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Aber diese Gedanken und Schlüsse kamen nicht etwa langsam, sondern so blitzesschnell, daß ich, als er seine Worte kaum über die Lippen hatte, ihm schon antworten konnte:
»Ja, Gott sei Dank, daß wir Landsleute sind! Denn nun kann kein Mißtrauen mehr herrschen, und wir werden einander nach besten Kräften beistehen!«
Ich sagte das und brachte es so schnell nach seinen unterbrochenen Worten, daß er meinen sollte, wir hätten gar nicht auf dieselben geachtet. Aber Pena war weniger aufmerksam und zartfühlend. Er fragte:
»Dürfen nun auch wir erfahren, woher Sie sind?«
»Na – tür – lich!« antwortete der Alte in sichtlicher Verlegenheit. »Ich bin, ich _ ich bin aus – – «
Er stockte. Dann raffte er sich wie unter einem Entschlusse auf, sah uns einen Augenblick prüfend an und fuhr dann fort:
»Nein, ich will Sie nicht belügen. Ich bin ein Deutscher; ich war ein Deutscher mit Leib und Seele, und das ist mein Unglück gewesen. Damals war ich Däne. Heute gehört meine Heimat zum deutschen Reiche. Heute könnte das nicht geschehen, was – – doch davon wohl später. Kennen Sie die Geschichte Schleswig_Holsteins?«
Wir bejahten.
»Ist Ihnen, als sie davon lasen oder sprachen, vielleicht auch der Name Winter, Alfred Winter, vorgekommen?«
Ich sann nach, mußte aber verneinen; Pena auch.
»Dieser Winter bin ich. Vielleicht hören Sie meine Geschichte. Jetzt ist dazu nicht Zeit, und wir müssen uns erst kennen lernen. Die Hauptsache ist, daß wir über die Mbocovis sprechen. Vorher aber, Unica, du hast gehört, wer und was diese Herren sind – willst du sie nicht begrüßen?«
Er sagte das in deutscher Sprache zu ihr, und zu meiner lebhaften Verwunderung reichte sie uns die Hand und sagte in derselben Sprache, und zwar ziemlich fließend:
»Sie machen uns eine große Freude und sind uns nun doppelt willkommen!«
»Potztausend!« rief Pena. »Auch Sie sprechen deutsch, Fräulein Unica? Am Ende erfahren wir, daß Sie keine Indianerin sind, sondern aus München oder Wiesbaden stammen!«
»Das nicht,« sagte der Alte. »Wie ich mein Deutschland und seine Sprache liebe, so konnte ich nicht eine so lange Reihe von Jahren in dieser Einsamkeit leben, ohne die Laute derselben zu hören. Darum hat Unica mir den Gefallen tun müssen, meine Schülerin zu werden, und sie ist schnell so weit gekommen, daß sie sich auszudrücken vermochte. Später bekam sie noch einen anderen Lehrer, welcher – – «
Er hielt inne.
»Sprich weiter, Oheim!« forderte Unica ihn auf.
»Es tut dir wehe!«
»Nein. Und diese Herren wissen schon einiges davon.«
»So hast du es doch nicht hüten können!«
»Ich sagte ihnen, daß ich die Weißen hasse.«
»Ja, hättest du sie nur alle gehaßt und nicht diese Ausnahme gemacht! Sie, meine Herren, sind nämlich nicht die ersten Deutschen, die sich bei mir befinden. Ich traf auf einem Streifzuge einen Verwundeten im Walde und nahm ihn mit zu mir. Er blieb bei mir, und es gelang ihm, sich unser ganzes Vertrauen zu erwerben und uns um vieles, vieles zu betrügen. Daß er ein Deutscher war, hat mir am wehesten getan.«
»Wie heißt dieser junge Mann?« fragte ich.
