Carl May
Scepter und Hammer
Carl May

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Zweites Kapitel.
Belauscht.

Es war am Abende desselben Tages. Max Brandauer saß in dem Zimmer der Hofschmiede, welches ihm die Eltern als Studirstube überwiesen hatten, und versuchte, seine Gedanken auf die Lektüre einer militärwissenschaftlichen Abhandlung zu konzentriren. Es gelang ihm nicht, denn immer kehrten dieselben zu der heutigen Begegnung zurück.

Zunächst fesselte die Erscheinung der Zigeunerin seine Aufmerksamkeit. An ihren Namen knüpften sich Thatsachen und Erinnerungen, welche auf die ersten Tage seiner Kindheit, seines Lebens zurückführten. Er hatte sie als fünfjähriger Knabe ein einziges Mal gesehen; damals hatte sie in der Zeit des Nachsommers gestanden und eine immerhin noch anziehende Persönlichkeit gebildet. Sie war plötzlich verschwunden, ebenso schnell und unerwartet, wie sie gekommen war. Dann hatten die Eltern ihrer geharrt eine ganze Reihe von Jahren, und nun heut war sie wieder erschienen, ob nur für den einen Augenblick, ob für längere Zeit, ob aus oberflächlichen, gewöhnlichen Gründen oder zur Lösung der Räthsel, die mit ihrem früheren Auftreten verbunden waren – wer konnte das wissen?

Er hatte den Eltern von der Begegnung erzählt und von der Mutter einen linden Verweis erhalten, daß er sie wieder aus den Augen gelassen hatte. Der Vater aber war ruhig geblieben in der festen Überzeugung: »Sie kommt sicher, wenn sie es wirklich gewesen ist!«

Neben der verfallenen Gestalt der alten Wahrsagerin hob sich vor seinem geistigen Auge die Erscheinung der Prinzessin wie ein lichtes, glanzvolles Phänomen ab, dessen Strahlen unter den Lidern hindurch bis hinab in die tiefste Seele dringen. Er hatte die süßen, beglückenden Regungen der Liebe noch nie empfunden; es entging ihm also der Maßstab für die wunderbare Stimmung, in welche er sich seit heute versetzt fühlte, und er ließ, halb sinnend, halb träumend, mehr noch aber empfindend, die Erinnerung an das eigenthümliche Erlebniß ungestört auf sich einwirken.

Drunten in der Werkstatt waren die Hammerschläge längst verhallt, und nach dem eingenommenen Abendbrode saßen die drei Gesellen vor der Thür, um über Dieses und Jenes zu sprechen und ihre Pfeife dabei zu schmauchen. Unweit von ihnen hockten die zwei Lehrjungen auf umgestürzten Wagenrädern, in der löblichen Absicht, von dieser Unterhaltung so viel wie möglich wegzuschnappen und dabei den Geruch des Kanasters zu genießen, der eine feinere Nase allerdings nicht in Entzücken versetzt hätte.

»Ja,« meinte Thomas, der Obergeselle, »der junge Herr ist nun wieder da, und nun giept es zuweilen doch eine Plaisir, pei der man mitmachen darf. Alle Tage eine Fechtübung mit Rappier, Floret, Hieper und Stoßdegen, am Apend eine Wasserfahrt oder sonst ein Ausgang, pei dem der Thomas nicht fehlen darf. Das pringt außer dem Vergnügen ein Glas Pier, eine Putterpemme mit Schinken oder – –«

»Oder ein Glas Doppelwachholder mit Ambalema,« fiel ihm der Zweite in die Rede.

»Ja, das ist am Den!« stimmte der Dritte bei.

Die drei Gesellen waren nämlich durchweg Originale. Alle drei hatten gedient, Thomas bei der Reiterei, Baldrian bei den Grenadieren und Heinrich bei der Artillerie; Jeder von ihnen hatte es zum Unteroffizier gebracht und hielt seine Waffe für die vorzüglichste. Sie waren unverheiratet und fest entschlossen, ihre jetzige gute Stellung so lang wie möglich beizubehalten, obgleich Jeder ohne Wissen des Anderen im tiefsten Winkel seines Herzens ein Ideal beherbergte, welches die größte Ähnlichkeit mit einer behäbigen Frauengestalt hatte. Thomas nämlich hielt gar große Stücke auf die Wittfrau Barbara Seidenmüller, Baldrian träumte sehr oft von der allerliebsten, jungen Wittfrau und Kartoffelhändlerin Barbara Seidenmüller, und Heinrich trank seinen Abendschoppen am liebsten bei der ehr- und tugendsamen Wittfrau, Kartoffelhändlerin und Gasthofsbesitzerin Barbara Seidenmüller.

