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Da, wo der Fluß sich busenartig erweitert, um seine Wasser mit den Wogen des Meeres zu vermählen, liegt Tremona, der Haupthafen von Süderland. Am Fuße der Höhe, an welcher sich die Stadt amphitheatralisch emporzieht, dehnen sich die Außenwerke der Festung aus, während die beiden rechts und links vom Flusse liegenden Forts wie drohende Wächter von dem Berge herunterblicken und weit hinaus in die offene See schauen. Unter ihnen und an ihren Flanken dehnen sich zahlreiche Weinberge und Fruchtgärten hin, zwischen deren Grün verschieden stilisirte Villas, Lustschlösser und andere herrschaftliche Bauwerke hervorblicken, welche bestimmt sind, der haute-volée der Residenz und des Landes zum Sommeraufenthalt zu dienen. Unter diesen Gebäuden zeichnet sich besonders eines durch seine prächtige Lage wie unübertreffliche Architektonik aus. Es ist ein im maurischen Stile gehaltenes Schloß, welches sonderbarer Weise keinem Süderländischen Unterthanen, sondern einem Fremden gehört, nämlich dem Fürsten Viktor von Sternburg, General z.D. Sr. Majestät des Königs von Norland. Allerdings ist der General nur selten auf dieser seiner Besitzung anwesend, und auch sein Sohn, der Prinz Arthur, welcher als wirklicher Kapitän zur See in Norländischen Diensten steht, kann den Reiz dieser herrlichen Besitzung nur höchst selten und auf kurze Zeit genießen, da sein Beruf ihn oft Jahre lang vom Lande fern hält und er in der Frist eines etwaigen Urlaubs zu sehr in der Heimath in Anspruch genommen wird, als daß er auf den Gedanken kommen sollte, eine Besitzung zu besuchen, welche im Nachbarstaate liegt, dessen Intentionen zum Vaterlande nie sehr freundliche genannt werden konnten. –
Auf der Veranda von Sternburg, wie das erwähnte Schloß nach seinem Besitzer genannt wird, saßen mehrere in Civil gekleidete Herren, deren Exterieur die Vermuthung nahe legte, daß sie trotz dieser Kleidung den militärischen Kreisen angehörten. Sie hatten die substanzielleren Theile des Frühstücks überwunden und schauten nun vergnügt auf eine Batterie feurigen Sizilianers, welcher ihnen rothgolden durch das Glas entgegenglänzte.
»Sagen Sie, Kapitän, auf wie lange werden Sie Ihren gegenwärtigen Aufenthalt ausdehnen?« frug der eine von ihnen. »Sie dürfen erwarten, daß wir wünschen, Sie so lange als möglich hier festhalten zu können.« Der Gefragte war ein junger Mann von wohl nicht über zweiundzwanzig Jahren. Sein ernstes, männlich schönes Angesicht war sehr stark von der Sonne gebräunt und trug den Charakter einer milden aber unerschütterlichen Energie, welche durch nichts dahin zu bringen ist, einen einmal für rechtlich erkannten Entschluß wieder aufzugeben. Seine Kameraden waren ausnahmslos älter als er, und dennoch schien er ihnen an Reife und Würde überlegen zu sein, wenigstens bildete ihrer Lebhaftigkeit gegenüber die Ruhe und Gleichmäßigkeit seiner Worte und Bewegungen einen Kontrast, welcher nur zu seinem Vortheile ausfallen konnte.
»Leider ist die Dauer meines Aufenthaltes hier eine sehr von den Umständen abhängige,« antwortete er. »Sie kann einige Wochen währen, aber auch schon binnen einer Stunde ihr Ende erreicht haben. Allerdings habe ich meine Fregatte dem Werfte übergeben müssen, aber es kann leicht sein, daß man mir während der dadurch entstehenden Vakanz einstweilen das Kommando eines anderen Fahrzeuges anvertraut. In diesem Falle werde ich telegraphisch abberufen und hätte dann nicht einmal Zeit, mich von Ihnen zu verabschieden, meine Herren.«
»Ein Grund mehr, uns an die Gegenwart zu halten,« meinte ein anderer der Gäste. »Laßt uns den eventuellen Abschiedstrunk gleich jetzt mit schlürfen!«
Die Gläser erklangen.
»Wo waren Sie zuletzt stationirt, Kapitän?« tönte dann die Frage.