»Wir haben uns das Versprechen gegeben, seinen Namen nicht mehr zu nennen.«
»Aber seinen Heimatsort dürfen Sie aussprechen?«
»Ja. Er war aus Graz.«
»Also ein Deutschösterreicher! Ich möchte Sie bitten, diesen jungen Mann nicht ungehört zu verdammen. Wie lange ist es her, daß der Termin seiner Rückkehr fällig war?«
»Volle sechs Monate.«
»Das ist für die hiesigen Verhältnisse noch lange keine Ewigkeit. Wenn es Jahre wären, wollte ich mir Ihre Erbitterung oder, wenn ich besser so sage, Ihre Enttäuschung oder Hoffnungslosigkeit gefallen lassen. Aber sechs Monate! Von Buenos Ayres bis hierher ist es weit, und der Weg führt durch Gegenden, deren Bevölkerung jetzt aufgeregt ist. Jeder ist gegen jeden. Dabei rechne ich die Indianer gar nicht, durch deren Gebiet dieser junge Grazer zu reisen hat. Was für Begleiter sind denn bei ihm gewesen?«
»Auf der Rückreise? Gar keine, wenn er nicht zufälliger Weise welche gefunden hat.«
»Er war also allein? Und da verdammen Sie ihn? Ich habe während meines nur kurzen Rittes quer durch das Land so viel erlebt und erfahren, daß ein anderer, der nicht so viel Glück wie ich besessen hätte, entweder zehnmal zu Grunde gegangen oder zwanzigmal zwischen den Rädern Ihres politischen und sozialen Getriebes mit schweren Verletzungen für lange Zeit verschwunden wäre. Und diesen jungen Mann geben Sie auf, ohne die Beweise seiner Untreue und Unehrlichkeit in den Händen zu haben?«
Unica warf mir einen dankbaren Blick zu; der Alte war verlegen geworden, doch sagte er, indem er den Versuch machte, sich zu entschuldigen:
»Ich habe auf meine Erkundigung erfahren, daß er in Buenos Ayres das Geld erhoben hat.«
»Das glaube ich gern; aber wissen Sie denn, daß er es nicht hat bringen wollen, sondern mit demselben durchgegangen ist?«
»Nein, das weiß ich nicht; aber ich denke es mir, oder vielmehr ich – – dachte es mir.«
»So lassen Sie diesen Gedanken einstweilen fallen, und warten Sie mit seiner Verurteilung, bis Sie sichere Beweise haben. Ich habe schon manchen Menschen kennen gelernt, dessen Mitmenschen ihn moralisch steinigten, und dann stellte es sich heraus, daß er rein war – reiner vielleicht als sie. Ich betrachte selbst den Gestrauchelten, den Gefallenen als einen Mann, der sich wieder erheben kann, der sich früher oder später erheben wird, und halte es für meine Pflicht, ihm die Hand zu reichen, indem ich der Worte des Heilandes gedenke, daß nur derjenige, welcher ohne Fehler ist, den ersten Stein auf den Sünder werfen möge.«
Unica reichte mir die Hand und sagte:
»Herr, ich danke Ihnen! Sie befreien mich von einer großen Qual.«
Der viejo Desierto blickte eine Zeit lang vor sich nieder und sagte dann, indem er meine Worte wiederholte:
»Und dann stellte es sich heraus, daß er rein war – reiner vielleicht als sie! Sie haben recht. Ich will noch nicht urteilen, da ich selbst ein noch schwereres Gericht zu fürchten habe. Ich will von neuem hoffen, daß er doch noch zurückkehrt. Und nun wollen wir diesen Gegenstand fallen lassen und uns mit der Angelegenheit beschäftigen, welche heute für uns die Hauptsache ist, mit dem Überfalle der Mbocovis. Damit das flott von statten gehe, will ich Ihnen eine kleine Anregung bringen, welche Sie hier im Gran Chaco wohl nicht gesucht haben werden. Aber setzen Sie sich nun endlich einmal!«
Er hatte mit dieser letzten Aufforderung recht, denn seit er erschienen war, hatten wir im Stehen gesprochen. Unica schien zu wissen, was er holen wolle, denn als er sich entfernt hatte, ging sie nach einer anderen Laube und brachte aus derselben ein kleines Tischchen herbei, welches sie in die unserige stellte. Dann kehrte der Alte zurück und brachte – mehrere Weinflaschen und eine volle Zigarrenkiste.
