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»Ja, dann teilen wir, und ich reite weiter. Also nun kennst du meine Bedingungen; ich halte sie fest und gehe auf keine anderen ein. Jetzt beeile dich, daß du zu deinen Leuten kommst!«»Ich gehe, Sennor. Vorher aber muß ich Sie bitten, sehr vorsichtig zu sein. Stellen Sie Wachen aus, denn es ist möglich, daß heute noch andere Weiße kommen.«
»Ah! Wirklich?«
»Ja. Sie wollen auch nach den Ansiedelungen hier und den Sendador suchen.«
»Diablo! Mich? Täuschest du dich nicht?«
»Nein, denn der Deutsche hat es mir gesagt.«
»Welcher Deutsche?«
»Der schon zwei Majors gefangen genommen hat und auch Lopez Jordan entkommen ist. Er hat es so weit gebracht, daß wir vierhundert Feinde besiegten und gefangen nahmen.«
»So ist er ein Teufelskerl!«
»Ja, das ist er. Alle, die bei ihm sind, sagen, daß er alles mögliche zu Stande bringt, daß er alles wisse und alles könne.«
»So ist dieser Kerl ein wahres Unikum! Und was will er von mir?«
»Sie sollen ihm den Weg zeigen, aber wohin, das weiß ich nicht.«
»Aus deinen Reden zu schließen, ist er nicht allein?«
»Nein. Es sind noch andere bei ihm, ein amerikanischer Seekapitän mit seinem Steuermanne, der Bruder Jaguar –«
»Jaguar? Alle Teufel! Das ist mir freilich nicht sehr willkommen. Was mögen denn diese Menschen bei mir wollen?«
»Das werden sie Ihnen wohl sagen. Und ferner sind dabei sechs Yerbateros. Ihr Anführer wurde Sennor Monteso genannt.«
»Monteso? Ah! Ein guter Bekannter von mir! Was der mit – – ah, sagtest du nicht, daß dieser Deutsche alles könne?«
»Ja, ich hörte es so.«
»Kann er spanisch sprechen?«
»Wie ein Spanier.«
»Haben sie nicht von Peru gesprochen? Oder von Quipus? Von der Inkasprache?«
»Nein.«
»Auch nicht von Papieren, von Plänen, von verborgenen Schätzen?«
»Nein.«
»Vortrefflich, ganz vortrefflich! Sie sind sehr verschwiegen dabei. Weißt du nicht wenigstens, ob dieser Deutsche indianisch spricht?«
»Ich hörte, er sei Jahre lang bei den Indianern gewesen.«
»So stimmt es; so stimmt es. Jetzt weiß ich, weshalb sie zu mir wollen. Aber warum suchen sie mich hier? Sie konnten doch nicht wissen, daß ich jetzt hier bin?«
»Sie wollten über Goya nach dem Gran Chaco; aber ich hörte in Palmar, daß Sie jetzt hier seien, und sagte es Ihnen.«
»So ist es, so! Wann kommen sie?«
»Kurze Zeit nach mir. Sie werden nur wenige Stunden nach mir abgeritten sein und sich außerordentlich beeilt haben. Gomarra, mein Vetter, führt sie.«
»Auch einer von den Aripones?«
»Nein; er ist andern Stammes; aber seine Mutter war eine Schwester meiner Mutter.«
»Warum bist du nicht geblieben, bis sie mit dir ritten?«
»Ich wollte es; aber dann hätten wir auf die Beute verzichten müssen, weil der Deutsche die Weißen vor den Aripones warnen will.«
»Teufel! Das soll er bleiben lassen!«
»Darum wollte er so schnell aufbrechen, und darum wird er seine Pferde angestrengt haben, und darum bin ich schleunigst noch vor ihm fort geritten. Wir haben unsere Pferde fast tot gejagt.«
»Das ist recht! Also er glaubt, daß die Weißen von den Aripones überfallen werden sollen?«
»Ja.«
»Er weiß aber doch nicht etwa, daß ich es mit euch halte?«
»O nein. Er will eben kommen, um sie zu warnen.«
