Gregor Samarow
Held und Kaiser
Gregor Samarow

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Zweites Kapitel

In der Nähe der Bergschluchten, welche die Kampagne bei Rom begrenzen, fuhr im Strahl der sinkenden Abendsonne ein offener Reisewagen mit vier Postpferden bespannt langsam die große Straße entlang, welche, von der Ebene aufsteigend, sich durch immer dichtere Waldpartien hinzieht und nur selten, außer den größeren Stationen, einen Flecken oder ein bewohntes Gehöfte berührt.

Der Postillon saß auf dem Sattelpferd, ein alter Diener in dunkler Reiselivree, eine Mütze von Wachstuch auf dem Kopf, nahm allein den breiten und bequemen Bock ein und schien nur mit Mühe der einschläfernden Wirkung der warmen Luft widerstehen zu können, denn von Zeit zu Zeit nickte er, das Haupt auf die Brust gesenkt, vornüber, und erst, wenn die Neigung seines Körpers so bedenklich wurde, dass sie den Verlust des Gleichgewichts auf dem hohen Sitze drohte, fuhr er schnell empor und saß einige Augenblicke kerzengerade da, mit großen Augen verwundert in die Gegend hineinschauend, um in kurzer Zeit wieder ebenso wie vorher in müder Selbstvergessenheit zusammenzusinken.

Auf dem hintern Trittbrett des Wagens war ein Koffer aufgeschnallt, dessen feste Solidität, auch ohne daß man sein Fabrikzeichen sah, das reisekundige England als seinen Entstehungsort verriet, und in dem Wagen selbst saß, leicht in die weichen und elastischen Kissen zurückgelehnt, ein alter Herr in einem hellgrauen Reiseanzug, das Haupt mit einem Hut von weißem Leinen bedeckt. Seine Züge hatten in ihrem scharfen Schnitt eine Jugendfrische, welche mit dem fast weißen Haar und Bart nicht übereinstimmte, und seine Augen von wunderbarem Glanz und unbestimmbarer Farbe blickten scharf und forschend in die Schatten der Baumgruppen, welche immer dichter an den Weg herantraten, ohne daß man hätte bestimmen können, ob seine aufmerksamen Blicke der wunderbar pittoresken Naturschönheit galten oder ob er in diesem dunklen Waldesgrün irgend etwas anderes suchte und erwartete.

Ein solcher Reisewagen auf der einsamen Landstraße im sinkenden Abenddunkel hätte an sich nichts Auffallendes gehabt; zu dieser Zeit und an dieser Stelle aber hätte er jeden, der ihm begegnet sein würde, mit Erstaunen erfüllt, denn schon seit längerer Zeit waren die Landwege in der nähern und weitern Umgebung von Rom vom Fremdenverkehr gemieden, da die Waldschluchten von kühnen und verwegenen Räubern wimmelten, und namentlich in der letzten Zeit, seit die französische Besatzung Rom verlassen hatte, wagten es selbst die kaltblütigsten englischen Touristen nicht mehr anders, als mit starker Bedeckung hier ihre Exkursionen zu machen. Aber selbst eine solche Bedeckung bot keine Sicherheit, denn es war vorgekommen, daß sie, von Briganten in überlegener Anzahl angegriffen, die Waffen gestreckt und ihre Schutzbefohlenen ihrem Schicksal überlassen hatte, wobei dann die Reisenden nicht nur alles dessen beraubt wurden, was sie mit sich führten, sondern noch obendrein nur gegen ein sehr hohes Lösegeld, das in kurzer Frist herbeigeschafft werden mußte, ihr Leben und ihre Freiheit retten konnten.

Alles dies schien dem alten Herrn im bequemen Reisewagen völlig unbekannt zu sein, denn er fuhr ohne jede Bedeckung allein mit seinem Diener und dem Postillon so ruhig auf dem steil ansteigenden Wege dahin, als befände er sich in der allersichersten Gegend des geordnetsten Staates der Welt.

Die ruhig und sicher vorschiebenden, schwer atmenden Pferde, der halbschlafende Diener auf dem Bock – das alles bot in der friedlichen Stille, unter dem Schatten der Bäume, deren Wipfel immer höher hinauf von dem Strahl der zum Horizont herabsinkenden Sonne vergoldet wurden, ein Bild der ruhigsten und sorglosesten Sicherheit.

