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»Immer weiter!« rief Pena. »Schlagt nur zu, bis er gesteht, und wenn ihr den Hund tot prügelt!«
»Nein,« sagte ich. »Haltet ein! Wer soll das ansehen!«
Da stieß der Exekutierte ein heiseres Gelächter aus und brüllte:
»Hört das Weib! Er kann das Blut nicht ansehen! Schlagt nur immer zu! Haut mir die Knochen entzwei! Reißt mir die Eingeweide heraus! Aber erfahren sollt ihr doch nicht, wo sich dieser Horno befindet!«
»Doch Sie wissen es?« fragte ich.
»Ja, ich weiß es,« antwortete er. »Gerade um euch zu zeigen, wie ich euch nur auslache, will ich es sagen, daß ich selbst es bin, der ihn gefangen hat. Weiter aber erfahrt ihr kein Wort, und wenn ihr mir die Glieder mit glühenden Zangen aus einander reißt!«
»Solcher Anstrengung bedarf es nicht. Sie werden uns flehentlich bitten, es uns sagen zu dürfen, und wir werden es nicht hören wollen!«
»Bitten? Flehen? Niemals, nein!«
»Noch heute, noch an diesem Vormittage werden Sie mich um Gotteswillen bitten, das Wort anzuhören, welches Sie mir jetzt verweigern.«
»Das tue ich nicht, und wenn ich alle Qualen der Hölle erdulden sollte!«
»Pah! Sie werden das Wort laut herausbrüllen, herausschreien, damit wir es hören sollen. Bindet ihn anders, so daß er auf dem Rasen sitzt und mit dem Rücken an den Stamme lehnt. Bindet ihm auch den Kopf fest, so daß er ihn nicht um ein Haar breit bewegen kann!«
Während die beiden Indianer dieser Weisung gehorchten, holte ich den hohlen Teil eines Tagoarabambus herbei, welcher in der Nähe lag und wohl als kleines Wassergefäß benutzt worden war. Dieser hohle Zylinder war vielleicht zehn Zentimeter im Durchmesser. Ich arbeitete mit der Messerspitze ein kleines Löchelchen durch den Boden und verschloß dasselbe dann mit einem Holzpflöckchen in der Weise, daß das Wasser nur in einzelnen, langsamen Tropfen hindurchquellen konnte. Der Diener mußte das Gefäß mit Wasser füllen, und dann wurde es hoch über dem Kopfe des Yerno an den Stamm gehängt. Ich hatte es so getroffen, daß vielleicht alle vier Sekunden ein kleiner Tropfen drei Ellen hoch auf die Mitte des Schädels des Yerno fiel. Dann rasierte ich mit der Schärfe meines Bowiemessers das Haar von dieser Stelle.
Der ›Schwiegersohn‹ hatte das alles wortlos geschehen lassen und mit angesehen. Jetzt lachte er trotz der Schmerzen, welche sein zerpeitschter Rücken ihm verursachen mußte, geradezu brüllend auf und geiferte dabei hervor:
»Jetzt werde ich rasiert und frisiert! Und das soll mich zum Geständnisse bringen? Ihr seid alle reif für das Narrenhaus!«
Ich winkte den drei Indianern, sich zu entfernen und nahm Pena am Arme, um ihn in die nächste Laube zu führen.