»Im indischen Archipel.«
»Donnerwetter, ein wenig entfernt von hier! Nun ist mir auch der famose Teint erklärlich, durch welchen Sie sich so vortrefflich auszeichnen. Aber ich glaube, von Ihnen als in Egypten anwesend gehört zu haben.«
»Ich war auf dem Rückwege nach der Heimath mit der Abgabe von Depeschen an den Vizekönig beauftragt.«
»Ah! So ward Ihnen das Glück zu Theil, die Khedive'sche Majestät Auge in Auge zu sehen?«
»Natürlich.«
»Ja, ein zweiundzwanzigjähriger Kapitän zur See besitzt ganz verteufelte Meriten. Aber, im Vertrauen, haben Sie auch Einblick in die liebenswürdigen Verhältnisse des vizeköniglichen Harems erhalten?«
Der Gefragte blickte mit einem sinnenden Lächeln vor sich nieder.
»Einblick? Nein!«
»Aber Anblick – ein Anblick ist Ihnen geworden, Sie Glücklicher? Gestehen Sie!«
»Ich gestehe!«
»Genügt nicht. Beichten!«
»Ich habe nichts zu beichten, meine Herren!«
»Nun wohl, dann haben Sie desto mehr zu erzählen oder zu berichten. Nicht?«
»Höchstens eine Kleinigkeit.«
»Aber solche Kleinigkeiten sind so interessant, daß wir unmöglich auf sie verzichten können. Beginnen Sie, Kapitän!«
Er griff zum Glase, that einen kleinen, langsamen Zug aus demselben und begann mit einer Miene, in welcher sich deutlich das Widerstreben kund gab, eine persönliche Erfahrung dem weiteren Wissen preis zu geben.
»Ich hatte meine Pflicht gethan und war vom Vizekönig auch bereits verabschiedet worden, beschloß aber doch, noch einige Tage in Kairo zu verweilen. Man muß diese Stadt gesehen haben, um diesen Entschluß als etwas ganz und gar Selbstverständliches anzuerkennen. Kairo heißt nicht ohne Grund Kahira, die Siegreiche; sie besiegt mit ihren tausend Wundern und Reizen jeden Abendländer, welcher zum ersten Male sich in den Zauberkreis des orientalischen Lebens wagt.«
»Auch Sie wurden natürlich von diesem Zauber gefangen genommen?«
»Vor Jahren, ja, als ich den Boden des Morgenlandes zum ersten Male betrat.«
»Vor Jahren! Alle Teufel, Kapitän, Sie haben freilich an einer ganz bedeutenden Summe von Jahren zu tragen! Doch, apropos, Sie sind wirklich ein ganz ungewöhnlich bevorzugtes Schoßkind des Glückes. Während andere sehr tüchtige Männer es kaum mit vierzig Jahren bis zu Ihrem Range bringen, waren Sie mit vierzehn Jahren bereits Midshipman, mit zwanzig Decklieutenant und jetzt Kapitän, notabene nicht Korvetten- sondern Fregattenkapitän. Warten wir noch ein Jährchen, meine Herren, so werden wir erfahren, daß diesem Herrn Arthur von Sternburg als Kommodore eine Eskadre anvertraut worden ist, und dann ist es nicht mehr weit bis zu einem fünfundzwanzigjährigen Admiral. Doch bitte, Herr Kamerad, fahren Sie fort!«
»Mit oder ohne weitere Unterbrechungen?«
»Ohne –« lachte der Gefragte.