»Ja, da wundern Sie sich wohl!« sagte er, als er unsere Augen sah. »Wein und Zigarren im Gran Chaco! Der erstere ist natürlich gekauft und per Maultier hierher gebracht worden. Die Zigarren aber sind eigenes Gewächs und auch eigenes Fabrikat.«
»Sie bauen Tabak?« fragte Pena.
»Ja, und zwar ganz vortrefflichen! Wenn Sie einige Zeit hier bleiben, was ich natürlich sehr hoffe und wünsche, werden Sie sehen, was ich meine Indianer gelehrt habe. Der Rote ist bei weitem nicht der lernfaule Mann, für den er gehalten wird. Stellen Sie ihn nur unter die richtige Leitung, und zeigen Sie ihm, daß Sie seine Menschenrechte achten; dann werden Sie bald sehen, daß er bildungsfähig ist. Wenn Sie ihm allerdings das sogenannte Glück mit Messern und Flinten aufzwingen wollen, so wird er starrköpfig, und das kann ich ihm nicht übel nehmen. Meine Tobas rauchen ihre Zigarren wie die feinsten Gentlemen, und zwar eine Sorte, um welche sie mancher Kenner beneiden würde. Und was die Hauptsache ist, sie bauen den Tabak selbst und machen sich auch die Zigarren selbst. Langen Sie zu, und stecken Sie sich eine an!«
Er hatte vier Gläser gefüllt und hielt uns die Zigarrenkiste hin.
»Ich habe freilich gehört, daß die Tobas sich vor den andern indianischen Stämmen vorteilhaft auszeichnen,« sagte ich.
»Was heißt auszeichnen! Sie haben eben einen Lehrer gehabt, wie ihn der Rote braucht. Geben Sie den andern Stämmen einen eben solchen, so werden sie bald ebenso vorwärts schreiten. Wir haben jetzt sogar angefangen, Wein zu bauen, und auf einigen Inseln der Lagune, die Sie von hier aus allerdings nicht sehen können und die wir dazu bestimmt haben, weil sie durch ihre Lage gegen Überfälle und Verwüstungen gesichert sind, ziehen wir Kartoffeln und eine Menge Gemüse und Küchengewächse. Sandigen Boden, welcher bekanntlich den besten Zigarrentabak erzeugt, haben wir genug. Das Fertigen der Wickel und das Rollen des Deckblattes habe ich meinen Roten leicht beigebracht, und so brauchen Sie sich nicht zu wundern, daß ich Ihnen eine Zigarre bieten kann, deren ich mich selbst vor Kennern nicht zu schämen brauche. Nun aber erzählen Sie mir einmal ganz ausführlich Ihre Begegnung mit den Mbocovis!«
Pena erzählte Wort für Wort, was er erlauscht hatte. Der Desierto hörte zu, ohne ihn zu unterbrechen, und sagte dann:
»Also dieser sogenannte Schwiegersohn ist hier gewesen, um zu rekognoszieren! Das muß er sehr klug angefangen haben, denn wir sind wachsam. Der Mann beweist, daß er ein sehr gefährlicher Mensch ist, und so werde ich ihn unschädlich machen.«
»Haben Sie eine Ahnung, wer er ist?« fragte ich.