»Aber, lieber Freund,« sagte er dabei, »was ist das denn eigentlich für ein Kunststück, welches Sie da produzieren wollen? Ich verstehe es nicht und begreife es nicht.«
»Ein Kunststück ist es nicht, sondern eine ganz kunstlose, natürliche Prozedur, welche den Menschen zwingen wird, mir die verlangte Antwort zu geben.«
»Diese Wassertropfen sollen das erwirken, was die Prügel nicht zu Stande gebracht haben?«
»Ja, das werden sie!«
»Unbegreiflich! Sie haben doch den Rücken dieses Menschen gesehen. Der Anblick war geradezu schrecklich! Und welche Folgen hatte es? Er lachte uns aus und verhöhnte uns. Ein Geständnis aber gab er nicht. Und was dieser zerfleischte Rücken, was diese Wunden nicht vermocht haben, das erhoffen Sie von dem armseligen Wassertropfen, welcher ihm auf den Kopf fällt? Das wäre das größte Wunder, welches ich gesehen habe!«
»Wollen Sie einen ganz natürlichen Vorgang ein Wunder nennen, so habe ich nichts dagegen. Aber sagen Sie, haben Sie vielleicht schon einmal das deutsche Wort ›prügelfaul‹ gehört?«
»Ja. Das ist die Unempfindlichkeit gegen Schläge.«
»Ja. Fragen Sie Eltern und Lehrer; fragen Sie Stockmeister und Korporale, nämlich wenn die Letzteren aus der militärischen Prügelzeit noch lebten! Sie würden erfahren, daß es Personen oder Subjekte gibt, welche die Schläge gar nicht zu fühlen scheinen, welche desto mehr lachen, je stärker und dicker die Prügel fallen. Vielleicht gehört der Yerno zu diesen Leuten, welche Nerven von der Stärke und Unempfindlichkeit der Schiffstaue zu besitzen scheinen. Nun, wenn die Nervenverzweigungen so widerstandsfähig sind, so muß man sich an die Nervenquelle, an das Gehirn wenden. Vielleicht ist dieses empfänglicher gegen schmerzhafte Einwirkungen.«
»Nennen Sie das Gefühl, welches der Wassertropfen hervorbringt, einen Schmerz?«
»Nein; aber eine unausgesetzte Folge von Tropfen, welche nach einander auf eine und dieselbe Stelle fallen, bringt eine Wirkung hervor, mit welcher sich kein anderes Schmerzgefühl vergleichen läßt. Die Wirkung muß, wenn sie nicht rechtzeitig unterbrochen wird, unbedingt zum Wahnsinn führen. Haben Sie noch nicht gehört, daß die amerikanischen Sklavenbesitzer diese schreckliche Strafe gegen ungehorsame Schwarze oft und viel in Anwendung brachten?«
»Nein.«
»Nun, ich bin Zeuge solcher Vorgänge gewesen. Ich habe einen Neger und eine Negerin, seine Frau, in der sogenannten Tropfhütte sitzen sehen; beide waren so gefesselt, daß sie weder ein Glied noch den Kopf bewegen konnten, und die Tropfen fielen ihnen in regelmäßigen Intervallen auf die Köpfe. Sie brüllten wie wilde Tiere, und der Schaum triefte ihnen über die Lippen. Diese Strafe mußten sie erleiden, weil sie ihre Kinder nicht hatten hergeben wollen, welche früh an einen Händler verkauft worden waren. Ich machte dem Pflanzer, dessen Gast ich war und dem ich einen großen Dienst geleistet hatte, so daß er mir eine nicht gewöhnliche Dankbarkeit schuldete, freundliche Vorstellungen, und er ließ mich dafür durch seine Sklavenaufseher aus der Pflanzung weisen oder vielmehr werfen.«
»Dieser Schuft! Dem hätte ich – – – « Er machte zwei Fäuste und fragte dann: »Und Sie sind ruhig gegangen? Das stimmt keineswegs mit Ihren sonstigen Eigenheiten!«
»Ja, es würde nicht stimmen, wurde aber stimmend gemacht, denn des Nachts war ich heimlich wieder auf der Plantage und holte das schwarze Ehepaar heraus. Gesehen habe ich da, welche entsetzliche Wirkung die Tropfhütte oder der Tropfstuhl hat. Es wird keine Stunde vergehen, so können Sie diese Wirkung an dem Yerno beobachten.«
Unser Gespräch wurde unterbrochen, denn Unica kam, um uns den Mate zu bringen. Sie wollte die gestern abgebrochenen Fragen wieder beginnen, wurde aber durch den alten Desierto gestört, welcher nicht hatte schlafen können und zu uns heraus kam.
Er wunderte sich darüber, daß wir den Yerno schon im Garten hatten, und konnte die Situation nicht begreifen, in welcher sich dieser befand.
