Carl May
Scepter und Hammer
Carl May

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Sohn und Eltern blickten sich überrascht an. Sie wußten, daß Zarba keine Gauklerin sei, und so war ihr Erstaunen über diese Prophezeiung kein geringes.

»Was war das?« meinte Max. »War sie betrunken?«

»Nein, und doch kommt sie mir so vor,« antwortete der Vater. »Ich weiß, daß sie großen Scharfsinn besitzt und aus der äußeren Erscheinung eines Menschen Manches schließt, woran ein anderes Menschenkind nicht denken würde. Dazu kommen die eigenthümlichen Ereignisse am Tage Deiner Geburt, Max, über welche sie uns bis heut die Aufklärung schuldig geblieben ist; ich erwartete, nichts Gewöhnliches von ihr zu hören; aber das, was sie jetzt sagte, ist unglaublich, so unglaublich, daß man wahnsinnig sein müßte, um es für Wahrheit zu halten. Und doch weiß sie stets ganz genau, was sie thut oder redet – – –!«

»Sie wird mit ihren Worten einen Zweck verfolgen, welcher nicht verborgen bleiben kann,« meinte Max. »Ich war einigermaßen überrascht über den eigenthümlichen Empfang, welcher mir bei meinem Eintritte wurde, die Scene selbst aber nehme ich kühl. Wir werden ja erfahren, was Zarba bezweckte. Für jetzt ist meine Aufmerksamkeit durch ganz andere Dinge in Anspruch genommen. Nicht wahr, Vater, Du besitzest ein Passe-Partout in das königliche Schloß?«

»Allerdings. Warum?«

»Würdest Du mir es einmal anvertrauen?«

»Dir? Was wolltest Du auf dem Schlosse oder beim König?«

»Erlaube, es für jetzt noch zu verschweigen; allein, daß es sich um etwas Wichtiges handelt, kannst Du Dir denken, da ich sonst eine solche Bitte nicht aussprechen würde.«

»Hm, der König hat die Karte allerdings nur für mich bestimmt; doch denke ich, wenn die Sache wirklich wichtig ist, so –«

»Keine Sorge, Vater! Ich stehe im Begriffe, dem König einen Dienst von außerordentlicher Wichtigkeit zu leisten.«

»So warte!«

Der Schmied nahm die Lampe vom Tische und ging mit ihr in das Nebenzimmer. Als er zurückkehrte, hatte er eine Karte in der Hand, deren eine Seite mit einigen engen Zeilen beschrieben war, während die andere das Privatsiegel des Königs zeigte.

»Hier!«

»Danke! Ist der Hauptmann zu Hause?«

»Ja; er ist oben.«

»Gute Nacht!«

Er stieg die Treppe empor und klopfte an der Thür des Zimmers, welches von Zarba und deren Sohn bewohnt wurde. Der Letztere öffnete.

»Verzeihung, Hauptmann, wenn ich belästige. Entschuldigen Sie mich mit der allerdings höchst wichtigen Angelegenheit, welche mich zu Ihnen führt!«

»Bitte, treten Sie ein, Herr Doktor!«

Max that es. Zarba hatte sich wieder in eine dunkle Ecke zurückgezogen und rauchte. Nachdem er sich gesetzt hatte, blickte er dem Hauptmann lächelnd in die Augen.

»Ich habe Ihnen eine Warnung auszusprechen.«

»Ah! Sie lautet?«

»Man will Sie ermorden.«

»Teufel! Ists wahr?«

Er war bei der Botschaft überrascht emporgefahren; als er aber den ruhigen Blick und die lächelnde Miene des Doktors bemerkte, ließ er sich wieder nieder und meinte:

»Pah; Sie scherzen! Aber meine Erfahrungen sind solche, daß ich an jedem Augenblicke bereit sein muß, an eine solche Bosheit zu glauben.«

»Ich scherze nicht, Herr von Wallroth; es gilt wirklich Ihr Leben; aber nicht blos dieses, sondern auch das meinige und dasjenige Ihrer Mutter.«