»Nein. Sie vielleicht?«
»Ja. Sie kennen wahrscheinlich einen berühmten Andensteiger, welchen man nur El Sendador zu nennen pflegt?«
»Von dem hat jedermann gehört; gesehen habe ich ihn nicht. Er ist ein Schuft, dem ich mich nicht anvertrauen möchte.«
»Haben Sie Gründe und Veranlassung, dieses Urteil über ihn zu fällen?«
»Mehr als einen Grund! Der Hauptgrund aber ist der, daß er der Teufel der Indianer ist. Er hetzt sie gegen einander auf, um dabei im Trüben zu fischen. Er hetzt sie auch gegen die Weißen. Ganz besonders sind die Mbocovis seine Verbündeten, und ich vermute, daß er bei ihnen seinen eigentlichen Fuchsbau hat, von welchem aus die Ausfallsgänge nach verschiedenen Richtungen gehen. Viele Zeichen, welche mir erst nach und nach aufgefallen sind, lassen mich das vermuten. Er hat auch unter anderen Stämmen Anhänger, mit denen er allerlei schlechte Streiche ausführt, aber die Mbocovis bilden seine Leibbrigade. Warum fragen Sie mich nach ihm? Kennen Sie ihn?«
»Leider! Das ist eine ganze Schreckensgeschichte.« Und ich erzählte einiges. »Später sollen Sie alles hören. Jetzt müssen wir vor allen Dingen über die Mbocovis schlüssig werden. Nur so viel will ich Ihnen sagen, daß ich diesen ›Yerno‹ für den Schwiegersohn des Sendador halte.«
»Alle Teufel! Ich wollte, Sie hätten recht!«
»Warum?«
»Weil wir in diesem Falle einen ausgezeichneten Fang machen würden. Gerät der Schwiegersohn des Sendador in meine Hand, so zwinge ich ihn, mir den jetzigen Aufenthalt seines Schwiegervaters zu verraten.«
»Er wird sich hüten!«
»Oho! Ich zwinge ihn! Und sollte ich ihn alle möglichen Qualen erdulden lassen! Dann kann ich den Sendador unschädlich machen. Ich hole ihn mitten unter den Mbocovis heraus!«
»Das wäre ein Unternehmen, dem ich mich sofort anschließen würde. Ich vermute, daß es eine Schar dieser Mbocovis war, denen wir unsere jetzige Lage zu verdanken haben.«
»Welche Lage?«
»Davon später, wie bereits gesagt. Der ›Schwiegersohn‹ muß unbedingt in unsere Hände geraten. Was Pena und ich dabei tun können, das soll sicher geschehen.«
»Das ist mir lieb, denn ich habe nur dreißig Männer, die, so zu sagen, meine Leibgarde bilden und niemals mitgehen, wenn ein Kriegszug unternommen wird. Ich habe sie mit guten Gewehren versehen, und sie haben die alleinige Aufgabe, das Dorf und hier meine Wohnung zu beschützen. Sie sind die kräftigsten und zuverlässigsten Leute des Stammes.«
»Dreißig! Hm! Das könnte gehen, denn die Mbocovis zählen nur achtundfünfzig außer dem Schwiegersohne.«
»Sie meinen, das könnte gehen? Es kommen zwei Feinde auf einen Mann.«
»Und doch möchte ich bei meiner Ansicht bleiben, daß wir uns nicht zu fürchten brauchen,« entgegnete ich. »Der Angreifende befindet sich stets im Vorteile, weil er die Zeit, den Ort, die Art und Weise wählen kann und es also vermag, sich die vorhandenen Chancen möglichst dienstbar zu machen.«
»So geben Sie mir also recht! Die Mbocovis sind ja die Angreifenden; folglich befinden sie sich Ihren eigenen Worten nach im Vorteile gegen uns.«
»Sie wollen, verstehen Sie wohl, die Angreifer sein. Wir aber drehen den Spieß um und greifen sie an.«
»Ah, so meinen Sie?«
»Natürlich! Oder wollen Sie warten, bis Sie überfallen werden?«
»Warum nicht? Ich weiß ja nun, woran ich bin, und kann sie gebührendermaßen empfangen.«
»Wenn Sie sich den dazu passenden Ort wählen können, so will ich es gelten lassen. Ich kenne Ihre Niederlassung nicht, werde sie mir aber wohl ansehen dürfen. Ist sie groß?«