»Also, wir waren in Kahira, der Siegreichen, und sahen uns gezwungen, den Einflüssen des Klimas gerecht zu werden. Des Tages verträumte ich, wenn nicht gerade eine Audienz oder ein nothwendiger Besuch vorlag, die Zeit bei einer Pfeife feinem Assuan, und ging nur des Abends aus, um manches Abenteuer zu erleben oder zu beobachten, von welchem die Erinnerung zu zehren vermag. Aufgefallen war mir die Schönheit der Fellahmädchen. Diese schlanken und dabei doch so vollen, reizenden Glieder, der warme Ton der dunklen, sammetnen Haut, die liebliche Regelmäßigkeit der Züge, die jungfräuliche Fülle und Festigkeit derjenigen Formen, welche man bei uns künstlich zu stützen pflegt, die Anmuth der Bewegungen – das Alles, bei diesen Bauernmädchen gesehen, ließ die Frage aufkommen, welchen Grad von Schönheit erst die Damen höherer Stände besitzen müßten.«
»Donnerwetter, Kapitän, denken Sie daran, daß Sie gegenwärtig zu außerordentlich gefühlvollen Wesen sprechen!«
»Ohne Unterbrechung, meine Herren –!«
»Bon! Sprechen Sie weiter. Wir sind natürlich gespannt auf Ihren ethnographischen Essay. Natürlich erhielten Sie Gelegenheit, den Grad dieser letztgenannten Schönheit zu bewundern.«
»Allerdings. Es war an einem Abende – –«
»Ah, der Anfang ist reizend: an einem Abende – fahren Sie weiter fort!«
»Ich hatte mir ein Boot genommen und fuhr den Fluthen des Niles entgegen, das heißt, ich saß und träumte, wie man es in jenen Breiten zu thun pflegt, und ließ mich rudern. Wir hatten nach kurzer Zeit die Stadt hinter uns, fuhren einsam stromauf und sahen nur eine einzige Gondel vor uns, welche von vier schwarzen Sklaven fortbewegt wurde –«
»Ich ahne! In dieser Gondel saß ein – – –«
»Nein – saßen zwei tief verschleierte Frauengestalten, welche jedenfalls gerade so wie ich die Kühle des Abends in der Einsamkeit genießen wollten. Unwillkürlich wurden meine Augen von den zarten feinen Hüllen magnetisch angezogen; es gab ja so Vieles hinter ihnen zu ahnen und zu vermuthen. Wer waren diese Frauen? Waren sie alt, so daß die Schleier nichts als Runzeln zu verbergen hatten, oder pulsirte das Blut heiß durch Herz und Adern zweier Gestalten, wie sie die Phantasie sich malt, wenn man an das Harem eines orientalischen Herrschers denkt? Wem gehören sie, und – durfte man es hier in dieser Entfernung von der Stadt wagen, sie anzusprechen? Nein, das ging nicht, denn die Schwarzen hätten dies jedenfalls verrathen. Ich fuhr ihnen also langsam nach, dem weißen Schleier ihrer Gewänder wie einem Polarsterne folgend, nach welchem der Seefahrer den Lauf seines Fahrzeugs bestimmt.«
»Schwärmer! Ich an Ihrer Stelle hätte sie angesegelt, geentert und als gute Prise an Bord genommen.«
»Ich wünsche Ihnen von Herzen eine solche Gelegenheit, Ihre Tapferkeit zu bewähren. – Der Fluß beschreibt oberhalb der Stadt einen scharfen Bogen, und natürlich liegt das ruhige Fahrwasser auf der inneren Seite desselben. Eben hatte die Gondel dasselbe erreicht, als hinter der Krümmung der Bug eines Fahrzeugs sichtbar wurde, welches sich verspätet haben mußte und den Hafen von Bulakh zu erreichen suchte. Die Gondel lag beinahe gerade vor seinem Kiele, doch gelang es ihr noch, auszuweichen. Das Fahrzeug war eine Dahabie, welche, dem Baue nach, Sennesblätter aus Abessinien brachte. Ihr folgte, wie die Gondel zu spät bemerkte, ein Sandal, eines jener flüchtigen Nilfahrzeuge, welche beinahe mit einem Dampfer um die Wette zu segeln vermögen. Zum Ausweichen war es fast zu spät; dennoch aber brachten die Ruderer die Gondel so weit zur Seite, daß sie nicht überfahren wurde, doch gerieth sie in das rauschende Kielwasser der beiden Schiffe, von welchem es hin- und hergeschleudert wurde wie eine Nußschale –«
»Alle Teufel, jetzt kommt die Pointe: ein Retter – eine wundervoll schöne Göttin – Liebe – Geständniß – Hochzeit – – habe ich recht, Kapitän?«
»Pah! Die beiden Frauen hatten natürlich ihre Fassung vollständig verloren. Sie zeterten und schrien um Hülfe. Die Eine von ihnen hatte die Hände vom Bord genommen, eine Woge riß die Gondel zu sich empor – die Dame verlor das Gleichgewicht und stürzte in das auf- und abwogende Wasser. Ich hatte so Etwas vermuthet und das Steuer ergriffen. Im Nu war ich zur Stelle und sprang über Bord. Es gelang mir, die Verunglückte zu fassen. Bei dem unruhigen Wasser war es eine Unmöglichkeit, mit ihr in das Boot zu kommen, ich legte mich auf den Rücken, nahm ihren Oberkörper quer über mich herüber und schwamm nach dem Ufer, welches ich noch vor den Kähnen erreichte. Dort legte ich sie nieder und entfernte den Schleier, welcher den Kopf und die Schultern bedeckte.«
Der Kapitän machte jetzt eine Pause und blickte über die vor ihm liegende Landschaft hinaus weit in die Ferne, als suche er den Ort zu erschauen, auf welchen er damals die Errettete gebettet hatte.