Dabei hatte Jeder von ihnen, wie man zu sagen pflegt, seine kleine Neunundneunzig. Thomas Schubert, der Kavallerist, hatte es in seinem ganzen Leben niemals fertig gebracht, ein B auszusprechen, so daß sein eigener Name in seinem Munde nicht anders als Schupert klang. Baldrian, der Grenadier, war höchst schweigsam und betheiligte sich an den gewöhnlichen Gesprächen meist nur mit den Worten: »Ja, das ist an Dem,« oder »das ist nicht an Dem,« verwechselte dabei aber regelmäßig den Casus und brachte daher stets ein »am Den« zum Vorscheine. Heinrich, der Artillerist, war der Quälgeist der beiden anderen; er hatte stets einen Widerspruch oder eine Ironie bei der Hand und besaß dabei die Eigenthümlichkeit, Alles in hundertfacher Größe darzustellen oder, wie man es gewöhnlich nennt, ganz gewaltig aufzuschneiden, ohne daß man dabei das Recht gehabt hätte, an seiner Biederkeit zu zweifeln.

Thomas schien die Unterbrechung seiner Rede nicht belobigen zu wollen; er stieß heftig einen Mund voll Rauch in die Luft und meinte:

»Haltet den Schnapel, Ihr Kerls! Was geht Euch mein Doppelwachholder an oder gar meine Lieplingscigarre? Ampalema ist nun einmal das beste Deckplatt, was es giept, das ist nicht apzustreiten. Hapamos, Capalleros, Londres, Patavia, Puros, Alles, Alles ist nichts gegen die ächte Ampalema. Der Herr Meister raucht nur solche, und da ist es unsere Schuldigkeit, ganz dasselpe auch zu thun. Üprigens hapt Ihr mich nicht irre zu machen, wenn ich vom jungen Herrn erzähle. Heut Apend soll ich ein Stück den Fluß hinaprudern, und Ihr könnt es gar nicht glaupen, wie gern ich das thue. Da liegt er still im Kahne, hat die Augen zu und sagt kein Wort; aper ich weiß, daß er gerade da am meisten sinnt und studirt. Und wenn wir dann zurückkommen und er gipt mir die Hand und sagt: ›Heut war's wieder schön; Hap Dank, mein lieper Thomas!‹ so könnte ich ihn umarmen, wenn er dazu nicht gar zu gelehrt und vornehm wäre. Er hat so etwas an sich, was ich nicht pei dem rechten Namen nennen kann, was einem das Herz raupt und doch gewaltig in Respekt versetzt. Ich hape einmal ein Theaterstück gesehen, das hieß "der verwischte Prinz," und –«

»Der verwunschene Prinz,« wagte hier Fritz, der eine Lehrjunge, zu verbessern.

»Still, Grünschnapel! Wenn der Opergesell spricht, so hapen die Gesellen zu schweigen und die Lehrpupen also erst recht! Op ein Prinz verwischt ist oder verwunschen, das pleipt sich ganz egal! Also in dem Stücke kommt ein Prinz vor, der ein Schuster ist, und wenn ich den jungen Herrn sehe, so –«

»So kommt es Dir allemal vor, als ob er der Schuster sei und Du der Prinz,« unterbrach ihn Heinrich.

»Du sollst mich nicht in meiner schönsten Rede unterprechen; ich weiß sonst zuletzt gar nicht mehr, wo ich wieder anzufangen hape!«

»Ja, das ist am Den!« meinte Baldrian.

»Also, dieser Prinz, der ein Schuster war –«

»Thomas!« rief in diesem Augenblicke Max durch das geöffnete Fenster herab.

Der alte Unteroffizier erhob sich in kerzengerade Stellung.

