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20. Fortsetzung

»Da haben wir ihn im Schraubstocke,« lachte der gute Hans Larsen. »Welche Wonne, wenn ich ihn so umarmen dürfte, wie ich es wünsche!«

Der Sendador wollte schreien, aber seine Stimme erstickte; der Steuermann preßte ihm fast den Brustkasten ein. Er wollte sich wehren, aber die Umschlingung war eine so gewaltige, daß es nur zu einem ohnmächtigen Zucken seiner Beine kam.

»Was nun?« fragte Larsen.

»Wir binden ihn und schaffen ihn dann zu den anderen.«

»Warum erst binden? Das können wir nachher auch tun. Wen ich einmal zwischen meinen Händen habe, der entläuft mir nicht. Nehmen Sie ihm nur die Waffen ab!«

Ich folgte dieser Aufforderung. Der Sendador hatte außer dem Messer noch ein Gewehr und einen Revolver bei sich. Larsen ließ ihn für einen Augenblick los, legte ihm aber schnell die Hand um das Genick und sagte in spanischer Sprache zu ihm:

»Jetzt vorwärts, Sennor! Und wenn Sie nicht gehorchen, drücke ich Ihnen einige Halswirbel ein!«

Der Griff des Steuermanns war so energisch, daß der Sendador fast die Besinnung verlor. Er wurde, ohne zu einem Widerstand zu kommen, von Larsen vorwärts geschoben. Als wir bei den Gefährten anlangten, standen die an der Erde Sitzenden auf und umringten uns.

»Bringen Sie den Halunken?« fragte Harrico, der Vertreter des Bankiers.

»Ja, hier ist er,« antwortete der Steuermann. »Gebt Riemen her! Wollen ihm Hände und Füße binden, daß er nicht an das Fortlaufen denken kann.«

»Ja, aber fest genug! Und ein Feuer wollen wir anbrennen, damit er sehen kann, wen er vor sich hat.«

Während die einen den Gefangenen fesselten, suchten die andern brennbares Material für das Feuer zusammen. Als dieses letztere aufflackerte, konnte ich die Züge des berühmten Führers erkennen. Sein Gesicht war hager, scharf gezeichnet und von der Sonne dunkel gebrannt. Er gab nicht zu erkennen, daß er sich schäme. Sein finsterer Blick ging von einem zum anderen im Kreise umher; in seinen Zügen gab sich nichts als nur das größte Erstaunen zu erkennen. Er schüttelte den Kopf und sagte:

»Aber, Sennores, was fällt Ihnen denn eigentlich ein? Was bringt Sie auf den mir unbegreiflichen Gedanken, mich mit einer solchen Feindseligkeit zu behandeln?«

Er suchte sich nun mit allerlei Lügen aus der Schlinge zu ziehen und berief sich endlich auf Monteso, daß er es ehrlich meine. Der Yerbatero hatte freilich nicht an die Verruchtheit dieses Menschen glauben wollen; aber die vorhandenen Beweise sprachen so laut gegen den Sendador, daß der Genannte, indem er eine abwehrende Handbewegung machte, sagte:

»Verlassen Sie sich nicht auf mich, Sennor! Ich kann Ihnen mit meiner Empfehlung leider gar nicht dienen, weil ich überzeugt bin, daß Sie schlecht gehandelt haben.«

»Wie? Auch Sie? So hat sich also alles gegen mich verschworen!«

»Verschworen? Davon ist keine Rede. Wir kennen Ihr Vorhaben. Wir besitzen Beweise. Es tut mir leid, einen Mann, den ich meinen Freund nannte, jetzt für einen Mörder halten zu müssen; aber ich kann leider nicht anders. Sie sind in Ihrem Gespräch mit Gomez belauscht worden.«

Der Kerl war wirklich ein außerordentlich hartgesottener Sünder. Er leugnete trotzdem mit einer geradezu beispiellosen Frechheit. Es zuckte mir in den Händen. So mochte es auch den andern ergehen. Sie ließen Ausrufe des Zornes hören und Bewegungen der Ungeduld sehen. Pena ergriff für Monteso das Wort und rief dem Sendador drohend zu:

»Mensch, ich bin es, der euch belauscht hat. Wenn du von Lügen sprichst, so beleidigst du mich, und dies von dir zu dulden, habe ich keine Lust!«

»Wer sind Sie, daß Sie es wagen, den Sendador Du zu nennen?«

»Ich bin Kummer, der Cascarillero, verstanden?«

Als der Sendador diesen Namen hörte, ging es doch wie Schreck über sein scharfes Gesicht.