»Fast erschrocken fuhr ich zurück – –«
»Was – erschrocken? War sie so häßlich, Kapitän?«
»Häßlich? Pah! Können Sie sich nicht denken, daß es einen Grad von Schönheit gibt, welcher dieselbe Wirkung hat? Den Beschauer überkommt das Gefühl, als habe er eine Entweihung begangen, als sei er unberufen in ein Heiligthum eingetreten, welches er bei Todesstrafe nicht betreten dürfe. So war es auch hier. Ich sah in ein Gesicht, in ein Gesicht – doch, warum davon sprechen, da es geradezu unmöglich ist, solche Wunder zu beschreiben. Aber wenn eine jener Feen, von denen wir uns in der Jugend erzählen ließen, vom Himmel herabgestiegen wäre, um den Sterblichen die Schönheit in ihrer herrlichsten Inkarnation zur Offenbarung zu bringen, sie hätte sich mit dem Mädchen, welches vor mir lag, nicht messen können. Die dünnen, durchsichtigen Gewänder waren von den oberen Theilen dieser unvergleichlichen Gestalt zurückgewichen, und da, wo sie dieselbe noch verhüllten, schienen sie bestimmt zu sein, mehr zu verrathen als zu verbergen. Und über dem Allem lag ausgebreitet der zauberische Mondesglanz Egyptens – pah, ich glaube gar, ich werde poetisch!«
»Kein Wunder, Kapitän! Ich gäbe sofort fünf Jahre meines Lebens hin, wenn ich an Ihrer Stelle gewesen wäre!«
»Ich wurde aus meinem Entzücken gerissen. Mein Ruderer hatte gelandet, und auch die Gondel war herbeigekommen. Die zweite Verschleierte setzte den Fuß auf das Land und kam herbeigeeilt.«
»Almah! O Fatime, heiligste Frau des Himmels, hilf, daß sie nicht todt ist!«
Erst durch diesen Ruf wurde ich aus das Nöthigste aufmerksam gemacht. Ich legte die Hand auf das Herz der Verunglückten und fühlte einen leise schlagenden Puls.
»Sie lebt. Die Hand des Todes war nicht schnell genug, die herrlichste Blume Kahiras zu brechen.«
»Sie lebt?«
Mit diesen jubelnden Worten warf sie sich auf die Liegende nieder, zog sich den Schleier vom Gesicht und küßte die Bewußtlose auf Stirn, Wange und Lippe.
»Ja, sie lebt. Dank Dir, Fremdling! Du hast ein Werk gethan, welches Allah Dir niemals vergessen wird!«
Auch sie war schön, doch einige Jahre älter als die Andere. Noch kniete ich an der Seite der Letzteren und hatte ihren Kopf auf meinem Arme liegen, von welchem das aufgelöste, reiche schwarze Haar in lockiger Fülle herniederfloß.«
»Wer ist sie? Wer seid Ihr?« frug ich, mehr unwillkürlich als mit bestimmter Absicht.
»Ich bin Aimée, die Lieblingsfrau des Vizekönigs, und diese hier heißt Almah. Wer bist Du? Ein Franke?«
Sie sprach italienisch, um von den Dienern nicht verstanden zu werden; ich durfte also annehmen, daß sie lesen könne. Noch immer kniend griff ich mit der freien Hand in meine Tasche und nahm eine Karte hervor.
»Nimm und lies, wer ich bin!
Ich wollte weiter sprechen, wurde aber verhindert. Derjenige, welcher am Steuer der Barke gesessen hatte, trat herbei.
»Warum lässest Du die Sonne Deines Angesichtes leuchten vor dem Manne, dem Du nicht gehörst?«
Diese Worte klangen streng. Sie wandte sich ab und ließ den Schleier fallen.