»Wirklich? Wer ist der Schuft, welcher – – –?«

»Sie fragen noch?«

»Ja – oh – mein – mein Vater!«

Er erhob sich erregt und durchmaß in langen, hastigen Schritten das Zimmer. Die Zigeunerin war ruhig geblieben. Sie stieß eine dichte Dampfwolke aus und meinte:

»Mein Sohn, der Geist sagt mir, daß es wahr ist, was Dir gesagt wurde. Das Messer ist geschliffen, welches uns treffen soll; doch wird es seine Spitze verlieren und denjenigen treffen, in dessen Hand es ruht!«

Der Hauptmann wandte sich ihr zu.

»Mutter, ich liebe Dich mit aller Kraft meiner Seele; aber ich könnte Dich dennoch hassen, weil Du mir einen solchen Vater gegeben hast! O, wenn ich daran denke, was ich durch ihn gelitten habe, so – so – so – – –!« Er kämpfte mit Gewalt seine Aufregung nieder und trat zu Max.

»Also Ihre Worte enthalten wirklich die Wahrheit?«

»Wirklich. Ich war zugegen, als der Auftrag gegeben wurde, einen Schmiedesohn, einen verrückten Hauptmann und eine Zigeunerin zu ermorden.«

»Gut, ich danke Ihnen!« Er trat zum Schranke und öffnete ihn. »Ich werde sofort und auf der Stelle zum Herzog gehen und ihn zwingen, mich – – –«

»Halt, Herr Hauptmann, keine Übereilung! Sie würden mit derselben nur das Gegentheil von dem erreichen, was Sie bezwecken. Sie sind hier in diesem Hause vollständig sicher, und wenn ich Ihnen Mittheilung machte, von dem, was ich hörte, so geschah es nur, um Sie einer plötzlichen Überrumpelung gegenüber gerüstet zu wissen. Auf alle Fälle wird vor morgen Abend nichts gegen uns geschehen, und bis dahin können wir die Angelegenheit ja noch anderweit behandeln.«

»Auf welche Weise soll der Angriff geschehen?«

»Ist noch unbestimmt.«

»Wer ist gedungen?«

»Ein gewisser Helbig, welcher früher im Dienste des Herzogs gestanden hat.«

»Ah, nun glaube ich vollständig, was Sie mir sagen!«

»So werden Sie mir auch die Bitte erfüllen, welche ich für gerathen halte. Gehen Sie vor morgen Abend nicht aus! Unternehmen Sie überhaupt nichts, ohne mich vorher davon benachrichtigt zu haben!«

Der Hauptmann schlug in die dargebotene Hand ein.

»Ich werde Ihnen von Stunde zu Stunde immer größeren Dank schuldig, Herr Doktor, so daß es einfache Pflicht ist, eine solche Bitte zu erfüllen. So ist also Ihre heutige Mission beim Herzog vollständig gescheitert?«

»Vollständig. Er mag von einer friedlichen Lösung der Angelegenheit nichts wissen, wie ich mich – allerdings ohne sein Wissen – überzeugte, und es gilt nun also einen Kampf Mann gegen Mann.«

»Sohn gegen Vater! Nun wohlan; er hat mir das Leben gegeben, weiter nichts; den Dank, welchen ich ihm schulde, hat er quitt gemacht, wir sind uns fremd, und ich brauche ihn nicht zu schonen. Ihren Wunsch werde ich erfüllen, aber trifft mich ein Angriff, dann wehe dem, gegen den ich mich vertheidigen muß!«

Max ging. Er suchte das Schloß auf Umwegen zu erreichen und gelangte auch unbemerkt in den Garten desselben. Hier und im Gebäude selbst war ihm jeder Schrittbreit wohlbekannt, so daß er also genau wußte, wohin er sich zu wenden hatte.

Er klopfte an eine Pforte. Der hinter derselben haltende Posten öffnete. »Wer da?«

»Ruhig!« antwortete er und zeigte die Karte vor.

»Passiren!« lautete die Entscheidung.