»Caramba!« sagte er. »Der deutsche Cascarillero!«

»Ja. Meine überhaupt ja nicht, daß du Leute vor dir habest, welche du zu täuschen vermagst. Hier sitzt ein ehrwürdiger Herr. Kannst du raten, wer es ist?«

Der Sendador musterte den Bruder. Kannte er ihn oder erriet er es aus dem Äußern desselben, er antwortete:

»Der Frater Jaguar!«

»Richtig! Er ist nicht der Mann, sich ein X für ein U machen zu lassen. Und da neben ihm sitzt der Sennor, vor welchem dich Gomez gewarnt hat.«

Jetzt schenkte der Gefesselte mir mehr Aufmerksamkeit als bisher.

»Der Deutsche?« fragte er.

»Ja. Dieser schaut dir bis in das tiefste Herz. Selbst wenn es dir gelänge, uns an dich glauben zu machen, ihn würdest du nicht täuschen. Dein Urteil ist bei ihm gesprochen. Aber es sind noch andere da. Du wirst dich freilich wohl nicht darüber freuen, sie wiederzusehen. Kennst du diesen?«

Er deutete auf Gomarra. Der Sendador betrachtete nun auch diesen. Er schien sich seiner Züge zu erinnern, wußte aber nicht genau, wen er vor sich hatte. Er sagte:

»Ich kenne ihn nicht – –«

»Halt!« unterbrach ihn Gomarra. »Jetzt bin ich es, der mit ihm reden will!«

»Nein, schweigen Sie noch!« bat ich ihn.

»Warum? Soll er nicht wissen, wen er vor sich hat?«

»Jetzt noch nicht. Sie schaden sich selbst und unserm Vorha – –«

»Schaden?« unterbrach er mich. »Wenn auch! Nichts soll mich hindern, diesem Ungeheuer mitzuteilen, was er zu erwarten hat.«

Und sich wieder an den Sendador wendend, fuhr er, ohne meiner Winke zu achten, fort:

»Also Sie erinnern sich, mich gesehen zu haben?«

»Es ist möglich,« antwortete der Gefragte.

»Es war oben in den Bergen, in der Pampa de Salinas.«

Der Sendador schien, als er dies hörte, unter seiner dunklen Haut zu erbleichen.

Er antwortete nicht.

»Sie kennen doch diese Pampa?« fragte Gomarra.

»Und wissen, daß dort ein Mord geschehen ist?«

»Möglich, geht mich aber doch nichts an.«

»Den Mörder soll das nichts angehen?«

»Sennor, Sie nennen mich einen Mörder?«

»Ja, denn Sie sind es. Sie haben meinen Bruder getötet.«

»Ich? Ihren Bruder? Es scheint, man spielt hier Theater mit mir! Ich kenne weder Sie noch Ihren Bruder!«

»So besinnen Sie sich! Sie sind mir einmal oberhalb der Salina begegnet.«

»Wer kann sich auf so etwas, was oft geschieht, besinnen?«

»Sie sollen gleich nähere Details hören. Sie ritten weiter und trafen weiter unten auf meinen Bruder.«

»Davon weiß ich nichts.«

»Er kam dazu, als Sie die Quipus eingraben wollten.«

»Quipus?« rief der Sendador, jetzt freilich in erschrockenem Tone.

»Ja, Quipus, welche in einer Flasche steckten.«

»Woher wissen Sie das?«

»Weil ich seit jenem Tag oft da oben gewesen bin und nachgegraben habe, um zu sehen, ob sich die Flasche noch dort befindet.«

»Valgame Dios!«

»Ja, nun erschrecken Sie!«

»Nein, ich erschrecke nicht,« behauptete der Führer. »Ich weiß gar nichts davon!«

»So? Gar nichts? Sie wissen auch nicht, daß Sie meinen Bruder erschossen haben, damit er Ihr Geheimnis nicht verraten könne?«

