein?«

Sie nickte unter Thränen; sprechen konnte sie nicht.

»Ich habe dich zwar freigegeben, also bist du auch frei.« fuhr er fort. »Aber wir gehen zum Kadi und lassen uns – –«

Er hielt plötzlich inne; es fiel ihm ein, in welcher Lage er sich befand, daß er sein Leben verwirkt, ja sogar um seinen Tod gebeten hatte.

»O, Allbarmherziger, das ist nun aus!« klagte er. »Den Blutpreis, den Blutpreis! Ich will ihn zahlen; ich kann, ich kann nicht sterben!«

»Und du stirbst doch!« antwortete Omar.

Da nahm ich den blauäugigen Knaben seinem Vater aus den Händen, gab ihn Omar hin und sagte:

»Dieser bittet für ihn; er ist sein Sohn. Du hast zweimal bei Allah geschworen, die Eltern dieses Kindes glücklich zu machen, wenn es dir möglich sei. Bedenke das!«

Der Knabe schlang ihm sofort die Ärmchen um den Hals und drückte ihm das Köpfchen in den Bart. Omar, der eben noch so entschlossene Omar, drehte sich um und verschwand mit dem Kinde im Dunkel der Nacht. Nun trat eine erwartungsvolle Stille ein, welche der Scheik dazu benutzte, sein Weib zu fragen, wie sie wieder zu dem verlorenen Kinde gekommen sei. Sie deutete stumm auf mich, und ich erzählte es ihm.

»Er hat es gefunden, er, der Bluträcher, dessen Verwandten wir ermordet haben!« sagte er. »O, Allah, wie strafst du diese That!«

Da kam Omar wieder; er hatte den letzten Ausruf gehört, und auf seinem Gesichte lag ein ungewöhnlich weicher Zug. Er legte ihm den Knaben in die Arme und sagte:

»Ich will nicht deinen Tod; ich nehme den Blutpreis – – um dieses Kindes willen, welches mir meine Seele geraubt hat,« fügte er fast weinend hinzu. »Die Krieger der Haddedihn werden mich wohl deshalb nicht für unwürdig halten.«

Ich reichte ihm die Hand und beruhigte ihn:

»Nie bist du edler und tapferer gewesen als in diesem Augenblicke, wo du dich selbst bezwungen hast. Laß es sie wissen, daß ich, Kara Ben Nemsi Emir, dies ausdrücklich gesagt habe! Wie hoch soll der Blutpreis sein?«

»So Viel, wie Abd el Mottaleb bezahlen mußte, der Großvater des Propheten, hundert Kamele.«

»Das ist mein ganzes Vermögen!« rief der Scheik. »Es bleibt mir dann nichts, gar nichts übrig; aber du sollst alles haben, alles, wenn ich nur meinen Sohn und mein Weib wieder bekomme und für sie leben darf. Der eigentliche Mörder bin ich nicht; den hast du getötet, als wir euch auf dem Wege nach dem Wadi Bascham des Nachts überfallen wollten.«

»So sind wir einig, und die Gefangenen sind frei.« erklärte ich.

Ihre Fesseln wurden gelöst. Abd. el Birr konnte nicht hier liegen bleiben; der Schech el Beled erklärte, ihn und sein Weib und Kind bei sich aufnehmen zu wollen, und lud auch mich mit ein. Er und alle unsere bisherigen Feinde gelobten freiwillig mit den heiligsten Eiden, daß sie allen Hintergedanken fern seien, uns als Freunde und Brüder betrachten und gegen alle Feinde verteidigen würden. Wir durften ihnen glauben und gingen mit, um die Gäste des ganzen Ortes Rakmatan zu sein.

Im Hause des Schechs angekommen, verband ich das Bein des Handhala, so gut es möglich war; der Bruch war kein komplizierter. Der Kranke fühlte sich am andern Tage so wohl, daß er den Kadi kommen ließ, um sich sein Weib wieder antrauen zu lassen. Wäre ich nicht Christ gewesen, so hätte ich dabei als Zeuge dienen müssen; diese Ehre wurde Omar zu teil. Der brave Mann war so gerührt, daß er nach vorübergegangener Handlung zu den aufs neue Vermählten sagte:

»Ich bringe eine Gabe, welche ihr nicht zurückweisen, dürft: ihr habt mich zum Zeugen eures neuen Glückes gemacht, welches die Armut töten würde. Ich verzichte auf den Blutpreis und schenke ihn eurem Sohn. Allah segne ihn und dieses mein Geschenk!«

Der Scheik brachte kein Wort hervor; auch Zarka konnte nicht sprechen; ihre blauen Augen aber standen voller Thränen, denn die Farbe seiner Augen hatte ihr Söhnchen von ihr geerbt; sie hieß Zarka ihrer Augen wegen.

Was wollte der Scheik der Muntefik nach dem Beispiele von Güte machen, welches ihm Omar gegeben hatte? Er mußte auch verzeihen und alle Rachegedanken fallen lassen. Wie eigentlich christlich fühlte und handelte man hier und jetzt in diesem an der Pilgerstraße gelegenen Hause, wo der muhammedanische Fanatismus bisher jährlich blutige Orgien gefeiert hatte! Wir blieben fast drei Wochen lang als Gäste in der Rakmatan, und niemand wagte es, ein Wort der Beleidigung zu mir zu sagen. Die wahre Liebe besiegt den größten, unüberwindlich scheinenden Haß. Meine Gewehre wurden mir natürlich zurückgestellt, und ebenso bekamen die Haddedihn die Summe ersetzt, welche dem toten Mesud in Kubbet el Islam abgenommen worden war. – – –


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