Carl May
Scepter und Hammer
Carl May

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Sie erhoben sich und traten den Rückweg an. Das andere Paar schien zu sehr in seine eigenen Angelegenheiten vertieft zu sein, um diese Entfernung zu bemerken. Karl erhob sich, um noch vor den Vorangegangenen die Stadt zu gewinnen.

Er glaubte jetzt zu der Annahme berechtigt zu sein, daß er Emma noch nicht verloren geben dürfe; es galt nur, den Einfluß des prinzlichen Abenteurers zu zerstören, und das konnte ja nicht schwer fallen.

Er suchte gegenüber dem Wohnhause eine dunkle Thüröffnung, in welche er trat, bis sie mit ihrem Begleiter erschien. Sie zog den Hausschlüssel hervor, um zu öffnen, und eben wollte sie zur Seite treten, um dem Prinzen den Vortritt zu geben, als es hinter ihnen erklang:

»Halt! Magst Du nicht allein hinaufgehen, Emma?«

Sie fuhr erschrocken herum.

»Karl!«

»Ja, ich bin es. Bitte, geh hinauf! Ich werde Dir morgen am Tage meinen Besuch machen, um weiter mit Dir zu sprechen; zu so später Zeit aber verlangt kein ehrlicher Mann Zutritt bei einer Dame.«

»Herr, wer sind Sie?« brauste der Prinz auf.

»Ich habe keine Veranlassung, meinen wahren Namen zu verbergen; doch brauche ich ihn nicht zu nennen; ich bin der Scriblifax, von welchem diese Dame Ihnen erzählt hat.«

»Schön! Dann treten Sie gefälligst zur Seite! Ich gestehe Ihnen nicht das mindeste Recht zu, uns den Eingang zu verwehren.«

»Und ich gestehe Ihnen nicht die Erlaubniß zu, ein Mädchen unglücklich zu machen, welche brav war, ehe es Ihnen gelang, Sie durch Lüge und Verstellung zu bethören. Dieses Haus werden Sie heut nicht betreten!«

»Wirklich?« klang es höhnisch. »Marsch, zur Seite!«

Emma war bereits nach den ersten Worten der Gegner im Flur verschwunden, doch stand die Thür noch offen. Wer Sieger blieb, konnte eintreten. Der Prinz hatte den Literaten beim Arme gefaßt und versuchte, ihn von der Thür zu drängen; es gelang ihm nicht.

»Herr, nehmen Sie die Hand von mir,« drohte Karl. »Ich möchte sonst vergessen, wer Sie sind!«

»Ah! Wer bin ich denn?«

»Entweder ein Prinz oder ein Schurke, was Beides zuweilen recht gut vereinigt zu sein scheint. Wählen Sie zwischen Beiden!«

»Spion!« knirschte der Prinz und faßte seinen Gegner mit beiden Fäusten vor der Brust. »Fort, sage ich, und zwar zum letzten Male!«

Karl drängte die Fäuste des Prinzen von sich ab, faßte ihn bei der Hüfte und schleuderte ihn gegen die Mauer.

»Wollen sehen, wer fortgeht, Sie oder – – – oh – Hülfe – – oh – – !«

Er brach zusammen, ohne den Satz vollständig aussprechen zu können. Der Prinz, von Wuth hingerissen, hatte den Degen gezogen und ihm denselben in die Brust gestoßen.

»So, Bursche; Du bist beseitigt. Jetzt hinauf!«

Ohne sich um die Folgen seiner That zu bekümmern, tastete er sich den Flur entlang nach der Treppe hin und stieg dieselbe empor. Droben stand Emma, zitternd vor Angst und Besorgniß.

»Wer da? Bist Du es, Emma?«

»Ja.«

»Öffne! Du wohnst doch hier, nicht wahr?«

»Ja. Aber bitte, laß mich heut allein! Wo ist Goldschmidt?«

»Vor der Thür.«

»Was ist mit ihm? Um Gottes willen, sage es! Ich hörte ihn um Hülfe rufen.«

»Ich mußte ihm ein wenig die Haut ritzen; das ist Alles!«

»Himmel, Du hast nach ihm gestochen?«

»Allerdings. Solchen Menschen muß gezeigt werden, wie weit sie die Erlaubniß haben, mit Anderen zu verkehren.«

»Mein Gott, was hast Du gethan! Das wird ein Unglück geben, wie es mich – – –«

»Papperlapapp! Wer weiß denn, wer es gewesen ist?«

»Goldschmidt selbst wird es sagen!«

»Der? Pah, der sagt nichts mehr!«

»So ist er todt? O Gott, das ist ja gar nicht möglich! Daran bin ich schuld!«

Sie bebte vor Schreck am ganzen Körper; er aber blieb vollständig ruhig.