»Das geschieht unsers Landsmannes wegen, den Sie für einen Wortbrüchigen und Betrüger gehalten haben,« erklärte ich ihm.
»Meinen Sie etwa Horn?« fragte er.
»Ja. Sehen Sie, wie Sie nun auf einmal den Namen aussprechen können!«
»Weil Unica mir gestern abend noch erzählt hat, daß Sie ihn für unschuldig halten und daß er unterwegs nach hier ist. Ich habe deshalb nicht schlafen können und komme also so früh zu Ihnen, um Sie um Aufklärung zu ersuchen. Sie können denken, was Ihre Worte für einen Eindruck auf mich und Unica gemacht haben. Sagen Sie, wissen Sie wirklich etwas über ihn, oder haben Sie uns nur trösten oder beruhigen wollen?«
Seine Augen waren mit großer Spannung auf uns gerichtet, und auch die schöne Indianerin sah mich an, als ob sie mir die Worte von den Lippen lesen wolle.
»Wenn ich Sie hätte beruhigen wollen, so müßte ich diesen Zweck einen vollständig verfehlten nennen,« antwortete ich. »Sie sagen mir ja, daß Sie deshalb nicht haben schlafen können. Nein, wir haben wirklich bei den Mbocovis eine Spur von ihm entdeckt.«
»Herr Gott! Sollte er sich etwa bei diesen befinden?«
»Ich vermute es. Hören Sie.«
Ich erzählte ihm, was wir erst vermutet hatten und uns vorhin von dem Yerno eingestanden worden war. Ich erklärte ihm auch, daß ich diesen letzteren nur deshalb unter das Wassergefäß gefesselt hatte, um zu erfahren, wo Horn zu suchen sei. Kaum war ich damit fertig, so zog Unica mir das Messer aus dem Gürtel und rief aus:
»Er weiß es und will es nicht sagen? Ich werde ihn zwingen! Wenn er es nicht sofort gesteht, stoße ich ihm das Messer in das Herz!«
Sie wollte fort. Ich hielt sie zurück, wand ihr das Messer aus der Hand und sagte:
»Bleiben Sie! Sie würden nichts oder nur Unvollständiges erreichen. Er gesteht jetzt noch nichts, und wenn Sie ihn dann im Zorne erstechen, sind wir noch schlimmer dran als vorher. Wir wissen ja noch nicht genau, ob der Horn, welchen er meint, auch wirklich derjenige ist, von welchem wir sprechen.«
»Welcher andere sollte es sein!« antwortete der Desierto. »Ich befinde mich so lange Jahre hier im Lande und habe den Namen Horn, diesen einen Fall ausgenommen, noch nie gehört. Unser junger Freund ist auf seinem Wege nach hier überfallen und zu den Mbocovis geschafft worden. Ich will ihn retten; sie müssen ihn herausgeben, und wenn ich alles, alles in Bewegung setzen soll. Ich werde den Yerno einmal selbst ins Verhör nehmen.«
Er eilte von uns fort und zu dem Gefesselten hin. Unica folgte ihm schnell, und so gingen wir beide ihnen nach. Der Gefangene hatte ein leichenblasses Gesicht; seine Augen waren hervorgetreten, und seine Unterlippe steckte zwischen den zusammengepreßten Zähnen.
»Hund!« schrie ihn der Alte an. »Du hast Sennor Horno gefangen genommen. Sag, wo er steckt, sonst ergeht es dir schlecht!«
Der Yerno sah ihn mit stieren Blicken an und sagte nichts.
