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Katombo hatte Zeit, während der Fahrt alle Vorgänge an Bord zu beobachten. Der Kapitän hatte sich bisher nicht um das Mindeste bekümmert und war in der Kajüte geblieben, trotzdem das Auslaufen aus dem Hafen eigentlich seine Gegenwart an Deck erfordert hätte. Entweder hatte er ein ungewöhnliches Phlegma oder er wußte, daß er sich auf seine Leute vollständig verlassen konnte. Allerdings erwies sich der Steuermann als ein ganzer Mann in seinem Fache, und Derjenige, welchen der Matrose "Segelmeister" genannt hatte, hätte wohl recht gut Kapitän der Feluke sein können. Er kommandirte das Fahrzeug in einer Weise, welche ihn als einen umsichtigen, erfahrenen und energischen Mann erkennen ließ. Katombo fiel es auf, daß er nicht die Gesichtszüge eines Orientalen hatte, Physiognomie und blondes Haar wiesen vielmehr auf eine nordische Abstammung hin, und ganz dasselbe war auch mit dem Steuermannsgehilfen der Fall, der sich noch in einem sehr jugendlichen Alter befand und dem Segelmeister so ähnlich sah, daß man auf eine zwischen Beiden stattfindende enge Verwandtschaft schließen mußte.
Der Segelmeister hatte auf dem Hinterdecke gestanden; jetzt trat er zum Maste, an welchem Katombo lehnte. Jedenfalls hatte er die Absicht ein Gespräch anzuknüpfen, und er führte sein Vorhaben in jener vorsichtigen Weitschweifigkeit aus, welche dem Seemanne eigenthümlich zu sein pflegt. Er begann:
»Gut Wetter, heut!«
»Sehr!«
»Schöne Prise!«
»Ausgezeichnet!«
»Kann nicht besser sein für unsern Kurs!«
»Allerdings.«
»Auch gut für Dich.«
»Warum?«
»Wirst nicht seekrank werden.«
»Pah!«
»Ah! wirsts wohl nie?«
»Nie.«
»Dann warst Du wohl oft zur See?«
»Oft.«
»Wo?«
»Da und dort.«
»Hm! Scheinst kein Freund von langen Predigten zu sein.«
»Zuweilen.«
»Wie gefällt es Dir bei uns?«
»Sehr gut, hier oben nämlich.«
»Hier oben? Nicht auch unten?«
»Möchte nicht mitmachen.«
»Was, warum?«
»Weil es zu schwül und dumpf im Raume ist. Wäre ich Kapitän, so ließe ich die Leute endlich einmal an die Luft gehen.«
Der Segelmeister blickte ihn überrascht an.
»Welche Leute? Du hast spionirt.«
»Nein, aber ich bin ein Seemann, und ein solcher pflegt einen Tiger von einem Hasen unterscheiden zu können.«
»Du redest ja recht klug! Ein Seemann willst Du sein? Matrose?«
»Nein.«
»Was sonst?«
»Ist Nebensache.«
»Oder auch Hauptsache. Woher vermuthest Du, daß wir mehr Menschenfleisch an Bord haben, als wir sehen lassen können?«
»Aus dem Bau und der Takelung dieses guten Fahrzeuges.«
»Und wenn Du Recht hättest, was würdest Du thun?«
»Nichts. Ich bin als Passagier von Euch aufgenommen worden und weiß ganz genau, welche Verpflichtungen wir gegen einander haben.«
»Dann gut. Wir sind übrigens auch weit genug vom Lande ab und können die Farbe zeigen.«
Zwei kurze Befehle, welche er gab, wurden augenblicklich befolgt. Das Ziehen an einer starken Leine genügte, um das riesige Halbmondbild, welches sich unter dem Spriete befand, zu wenden; auf der andern Seite desselben erschien das Konterfei eines Piraten, welcher mit gezücktem Messer über einem Gefangenen kniete; darunter stand in großen Zügen das Wort "Tiger" geschrieben, und zu gleicher Zeit öffnete sich eine der Vorderluken, aus welcher wohl über zwanzig wohlbewaffnete Männer stiegen, deren Physiognomien es sehr leicht anzusehen war, daß sie in einem kampfesreichen Leben geschult worden seien.
»Prächtige Kerls!« meinet Katombo.