Der Postillon allein blickte zuweilen halb ängstlich, halb neugierig umher, als sei er verwundert, daß die Fahrt bis hierher so ruhig und ohne Unterbrechung fortgesetzt worden sei.

Der Weg hatte eine ziemlich steile Anhöhe erreicht, von welcher aus sich ein Blick von wunderbarer Schönheit über einen steil abfallenden Abhang hin nach der in dem eigentümlichen violetten Abendschimmer daliegenden Ebene öffnete. Die Straße senkt sich nun, leise und unmerklich absteigend, in ein dichtes Gehölz hinab, das im Gegensatz zu der von dem letzten Sonnenstrahl beschienenen Lichtung in fast nächtlich dunklem Schatten dalag.

Der Reisende im Wagen richtete sich ein wenig empor und atmete mit tiefem Zuge die erfrischende Kühle ein, welche ihm aus dem schattigen Waldesdunkel entgegenstieg.

Auch die Pferde schienen den Einfluß der frischen Temperatur zu empfinden und zogen, ohne einen Antrieb vonseiten des Postillons, im kurzen Trab den Wagen auf der Straße fort.

Man hatte ungefähr zehn Minuten auf dieser Straße zurückgelegt, als man an eine hölzerne Brücke kam, welche über einen die Straße durchschneidenden Waldbach führte, der von der seitswärts aufsteigenden Höhe rauschend und schäumend herabstürzte. Der Postillon hielt mit einem scharfen Ruck die Pferde an, um sie in langsamem Schritt über die etwas morsche und schadhafte Brücke gehen zu lassen.

In demselben Augenblick erschien auf der andern Seite dieser Brücke eine hohe Gestalt in einem dunklen, über die Schulter geworfenen Mantel, einen Hut mit breiter Krempe tief in die Stirn gedrückt, und rief mit einer lauten Stimme, welche in mehrfachem Echo von den Bergwänden widerhallte, den Reisenden ein gebieterisches »Halt!« zu.

Im Nu war der Postillon vom Pferde gesprungen, sank neben demselben auf die Kniee und rief, den Kopf auf die Brust gesenkt, die Hände flehend emporstreckend, in lautem Jammerton um Gnade.

Der alte Diener auf dem Bock erwachte und schickte sich an, ebenfalls herabzusteigen.

Nur der Herr im Wagen blieb ruhig und unbeweglich sitzen und blickte erwartungsvoll, aber ohne jede Spur von Furcht und Schrecken, um sich her.

In einem Augenblick war der Wagen von ungefähr zwanzig Banditen in Blusen mit wettergebräunten Gesichtern und funkelnden Augen umringt. Blitzschnell wurden einige Fackeln entzündet. Man sah Dolchklingen blitzen, Karabinerläufe richteten sich von allen Seiten gegen den Wagen, von welchem in unglaublicher Schnelligkeit die Pferde abgeschirrt waren, die, sofort zur Seite gefühlt, unter den Bäumen neben der Straße verschwanden.

Der Mann, welcher auf der Brücke den Wagen zuerst angerufen, trat an den Schlag und sprach in einem deutlichen und verständlichen, aber sehr fremd akzentuierten Englisch:

»Ich bedaure, mein Herr, daß ich Sie veranlassen muß, Ihre Reise zu unterbrechen und mir auf eine kurze Zeit zu folgen. Ich zweifle nicht,« fügte er mit einer gewissen ironischen Höflichkeit hinzu, »daß wir uns bald und leicht verständigen werden, und daß Sie uns in die Lage setzen werden, Ihrer Reise weiter kein Hindernis in den Weg zu legen.«

Der Reisende hörte die an ihn gerichteten Worte so ruhig an, als wäre diese Begegnung das natürlichste und gleichgültigste Ereignis von der Welt. Er bog sich ein wenig über den Wagenschlag hinaus und blickte prüfend in das vom schimmernden Fackelschein beleuchtete Gesicht des Banditen, als forsche er nach bekannten Zügen. Dann fragte er mit einem Ton von fast befehlender Überlegenheit im reinsten akzentlosen Italienisch:

»Führt nicht Barbarino Falcone den Befehl in diesen Wäldern?«

Betroffen fuhr der Räuber zurück. Diese unerwarteten Worte aus dem Munde des Reisenden, den er nach seiner ganzen Erscheinung für einen Engländer hatte halten müssen, dieser kurze, scharfe Ton, welcher fast derjenige eines Vorgesetzten gegen seinen Untergebenen war, ließen ihn einen Augenblick seine Fassung verlieren. Auch er blickte jetzt seinerseits forschend in das Gesicht des Reisenden, aber dasselbe schien keine Erinnerungen in ihm zu erwecken.