»Ah so! Das mag er immerhin tun, wenn er nur nicht zu zeitig kommt.«
»Gerade das befürchte ich. Er kann in jedem Augenblick hier eintreffen.«
»Verflucht! Eigentlich könnte ihn der Teufel holen; aber da ich ihn sehr notwendig brauche, so mag er ihn noch leben lassen. Also er kann in jedem Augenblicke hier sein? Hm! Und ich soll bis des Nachts oder noch länger auf euch warten? Das geht nicht. Ist der Mann da, so ist nichts mehr zu tun. Ich muß also handeln, noch ehe er kommt. Ja, wenn man wüßte, ob er gleich hier diese Stelle findet. Es sind mehrere Ansiedelungen hier. Vielleicht sucht er uns von einer zur andern.«
»Gewiß nicht, Sennor. Ich habe ja auch nicht nötig gehabt, zu suchen. Ihre Wagenspuren sind so deutlich, daß sie selbst ein Blinder mit dem Fuße entdecken würde.«
»Das ist wahr. Er findet die Spur und kommt dann direkt hierher. Lasse ich es soweit kommen, so ist alles verloren. Aber da kommt mir ein Gedanke. Will er weiter als bis hierher zu den Ansiedelungen?«
»Nein. Er will hierher, um Sie zu finden.«
»Gut. So locke ich die Männer auf die Krokodileninsel, und dann fahren wir weiter nach einem Orte, an welchem ich mit euch zusammentreffe und euch den Raub samt den Weibern und Kindern übergebe. Dann kehre ich nach hier zurück und warte auf den Deutschen. Kommt er, so sage ich ihm, daß die Karawane mich abgelohnt habe und weiter gefahren sei.«
»Wird er es glauben?«
»Ganz gewiß. Ich werde ihm die Sache derart darstellen, daß er keinen Zweifel haben kann.«
»Aber dann leben doch die zwanzig Männer auf der Krokodileninsel noch!«
»Was schadet das?«
»Sie können ihnen ihr Geld doch erst dann abnehmen, wenn sie tot sind!«
»Ich werde ihnen etwas weiß machen, daß sie gar nichts Wertvolles einstecken. Sie mögen dann, wenn wir fort sind, sehen, wie sie allein in den Himmel kommen oder in die Hölle fahren.«
»Gut, Sennor. Aber ich muß den Ort wissen, an welchen Sie die Frauen bringen wollen.«
»Schön! Du behauptest, hier bekannt zu sein. Kennst du das Kreuz im Walde?«
»Welches? Die früheren Ansiedler haben mehrere Kreuze errichtet.«
»Ich meine das Riesenkreuz, welches man nur unter dem Namen ›Nuestro Sennor Jesu Christo de la floresta virgen‹ kennt.«
»Den Herrn Jesus Christus im Urwalde? Ja, dieses Kreuz kenne ich.«
»Nun wohl. Richte dich so ein, daß ihr um Mitternacht dort seid. Wir werden um diese Zeit mit den Wagen dort ankommen. Ihr fallt über uns her, zum Scheine auch über mich, und es gelingt mir, zu entkommen. Ich kann ja dann auch dem Deutschen erzählen, daß der Wagenzug von euch überfallen worden sei.«
»Ja, dann wird er die Männer nicht auf der Insel, sondern bei uns suchen.«
»Was die Insel betrifft, so kennt er sie nicht, wird also nicht nach derselben fragen und nie über sie etwas hören. Also hast du alles verstanden, Gomez?«
»Ja.«
»So brich auf und reite weiter, damit du die Aripones zur rechten Zeit finden und zur Stelle bringen kannst!« _
»Das war das Gespräch, welches ich belauschte,« fuhr Pena fort. »Der Indianer verschwand mit seiner Mutter. Der Sendador aber blieb noch eine Weile sitzen, in tiefes Nachdenken versunken. Dann stand auch er auf und entfernte sich langsam von der Stelle, an welcher er gesessen hatte.«