»Kein Wort!«

»Daß Sie ihn für tot liegen ließen und dann weiter ritten, um die Flasche unten am Felsen der Salina abermals zu vergraben?«

»Sennor, Sie dichten da wohl gar einen Roman?«

»Nein, ich dichte nicht, sondern ich rede die reine Wahrheit. Ich habe Sie ja mit diesen meinen eigenen Augen beobachtet. Ich bin dann oft hingekommen und habe nachgegraben. Ich wollte wissen, ob Sie wieder dort gewesen seien. Ich habe vergebens gestrebt, Ihnen wieder zu begegnen. Nun ich Sie hier habe, sollen Sie Ihren Lohn finden! Ich lasse Sie sicher nicht entkommen; darauf können Sie sich verlassen!«

Es schien dem Sendador nicht behaglich zu Mute zu sein. Er schüttelte den Kopf, zeigte die Miene gekränkter Unschuld und sagte:

»Sennor, Sie verkennen mich und haben mich verkannt. Es ist ein anderer gewesen, welcher wohl eine kleine Ähnlichkeit mit mir gehabt hat.«

»Wir glauben Ihnen doch nicht. Machen Sie sich auf den Tod gefaßt! Der Bruder Jaguar kann noch mit Ihnen beten; dann sterben Sie. Ich habe mir fest vorgenommen, daß Sie bei unserer ersten Begegnung meine Kugel erhalten sollen. Heute treffen wir uns zum ersten Male, und ich halte mein Wort.«

Er wendete sich ab. Seine Art und Weise behagte mir keineswegs. Durch seine Ausplauderei hatte er mir einen ganz bedeutenden Strich durch meine Rechnung gemacht. Der Sendador sollte doch gar nicht ahnen, daß sich so ein Bluträcher, ein Zeuge seiner Taten unter uns befinde. War es ihm einmal gesagt worden, so mußten wir auf unser Unternehmen, auf den Ritt nach der Pampa de Salinas, verzichten. Ich aber war fast begierig, die Zeichnungen und Quipus zu sehen. Nun Gomarra den Fehler begangen hatte, brauchte ich über das übrige nicht mehr zu schweigen. Vielleicht wurde er durch die Wucht unserer Anschuldigungen mürbe gemacht. Darum ergriff ich jetzt das Wort, indem ich zu ihm sagte:

»Sie leugnen mit einer ganz unbegreiflichen Hartnäckigkeit. Da wir solche Beweise in den Händen haben, gehört eine geradezu freche Stirn dazu, das alles in Abrede zu stellen.«

Er warf mir einen fast verächtlichen Blick zu und antwortete:

»Was wollen denn nun auch Sie? Ich kenne Sie nicht. Sie sind ja ganz fremd im Lande!«

»Aber doch bereits höchst vertraut mit Ihrer Person!«

»Das wäre ein Wunder!«

»Gar nicht. Zunächst will ich Ihnen sagen, daß es eine Dummheit von Ihnen ist, zu leugnen, daß Sie mit den Aripones im Bunde stehen. Ein offenes Geständnis würde Ihre Lage sicherlich nicht so verschlimmern, wie Ihr verstocktes Lügen.«

»Ich lüge nicht!«

»Behaupten Sie das nicht! Gomez hat schon alles eingestanden.«

»Gomez? Wie könnten Sie mit dem gesprochen haben!«

»Durch diese Ihre Worte verraten Sie sich selbst. Er hat natürlich hier auf Sie gewartet. Wir kamen eher als Sie und haben uns seiner ganz ebenso bemächtigt, wie wir Sie ergriffen haben.«

Jetzt fuhr er mit dem Kopfe in die Höhe. Es war zum ersten Male, daß er seinen Schreck deutlich sehen ließ.

»Sie haben ihn gefangen?« entfuhr es ihm.