»Ja, groß und weitläufig.«
»Nun, wie wollen Sie ein solches Terrain vollständig besetzen? Mit dreißig Mann! Wie wollen Sie wissen, an welchem Punkte der Feind erscheinen wird?«
»Diesen Punkt kenne ich sehr genau. Ich kann jeden Feind zwingen, den Angriff gerade dort und nirgends anderswo vorzunehmen.«
»Wieso?«
»Ich habe natürlich für die Sicherheit der Meinen nach Kräften gesorgt, und das Terrain ist ein dazu sehr günstiges gewesen. Es zieht sich nämlich um zwei Seiten des Dorfes eine Bodensenkung, welche ich durch einen Kanal, den ich beliebig öffnen und verschließen kann, mit der Lagune in Verbindung gebracht habe. Die andern Seiten habe ich durch einen breiten, künstlichen Graben geschützt. Öffne ich den Kanal, so ist binnen einigen Stunden das Dorf von einem breiten Wassergürtel umgeben.«
»So! Und der Punkt, von welchem Sie sprachen?«
»Der besteht in einem schmalen Damm, welcher vom Wasser frei bleibt. Über ihn müssen also die Feinde kommen.«
»Haben Sie dabei daran gedacht, daß dieselben sehr wahrscheinlich schwimmen können?«
»Ja.«
»Nun, dann steht es Ihnen trotz des Wassers und trotz Ihres Dammes frei, ihren Angriff dorthin zu richten, wohin es ihnen beliebt.«
»Das denken Sie. Aber Sie vergessen die Krokodile.«
»Werden sich welche in dem Graben befinden?«
»Die Mbocovis müssen das wenigstens annehmen. Die Lagune ist reich an diesen Tieren, die ich eben aus diesem Grunde nicht vernichtet habe. Es steht zu erwarten, daß welche in den Graben kommen, und, darauf können Sie sich verlassen, kein Indianer schwimmt durch ein Wasser, von welchem er nicht überzeugt ist, daß es frei von Krokodilen ist.«
»Können die Mbocovis sich nicht eines Ihrer Boote bemächtigen?«
»Nein. Wir werden natürlich dafür sorgen, daß dies nicht geschehen kann.«
»Oder können sie sich nicht schnell ein Floß anfertigen? Der Wald bietet ihnen Material genug dazu.«
»Hm! Daran habe ich freilich nicht gedacht!«
»Nicht? So ist das der schwache Punkt in Ihrer Befestigung. Aber auch angenommen, daß alles nach Ihrem Wunsche gehe, daß der Feind über den Damm komme und Sie ihn mit Ihren Kugeln niederschmettern, so bin ich erstens ganz und gar gegen solch ein Massaker von Leuten, welche doch nur verführt worden sind, und zweitens denke ich, daß es unsere Absicht ist, diesen ›Schwiegersohn‹ zu fangen. Erschießen Sie ihn, so bringen Sie sich um die Vorteile, welche Sie von seiner Gefangennahme erwarten.«
»Das ist freilich wahr! Sie haben recht.«
»Und noch ein Bedenken, welches sehr wohl zu berücksichtigen ist! Der Yerno war hier, um zu rekognoszieren. Er hat alles nach Wunsch gefunden. Er ist gegangen, um seine Leute zu holen, kommt heute nacht mit ihnen an und findet – das Dorf von einem breiten Wassergraben umgeben. Was wird er denken?«
Der Alte antwortete nicht; er fuhr sich mit der Hand hinter die Ohren.
»Er wird,« sprach ich weiter, »sofort überzeugt sein, daß man seine Absicht auf irgend eine Weise erfahren habe. Natürlich verzichtet er, da er nicht Hunderte von Leuten bei sich hat, auf die Ausführung derselben, zieht sich zurück, und Sie haben das Nachsehen.«
»Das ist freilich wahr!« gab der Desierto zu. »Ich muß es also anders anfangen, wenn ich diesen Schwiegersohn haben will. Aber wie?«
»So wie ich es denke. Wir gehen ihm entgegen und überrumpeln ihn an der Stelle, wo er die Dunkelheit erwartet.«
»Wo ist das?«
Pena beschrieb den Ort, dessen Beschreibung er aus dem Munde des Yerno erlauscht hatte.