»Zu Pefehl, Herr Doktor!«

»Bist Du fertig?«

»Allemal!«

Er strich das Haar glatt, schob die Mütze zurecht und knüpfte den Rock zu. Dann reichte er dem Lehrjungen die Pfeife hin.

»Da Fritz; trage sie hinauf in meine Kammer, weißt's schon, an welchen Nagel! Im Herrendienst ist das Tapakrauchen ordonnanzwidrig.«

Nach einigen Minuten kam der Doktor herab.

»Wir gehen durch den Garten, Thomas; wir kommen da näher.«

In sechs Schritten Entfernung folgte ihm der Geselle. Als sie geräuschlos über den weichen Rasenplatz schritten, gewahrte der Letztere in einer Ecke des Gartens die beiden Lehrlinge, welche sich niedergelassen hatten und behaglich einer um den anderen an seiner Pfeife sogen. Ein durch den Rauch hervorgebrachtes Husten hatte sie verrathen.

»Herr Doktor!«

»Was?«

»Erlaupen Sie mir eine Seitenschwenkung! Dort sitzen die peiden Hallunken und peißen mir die Pfeifenspitze entzwei.«

Er schlich sich näher und hatte bald die beiden Missethäter bei den Haaren.

»Was macht Ihr da mit meiner Pfeife, Ihr Schlingels! Ist das hier etwa meine Kammer, he? Da und da, hapt Ihr eine Ohrfeige als Apschlagsgeld; die Hauptsumme kommt nach, wenn ich wieder zu Hause pin. Jetzt hape ich keine Zeit, denn zu so etwas gehört die richtige Muse und Gemüthlichkeit!« Er steckte die Pfeife zu sich und eilte dem Doktor nach.

Dieser hatte bereits den Fluß erreicht, welcher in der Nähe des Gartens vorüberfloß. Am Ufer hing eine Gondel, welche dem Schmied gehörte. Sie stiegen ein und stießen ab. Die Fahrt ging stromabwärts. Thomas brauchte nicht zu rudern, und Max saß am Steuer, um den Kahn treiben zu lassen. Das Dunkel des Abends senkte sich nieder, und am Firmamente traten Tausende von Sternen hervor, welche die sich zur Ruhe rüstende Erde mit magischem Lichte bestrahlten. Sie fuhren am Palaste des Herzogs von Raumburg vorüber und erreichten dann das Palais, welches zur Aufnahme hoher Gäste erbaut war. Gegenwärtig bewohnte es der Erbprinz von Süderland, dem benachbarten Königreiche, mit Gemahlin und Schwester, welche die Residenz mit einem Besuche beehrten, dem man eine geheime, diplomatische Mission unterschob. Das prachtvolle Gebäude lag etwas vom Ufer zurück in einem Garten, welcher an den Fluß stieß und sich längs desselben zu einem wohlgepflegten Parke verbreiterte. Ein kleiner Landeplatz lag dem Gartenthor gegenüber; Max legte eine Strecke oberhalb desselben an.

»Bleib hier halten, Thomas, bis ich wiederkomme!«

»Der Zutritt ist hier verpoten, Herr Doktor!«

»Ich weiß es.«

Trotz dieser Antwort aber stieg er aus und stand nach einem raschen Sprunge über das eiserne Staket hinweg im Garten. Es trieb ihn keine bestimmte Absicht an diesen Ort, und wäre er gefragt worden, so hätte er über sein Thun nicht die mindeste Rechenschaft zu geben vermocht. Das Menschenherz ist der unbegreiflichste Motor unserer Handlungen und verträgt keine Kontrole, als nur die eigene.

Er näherte sich dem Hause, von welchem nur wenige Fenster erleuchtet waren. Er beobachtete eines nach dem andern, doch kein Schatten wollte ihm die Anwesenheit Derjenigen zeigen, deren Bild ihn magnetisch herbeigezogen hatte. Da ließen sich Schritte im Kiese des Ganges vernehmen; er trat hinter ein Bosket. Zwei Damen nahten, in eifriges Gespräch vertieft. Sie waren Beide hell gekleidet, und ihre Gestalten hoben sich von dem dunklen Grunde des Gartens ab.