»Wie ich sage, und er sitzt in sicherem Gewahrsam, da unten in dem Keller.«

»Und seine Indianer? Wo befinden sich diese?«

»Ah, Sennor, jetzt lassen Sie die Maske plötzlich fallen! Jetzt fragen Sie nach den Indianern. Sie geben damit alles zu, was sie bisher geleugnet haben.«

»Zum Teufel, reden Sie! Mag ich zugeben oder nicht; ich will wissen, wo die Roten stecken.«

»Auch im Keller. Sie sind also vollständig unfähig gemacht, Ihr Vorhaben auszuführen.«

»Und Gomez hätte gestanden?«

»Ja. Er war aufrichtiger als Sie; er war zugleich auch klüger, denn er sah ein, daß ihm das Leugnen nichts nützen, sondern nur schaden könne. Es wäre ihm gewiß an Hals und Kragen gegangen; aber infolge seines Geständnisses werden wir ihm und den anderen Indianern das Leben schenken.«

»Aber, gesetzt, es sei alles so, wie Sie es sich einbilden, so wäre es doch eine Ungerechtigkeit, diese Leute zu begnadigen und mich zu töten!«

»Nein; es wäre im Gegenteile ganz gerecht gehandelt. Den Indianern kann man infolge des Standpunktes, welchen sie einnehmen, verzeihen. Sie aber haben als Weißer eine verzehnfachte Strafe verdient, zumal noch ganz andere Verbrechen auf Ihnen lasten.«

»Noch andere, weitere Verbrechen?« fragte er in beinahe höhnischem Tone. »Nach Ihrer Meinung muß ich ja ein wahres Scheusal sein!«

»Beinahe.«

»Darf ich fragen, was Sie noch von mir wissen wollen?«

»Ja. Ich möchte gern wissen, wo der Padre begraben liegt, welchem Sie die Zeichnungen und Quipus abgenommen haben.«

Jetzt fuhr er sichtlich zusammen. Dann gab er seinem liegenden Oberkörper einen Schwung, so daß er trotz der Fesseln zum Sitzen kam, starrte mich eine Weile an und fragte dann wie abwesend:

»Welchen Padre meinen Sie?«

»Den Sie ermordeten, um ihm die genannten Gegenstände abzunehmen.«

»Alle Wetter! Wieder ein Mord, von dem ich nichts weiß und den ich trotzdem begangen haben soll!«

»Wollen Sie etwa wieder leugnen?«

»Nein, leugnen werde ich nicht, denn leugnen kann man nur etwas, was man wirklich getan hat. Ich bin mir aber keiner Schuld bewußt, und darum kann ich nur sagen, daß Sie sich gewaltig irren.«

»Nun, Sie hatten einen Zeugen. Er rief Ihnen zu, um den Mord zu verhindern. Sie achteten aber nicht auf ihn, weil er zu fern war.«

»Sennor, Sie sehen mich erstaunt über Ihre Erfindungsgabe!«

»Spotten Sie nicht, denn Sie verschlimmern dadurch Ihr Los! Glücklicher Weise für ihn entdeckten Sie in dem Zeugen einen alten Kameraden, einen Freund. Der kleine Rest von Gefühl, welchen Sie damals noch besaßen, empörte sich doch dagegen, diesen Mann zu ermorden. Sie überwältigten ihn also nur und zwangen ihm einen Eid ab, über Ihre Tat zu schweigen.«

»Und diesen Eid hat er gebrochen?«

»Nein. Was mich betrifft, so hat er mir nichts erzählt, sondern ich habe es erraten.«

»Erraten! So! Und was Sie nur erraten haben, das halten Sie für so gewiß, daß Sie mich des Mordes zeihen? Das ist stark, mein so außerordentlich scharfsinniger Sennor!«

Ohne diesen Spott zu beachten, fuhr ich fort:

»Ferner hat er sich an geeigneter Stelle erkundigt, ob so ein Schwur gehalten werden müsse. Man hat ihn überzeugt, daß er damit eine Sünde begehen würde, denn ein Mörder ist kein Mann, der einem andern einen vor Gott geltenden Schwur abnehmen kann. Der alte Jäger und Goldsucher hat also auf seinem Sterbebette das Geheimnis verraten können, ohne seine Seele zu gefährden.«

»Er hat gesagt, ich habe einen Padre ermordet?«

»Ja. Ermordet und beraubt.«

»Welche Lüge! Halten Sie sich übrigens für den Mann, welcher mich zu richten hat?«

»Ja. Wir alle sind nach dem Brauche der Pampa berechtigt, über Sie zu Gericht zu sitzen. Und wenn Sie uns wie bisher mit Hohn und Spott bedienen, so dürfen Sie auf keine Nachsicht rechnen.«

