Carl May
Scepter und Hammer
Carl May

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Nachdem er abgestiegen war, band er das Pferd an eine Ladenangel und begab sich nach der ersten Etage. Auf sein Klingeln wurde die Entreethür geöffnet, und eine ältliche Frau erschien unter derselben.

»Wer ist noch da?« frug sie.

»Ich, meine liebe Frau Goldschmidt. Ist Karl zu Hause?«

Sie leuchtete empor und erkannte ihn.

»Mein Gott, Durchlaucht! Sie hier? Haben Sie es auch schon erfahren?«

»Was?«

»Von – – oh, Sie wissen nichts? Bitte, bitte, treten Sie ein, treten Sie ein!«

Er bemerkte ihre Augen voller Thränen und sah, daß Sie sich in einer außerordentlichen Aufregung befand. Im Zimmer befanden sich mehrere Personen, auf deren Gesichtern ein tiefer Ernst ausgebreitet lag, und aus dem geöffneten Nebenraume erklangen halblaute Stimmen.

»Hier ist etwas geschehen! Was ist es?« frug er die Mutter des Freundes.

»Durchlaucht, Karl ist ermordet worden,« antwortete sie, die Hände ringend und in ein krampfhaftes Schluchzen ausbrechend.

»Unmöglich! Von wem?«

»Das weiß noch Niemand.«

»Wo ist er?«

»Draußen. Kommen Sie!«

Sie führte ihn in das Nebenzimmer. Zwei Ärzte standen vor dem entkleideten Körper des Literaten.

»Was wollen Sie?« frug der Eine den Eintretenden.

»Meine Herren, mein Name ist von Sternburg, Seekapitän von Sternburg. Dieser Todte ist ein Studiengenosse von mir, und ich kam, ihn zu besuchen.«

»Ah, dann haben Sie Zutritt, Durchlaucht,« klang die höfliche Antwort. »Übrigens ist der Verwundete nicht todt. Der Stich hat weder Herz noch Lunge verletzt, und nur der schwere Blutverlust hat eine todesähnliche Ermattung herbeigeführt.«

»Er ist nicht todt? Er lebt!« rief die Mutter. »Gott sei Dank; ich wäre ihm nachgefolgt.«

Der Arzt machte eine abwehrende Bewegung.

»Leise, leise, Frau Goldschmidt! Wir können Ihnen unmöglich ganz die Hoffnung nehmen, doch vermögen wir auch nicht zu verschweigen, daß sein Leben nur an einem Faden hängt; es kann im Augenblicke seines Erwachens auf eine Minute aufflackern und dann sofort für immer verlöschen. Wir werden hier bleiben bis er zu sich kommt, um nach den eintretenden Umständen handeln zu können. Schicken Sie alle überflüssigen Personen fort und vermeiden Sie jedes Geräusch.«

Man nahm Platz und auch der Kapitän ließ sich in der Nähe des Bettes nieder. Es verging beinahe eine Stunde, bis der Verwundete die Augen aufschlug und einen schmerzlichen Seufzer ausstieß.

»Wasser!« klang es durch die lautlose Stille des Raumes.

Es wurde ihm gereicht.

»Emma,« hauchte es leise zwischen seinen bleichen Lippen hervor; dann fielen die schweren Lider wieder zu.

Arthur begab sich leise nach der vorderen Stube, wo die Mutter des Kranken leise weinend in einer Ecke Platz genommen hatte.

»Warum gehen Sie nicht in die Krankenstube?« frug er sie.

»Weil ich den Schmerz da nicht zurückhalten könnte. Mein Gott, wer muß der Bösewicht gewesen sein! Karl ist so gut, das wissen Sie auch, Durchlaucht; er beleidigt mit Wissen keinen Menschen, und dennoch bringt man ihn mir als Leiche nach Hause!«

»Haben Sie bereits Anzeige gemacht?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Weil – weil ich gar nicht daran gedacht habe.«

»Wo hat man ihn gefunden?«

»Vor der Thür des Hauses, in welchem seine Braut wohnt.«

»So ist er bei ihr gewesen?«

»Jedenfalls.«

»Und man hat ihn beim Austritte überfallen – hm; das klingt mir nicht wahrscheinlich. Geben Sie die Sache ja der Polizei über, welche allerdings auch ganz von selber sehr ernstliche Notiz von dem Vorfalle nehmen wird. Ich habe leider nicht Zeit, länger zu verweilen, werde aber dafür sorgen, daß ich au fait bleibe über das Befinden Ihres Sohnes.«

Nach einigen Worten des Trostes und der Beruhigung verließ er die Wohnung.