»So laß uns gegen diese Politik konspiriren, meine gute Asta,« meinte die eine. »Du sollst ihr nicht zum Opfer fallen, denn dieser Prinz, er ist auch mir unsympathisch.«

Mehr konnte er nicht vernehmen; aber er wußte nun, ohne darnach getrachtet zu haben, welcher Grund die königlichen Gäste herbeigeführt hatte. So lange er die Damen mit den Augen verfolgen konnte, blieb er stehen; dann kehrte er auf demselben Wege, den er gekommen war, zum Kahne zurück.

»Weiter hinunter?« frug Thomas.

»Ja.«

Wieder begann die Wasserfahrt. Max saß still und träumte. Er sah wohl kaum irgend eine Parthie der beiden Ufer, welche im lichten Sternenscheine hüben und drüben lagen; er sah nur die lichte Gestalt, die an der Seite der fremden Kronprinzessin an ihm vorübergegangen war. Was hatte er mit ihr? Sie war die Tochter eines Königs und er der Sohn eines einfachen Schmiedes. Aber eine solche Reflexion gab es nicht in ihm. Er war ihr gefolgt wie dem Sterne, von welchem das Auge nicht lassen kann, obgleich er Billionen von Meilen hoch über der Erde steht.

So waren sie eine ziemliche Strecke abwärts gelangt, ehe er wieder umkehren ließ und mit zu dem Ruder griff; diese Arbeit that ihm wohl, es war, als wolle er das, was in ihm vorging, durch äußere Anstrengung zur Klärung bringen, und so flog der Kahn, von vier kräftigen Händen getrieben, mit genügender Schnelligkeit wieder stromaufwärts.

Sie hatten eben den Palast des Herzogs von Raumburg passirt, als ihnen ein kleineres Fahrzeug begegnete. Max hätte wohl nicht sehr auf dasselbe geachtet, wenn nicht Thomas ihn darauf aufmerksam gemacht hätte. »Dort kommt ein Engländer, Herr Doktor. Das ist einer vom Ruderklupp in seiner Nußschale. Wo mag der noch hinwollen?«

Es war einer jener kleinen Wellenstecher, welche mit Paddelruder fortbewegt werden und, wenn der Mann darin sitzt, kaum zwei Zoll Bordhöhe haben. Er kam vom andern Ufer herüber und konnte die beiden Männer, welche im Schatten der dichtbelaubten Bäume ruderten, nicht leicht bemerken.

»Ein eigenthümlicher Kerl,« meinte Thomas, als ein zufälliger Lichtstrahl von drüben herüber auf das kleine Fahrzeug fiel. »Der sieht ja fast wie ein Türke aus: ein gelper Kaftan und ein plauer Turpan!«

Jetzt blickte Max genau hin. Seine Vermuthung bestätigte sich, es war die Zigeunerin, welche sich ein Boot vom Ruderklubb losgekettet hatte und jedenfalls auf einer geheimnißvollen Parthie begriffen war.

»Laß sie vorüber!«

»Zu Pefehl, Herr Doktor!« meinte Thomas, ein wenig befremdet über das "sie".

»So. Wir müssen unbemerkt folgen. Umgelenkt!«

Der verfolgte Kahn fuhr an dem Palaste vorüber und landete eine Strecke unterhalb desselben im Ufergesträuch, welches an den Garten stieß. Max befand sich mit seiner Gondel noch oberhalb des Gebäudes. Er legte das Steuer nach links herüber und landete auch.

»Thomas, willst Du ein Abenteuer mitmachen?«

»Ein Apenteuer? Ich pin allemal dapei!«

»Die dort im Kahne saß, ist kein Mann, sondern eine Frau.«

»Eine Frau? Potz Tausend; was hat die hier zu suchen? Es muß doch pereits elf Uhr vorüper sein!«

»Es ist eine Zigeunerin. Sie will jedenfalls in das herzogliche Palais, und zwar heimlich, daher landet sie weiter unten.«

»Dann muß sie durch den Garten.«

»Allerdings. Wir müssen ihr zuvorkommen.«

»Zu Pefehl, Herr Doktor! Ich pinde den Kahn hier an den Paum. So; da hängt er fest.«

»Dann vorwärts; schnell!«


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