»Ich verlange sie auch nicht; aber Gerechtigkeit will ich haben. Und zu dieser Gerechtigkeit gehört, daß man die Sache einem ordentlichen Richter übergibt!«

Da trat einer von den Männern, welche er nach der Insel gelockt hatte, an ihn heran, versetzte ihm einen Fußtritt und herrschte ihm zu:

»Schweig, Schurke! Dir soll das Recht der Pampa werden, nämlich eine Kugel in den Leib oder ein Strick um den Hals! Vielleicht machen wir dir die Abfahrt in die Hölle noch etwas schwerer. Wollen nur erst sehen, wie es mit unseren Frauen steht, nach denen wir noch gar nicht gesehen haben. Wehe dir, wenn du einer von ihnen ein Haar gekrümmt hast! Du wirst mit glühenden Messern zerschnitten!«

»Ja, wollen vor allen Dingen nach unseren Frauen und Kindern sehen,« stimmte ein anderer bei. »Sterben muß dieser Mensch, aber auf sein Verhalten zu ihnen soll es ankommen, ob er leicht oder schwer zum Satan fährt. Wer steigt mit hinab?«

»Ich – ich – ich!« riefen alle außer mir.

Keiner schien bleiben zu wollen. Jeder wollte sehen, wie es mit den Frauen stand.

»Halt!« bat ich. »Alle können unmöglich fort. Wir müssen doch den Keller und auch den Sendador bewachen. Dazu gehören mehrere Personen.«

Man gab das zu. Den Familienvätern war nicht zuzumuten, da zu bleiben. Der Bruder ging mit ihnen, um nötigenfalls seines Trösteramtes zu walten. Der Kapitän Turnerstick wollte aus Neugierde fort und veranlaßte den Steuermann, mit ihm zu gehen. Pena und Gomarra waren ebenso neugierig, und so blieb nur ich mit den Yerbateros übrig.

Wir waren Männer genug, den Eingang zu bewachen. Übrigens war es uns allen lieb, daß die andern sich entfernten, weil sie den Tod des Sendador wollten; wir aber wünschten, daß er leben bleibe, um uns seine Geheimnisse anzuvertrauen. Gegen uns hatte er ja nicht gesündigt, und so konnten wir ihn weder anklagen noch gar richten. So war auch Monteso gesinnt, denn als die andern fort waren, sagte er in leisem Tone, so daß der Sendador es nicht verstehen konnte:

»Gut, daß sie fort sind! Was denken Sie, Sennor? Soll er getötet werden?«

»Was mich betrifft, so bin ich freilich dagegen.«

»Ich auch und meine Kameraden ebenso. Denken Sie an die Quipus und Pläne!«

»Es wird uns nur nicht möglich sein, seinen Tod zu verhindern.«

»Das befürchte ich auch. Gomez haben sie begnadigt, weil sie ihn als Indianer nicht für zurechnungsfähig, wenigstens nicht für so sehr schuldig halten wie diesen, den sie sicherlich nicht laufen lassen werden.«

»Ich bin überzeugt, daß unsere Bitten nichts helfen werden, aber es gibt noch einen Ausweg, die List.«

»Ah! Wie aber meinen Sie das?«

»Wir lassen ihn laufen. Wir lockern ihm jetzt den Riemen, welcher seine Hände zusammenhält. Nachher soll er hinunter nach den Wagen gebracht werden. Er muß gehen, folglich wird man ihm die Beinfesseln abnehmen. Da kann er unterwegs einen Sprung zur Seite tun. Da es dunkel ist, dürfte eine Verfolgung vergeblich sein.«

»Gut. Aber was dann?«

»Dann erwartet er uns irgendwo. Hoffentlich hält er Wort.«

»Jedenfalls, da er sich darüber freuen muß, endlich einen Mann zu sehen, welcher seine Pläne lesen und vielleicht gar die Quipus entziffern kann. Soll ich mit ihm sprechen?«

»Ja.«

Während unseres leisen Gespräches hatte der Sendador still da gelegen und kein Auge von uns verwendet. Aber es schien mir doch, als ob seine Aufmerksamkeit nicht allein auf uns gerichtet sei. Er hielt den Kopf zur Seite, als ob er nach dem Keller lausche. Da dies in seiner Lage sehr natürlich war, weil seine Verbündeten sich dort befanden, so fiel mir dieses Lauschen gar nicht weiter auf.