»Denke dies nicht, Emma. Er selbst trägt die Schuld allein, denn er besitzt nicht die mindeste Berechtigung, sich in meine Angelegenheiten zu mischen. Und was wird es sein? Man findet ihn, trägt ihn fort, scharrt ihn ein, sucht nach dem Thäter, erfährt aber nichts – tout voilà! Bitte fasse Dich und öffne!«

»Ich kann nicht, heut nicht! Der Todte liegt unten, und Papa muß bald kommen. Geh fort, geh fort; nur heut geh fort, wenn Du nicht willst, daß ich vor Angst vergehen soll!«

»Nur heut? So darf ich ein anderes Mal mit herauf?«

»Ja; aber jetzt mußt Du gehen!«

»Wenn soll ich wiederkommen?«

»Ich weiß es nicht!«

»Morgen?«

»Nein, da ist Papa zu Hause!«

»Wenn hat er wieder Spieltag?«

»Sonnabend.«

»Bon! So komme ich nächsten Sonnabend!«

»Ja doch, aber bitte, gehe jetzt!«

»Punkt neun Uhr?«

»Ja.«

»Du wirst Alles offen halten und dafür sorgen, daß mich Niemand kommen sieht!«

»Ich werde es, doch entferne Dich jetzt! Mir schwindelt vor Angst.«

»Dann den Abschiedskuß! Gute Nacht, mein Leben. Träume süß von mir und von – unserer Hochzeit!«

Er stieg die Treppe wieder hinab und verließ das Haus. Sein Opfer lag regungslos in einer Blutlache vor der Thür; er warf einen kurzen Blick auf den Leblosen und schritt davon.

»Er hat seinen Lohn. Ein Prinz oder ein Schurke! Donnerwetter, das hat mir noch Niemand geboten, doch er hat seinen Lohn! Er erkannte mich; es war ein Glück, daß das Mädchen bereits fort war, sonst wäre es mit dieser höchst interessanten Liaison zu Ende gewesen, ohne daß ich die Früchte meiner Bemühungen hätte pflücken dürfen.«

Er bog nach einiger Zeit in die Promenaden ein, welche sich mittlerweile von ihrem Publikum entleert hatten, und gelangte auf diesem Wege in die Nähe des königlichen Schlosses. Da vernahm er von der Hauptstraße her den Galopp eines Pferdes. Er blieb stehen.

»Wer ist das? Es darf ja um diese Zeit hier weder gefahren noch geritten werden! Gewiß ein fremder Sonntagsreiter, den ich ein wenig in die Trense nehmen werde!«

Er eilte vorwärts und stand bald auf dem breiten Wege, welcher nach dem Hauptportale des Schlosses führte. Der Galopp des Pferdes hatte sich in einen kurzen Trab und dieser in langsamen Schritt verwandelt. Der Reiter wurde sichtbar. Der Prinz trat ihm einige Schritte entgegen. Das Pferd schien keiner gewöhnlichen Rasse anzugehören, der Mann aber, welcher auf demselben saß, trug einen Südwester im Nacken, eine kurze Jacke und ein paar riesige Seemannsstiefel.

»Halt! Werda?«

Der Reiter hielt sein Pferd an und betrachtete sich den Offizier, welchem der Mond voll in das Gesicht schien.

»Ich!« antwortete er dann ruhig.

»Ich? Wer ist dieser Ich?«

»Na, ich natürlich!«

»Donnerwetter, wer Du bist, meine ich!«

»Hm, was Du meinst, das weiß ich schon, mein Junge. Aber sage mir einmal, was nützt es Dir denn eigentlich, wenn ich Dir sage, wer ich bin?«

Der Mann schlug die Arme über der Brust zusammen und hatte ganz das Ansehen und die Haltung, als ob er eine recht urgemüthliche Konversation in Gang bringen wolle.

»Was ist das?« ertönte die ganz erstaunte Gegenfrage. »Du wagst es zu duzen? Kerl, Dir soll ja der Teufel in den Korpus fahren, daß – – –«

»Pah!« unterbrach ihn der Andere. »Wer mit mir Brüderschaft macht, den pflege ich Du zu nennen; das ist bei uns zur See und vielleicht auch zu Lande nicht anders Mode. Und vor dem Teufel segelt mein Korpus jedenfalls nicht sofort davon. Doch, apropos, wer bist denn eigentlich Du, alter Maate?«

»Kerl, Du bist verrückt! Siehst Du nicht, daß ich Offizier bin? Und weißt Du nicht, daß hier in der Nähe des Schlosses zur Nachtzeit das Reiten verboten ist?«

»Offizier? Hm, ja; aber was ist das weiter? Es muß jeder Mensch Etwas sein – was, das bleibt sich gleich, wenn er es nur versteht, seine Stelle brav und ehrlich auszufüllen. So so, also hier darf man nicht reiten! Warum denn nicht, he?«