»Ich habe keine weiteren Erklärungen zu geben, Signor,« sprach er dann mürrisch und ungeduldig, »und bitte Sie, mir ungesäumt zu folgen. Sie werden sich bald über die Persönlichkeit unseres Chefs vergewissern können,« fügte er mit einem finstern, drohenden Seitenblick hinzu.

Der Reisende stieg aus. Einer der Banditen schritt mit einer Fackel voran, derjenige, welcher die Abteilung befehligte und an den Wagen herangetreten war, ging neben ihm, die Hand am Dolch, den gespannten Karabiner im Arm. Zwei andere hatten den Diener in die Mitte genommen. Der Postillon verkehrte freundschaftlich mit den Räubern und bot ihnen seine Feldflasche zum Trinken.

Mit sicherem Schritt drang der Führer in den Wald hinein, überall hinter Bäumen und vorspringenden Felsen schmale Wege und Durchgänge betretend, welche sich in dem scheinbar unwegsamen Dickicht öffneten.

Nach einer halben Stunde kam man an einen breiten Wasserfall, der von einer ziemlich bedeutenden Felshöhe herabstürzte und dessen Rauschen man bereits von weither vernommen hatte. Dieser breite, schäumende Fall fiel in einen kleinen Bergsee, der nach der andern Seite hin in mehreren Bächen seine Wasser weiterhin in die Ebene herabfließen ließ.

Der Fackelträger schritt bis unmittelbar an die Seite des Wasserfalls vor. Unter der mächtigen, schäumend herabstürzenden Wassermasse war ein bogenförmiger, freier Raum, über den der Fall wie eine Wölbung dahinströmte. Der Führer trat auf die Spitze des Felsvorsprungs, welcher sich bereits unter dem Wasserbogen befand, führte einen Finger an die Lippen und ließ ein scharfes, eigentümliches Pfeifen ertönen.

Sogleich antwortete, wie aus der Tiefe heraufklingend, ein ganz ähnlicher Ton, und über die bewegte, mit weißem Schaum bedeckte Flut unter dem Wassersturz schob sich ein schmales Brett von der gegenüberliegenden Seite her.

Der Führer legte den Rand desselben fest auf den Felsen und schritt auf dem leicht schwankenden Stege voran, seine Fackel, zuweilen von den herabfallenden Tropfen rasch aufzischend, beleuchtete von unten herauf den gewölbten Wasserstrahl mit wunderbaren, in diamantenem Farbenspiel schimmernden Lichtern.

Der Reisende folgte, ohne einen Augenblick zu zögern, auf diesem schmalen und unsichern Weg und schien ohne ein Spur von Furcht oder Besorgnis sein Auge an den unnachahmlich schönen Reflexen zu weiden, welche das rote Fackellicht an dem herabstürzenden Wasser bildete.

Nach wenigen Schritten hatte man die andere Seite erreicht. Unter überhängenden, mit dichtem Gestrüpp bewachsenen Felsstücken hervor trat man in eine große, runde, von hohen Bäumen umgebene Lichtung, welche ein romantisches, pittoreskes Bild darbot. An der einen Seite derselben brannte ein helles Feuer, an welchem mehrere Banditen beschäftigt waren, in Kesseln, die auf eisernen Gestellen über der Flamme hingen, eine Mahlzeit zu bereiten, deren Duft kräftig und einladend den Ankommenden entgegendrang. Ringsumher sah man beim Licht in die Erde gesteckter Fackeln andere Gruppen, auf ihren Mänteln am Boden gelagert, teils mit Karten- und Würfelspiel beschäftigt, teils unter Lachen, Scherzen und Singen den Inhalt strohumflochtener Flaschen schlürfend, welche jedenfalls einer andern Bestimmung zugedacht gewesen waren.

Im Hintergrund des freien Platzes öffnete sich der Felsen, der hier zwischen Bäumen hervortrat, zu einer Art von Portal, das mit schweren, kostbaren Teppichen verhängt war.