Wir alle hatten natürlich mit größter Aufmerksamkeit zugehört. Keiner aber war so gespannt gewesen, wie Monteso, der Yerbatero. Er besaß ein außerordentliches Vertrauen zu dem Sendador, dessen Freund er sich nannte. Was er jetzt hörte, kam wie ein Donnerschlag über ihn. Darum war es kein Wunder, daß er jetzt sein Pferd an dasjenige des Erzählers drängte und diesen fragte:
»Sennor, behauptet Ihr etwa, was Ihr erzählt habt, sei wahr?«
»Das behaupte ich allerdings.«
»Und wenn ich es nun nicht glaube?«
»So werde ich nicht vor Trauer sterben. Nur bitte ich, mir nicht etwa direkt zu sagen, daß es nicht wahr sei. Glauben könnt Ihr alles, was Ihr wollt; aber eine Beleidigung würde ich sofort mit einer Kugel beantworten!«
»Na, bitte Sennor! Man wird doch wohl seine Meinung sagen dürfen!«
»Nein. Man kann seine Meinung sehr wohl für sich haben; aber es ist keineswegs geraten, sie andern aufzudrängen. Ich habe erzählt, was ich gesehen und gehört habe. Wenn Sie es nicht glauben, so behalten Sie das für sich; bezeichnen Sie mich aber als einen Lügner, so fahren Sie in die Luft!«
»Verzeihung, Sennor! Der Sendador ist einer meiner besten Freunde. Es ist mir fast unmöglich, so etwas von ihm zu denken.«
»Wenn Sie ihn Ihren Freund nennen, so sind Sie nur zu bedauern. Mehr kann und will ich nicht sagen. Die Folge wird ja zeigen, daß er Ihrer Freundschaft nicht wert ist. Der Beweis wird sehr bald vor Ihnen liegen, denn hoffentlich sind die Sennores mit mir einverstanden, daß wir den schändlichen Plan dieses Menschen zu nichte machen?«
»Natürlich, natürlich!« rief es rundum.
Und ich erkundigte mich:
»Was taten Sie, als der Sendador sich entfernt hatte?«
Der Gefragte antwortete:
»Mein erster Gedanke war natürlich, alles zu tun, den schrecklichen Anschlag zu verhindern. Aber wie das anfangen?«
»Nichts leichter als das. Was Sie vorzunehmen hatten, das lag ja klar auf der Hand.«
»Nicht so klar, wie Sie zu denken scheinen, Sennor. Ich bin kein unerfahrener Mann und pflege mir alles, was ich zu tun habe, vorher genau zu überlegen. Ich glaube, Sie meinen, daß ich die Mitglieder der Expedition hätte warnen sollen?«
»Natürlich ist das meine Meinung. Es war das nächste und kürzeste, was Sie vornehmen konnten.«
»Die Leute hätten mir keinen Glauben geschenkt. Ich war ihnen unbekannt. Der Sendador aber war ihnen empfohlen worden als ein ehrlicher und zuverlässiger Führer. Auch nehme ich an, daß er bisher sein möglichstes getan hatte, sich ihr Vertrauen zu erwerben. Wäre ich nun als Unbekannter gegen ihn aufgetreten, so hätte er natürlich alles abgeleugnet und sich dadurch verteidigt, daß er mich als einen Feind hinstellte, welcher ihn in Schaden bringen wolle.«
»Ich kann Ihnen nicht Unrecht geben. Sie mußten vor allen Dingen sich selbst zu erhalten suchen, um die Bedrohten beschützen zu können.«
»Ganz richtig! Darum trat ich weder öffentlich noch heimlich gegen ihn auf. Ich mußte Leute haben, welche mir dabei halfen. Er hatte von Ihnen gesprochen. Der Indianer erzählte von dem Deutschen, welcher mit seinen Begleitern wohl schon nahe sein könne. Darum hielt ich es für das allerbeste, Ihnen entgegen zu reiten, um Sie um Ihre Hilfe zu bitten.«