»Willst du reden, oder soll ich dich abermals peitschen lassen?«
Über die Züge des Gefangenen ging ein höhnisches Zucken, als ob er sagen wolle, daß das Peitschen ja schon einmal nichts gefruchtet habe, und daß er sich auch jetzt aus den Prügeln nichts machen werde. Aber der Hohn verschwand ebenso schnell, wie er gekommen war. Der Yerno kämpfte bereits mit aller Kraft gegen die sichere, unausbleibliche Wirkung der Wassertropfen. Der Desierto beachtete das nicht und fuhr fort:
»Du schweigst? Ich werde dich wohl zum Sprechen bringen. Geben Sie mir die Peitsche, Sennor!«
Er wollte Pena die Peitsche aus dem Gürtel ziehen. Ich hielt ihn davon ab und sagte:
»Lassen Sie! Mit Schlägen erreichen Sie nichts. Der Mann wird in kurzer Zeit ein volles Geständnis ablegen. Sehen Sie nicht, wie er gegen die Schmerzen kämpft?«
»Ja, es ist wahr,« antwortete Pena in deutscher Sprache, deren auch ich mich bedient hatte, um von dem Schwiegersohne nicht verstanden zu werden. »Oder sollten diese stieren Augen nur eine Folge der Prügel sein, welche er bekommen hat?«
»Nein. Sehen Sie die Tropfen auf seiner Stirn! Die kommen nicht von da oben aus dem Gefäße. Das sind Tropfen, welche die Angst, der Schmerz austreibt. Ich habe ihm gesagt, daß er uns um Gotteswillen bitten werde, sein Geständnis anzuhören, und ich werde recht behalten.«
»Wie lange werden wir noch warten müssen?«
»Wie es den Anschein hat, hält er es höchstens noch eine Viertelstunde aus. Dann wird er uns rufen; wir aber werden nicht auf ihn hören. Er soll einsehen, daß wir nicht die Leute sind, welche sich von einem solchen Menschen verhöhnen lassen. Kommen Sie also wieder zur Laube.«
Sie folgten mir. Wir setzten uns nieder, und der Desierto erzählte, daß er die Späher ausgesandt und mit den besten Instruktionen versehen habe. Aber er war nicht bei der Sache. Sein Blick flog wieder und immer wieder hinüber zum Yerno. Er mußte den jungen Deutschen wirklich tief in sein Herz geschlossen haben. Unica war ebenso aufgeregt; sie besaß nicht die Fähigkeit, an einem richtigen Gespräche teilzunehmen, und entfernte sich.
Wir sprachen nun von den gestrigen Vorkommnissen und von den noch zu erwartenden Ereignissen. Darüber verging die Viertelstunde und noch mehr. Ich hatte nicht allzu sehr auf den Yerno geachtet, da ich der Wirkung meines Mittels sicher war; jetzt wurde ich auf ihn aufmerksam gemacht, denn der Desierto unterbrach mich mitten in einem Satze, den ich angefangen hatte.
»Horcht! Was war das?«
Ich hatte nichts gehört und horchte auf.
»Hören Sie es?« fragte der Alte nach einer kurzen Pause. »Das klang, als ob ein Jaguar in der Ferne gebrüllt hätte. Das kann aber nicht der Fall sein, denn es ist jetzt nicht die Tageszeit dazu.«
»Ein Brüllen war es,« antwortete ich, »aber nicht aus der Ferne. Es klang so unterdrückt, weil es mit dem letzten Reste der Kraft in die Lunge zurückgedrängt wurde – – .«
Ich sprach nicht weiter, denn derselbe Laut erklang abermals. Es war wie das Gähnen eines Tigers oder Löwen. Pena und der Alte waren aufgesprungen. Der erstere trat an das Mauerloch, blickte hinaus und sagte:
»Der Desierto hat ganz recht. Es ist wirklich ein Puma oder Jaguar. Jetzt, am frühen Morgen! Und so nahe am Dorfe!«
»Täuschen Sie sich nicht!« entgegnete ich. »Sie werden keinen Jaguar sehen, und wenn Sie Jahre lang da hinausblicken. Es ist kein Tier, sondern der Yerno. Hören Sie!«
Das Brüllen ließ sich wieder hören. Es erklang röchelnd, wie durch die Nase oder zwischen den zusammengepreßten Zähnen hervor.