Zwei Fackeln auf hohen, in die Erde gerammten Pfählen erleuchteten diesen Eingang, vor welchem einer der Briganten, den Karabiner im Arm, langsam auf und ab schritt.

Der Fackelträger, welcher den Zug hierher geleitet hatte, trat zur Seite. Der Begleiter des Reisenden wechselte mit dem Wachthaltenden einige leise Worte und trat dann, mit einer gewissen scheuen Ehrerbietung den Teppich aufhebend, in das Innere des durch denselben verdeckten Raumes, während der Reisende ruhig und unbefangen die verschiedenen malerischen Gruppen betrachtete, welche ihrerseits die Ankommenden mit einem freudigen Ruf begrüßt hatten, sich aber nun weiter in ihren Beschäftigungen nicht stören ließen.

Nach wenigen Minuten kam der Führer der Expedition, welche den eben eingebrachten Fang gemacht, wieder zurück und führte den Reisenden an dem Wachtposten vorbei hinter den Vorhang, den er sofort wieder schloß.

Der Fremde stieß einen leichten Ruf des Erstaunens aus und blickte dann lächelnd in dem sich vor ihm öffnenden Raum umher, der in der Tat geeignet war, hier in der einsamen, abgelegenen Waldschlucht einige Verwunderung zu erregen.

Es war eine tiefe und hohe, vollkommen geschlossene und mit zackig ausgebrochenen Felsen gewölbte Höhle. Der Boden derselben war geebnet und mit dichten, mehrfach übereinander gelegten weichen Matten bedeckt. Die Seitenwände waren hoch hinauf mit schweren dunkelroten Teppichen behangen, deren tiefe, volle Farben noch prächtiger und glühender erschienen im Licht einer schön gearbeiteten Ampel, welche an silbernen Ketten von einer der Felszacken der Deckenwölbung herabhing.

Ein schwerer Tisch von schwarzem Ebenholz, reich mit Gold, Elfenbein und Perlmutter ausgelegt, stand in der Mitte des Raumes. Kleinere Tische von Marmor und kostbarem Holz standen an den Seitenwänden umher und trugen mannigfache goldene und silberne Gefäße von herrlicher Arbeit, mit blitzenden Edelsteinen besetzt. Prächtige Dolche und Stoßdegen lagen daneben.

Ein Teil der Höhle im Hintergrunde war mit einem seidenen Vorhang verdeckt, und vor dem großen Tisch in der Mitte stand ein breites Ruhebett mit schwellenden seidenen Kissen. Von diesem Ruhebett erhob sich beim Eintritt des Fremden ein kräftig und schlank gewachsener junger Mann in einem weiten und bequemen Anzug von schwarzem Samt, dessen etwas phantastischer Schnitt mit der ganzen Umgebung in Übereinstimmung stand. Ein weites, faltiges Wams, von einem ledernen Gürtel zusammengehalten, umschloß seinen schlanken und geschmeidigen Oberkörper. Faltenreiche Beinkleider fielen über glänzende, bis zum Knie hinaufreichende Stiefel herab. Das tiefschwarze, leichtgelockte Haar umgab ein gebräuntes Gesicht, dessen weiche und zarte Züge weder mit dem Ausdruck kalten, feindlichen Hohnes, der auf den Lippen des Mannes lag, noch mit den düsteren, wilden Blicken seiner dunkel brennenden Augen harmonierten.

Der junge Mann trat dem Fremden einige Schritte entgegen und blickte ihn prüfend an, als wolle er aus seiner Erscheinung einen Anhaltspunkt dafür gewinnen, wie hoch er ihn bei der unter diesen Verhältnissen üblichen Lösegeldbesteuerung zu taxieren habe.