»Das wird sich finden! Jetzt bist Du arretirt. Vorwärts zur Schloßwache!«

»Arretirt? Meinetwegen! Zwar glaube ich nicht, daß Du der richtige Kerl bist, einen rechten, echten Seemann zu arretiren, aber ich bin nicht der Mann, einen guten Spaß zu verderben. Nur wünsche ich, daß Dir der Gang zur Schloßwache kein Bauchgrimmen mache. Vorwärts also. Segel auf, und fort!«

Einen höchst belustigten Blick auf den Lieutenant werfend, nahm er die Zügel wieder auf und ritt hinter dem Offizier her, welcher vor Zorn bebend nach der Seitenfronte herumbog, wo aus einigen Parterrefenstern helle Lichtstrahlen heraus auf den Platz fielen.

»Hier bleibst Du halten!« gebot der Offizier und wandte sich dann nach dem Schlosse. »Posten herbei!«

Eine am Thore stehende Schildwache kam herzu und honneurirte beim Anblicke der Uniform.

»Wer hat heut das Wachtkommando?«

»Oberlieutenant von Randau.«

»Schön. Die Wache heraus!«

»Zu Befehl, Herr Lieutenant!«

Er schritt zurück und rief mit lauter Stimme:

»Wache heraus!«

Im Nu entströmten der Thür die Gestalten der Soldaten, welche sich in Reih und Glied aufstellten.

»Ah,« machte der Arretirte; »man bringt mich nicht selbst zum Wachtlokal; man will sich nicht sehen lassen: das Bauchgrimmen ist da!«

»Maul halten!« schnauzte ihn der Offizier an und wandte sich dann zum Lieutenant von der Wache: »Herr Oberlieutenant, Sie kennen mich?«

Randau blickte schärfer auf.

»Zu Befehl, königl– – –«

»Halt! Diesen Menschen habe ich zu Pferde hier am Schlosse aufgegriffen, wobei er sich in unterschiedlichen Injurien und Gemeinheiten erging. Ich übergebe den Inkulpaten Ihnen und dringe auf strengste Bestrafung!«

»Zu Befehl!« Dann fügte er, zum Arrestanten tretend hinzu: »Herab, Bursche; wollen Dich hübsch vor Anker legen!«

»So? Wärt mir auch die Kerls danach!« Dann nahm er sein Pferd straffer in die Zügel, drängte es hart an den Wachtkommandanten heran, zog ein großes, mehrmals versiegeltes Schreiben aus der Satteltasche und reichte es ihm entgegen. »Herr Oberlieutenant, Sie sind Kommandant der Wache hier am Schlosse?«

Dieser Ton schien einer ganz anderen Stimme und einem ganz andern Manne anzugehören, und unwillkürlich antwortete der Gefragte:

»Ja. Warum?«

»Ich bin Kurier seiner fürstlichen Durchlaucht des Prinzen Arthur von Sternburg und habe Ihnen diese Depesche zu übergeben. Ich thue dies mit der Weisung, dieselbe morgen früh nach dem Lever Seiner Majestät dem Könige eigenhändig zu präsentiren, verstehen Sie, eigenhändig, denn der Inhalt des Schriftstückes ist von solcher Wichtigkeit, daß ich Sie verantwortlich mache für jeden Zufall, welchem es gelingen sollte, dieser Zuschrift das Wesen einer Depesche zu rauben. Im Übrigen gebe ich mir die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen!«

Er zog das Pferd empor und gab ihm die Sporen, daß es auf den Hinterbeinen eine Umdrehung machte und dann mit allen Vieren in die Höhe ging. Dabei wandte er das lächelnde Gesicht zum Prinzen:

»Adieu, mein Junge; laß Dir die Arretur besser bekommen, als sie gelungen ist!«

Dann fegte er im Galoppe davon und ließ sein Thier erst dann wieder in ruhigen Schritt fallen, als er das Schloß weit hinter sich hatte.

»Prinz Hugo als Lieutenant!« murmelte er vor sich hin. »Gewiß kam er von irgend einem seiner Streiche zurück, welche er inkognito auszuführen pflegt. Er hat mich noch nie gesehen und also auch nicht erkannt. Die kleine Lehre und der etwas größere Ärger, welcher dieselbe begleiten wird, kann ihm nichts schaden. – Jetzt nun zu diesem Dichter, den ich so lange nicht gesehen habe! Für ihn muß ich ein Stündchen erübrigen, und dann geht es wieder retour!«

Er bog in eine Straße ein und hielt vor einem Hause, dessen schmaler erster Stock erleuchtet war.

»Er hat Licht, vielleicht gar Gesellschaft bei sich, da die Schatten so unruhig sich an den Gardinen bewegen.«


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