»Der Yerno!« rief Pena. »Wahrhaftig, er ist's! Da, da, horchen Sie! Ich habe es ganz deutlich gesehen. Er hat die Lippen bewegt. Welch ein Laut, welch ein Ton!«
»Oh, das ist noch nichts! Sie werden noch ganz andere Töne hören.«
»Vielleicht gesteht er jetzt!«
»Er muß sein Geständnis in allerhöchster Angst machen; eher ist seinen Worten nicht zu glauben. Ich bin überzeugt, daß er uns jetzt belügen würde. Jetzt ist seine Verstocktheit noch größer als die Wirkung meines Mittels. Jetzt kann er noch logisch denken; er ist also noch im Stande, uns zu belügen, zu betrügen und irre zu leiten. Wir müssen warten, bis die Schmerzen so übermächtig werden, daß er gar nicht mehr denken kann oder vielmehr bis er nur den einen Gedanken noch hegt, von seinen Qualen befreit zu werden. Verhalten wir uns ruhig, dann werden wir seiner Stimme anhören, daß dieselbe ein genauer Gradmesser der steigenden Wirkung meines Mittels ist.«
Das mochte unmenschlich klingen; aber Mitleid war hier ganz und gar am unrechten Platze. Es gibt Rücksichten, denen sich selbst der gefühlvollste Mensch zu unterwerfen hat, wenn er nicht sich selbst oder andere schädigen will. Ich war überzeugt, daß nur die größte Todesangst, nur eine sogenannte Höllenqual dem Gefolterten ein Geständnis, welchem wir Glauben schenken konnten, auspressen werde. Ein unzeitiges Mitgefühl wäre hier nicht nur Schwäche, sondern sogar schädlich und für Horn verderblich gewesen.
Wir sprachen nicht weiter, sondern horchten auf den Yerno. Die Töne, welche er ausstieß, waren nicht zu beschreiben.
»Gräßlich!« sagte Pena, indem er sich schüttelte. »Wer hätte das den kleinen Wassertropfen zutrauen mögen!«
»Wir sind erst am Anfange,« antwortete ich. »Noch hat er nicht nach uns gerufen. Hören Sie, jetzt!«
Diesesmal war es kein unnatürlicher Laut, den er hören ließ. Wir hatten das Wort ›Sennores‹ verstanden.
»Jetzt ruft er!« sagte der Alte. »Die volle Wirkung ist da. Wollen wir hin?«
»Nein.«
»Sennor, Sennor!« ertönte es nach einer kleinen Weile. »Kommen Sie!«
Und als wir nicht darauf achteten, sondern sitzen blieben, rief er:
»Sennor Pena, Sennor Pena! Hören Sie mich denn nicht?«
»Er ruft mich,« meinte der Genannte. »Warum gerade mich und nicht Sie?«
»Weil er wohl Ihren Namen, nicht aber den meinigen weiß,« antwortete ich.
»Sennor Pena, Pena, Pena!« schrie er jetzt überlaut. »So kommen Sie doch! Ich halte es nicht mehr aus. Ich will alles sagen, alles!«
Bei dem Klang dieser Worte überlief es mich eiskalt. Der Alte eilte hin, und wir beide folgten ihm.
»Gott sei Dank!« schrie der Gefolterte. »Sie kommen! Nehmen Sie das verdammte Wasser weg!«
Das war nicht die Art und Weise, welche mich hätte bewegen können, ihm den Willen zu tun. Aber der Desierto schob das Gefäß zur Seite.
»Geben Sie mir die Hände frei!« fuhr der Yerno fort. »Ich muß an meinen Kopf greifen, ich muß!«
»Soll ich?« fragte der Alte, indem er sich bereits bückte, um das an ihn gerichtete Verlangen zu erfüllen.
»Nein,« antwortete ich, indem ich ihn auf die Seite schob. »Er mag erst gestehen.«
Das Gesicht des Yerno hatte jetzt ein erdfahles Aussehen; seine Lippen waren blutig gebissen, und vom Blute strotzten die Adern seiner Augen.