Der Fremde nahm langsam seinen Hut, dessen Schatten sein Gesicht bedeckte, vom Kopf und stand im vollen Licht der von der Decke herabhängenden Ampel da. Seine großen, glänzenden Augen richteten sich mit einem eigentümlich strahlenden und durchdringenden Blick auf den jungen Mann, und mit einer tiefen, klaren Stimme sprach er:

»So hat man mich nicht getäuscht, als man mir sagte, daß ich hier in diesen Gründen Barbarino Falcone finden würde?«

Der junge Mann war, als das Gesicht des Fremden im hellen Lampenlicht vor ihm erschien, zuerst wie erschrocken zusammengefahren, als sei er in Zweifel, ob der Blick seiner Augen ihn nicht täusche. Dann war ein Schimmer der Freude über sein finsteres Gesicht geflogen. Er hatte die Arme ausgebreitet, als wolle er den Fremden an seine Brust drücken, aber schnell seine Bewegung bemeisternd, neigte er sich tief und ehrfurchtsvoll und sprach:

»Welche Freude und welches Glück für mich, daß Ihr, mein großer Meister, mich hier aufsucht und mich würdig findet, mir einen Auftrag zu erteilen, – denn ich setze voraus, daß unsere heilige Sache meiner Dienste bedarf und daß Ihr kommt, um mir zu sagen, was ich zu tun habe. – Und zugleich wird mir Gelegenheit,« fügte er mit warm leuchtendem Blick hinzu, »Euch meinen Dank auszusprechen für die Befreiung aus dem Kerker der Tyrannei, einen Dank, dessen ganze Empfindung nur der kennen kann, der die Luft und das Licht der Freiheit entbehrt und den schimpflichen Tod unmittelbar vor sich gesehen hat.«

»Ich kenne das,« erwiderte der Fremde, »aber wer zu dem Bunde der Rächer gehört, wird, solange mein Arm Macht hat, nicht in den Kerkern festgehalten werden. Ich habe dich gerettet, weil du treu zu unserem Bunde gehalten, und ich komme jetzt, um deine Kraft zu einem Dienst in Anspruch zu nehmen, der Geschicklichkeit und Gewandtheit erfordert, wie ich sie stets an dir bemerkt und anerkannt habe.«

»Ich bin Eures Befehls gewärtig,« sagte Barbarino.

Und ehrfurchtsvoll sich verneigend, führte er den Fremden nach dem Divan.

»Aber Ihr werdet ermüdet sein, Meister. Darf ich Euch eine Erfrischung anbieten?«

»Ein Glas Wein und ein Stück Brot,« erwiderte der Fremde, »das genügt mir, – es bedarf nur wenig, um meine Kräfte zu erhalten.«

Barbarino ließ einen scharfen Pfiff auf einer kleinen silbernen Pfeife ertönen, die er an einer Kette um seinen Hals trug.

Fast unmittelbar darauf erschien einer der Briganten am Eingang, und nach einigen Minuten stand auf dem Tisch, auf einer silbernen Platte, eine schön geschliffene Kristallkaraffe mit jenem goldgelben Wein von Monte Fiascone, den der weinkundige Kellermeister eines reisenden Kardinals einst mit den Worten Est, Est, Est« bezeichnete. Daneben einige vortreffliche Früchte, etwas Weißbrot, eine kalte Pastete und ein Stück des vortrefflichen Stracchinokäses.

Barbarino nahm zwei hohe Kristallkelche von einem der Seitentische, füllte diese bis zum Rande und sprach:

»Untergang der Tyrannei!«

Er leerte sein Glas bis auf den Grund, während der Fremde nur leicht die Lippen benetzte, eine Schnitte Weißbrot in seinen Wein tauchte und einige Bissen davon aß.

»So höre denn nun, um was es sich handelt. Die Sache erfordert schnelle Tätigkeit, Vorsicht und Gewandtheit.

Barbarino hing mit gespannter Aufmerksamkeit an den Lippen des Sprechenden.

»Wie du weißt, ist geschehen, was wir erstrebt und vorausgesehen haben. Dieser französische Imperator auf seinem innerlich unterhöhlten Flitterthron ist dahin getrieben worden, den Krieg gegen Deutschland zu führen, und seine Macht ist unter schnellen Schlägen, schneller noch, als ich selbst es erwartete, zusammengebrochen. Er hat seine Hand von Rom, diesem Sitz der päpstlichen Tyrannei, zurückziehen müssen. Nun ist er gestürzt, seine Armeen sind zertrümmert, und nimmer wird er wieder diesen dreifach gekrönten Priester gegen den Willen Italiens, gegen den Willen der denkenden Menschheit auf seinem Stuhle halten können.«