»Du erschrickst nicht?«
»Wie sollte ich!«
»Dann klettere hinaus auf den Steven und sieh Dir unsere Firma an!«
»Ist nicht nöthig! Schon ehe ich an Bord kam wußte ich, daß ich mit dem Tiger fahren würde.«
»Alle Teufel! Das wußtest Du und kamst dennoch an Bord?«
»Wie Du siehst!«
»Welchen Grund hattest Du? Willst Du einer der Unsrigen werden?«
»Möglich.«
»Oder auch wahrscheinlich. Wir lassen Keinen an Bord, ohne daß er unser wird. Deine Gestalt hat dem Kapitän gefallen, und daher hat er gethan, als ob er Dir Passage gibt. Ich rathe Dir, Dich gutwillig zu fügen!«
»Pah! Es hat mich noch kein Mensch zu irgend etwas zwingen können, was ich nicht selbst und freiwillig thun wollte.«
»So kamst Du an Bord gleich in der Absicht, bei uns zu bleiben?«
»Wenn es mir gefällt.«
»Du sprichst sehr stolz. Wir würden Dich zwingen.«
»Pah! Beantworte mir einmal meine Fragen! Der Tiger hat es, wie man sich erzählt, nur auf norländische und süderländische Schiffe abgesehen?«
»Allerdings.«
»Aus welchem Grunde?«
»Hm, das darf ich ja wohl sagen: In Norland gibt es einen gewissen Herzog von Raumburg, der den König und mit ihm das ganze Land zu beherrschen weiß. Er ist Schuld, daß ich hier den Tiger kommandire.«
»Wieso?«
»Es ist ihm einst ein Gefangener entsprungen, ein Zigeuner, wie man sagte. Ich war Seeoffizier und hatte einen Freund mit in See genommen, welcher diesem Zigeuner ähnlich sehen mochte. Ich kam in Untersuchung und wurde gegen Recht und Gerechtigkeit zu einer langjährigen Festungsstrafe verurtheilt.«
»Was hatte dieser Zigeuner verbrochen?«
»Er hatte den Herzog tödten wollen.«
»Weshalb?«
»Einer schönen Zigeunerin wegen, welche dann der Herzog ganz öffentlich als Geliebte zu sich nahm.«
»Weißt Du, wie sie hieß?«
»Zarba, glaube ich.«
»Du entkamst?«
»Ich entfloh aus der Festung und kam nach Süderland, wurde aber von dort wieder ausgeliefert, obgleich kein Kartell abgeschlossen war. Ich entsprang zum zweiten Male, und wehe dem süder- oder norländischen Schiffe, welches in meine Hände kommt. Zwar gebe ich die Mannschaften frei, denn ich bin kein Mörder, aber Hab und Gut ist mein, und das Schiff wird angebohrt und versenkt.«
»Das ist also Dein Rachewerk. Aber Dein Kapitän?«
Der Segelmeister warf den Kopf stolz in den Nacken.
»Hat nur den Namen. Das Schiff ist sein Eigenthum und wurde einst allerdings von ihm kommandirt; seit er mich aber kennen gelernt hat, führe ich den Befehl und er pflegt sich.«
»Weißt Du, wie der Zigeuner hieß?«
»Ich wußte es, habe aber den Namen wieder vergessen.«
»Katombo.«
Der Segelmeister trat erstaunt einen Schritt zurück.
»Wahrhaftig! Du hast ihn gekannt?«
»Ich bin es selbst.«
»Du? Ein Zigeuner und bist Seemann geworden?«
»Ja.«
»Dann, ja – Du bist unschuldig die Ursache meines damaligen Unglücks; ich darf Dir nicht zürnen. Vielmehr bist Du mein Mann, denn Du hassest diesen Herzog.«
»Ich hasse ihn nicht, aber ich verachte ihn.«
»Das ist ebenso, wenn nicht noch schlimmer. Willst Du freiwillig bei uns bleiben?«
»Als was?«
»Das wird sich nach Deiner Geschicklichkeit richten. Welche Stelle hattest Du auf Deinem letzten Schiffe?«
Katombo lächelte.