Er passirte mehrere Gänge und Treppen, welche alle hell erleuchtet waren; sämmtliche Posten ließen ihn nach Vorzeigen des Passe-partout passiren, und so gelangte er schließlich in den Korridor, in welchem die Zimmer und auch das Schlafkabinet des Königs lagen. Hier bemerkte er, daß die Schildwache fehlte, jedenfalls in Folge einer Vorsorge von Seiten des Herzogs oder des Kammerlakaien. Von dem Letzteren war keine Spur zu bemerken, was sich auch leicht erklären ließ, da es noch nicht zwei Uhr war.

Er suchte die Thüren und fand deren eine geöffnet. In das Zimmer tretend fand er dasselbe dunkel, doch fiel ein schwacher Lichtschein durch die Spalte einer Portière, welche zum nächsten Raume führte. Er trat hinzu und blickte hindurch. Es war ein kleines Kabinet, welches vor ihm lag. An einem Tische, auf welchem eine Lampe brannte, deren Licht durch einen farbigen Schirm gedämpft wurde, saß Grunert, der Kammerdiener. Vor ihm lagen mehrere Blätter einer illustrirten Zeitung; er hatte also gelesen, um sich wach zu halten, doch war ihm dies nicht gelungen. Er schlief mit auf die Arme niedergesenktem Kopfe.

Hinter diesem Kabinete lag das des Königs. – Sollte Max es wagen, in dasselbe zu treten? Er entschloß sich dazu. Leise glitt er zwischen den beiden Portièren hindurch und stand dann vor der Ruhestätte des Königs. Er wußte sehr genau, was er wagte, aber seine Gründe waren so zwingend, daß er sein Eindringen wohl verantworten konnte.

Er trat näher. Der königliche Schläfer hatte die seidene Decke bis zur Brust empor gezogen, so daß die beiden Arme mit wie zum Gebete gefalteten Händen frei lagen. Max berührte die letzteren leise, und augenblicklich regte sich der König. Ein leiser Druck reichte hin; der Schläfer erwachte und öffnete halb im Traume die Augen. Max winkte Schweigen; der König verstand die Pantomime und erkannte den Doktor. Mit dem Ausdrucke der höchsten Überraschung wollte er sich emporrichten, unterließ dies aber auf eine warnende Bewegung des Doktors, welcher einen Sessel ergriff und ihn an diejenige Seite des Bettes plazirte, welche von der Portière aus nicht beobachtet werden konnte.

Er nahm, hinter den kostbaren transparenten Vorhängen versteckt, Platz und neigte sich zu dem Könige nieder.

»Entschuldigung, Majestät!« flüsterte er – –

»Was ist Außerordentliches geschehen, Herr Doktor, daß Sie zu dieser Stunde hier heimlich Zutritt nehmen?« frug der König ebenso leise, aber mit dennoch zu vernehmender Strenge im Tone. »Wie haben Sie Einlaß gefunden?«

»Durch die Karte meines Vaters.«

»Ah! Er gibt sie aus der Hand?«

»Nur mir, Majestät. Es soll ein Einbruch in Dero Arbeitskabinet vorgenommen werden.«

»Ah! Sie erschrecken mich! Ist es möglich?«

»Ich weiß es bestimmt!«

»Wer will diesen Einbruch unternehmen?«

»Kein gewöhnlicher Dieb, Majestät!«

»Nun?«

»Seine Durchlaucht der Herzog von Raumburg.«

»Der Her – der Her – zog?« Der König konnte vor Überraschung das Wort kaum hervorbringen. »Unmöglich! Sie irren sich, Doktor!«

»Ich irre mich nicht; ich weiß es ganz genau.«

»Was will er ?«

»Die Akten aus der Irrenanstalt, welche ich die Ehre hatte, Majestät zu überreichen.«

»Ah, ich begreife! Und dennoch ist ein solcher Schritt – – parbleu, er muß einen Gehülfen haben!«

»Grunert!«

»Grunert? Wissen Sie dies genau?«

»Genau! Es scheint, der Herzog hat das Arbeitskabinet Eurer Majestät schon öfters besucht.«

Der König schwieg; seine Mienen verfinsterten sich unter dem nachdenklichen Zuge, welcher über sie hinglitt.