»Natürlich stellen wir uns Ihnen sofort und vollständig zur Verfügung. Hoffentlich kommen wir noch zur rechten Zeit, die Bedrohten zu retten?«
»Ich denke es. Nur dürfen wir nicht säumen. Die Männer sollen auf die Insel gelockt werden. Das ist vielleicht schon geschehen. Da sie aber nicht getötet werden sollen, so steht zu erwarten, daß wir sie befreien werden. Dann wird es uns wohl auch gelingen, die übrigen zu finden und ihnen Hilfe zu bringen.«
»Wollen wünschen, daß uns dies gelinge. Ist Ihnen die Lage der Insel und der Ort, welchen Sie Nuestro Sennor Jesu Christo de la floresta virgen nennen, bekannt?«
»Nein. Doch steht zu erwarten, daß wir Spuren finden, welche uns dorthin führen.«
»Spuren wird es jedenfalls geben; aber es dürfte dann bereits zu dunkel sein, um sie sehen und ihnen folgen zu können.«
Da meinte Antonio Gomarra:
»Die Insel weiß ich auch nicht, aber das Kreuz kenne ich genau. Wie es scheint, haben die Leute an der früheren Ansiedelung Pozo de Sixto gehalten; wenigstens führen die Wagenspuren dorthin. Ich kenne den Weg, welcher von diesem Platze nach dem Kreuze führt.«
»Das ist sehr gut. Wir wollen uns beeilen, um das Tageslicht so viel wie möglich ausnutzen zu können.«
Wir ließen die Pferde fühlen, daß wir Eile hatten, und sie griffen so wacker aus, daß wir wie vom Sturme getragen über den Camp flogen. Jeder hatte das Bewußtsein, vor einem Ereignisse zu stehen, welches gefahrvoll war. In solcher Lage fällt der Mensch in Schweigsamkeit, und so sprach keiner von uns ein Wort, bis Sennor Pena die Hand erhob und, vor sich hindeutend, sagte:
»Sehen Sie dort die Baumgruppen? Da liegt die vereinsamte Niederlassung. Wir werden gleich an Ort und Stelle sein.«
Wir waren den Wagenspuren gefolgt und gelangten nun an den Ort, wo die Leute gehalten hatten. Wir sahen die Spuren zerfallener Bauwerke, welche die Zeit in einen dichten Überzug von Schlingpflanzen gehüllt hatte. Dicht belaubte Bäume neigten ihre Wipfel darüber. Zur Seite erblickten wir die Spuren einiger Felder, welche aber so verwildert waren, daß ein scharfes Auge dazu gehörte, zu erkennen, daß hier einst der Spaten in Gebrauch gewesen sei. Der Ort hatte und machte den Eindruck tiefster Verlassenheit. Auch von den Leuten, welche hier gewesen waren und die wir suchten, war keiner zu sehen.
Wir bemerkten, daß die Ochsen ausgespannt worden waren, um zu grasen; aber der Aufenthalt war kein langer gewesen. Man hatte Pozo de Sixto bald wieder verlassen, und zwar nach verschiedenen Richtungen, wie die Fährten deutlich erkennen ließen. Eine derselben führte nach rechts, nach Norden. Man sah deutlich, daß man nicht geritten, sondern gegangen war. Die zweite Fährte führte in der bisherigen Richtung weiter. Sie schlug einen Bogen um die verlassene Ansiedelung und ging dann genau westwärts fort.
Als ich sie untersuchte, erkannte ich, daß sie von den Ochsenkarren stammte, an welche man die ledigen Reitpferde hinten angebunden hatte. Die Führer der Wagen waren nebenher gegangen. Da sonst keine Fußabdrücke zu sehen waren, so mußten wir annehmen, daß die Frauen und Kinder sich in den Wagen befunden hatten.