»Ich weiß es, Meister,« erwiderte Barbarino. »Und ich weiß auch, daß in wenigen Tagen die Truppen Italiens in dieses Asyl finsterer Priesterherrschaft einbrechen werden, welches man das Erbteil Petri nennt, um das alte Rom für immer der Freiheit wiederzugeben, damit es in Zukunft für die Welt ebenso der Mittelpunkt des Lichtes werde, wie es bis jetzt der Mittelpunkt der Finsternis war. Kommt Ihr,« rief er mit flammensprühenden Blicken, »um mir einen Platz in diesen Kämpfen anzuweisen – o, so laßt mich in dieser Stunde aufbrechen, damit ich, und wäre es an der untergeordnetsten Stelle, mit diesem Arm dazu beitragen könne, Rom zu befreien von der tausendjährigen Herrschaft blutiger und schimpflicher Tirannei.«

Ruhig schüttelte der Fremde den Kopf.

»Nicht deshalb bin ich gekommen,« sagte er; – »um Rom zu befreien, um die päpstliche Herrschaft zu stürzen, bedarf es jetzt unseres Bundes nicht. Wir können unsere Kräfte für weitere, für größere Aufgaben sparen. Der König Viktor Emanuel, welcher es zu allen Zeiten so vortrefflich verstanden hat, die Früchte zu pflücken, die andere für ihn gezogen haben, wird das, was für den Augenblick zu tun ist, allein vollführen. Seine Truppen stehen bereit, und in wenigen Tagen wird der Papst ein Gefangener in der ewigen Stadt sein, in welcher er sich bis jetzt in übermütigem Stolz für den Herrn der Welt hielt.«

Barbarino blickte finster zu Boden.

»Und doch muß ich dabei sein,« sagte er dumpf, »ich muß meinen Teil haben an diesem Werk gerechter Rache.«

»Deiner wartet eine höhere Aufgabe,« sagte der Fremde. »Was einfache Söldner tun können, daran dürfen wir unsere Zeit und Kraft nicht verschwenden.«

»Aber wenn Rom befreit ist,« rief Barbarino, – »wenn die päpstliche Herrschaft gestürzt ist –«

Ein fast mitleidiges Lächeln spielte um die Lippen des Fremden. Mit einer Handbewegung unterbrach er Barbarino und sprach:

»Höre mich weiter. Rom wird befreit werden, die päpstliche Herrschaft wird gestürzt werden, aber es wird befreit werden nicht für uns, nicht für das Volk, nicht für die Menschheit. An der Stelle des päpstlichen Thrones wird der Thron Viktor Emanuels aufgerichtet werden, dieses Königs, der zwar durch das Volk emporgehoben ist und die demokratische Phrase im Munde führt, der aber darum nicht minder ein König ist, der darum nicht minder zu jener Rasse gehört, deren Blut sie zwingt, die Völker zu unterdrücken wie die Raubtiere, die sie in ihren Wappenschildern führen. Das Volk und die Freiheit werden nichts dabei gewinnen, als daß wir später im Augenblick der letzten Vollendung unseres Werkes hier in Italien nur einen Streich zu führen, nur einen Thron niederzuwerfen haben,« fügte er mit einem wild aufleuchtenden Blick seines sonst so klaren und ruhigen Auges hinzu. »Um aber diesen Augenblick der letzten Vollendung vorzubereiten, dazu bedürfen wir nicht Italiens allein, wir bedürfen auch Frankreichs. Wir müssen die Stütze zertrümmern, welche hier in Italien die königliche Tyrannei, welche der päpstlichen folgen wird, bei Frankreich gefunden hat und später wieder finden kann. Das Kaiserreich ist niedergeworfen, unser Ziel bei diesem Krieg ist erreicht. Frankreich darf nicht weiter besiegt, nicht weiter geschwächt werden. Es muß stark genug bleiben, um gegen die militärische Monarchie in Deutschland das Gegengewicht zu bilden, stark genug, um bei der großen Revolution der Zukunft – einer hoffentlich nahen Zukunft – Italien die Hand zu reichen und mit uns gemeinschaftlich den Völkern der Welt auf dem Wege der Freiheit voranzugehen.«

Barbarino wollte sprechen.