»Woher wissen Sie Alles?« frug er endlich.

»Ich belauschte Beide zufällig.«

»Wann kommt der Herzog?«

»Punkt Zwei.«

»Grunert schläft im Vorzimmer?«

»Ja.«

»Ich kann mir dies denken, da Sie sonst nicht hier säßen. Jetzt ist es ein Uhr. Sehen Sie nach, ob er noch schläft!«

Max schlich langsam und leise zur Portière, zog dieselbe ein wenig aus einander und blickte hindurch. Der Verräther lag noch ganz in derselben Stellung wie vorhin. Als der Doktor zum Bette zurückkehrte, hatte der König dasselbe bereits verlassen und war beschäftigt, sich anzukleiden. Max bemühte sich, ihm dabei behülflich zu sein, und rapportirte:

»Er schläft noch!«

»Er hatte heute nicht Dienst, tauschte aber mit einem Kollegen, welcher angeblich unwohl ist. Wenn er erwacht, wird er das Schlafzimmer nicht betreten, sondern sich nur durch den Eingang überzeugen, daß ich nicht wach bin. Lassen wir die Gardinen herab!«

Das Bett wurde verhüllt, so daß Grunert denken mußte, der König schlafe. »So, und jetzt folgen Sie mir zur Bibliothek!«

Der König näherte sich der Portière und glitt, nachdem er sich überzeugt hatte, daß Grunert wirklich schlief, gefolgt vom Doktor durch das Vorzimmer und dann durch die weiteren Räume bis an das Arbeitskabinet.

»Warten!« befahl er.

Ein Schlüssel klirrte, ein Schloß knackte.

»So, jetzt kommen Sie weiter. Die Dokumente sind in meiner Hand und dazu eine Waffe für den Nothfall. Sind Sie im Besitze einer solchen?«

»Ich trage einen Revolver.«

»Dann treten wir in die Bibliothek!«

Diese lag neben dem Arbeitszimmer. Sie traten ein und nahmen auf einem Sopha Platz, welches hinter breiten Bücherschränken verborgen stand. Hier begann der König ein ausführliches Verhör; Max erzählte, was mitzutheilen ihm nothwendig schien, doch verschwieg er sowohl die Art und Weise, wie er hinter die Geheimnisse des Herzogs gekommen war, als auch die beiden anderen Anschläge, welche dieser mit Penentrier und Helbig geschmiedet hatte. Er durfte die Sorgen des hohen Mannes nicht vermehren und wußte sich stark genug, die Intentionen Raumburgs zu kreuzen.

Nach den nothwendigen Mittheilungen trat eine Stille ein, welche so tief wurde, daß man im Arbeitszimmer nebenan selbst eine Fliege hätte summen hören können. Es schlug halb und drei Viertel. Kurz vor zwei Uhr ließ sich ein Geräusch vernehmen. Max erhob sich, um zu lauschen.

»Grunert,« berichtete er leise. »Er sitzt mit einer verschlossenen Blendlaterne in der Nähe des Schreibtisches.«

»Haben Sie Feuerzeug bei sich?«

»Ja.«

»Dort auf dem Tische steht eine Kerze. Sobald der Herzog eingetreten ist, brennen Sie dieselbe an, um zu leuchten. Nach unserem Eintritte decken Sie den Ausgang und überlassen das Übrige mir!«

Es vergingen noch einige Minuten der Spannung. Dann knisterte es drüben, und Max erhob sich, um zum zweiten Male zu lauschen.

»Der Herzog!« flüsterte er.

Um jedes Geräusch zu vermeiden, entzündete er das Streichholz mit dem Nagel seines Fingers, setzte die Wachskerze, welche er in die Linke nahm, in Brand und griff dann zum Revolver.

»Vorwärts!«

Der König trat voran zur Portière und blickte hindurch.


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