»Ich war Segelmeister.«
»Was? Segelmeister? Wirklich? Welcher Nationalität dientest Du?«
»Dem Sultan.«
»Unter Nurwan-Pascha?«
»Ja.«
»Welches Schiff?«
»Ali Hamed.«
»Sein Flaggenschiff! Und da warst Du Segelmeister?«
»Ja.«
»Dann mußt Du ein braver Seebär sein. Wie kamst Du von ihm fort und zu der Frau und dem Kinde?«
»Ich bin ein Christ und verheirathet. Wie ich von Nurwan-Pascha fortkam, werde ich Dir einmal später erzählen; nur das will ich Dir einstweilen versichern, daß ich den Ali Hamed ehrenvoll verlassen habe.«
»Hoffe es! Wenn Du bei mir bleiben willst, so soll es mich freuen. Eine Stelle hätte ich einstweilen für Dich. Mein Junge nämlich soll etwas weiter hinaus in die Welt; er wird den Tiger verlassen, und so könntest Du als Gehilfe an den Steuermann treten. Habe ich Dich zu meiner Zufriedenheit geprüft, so wirst Du steigen. Deine Frau mit dem Kinde kannst Du an einem Hafenorte plaziren.«
»Wer ist Dein Sohn?«
»Der dort beim Steuermanne steht.«
»Hat der Tiger einen sichern Ort, welchen er zu jeder Zeit unerkannt anlaufen kann?«
»Nein.«
»Ich bleibe bei Dir, doch nur unter der Bedingung, daß Du einen solchen Ort suchst.«
»Er ist schwer zu finden.«
»Ich weiß einen: Eine kleine, einsame Insel, die zum Verbergen und Unsichtbarmachen einer Feluke wie geschaffen ist.«
»Wo?«
»Ganz in der Nähe. Sie ist auf keiner Karte verzeichnet, aber ich könnte Dir ihre Lage ganz genau notiren.«
»So komm mit in meine Kabine, wo ich die Karten habe!«
Sie stiegen hinab. Die Kabine war ein kleiner Raum, nicht größer als die Steuermannskajüten auf einer Orlogfregatte, aber sie war glänzend eingerichtet und enthielt alle möglichen nautischen Instrumente und sonstigen Requisiten, denen Katombo auf den ersten Blick ansah, daß sie von ausgezeichneter Güte seien. Der Segelmeister nahm die Seekarten zur Hand und suchte die betreffende heraus, auf welche Katombo durch einen Punkt die Insel verzeichnete.
Noch waren sie bei dieser Beschäftigung, als einer der Matrosen eintrat.
»Was gibt es?« frug ihn der Segelmeister.
»Ein Segel in Sicht.«
»Wo?«
»Nord bei Ost.«
»Ich komme.«
Als sie auf das Deck traten, bemerkten sie in der angegebenen Richtung einen kleinen weißen Punkt. Der Segelmeister griff nach seinem Rohre, und auch Katombo zog das seinige hervor. Seine Miene nahm nach einigen Augenblicken einen gespannten Ausdruck an.
»Was ist es?« frug der Segelmeister.
Jedenfalls wollte er die Befähigung des Gefragten auf die Probe stellen.
»Kein Kriegsschiff,« antwortete Katombo.
»Du siehst sehr scharf. Was ist es dann?«
»Ein Dreimaster, feiner Segler, wie es scheint.«
»Das kannst Du noch nicht erkennen.«
»O, doch!«
»Dann bist Du geschickter als ich, oder Dein Rohr ist besser als das meinige. Räthst Du, unsern Kurs beizubehalten?«
»Nein. Das Schiff ist uns selbst als Handelsfahrzeug überlegen. Wie viele Geschütze haben wir?«
»Unten vier und auf Deck diese drei.«
»Dann rathe ich Dir, nach Ost bei Süd umzulegen, um vom Lande drüben im West abzukommen und vor diesem Segel einen Bogen zu schneiden, der uns in seinen Ost bringt, wo wir dann freie See haben.«
»Fällt mir nicht ein!«
»Warum?«
»Weil wir uns vor keinem Kauffahrer zu fürchten brauchen und er uns auch für den andern Fall nichts anhaben kann, denn er hat jedenfalls mehr Tiefgang als wir und würde sich sehr hüten, uns nach West zu folgen, wo er leicht auf die gefährlichen Sandküsten gerathen könnte.«
»Thue, was Du willst!« antwortete Katombo, indem er leicht mit der Achsel zuckte.
Er begab sich langsam nach dem Raume, in welchem Ayescha mit Almah untergebracht worden war. Der Tiger behielt seinen Kurs bei. Das fremde Segel näherte sich immer mehr, und es zeigte sich gar bald, daß Katombo Recht gehabt hatte. Es war ein lang und schmal gebauter Dreimaster, welcher außerordentlich gut, ja beinahe fast beispiellos segelte und seine Nationalität weder durch eine Flagge noch die Farbe eines Wimpels kund gab.