Der Fremde legte die Hand auf seinen Arm und fuhr fort:

»Was wir bedürfen, ist ein starkes Frankreich und zugleich ein rein demokratisches Frankreich. Und um den Ereignissen diese Wendung zu geben, dazu müssen wir in diesem Augenblick eingreifen, wenn wir nicht die Früchte des großen Kampfes, der den brütenden Despoten von seinem Thron gestürzt, verlieren wollen. Sie haben eine Republik in Paris proklamiert,« fuhr er in höhnischem Ton mit leichtem Achselzucken fort, – »eine Republik, – aber wer führt diese Republik? Herr Jules Favre und seine Genossen, die Vertreter der feigen, hinterlistigen Bourgeoisie, welche die frühere Regierung nur gestürzt haben, um sich an ihre Stelle zu setzen und in ihre Fußstapfen zu treten. Rochefort ist ein Tor, und Gambetta, – seine Eitelkeit wird ihn verblenden, und er wird gegen die anderen ohnmächtig sein. Sie haben eine nationale Verteidigung organisiert, aber es ist kein Nachdruck, keine Kraft, kein Wille in dieser Organisation, und selbst wenn sie es erreichen könnten, das Glück der Waffen wieder zu wenden, so wird aus dieser Republik doch nichts anderes hervorgehen als eine neue Monarchie, eine neue Stütze des Despotismus, die unter anderem Namen die alten Zustände wieder wird erstehen lassen, während bei uns in Italien das Königtum und das Papsttum trotz ihres jetzigen Streites sich wieder zusammenfinden werden, um das Volk und seine Freiheit zu unterdrücken. Dies zu verhindern ist unsere Aufgabe, wir müssen Frankreich zu Hilfe kommen, um mächtiges Leben und kühnen Aufschwung in seine Verteidigung zu bringen. Aber diese Hilfe muß von der reinen und wahren Demokratie ausgehen, so daß, wenn Frankreich sich wieder erhebt, wenn es die Deutschen aus seinen Grenzen vertreibt, die wahre und reine Demokratie dort für immer ihre feste Herrschaft aufrichtet.«

»Ich verstehe, Meister, ich verstehe,« sagte Barbarino in zitternder Erregung. »Voll Bewunderung folge ich Euren so großen, so weit blickenden Gedanken. Aber wie kann ich in so hohen Dingen helfen, der ich nur gelernt habe und nur verstehe, den bewehrten Arm mit Verachtung der Gefahr und des Todes für unsere Sache zu erheben?«

Ohne seine Worte zu beachten, fuhr der Fremde fort:

»Frankreich kann nur gerettet werden, wenn das ganze Volk sich in einmütiger Begeisterung erhebt und wie eine flammende Flut über den deutschen Heeren zusammenschlägt. Solche Flammen aber werden die Proklamationen des Generals Trochu und des Herrn Jules Favre nicht entzünden, und weder die Generale aus der Schule des Kaiserreichs noch die neugeschaffenen Strategen der gegenwärtigen Regierung werden eine solche Erhebung mit Nachdruck und wahrem Feldherrnblick leiten können. Einen Mann nur gibt es, der dazu imstande ist, einen Mann, dessen Name und dessen Ruf das ganze französische Volk in seinen Tiefen erwecken kann, der imstande ist, den Krieg so zu führen, wie es jetzt not tut, und der uns zugleich die Bürgschaft bietet, daß sein Sieg ein Sieg der wahren und reinen Demokratie sein wird, – und dieser Mann, der zugleich die Brüderschaft der Völker von Frankreich und Italien bedeutet, – dieser Mann ist Garibaldi, der traurig und still in Caprera sitzt, seufzend unter dem Schmerz der Wunde, die des Königs von Italien Dankbarkeit ihm geschlagen hat. Er muß seine Fahne erheben, er muß nach Frankreich gehen und seinen Ruf an das Volk erschallen lassen. Er allein kann Frankreichs Feinde über ihre Grenzen zurückdrängen, er allein kann wahres Leben und wahre Dauer der französischen Republik geben, welche einst dem Volk von Italien die Hand reichen wird, um den König und den Papst, die sich heute um die Herrschaft Roms streiten, für immer zu vertreiben.«

Barbarino sprang auf.