»Sie also sind der Teufel!« knirschte er mir zu. »Die andern wollen nicht, aber Sie zwingen sie, mich zu martern!«
»Pah! Meinen Sie, daß dies die richtige Art ist, mich zur Milde zu bewegen? Ich sehe, Sie sind noch nicht so weich geworden, wie ich Sie haben will. Ich muß Ihnen mehr Wasser geben.«
Bei diesen Worten schob ich das Gefäß wieder an die vorige Stelle, so daß die Tropfen ihn wieder auf den Kopf trafen.
»Nur das nicht,« schrie er auf. »Nur das nicht wieder! Nehmen Sie das Wasser weg! Ich will ja gestehen. Aber das Wasser weg!«
Der Desierto schob das Gefäß wieder fort und sagte:
»Ich will Ihnen den Willen tun. Nun sagen Sie aber auch, wo sich Sennor Horno befindet!«
»Bei den Mbocovis am Rio Dorado.«
»Beschreiben Sie uns die Stelle!«
»Das ist unmöglich. Ich könnte den Weg und die Stelle noch so gut beschreiben, so würden Sie sie doch nicht finden.«
»So! Wie befindet er sich?«
»Ganz wohl. Es ist ihm nichts geschehen.«
»Warum haben Sie ihn überfallen?«
»Um ein Lösegeld zu bekommen.«
»Und ihm das Geld, welches er bei sich hatte, abzunehmen?«
»Nein. Er hatte kein Geld.«
»Hm! Hat er von mir gesprochen?«
»Alle Tage.«
»Und Sie haben ihn wirklich nicht gequält?«
»Nein. Er hat es wirklich gut gehabt.«
»So will ich Sie von Ihrem Leiden erlösen und Sie wieder hinein zu den Mbocovis schaffen lassen.«
Er machte abermals Miene, den Yerno loszubinden; ich hinderte ihn daran und sprach:
»Begehen Sie keine Torheit! Der Mann hat Sie belogen.«
»Ich habe die Wahrheit gesagt!« schrie der Yerno, indem er seine blutunterlaufenen Augen auf mich richtete.
»Nein. Sie logen!« behauptete ich.
»Jedes einzelne Wort ist wahr!«
»So! Also wir würden den Weg und die Stelle nicht finden und bedürfen also eines Führers?«
»Ja. Ich werde Sie hinführen.«
»Und der Ort liegt – – an welchem Flusse, sagten Sie?«
»Am Rio dorado del Valle.«
»Nun, so ist es erwiesen, daß Sie gelogen haben. An diesem Fluß hausen Indianer, welche Ihren Mbocovis feindlich gesinnt sind; also werden diese letzteren Ihre Gefangenen nicht gerade in dieser so unsichern Gegend verstecken. Sie lügen. Sie wollen uns veranlassen, mit Ihnen viele Tage lang durch den wildesten Chaco zu ziehen, und denken, daß Sie dabei gewiß Gelegenheit zum Entkommen finden werden. Wir lassen uns nicht betrügen. Da haben Sie das Wasser wieder!«
Ich brachte das Gefäß wieder in die richtige Lage. Er brüllte wütend auf und warf mir mehrere Flüche zu, welche nicht wiederzugeben sind. Ich aber nahm Pena und den Desierto am Arme und zog sie mit mir fort.
»Kommen Sie, da Sie das Geschrei nicht anhören können! Wir wollen zu den Mbocovis gehen, um ihnen zu essen und zu trinken zu geben.«
Noch als wir die Treppe hinunter stiegen, hörten wir die Stimme des nun doppelt wütenden Menschen hinter uns erschallen. Wir fanden Unica bei den gefangenen Indianern. Sie tat das, was wir jetzt hatten tun wollen. Sie war von einem zum andern gegangen, um sie, ohne ihre Banden zu lösen, zu speisen und zu tränken.
»Schade, daß ich die Sprache der Mbocovis nicht verstehe,« sagte ich. »Ich würde jetzt den Häuptling nach Horn ausforschen.«
»Das kann ich ja tun!« meinte Pena.