»Sennor Sabuco,« sagte der Yerbatero, »es schmerzt mich, in Ihnen einen solchen Verbrecher entdeckt zu haben. Es wird mir angst und bange um Ihr Seelenheil; darum bitte ich Sie, in sich zu gehen und der Wahrheit die Ehre zu geben!«

»Schwatzen Sie nicht!« fuhr ihn der Angeredete an. »Mir tut es noch viel mehr leid, daß ein Freund, der Sie doch bisher sein wollten, einem solchen Unsinn Glauben schenken kann.«

»Ich sage Ihnen, daß Sie bei diesem fortgesetzten Lügen auf keine Gnade zu rechnen haben. Wären Sie aber aufrichtig, so daß wir wüßten, woran wir mit Ihnen sind, so wäre dieser Sennor und also auch ich zu Ihrer Rettung bereit.«

Diese Worte blieben nicht ohne den gewünschten Eindruck. Der Sendador sah uns forschend an und fragte dann:

»Von den andern habe ich nichts Gutes zu erwarten; das weiß ich; aber von Ihnen läßt sich eher denken, daß Sie etwas zu meinen Gunsten tun wollen.«

»Ja, das wollen wir; aber gestehen müssen Sie!«

»Was haben Sie denn von meinem Geständnisse?«

»Sehr viel!«

»Nein, gar nichts; denn durch dasselbe werden die Verhältnisse nicht im geringsten verändert.«

»Sie werden sehr verändert, und zwar zu Ihren Gunsten. Wer sein Unrecht offen gesteht, dem schenkt man neues Vertrauen.«

»Pah! Ihr Vertrauen könnte mir dann gar nichts nützen.«

»Sie irren. Wir sind ja eigentlich nach dem Gran Chaco gekommen, um Sie da aufzusuchen.«

»Um mich zu verfolgen!«

»Nein. Ich traf diesen Sennor in Montevideo und habe ihn veranlaßt, sofort mit mir zu Ihnen aufzubrechen wegen der beiden Zeichnungen.«

»Versteht er denn, Zeichnungen oder Pläne zu lesen?«

»Ja. Vielleicht liest er gar auch noch Ihre Quipus.«

»Was wissen Sie von Quipus! Ich habe Ihnen gar nichts davon gesagt.«

»Überlegen Sie sich die Sache schnell, ehe die andern zurückkehren! Wir sind als Ihre Freunde gekommen, da wir keine Ahnung hatten, was wir noch erfahren und erleben würden. Wollen Sie uns alles mitteilen? Entscheiden Sie schnell, denn dann ist es zu spät!«

Über das Gesicht des Sendador flog ein eigenes Lächeln.

»Es ist nie zu spät,« sagte er. »Ich bin zwar gebunden, aber ich fürchte keinen Menschen.«

»Seien Sie nicht allzu zuversichtlich! Die andern wollen Ihren Tod.«

»Sie werden mich aber leben lassen! Sie mögen sich nur selbst in acht nehmen. Es ist gefährlich, der Feind des Sendador zu sein! Also mir ist zwar nicht bange. Aber es wäre Torheit, die Hilfe, welche Sie mir anbieten, zurückzuweisen, zumal Sie mir den Mann bringen, nach welchem ich Jahre lang vergebens gesucht habe. Was Gomez mir erzählt hat, läßt allerdings erwarten, daß er etwas zu leisten vermag.«

Ich hatte mich bis jetzt nicht in die Unterredung gemischt; nun aber fiel ich ein.

»Sie geben also zu, mit Gomez gesprochen zu haben?«

»Ja doch!«

»Damit gestehen Sie aber auch alles andere ein.«

»Nein. Denken Sie, was Sie wollen; halten Sie mich für schuldig oder für unschuldig; es ist mir sehr gleichgültig. Sie gefallen mir, und ich bin bereit, Ihnen mein Vertrauen zu schenken. Sind Sie bereit, den Zug in die Berge mitzumachen, auch wenn Sie überzeugt sind, daß ich ein Mörder bin?«

»Auch dann. Ich bin nicht als Richter über Sie gesetzt.«

»Das ist sehr vernünftig!«


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