»Hier hat der Sendador die Unglücklichen nach dem Kreuze geführt,« sagte Pena. »Wie groß mag der Vorsprung sein, welchen er hat?«
»Nur eine halbe Stunde,« antwortete ich, »wie ich aus den Fährten der Treiber sehe. Das von ihnen niedergetretene Gras liegt noch tief gesenkt. Wäre es vor länger als einer halben Stunde niedergedrückt worden, so hätten sich die elastischen Halme bereits wieder erhoben. Betrachten wir nun auch die andere Fährte!«
Diese bestand, wie bereits erwähnt, nur aus Fußspuren. Sie ging wie ein dunkler Strich durch die Grasfläche, aber nur hier oder da war ein einzelner Fußstapfen noch zu unterscheiden. Diese Fährte war wenigstens drei Stunden alt. An einer Stelle trennten sich die Stapfen eines Fußgängers von den andern, um sich bald darauf wieder mit denselben zu vereinigen. Meine Gefährten beachteten das nicht, und als ich mich niederbückte, um die Eindrücke sorgfältig zu betrachten, meinte Kapitän Turnerstick:
»Warum schaut Ihr so neugierig in das Gras, Sir? Es ist einer von den Männern da gegangen; weiter nichts.«
»Die Sprache des Grases ist eine sichtbare und nicht eine hörbare. Seht Euch doch einmal die Hauptfährte an, Käpt'n! Das Gras ist wieder aufgestanden, aber die Spitzen der Halme hängen noch nieder. Nach welcher Richtung wohl!?«
»Von uns ab, gegen Norden.«
»Warum das?«
»Weil die Leute nach Norden gegangen sind. Man tritt ja das Gras nach derjenigen Richtung nieder, in welcher man sich bewegt.«
»Betrachtet Euch nun einmal die Spur dieses einzelnen Fußgängers! Die Spitzen der Halme hängen auch. Nicht wahr?«
»Ja.«
»Aber weit tiefer als die andern. Was folgt daraus?«
»Weiter nichts, als daß sie sich noch nicht ganz aufgerichtet haben.«
»Sehr scharfsinnig! Aber meines Erachtens folgt daraus, daß diese einzelne Spur jünger ist als die Gesamtfährte. Der Betreffende ist weit später hier gegangen, als die andern.«
»Ich denke, sie sind alle beisammen gewesen!«
»Auf dem Hinwege, ja; aber auf dem Rückwege war er allein. Sagt mir doch einmal, nach welcher Richtung sich hier die Grashalme neigen!«
Turnerstick betrachtete die Spur genauer als bisher und antwortete dann:
»Nach uns zu, nach Süd.«
»Wie also ist dieser Mann gegangen?«
»Her zu, gegen uns.«
»Die andern aber gingen von uns ab. Wir haben es also mit der Fährte des Sendador zu tun, welcher allein zurückkehrte. Das Ist für mich der Beweis, daß ihm sein Vorhaben gelungen ist. Er hat die Männer nach der Insel geführt und sie dort verlassen. Wer weiß, in welcher Lage sie sich befinden.«
Der Kapitän schüttelte den Kopf. Der Bruder aber meinte:
»Tot sind sie nicht; aber es droht ihnen große Gefahr. Sie müssen auf der Insel elend umkommen, wenn niemand kommt, sie zu befreien. Denn, wollen sie den einzig möglichen Fluchtweg einschlagen, nämlich an das Ufer schwimmen, so werden sie von den Bestien zerrissen. Das ist die Lage, in welcher sich die von uns gesuchten Männer befinden werden. Der Sendador hat sie dorthin gelockt.«
»Hm!« brummte der brave Yerbatero kopfschüttelnd. »Ich habe noch keine rechte Lust, an die Sache zu glauben. Der Sendador ist mein Freund, wie Sie ja wissen, Sennor!«
»Er hat Sie getäuscht.«
»Nie. Gegen mich ist er stets ehrlich gewesen.«
»Das schließt aber nicht aus, daß er gegen andere unehrlich ist.«
»Nun, jedermann ist wohl mehr auf seinen eigenen als auf anderer Vorteil bedacht; aber hier handelt es sich ja um ein wirkliches Verbrechen.«
»Und zwar um ein sehr großes!«
»Und darum nehme ich an, daß wir uns alle irren.«
»Und ich glaube dem, was Sennor Pena uns erzählt hat. Streiten Wir uns nicht. Wir werden in kurzer Zeit erfahren, wer recht hat.«
Wir hatten indessen nicht etwa die kostbare Zeit versäumt. Wir waren nicht halten geblieben, sondern im Galoppe der Spur gefolgt. Es war anzunehmen, daß die Krokodileninsel nicht allzuweit entfernt sei; denn die Leute eine große Strecke fortzulocken, das wäre dem Sendador wohl nicht so leicht gelungen. Es war auch kaum eine Viertelstunde vergangen, so erblickten wir vor uns einen Strich, welcher sich dunkel gegen den hellen Horizont abhob. Als wir näher kamen, sahen wir, daß dieser Strich aus dichtem Gebüsch bestand, über welchem sich die Wipfel einiger Bäume erhoben. Zugleich wurde das Gras saftiger; ein Zeichen, daß Wasser, und zwar nicht wenig Wasser in der Nähe sei.