»Versuchen Sie es! Aber machen Sie dabei keine Fehler!«
»Haben Sie keine Sorge; ich werde schon zu sprechen wissen.«
Er begann nun ein längeres Gespräch mit dem Roten. Erst wollte dieser nicht antworten, und dann schien er doch auf den Gedanken zu kommen, daß es besser sei, uns nicht in Zorn zu bringen. Er schien sogar gesprächig zu werden. Als beide endlich fertig waren, wendete sich Pena zu uns und sagte in frohem und selbstbewußtem Tone:
»Nun brauchen wir den Yerno nicht! Ich bin klug gewesen und habe alles heraus. Sennor Horn steckt im Keller von Nuestro Sennor Jesu Christo de la floresta virgen.«
»Unsinn!«
»Meinen Sie, daß ich so wenig scharfsinnig bin, mich von diesem Roten betrügen zu lassen?«
»Pah! Zanken wir uns nicht! Sie kennen doch diesen Keller, in welchem wir die Aripones stecken hatten.«
»Freilich!«
»Kann da ein Gefangener der Mbocovis sich dort befinden?«
»Hm!«
»Sehen Sie denn nicht ein, warum der Häuptling Ihnen gerade diesen Bären aufgebunden hat? Er weiß, daß der Sendador mit den zahlreichen Mbocovis jetzt von dorther kommt. Diesen Leuten will er uns in die Hände treiben.«
»Alle Wetter!«
»Nun sagen Sie Ihrem lieben Häuptling, daß er sich verrechnet hat!«
»Das werde ich ihm freilich sagen, und zwar nicht in der höflichsten Weise.«
Er wandte sich wieder zu dem Roten, sprach in zornigem Tone zu ihm und versetzte ihm sogar einen derben Fußtritt.
Von da begaben wir uns in eines der vorderen Zimmer, in welchem Unica für uns das Frühstück serviert hatte. Es bestand aus gebratenem Fleische und neubackenen Maisfladen. Der Desierto setzte sich zu uns, aß aber nicht mit. Als ich ihn nach der Ursache fragte, antwortete er:
»Ich esse täglich höchstens einmal, hungere aber oft mehrere Tage lang. Ja, es gibt jährlich eine Zeit, in welcher ich zwei Wochen lang keinen Bissen zu mir nehme und mich nur vom Wasser erhalte.«
»Warum aber das?«
»Zur Strafe.«
Ich hatte diese oder doch eine ähnliche Antwort erwartet und entgegnete:
»Haben Sie denn das Recht, sich eine solche Strafe aufzuerlegen?«
»Nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht. Es kann keine Strafe streng genug für mich sein! Sie wissen eben nicht, welch ein schweres Verbrechen auf meinem Gewissen lastet. Sie werden von der Ausstattung des vordersten Zimmers sehr überrascht gewesen sein. Das ist meine Buß- und Strafstube. Da hungere und durste ich, da friere ich und geißele mich. Meine Tat ist eine schwere; Sie können sie nicht erraten.«
»Nicht? Ich glaube, daß Sie ein Mörder sind.«
»Gott!« rief er aus. »Wer hat Ihnen das gesagt?«
»Mein Auge, mein Verstand. Aber sprechen wir nicht über diese Angelegenheit!«
»O doch! Sprechen wir von ihr! Wir sind Deutsche. Sie haben mir von sich erzählt, und so müssen Sie auch wissen, wer und was ich bin.«
»Das weiß ich bereits. Sie sind Pharmazeut.«
»Was? Apotheker? Herr, vor Ihnen ist doch wahrlich niemand sicher!«
»Pah! Wer nur fünf Minuten lang mit offenen Augen hier umherblickt, muß überzeugt sein, daß ich das Richtige geraten habe.«
»Ein Apotheker! Es ist wahr. Und ein Mörder! Das ist auch wahr, Herr! Fürchten Sie sich nicht vor mir? Verabscheuen Sie mich nicht?«
»Das fällt mir nicht ein! Gott hat mich nicht zum Richter über irgend einen meiner Nebenmenschen gesetzt. Ich bin wohl ein noch größerer Sünder als Sie und kann mich an Stärke der Reue nicht mit Ihnen vergleichen.«