Als er aus der Thür des Hauses trat, bemerkte er eine weibliche Gestalt, welcher die gegenüberliegende Seite der Straße zu gewinnen suchte. Sie war vor dem Schalle seiner Schritte geflohen und hatte also Ursache, sich in der Nähe des Hauses nicht sehen zu lassen. Er eilte ihr nach und hatte sie nach einigen raschen Schritten erreicht.

»Halt, meine Dame! Warum sind Sie so eilig?«

Er erfaßte sie am Arme und blickte in ein erschrockenes, brünettes Mädchenangesicht, dessen Augen ängstlich die seinigen zu vermeiden suchten. Sie antwortete nicht.

»Nun? Darf ich um Antwort bitten, Fräulein? Warum flohen Sie vor mir?«

»Ich floh nicht vor Ihnen,« klang es leise.

»Vor wem denn?«

»Vor – vor Niemand.«

»Vor Niemand? Damit wollen Sie sagen, vor keiner bestimmten Person. Aber dennoch hatten Sie das Bestreben, nicht bemerkt zu werden. Darf ich Sie um Ihren Namen bitten?«

Sie schwieg. Er fühlte ihre Hand, die er gefaßt hatte, zwischen der seinigen zittern.

»Ich hoffe, Sie werden mir Auskunft geben, sonst fühlte ich mich in die unangenehme Lage versetzt, Sie nach einem Orte zu bringen, wo Sie zur Antwort gezwungen sind.«

»Warum?«

»Es ist an einem Freunde von mir ein Mordanfall verübt worden, und ich vermuthe nach Ihrem Verhalten, daß Sie zu dieser Thatsache auf irgend eine Weise in Beziehung stehen.«

»Lebt Karl noch?«

»Karl? Ah, Sie kennen ihn? Sie kamen, um sich Gewißheit über seinen Zustand zu holen! Ihr Name, Fräulein?«

»Emma Vollmer.«

»Mir unbekannt. Sie sind vielleicht – – –?«

»Ich – ich war die – die Geliebte Karls.«

»War? Sie sind es nicht mehr? Ah! – – – Er wurde vor Ihrer Thür gefunden?«

»Ja.«

»So war er vorher bei Ihnen?«

»Nein.«

»Aber Sie waren daheim?«

Sie schwieg. Dieser Mann frug trotz eines Inquisitionsrichters. Wer war er? Mußte sie denn überhaupt Rede stehen? Und doch hielt er sie so fest, und doch sprach er in einem solchen Tone, daß sie antworten mußte:

»Nein.«

»Ah – – –!«

Er faßte sie auch am andern Arme und zog sie näher, um ihr lange und fest in das Angesicht zu blicken.

»Sie haben jetzt einen andern Geliebten?«

»Ja.«

»Was ist er?«

»Offizier.«

»Welchen Ranges?«

»Lieutenant.«

»Wie heißt er?«

»Hugo von Zarheim.«

»Zarheim? Pah, gibts nicht – findet man sogar im Gothaer nicht! Hugo – – oh – – hm – – Sie waren heut mit ihm promeniren?«

»Ja.«

»Er begleitete Sie bis zur Thür?«

»Ja.«

»Und da trat Ihnen Karl entgegen?«

Sie schwieg. Er wiederholte seine Frage dringlicher.

»Nein. Ich habe ihn heut gar nicht gesehen.«

»Ah, Fräulein, Sie mögen Andere täuschen, vielleicht sogar meinen Freund, der es jedenfalls ehrlich mit Ihnen gemeint hat, mir aber sagt der Ton Ihrer Stimme etwas ganz Anderes als Ihre Worte. Wie alt ist dieser Lieutenant Hugo?«

»Einundzwanzig.«

»Blond?«

»Ja.«

»Ein feines Schnurrbärtchen?«

»Ja.«

»Eine Narbe über die rechte Wange?«

»Ja,« antwortete sie verwundert.