Als wir das Gebüsch an einer Stelle erreichten, wo die Fährte durch eine Öffnung führte, sahen wir, daß die Laubsträucher einen breiten Gürtel hoher Bambus einschlossen, hinter welchem wir das vermutete Wasser erblickten.
Ob dieses letztere eine selbständige Lagune sei oder mit einem Flusse, vielleicht dem Rio Salado in Verbindung stehe, das war zunächst nicht zu unterscheiden. Tief schien es nicht zu sein; das bewiesen die zahlreichen Krokodile, welche in weiter Entfernung vom Ufer im Schlamme lagen und deren Mäuler dabei aus dem Wasser ragten. Die Tiere hatten die zahlreichen seichten Stellen eingenommen, zwischen denen sich tiefere, schmale oder breite Rinnen hinzogen. Die häßlichen Kreaturen mußten sich sehr lange Zeit ungestört vermehrt haben dürfen, denn es war gar nicht schwer, auf einem gar nicht weiten Umfang ihrer hundert und noch mehr zu zählen. Uns gerade gegenüber, aber so weit entfernt, daß es nur für ein scharfes Auge zu erkennen war, lag ein flaches, vollständig baum- und strauchloses Land, wohl die Insel, auf welche wir es abgesehen hatten.
Für unsere Zwecke hoch willkommen, befand sich ein aus Schilf und Bambus zusammengesetztes Floß am Ufer. Man sah es demselben an, daß es erst vor ganz kurzer Zeit gefertigt worden war. Auch bemerkten wir die Stellen, an welchen die Bambuse und Schilfhalme abgeschnitten oder abgebrochen worden waren. Vier oder fünf lange Bambusstangen, welche auf dem Flosse lagen, zeigten die Art und Weise, in welcher das letztere bewegt worden war.
Ich zog mein Fernrohr und schaute nach dem drüben im Wasser liegenden flachen Land. Ja, es war eine Insel, und ganz deutlich unterschied ich Männergestalten, welche sich auf derselben bewegten.
»Ist's die Insel? Was sahen Sie?« fragte der Bruder.
»Sie ist es, und ich sehe auf derselben die Leute gehen, welche wir suchen.«
»Gott sei Dank! So kommen wir also nicht zu spät. Hier liegt das Floß. Sie hatten recht, Sennor, als Sie vorhin vermuteten, daß man ein solches gebaut haben werde. Es ist alles, alles genau so, wie Sie sagten. Steigen wir schnell ab, um die Ärmsten zu erlösen!«
Er schwang sich vom Pferde und eilte nach dem Flosse. Die andern taten dasselbe.
»Halt, Sennores!« rief ich ihnen zu. »Wir müssen erst für die Pferde sorgen. Am besten ist es, wir führen sie hinaus auf den Camp und pflocken sie da an. Da mögen sie grasen.«
Der Vorschlag wurde ausgeführt. Sodann kehrten wir zum Flosse zurück. Es war nicht angebunden, sondern so weit an das flache Ufer gestoßen, daß es fest sitzen geblieben war. Die einzelnen Teile desselben hatte man durch Schlingpflanzen zu einem festen Ganzen vereinigt.
Kaum hatten wir es betreten, so schossen zahlreiche Krokodile herbei. Es waren ihrer so viele, daß sie einander berührten, und in dieser Menge boten sie einen Anblick, welcher gar nicht zu beschreiben ist.
»All devils!« rief Turnerstick. »Jetzt begreife ich erst die Gefahr, in welcher sich die armen Menschen befinden. Bei einer solchen Schar von Bestien käme keiner von ihnen an das Land zurück. Wollen die Kreaturen etwas fern von uns halten.«
Er griff nach seinem Gewehre.
»Aber nur in die Augen, Sir!« sagte ich ihm.
»Well! Weiß schon. Durch die Hochzeitsfracks dieser saubern Herrschaften geht ja keine Kugel.«
Die Alligatoren schlossen uns förmlich den Weg. Sie drängten sich bis auf nur wenige Ellen an das Floß heran; ihre Rachen klappten auf und zu, und die kleinen tückischen Augen waren gierig auf uns gerichtet.