»Ich weiß, ich weiß,« sagte der Alte. »Es ist dort eine tiefe Senkung des Bodens, welche so viel Feuchtigkeit enthält, daß mehrere hohe Bäume und ein ziemlich dichtes Gebüsch dort Nahrung finden. Also da wollen sie sich lagern! Ja, dann werden wir sie dort überfallen!«
»Das muß aber höchst vorsichtig geschehen, damit sie uns nicht kommen sehen oder hören. Und da sie doppelt stark sind, so müssen wir gleich im Augenblicke des Überfalles die Hälfte niederschlagen und dann Mann gegen Mann kämpfen.«
»Lieber Freund, das ist fatal! Hier komme ich auf meine Behauptung zurück, daß sie uns überlegen sind. Wenn es Mann gegen Mann geht, so treten die Giftpfeile und vergifteten Messer in ihr Recht, und dann wird, selbst wenn wir siegen, unser Verlust ein bedeutender sein. Wir umzingeln besser das Gebüsch und schießen die Männer nach und nach nieder.«
»Dreißig Mann sollen achtundfünfzig umzingeln?«
»Wir nehmen die Mädchen mit, welche auch ganz vortrefflich mit Pfeil und Bogen umzugehen verstehen.«
»Ein Kampf mit Mädchen gegen Männer? Das klingt fast lustig! Und wie soll das werden? Wir schießen aufs Geradewohl in die Büsche? So verputzen wir einen Zentner Blei und haben keinen Erfolg!«
»Gut! So halten wir sie umschlossen, bis es Tag wird. Dann können wir zielen.«
»Sie aber auch! Sie stecken hinter den Büschen und sind uns also verborgen; wir aber stehen im Freien und werden mit aller Gemächlichkeit über den Haufen geschossen!«
Der Alte stand auf, trat aus der Laube, schritt draußen einigemale auf und ab und rief dann in beinahe komischem Zorne aus:
»Zum Kuckuck mit Ihren Einwänden, Herr! Sie werfen mir ja meine ganze Kriegskunst, auf welche ich mir so viel eingebildet habe, in das Wasser!«
»Sie mag immerhin hineinfallen und drin liegen bleiben! Ihre Verteidigungspläne gehen von einer Ansicht aus, welche sich nicht für alle Fälle oder wenigstens nicht für diesen Fall als richtig erweist. Wenn Sie glauben, ein Kriegskünstler zu sein, so müssen Sie vor allen Dingen den gegebenen Verhältnissen Rechnung tragen.«
»Ich habe geglaubt, dies zu tun.«
»Sie ließen das eine unberücksichtigt, daß wir den Schwiegersohn unbedingt haben wollen, und zwar lebendig. Auf einen Fernkampf dürfen wir uns also schon aus diesem Grunde nicht einlassen, ganz abgesehen von seiner Gefährlichkeit für uns.«
»Also Sie stimmen für den Nahekampf?«
»Ja, weil man sich da der Person dieses Mannes versichern kann. Ich erbiete mich, ihn auf mich zu nehmen, und Sie dürfen überzeugt sein, daß ich ihn bekommen werde. Ich schlage ihn gleich im ersten Augenblicke so nieder, wie ich Sie getroffen habe.«
»Das war ein Hieb, Herr! Ich habe über eine halbe Stunde lang bewußtlos gelegen! Aber wenn ich auch überzeugt bin, daß Sie ihn gleich mit diesem Schlage unschädlich machen und in unsere Gewalt bringen, so sind seine Mbocovis da, welche sich wehren werden. Zwei von ihnen gegen einen von uns! Das ist bedenklich. Ihr Nahekampf gefällt mir ebensowenig wie Ihnen mein Ferngefecht.«
»Es kommt ganz darauf an, wie wir uns arrangieren. Es ist ja nicht nötig, daß wir uns in Gefahr begeben. Ich setze den Fall, der Kampf bestände bloß darin, daß wir die Leute einzeln in Empfang nehmen und unschädlich machen.«
»Dieser Fall ist unmöglich.«
»Aber wir können ihn möglich machen. Auf welche Weise, das kann ich nicht sagen. Ich kenne das Terrain ja nicht. Wenn Sie mir das Dorf und die Umgebung desselben zeigen, so kommt mir vielleicht ein Gedanke.«