»Schön; ich vermuthete den Zusammenhang, weil ich ihn zufälliger Weise traf, als er von Ihnen kam. Fräulein, Karl Goldschmidt ist ein Ehrenmann, ein berühmter Dichter, welcher unter den besten und reichsten Mädchen des Landes wählen könnte, wenn er etwas mehr prätensiös sein wollte; haben Sie sich von ihm getrennt, so haben Sie auf ein Glück verzichtet, wie es Ihnen an der Seite eines Andern niemals werden kann. Dieser Lieutenant Hugo von Zarheim aber ist ein Wüstling, ein Schwindler, welcher schon hundert Mädchen unglücklich gemacht hat und auch Sie verlassen wird, wenn Sie ihm gewährt haben, was er sucht. Er ist nicht Lieutenant und heißt nicht Zarheim, sondern er ist Reitergeneral und heißt Hugo, Prinz von Süderland. Er ist der jüngste Sohn Ihres Königs und unter dem Namen der "tolle Prinz" bekannt.«

»Hugo – Prinz Hugo – ein königlicher Prinz?!« klang es von ihren Lippen, aber mehr erstaunt als erschrocken. »Ists wahr?«

»Es ist wahr. Kennen Sie den Prinzen nicht persönlich?«

»Nein.«

»So verschaffen Sie sich sein Bild und vergleichen Sie! Sie wissen jetzt genug, und ich hoffe, Sie handeln so, daß ich zu Karl, wenn er je wieder aufleben sollte, mit Achtung von Ihnen sprechen darf. In Beziehung aber des Anfalles ist es sehr möglich oder vielmehr sogar wahrscheinlich, daß Sie gerichtlich vernommen werden. Jetzt gehen Sie. – Gute Nacht!«

Sie enteilte mit hastigen Schritten, und er trat zu seinem Pferde. Als er sich aufgeschwungen hatte, warf er noch einen Blick hinauf nach den Fenstern, hinter denen plötzlich so vieles und großes Leid eingekehrt war, und ritt dann davon.

Als er die Residenz im Rücken hatte, dehnte sich die breite Heerstraße in langen Windungen zwischen blühenden Gefilden hin, bis sie in den Wald trat, dessen magisches Dunkel das Gemüth des einsamen Reiters zum Träumen stimmte.

Diese Emma Vollmer war ein schönes, sogar ein sehr schönes Mädchen, welche alle Gaben der Natur besaß, um einen Mann innig glücklich zu machen, und doch – – that sie es? Kann ein Mann überhaupt an seine Liebe, an sein Weib glauben? Droben am Himmel stehen Millionen von Sternen so fest, und dennoch, je näher man ihnen kommt, je besser man sie kennen lernt, desto mehr bemerkt man, daß sie alle, alle diese scheinbare Festigkeit nie besessen haben und nie besitzen werden. Sind nicht alle unsere Ideale geistige oder verkörperte Lichtgebilde, welche aufgehen, kulminiren und – verschwinden?«

»Und wie ist es mit meinem Stern?« frug er halblaut. »O Almah, herrliches unvergleichliches entzückendes Wesen, sei mir eine Sonne, welche niemals trügt, und ich will der Parse sein, der vor Deinem Glanze knieend liegt und Anbetung athmet bis zum letzten Hauche seines Lebens!«

Er verfiel in ein tiefes, glückliches Sinnen. Er gedachte des Abends am Nil, an welchem er die Herrliche zum ersten Male erblickte, an die Sehnsucht, die ihn dann erfüllt hatte, ohne daß es ihm möglich gewesen wäre, sie zu stillen, und an das namenlose Glück, welches ihn gleich einem großen Schrecken durchzuckt hatte, als sie ihm zum zweiten Male in seiner eigenen Behausung entgegengetreten war. So sann und sann er; Viertelstunden einten sich zu Stunden; eine Meile Weges wurde nach der anderen zurückgelegt, und als der Morgen erglänzte, hielt er auf seinem dampfenden Rosse am Rande der Ebene, deren gegenseitige Grenze der Höhenzug bildete, hinter welchem das Terrain zur Küste des Meeres niederstieg.


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