»O Meister,« rief er, »wie klein sind wir alle gegen Euch! In Eurem Geist lebt die Welt, unter Eurer Führung müssen wir siegen! – Aber noch immer,« fuhr er dann fort, »sehe ich nicht, wie ich –«

»Dich habe ich ausersehen,« fiel der Fremde ein, »um die Feder in Bewegung zu setzen, welche das Räderwerk unserer Maschine vorwärts treiben soll. – Du bist imstande«, fragte er dann, »einen Stamm von kühnen und unerschrockenen Leuten zu bilden, welche nach Frankreich zu gehen bereit sein würden, um Garibaldi in der Bewaffnung und Organisation des französischen Volksaufstandes zu unterstützen?«

»Fast alle meine Leute,« erwiderte Barbanno, »haben früher unter Garibaldi gefochten, – ebenso einzelne Banden, welche hier in der Umgegend zerstreut sind, sie verstehen alle den Guerillakrieg und scheuen vor keiner Unternehmung zurück. Ein Wort von mir wird genügen, um sie alle dem General zur Verfügung zu stellen.«

Er sagte dies mit einem sichern, festen Ton. Doch plötzlich fuhr ein trüber Schatten über sein Gesicht, als erweckten die Ideen, die sich vor ihm öffneten, eine gewisse Verstimmung in seinem Innern.

»Du hast meine Gedanken und meine Pläne klar erfaßt?« fragte der Fremde weiter.

»Vollkommen,« erwiderte Barbarino.

»So wirst du sogleich mit mir abreisen und dich nach Caprera begeben, um alles, was ich dir gesagt habe, dem General Garibaldi zu wiederholen. Du wirst hinzufügen, daß du über eine Schar tüchtiger, kriegsgeübter und unerschrockener Menschen verfügen kannst, um ihm die Herstellung von freiwilligen Legionen aus der französischen Bevölkerung, welcher eine solche Kampfesart noch neu ist, zu erleichtern, – es wird nur dieses Anstoßes bedürfen, um den alten Löwen, in dem, wie ich überzeugt bin, ähnliche Gedanken bereits aufzusteigen beginnen, zu erwecken und in den Kampf zu rufen für die Sache, welche ja auch stets die seinige gewesen ist. Eile ist nötig. Von der schnellen und sichern Ausführung deines Auftrages hängt die Entscheidung der Ereignisse in Frankreich ab. In deinen Händen liegt vielleicht in diesem Augenblick die Zukunft der Welt.«

Er erhob sich, tauchte noch eine Brotschnitte in seinen Wein und schien zu erwarten, daß der junge Mann sich sofort anschicken werde, den ihm erteilten Befehl auszuführen.

Aber Barbarino stand mit verschränkten Armen unbeweglich da und blickte finster zu Boden.

Der Fremde sah ihn erstaunt an, indem er langsam die letzten Tropfen aus seinem Glase schlürfte.

»Du bist traurig, ernst und unbeweglich,« sagte er in vorwurfsvollem Ton, »du zauderst und zögerst, während ich erwartet hatte, daß das ehrenvolle Vertrauen, das mein Auftrag dir bezeugt, dich freudig bewegen und zur Aufbietung deiner ganzen Kraft und deiner ganzen Tätigkeit anspornen würde?«

»Ich empfinde tief und dankbar,« erwiderte Barbarino, ohne aufzublicken, »das Vertrauen, welches Euer Auftrag mir beweist, und mit freudiger Begeisterung möchte ich hineilen, um mich dieses Auftrags wert zu zeigen, – aber, mein Meister,« fügte er hinzu, indem seine Stimme dumpf aus den zusammengepreßten Lippen hervordrang, »ich bitte Euch, ein anderes Werkzeug für Euren Auftrag zu suchen, – Ihr werdet Würdige genug finden, – ich – ich kann ihn nicht ausführen.«

Ein Ausdruck grenzenloser Verwunderung erschien auf dem Gesicht des Fremden. Seine Augen schienen sich fast zu ihrer doppelten Größe zu erweitern, seine Blicke schleuderten drohende Blitze auf den jungen Mann, und mit scharfer, schneidender Summe sprach er:

»Du kannst meinen Befehl nicht ausführen? – Das ist ein Wort, das ich nicht zu hören gewohnt bin und von dir am allerwenigsten zu hören erwartet hätte. Weißt du, was nach den Gesetzen unseres Bundes auf dem Ungehorsam gegen die Befehle der Oberen steht?«

»Der Tod!« erwiderte Barbarino immer in derselben Stellung und in demselben dumpfen Ton.

»Und wenn du das weißt,« sagte der Fremde, jetzt mehr erstaunt als zornig, »was kann dich bewegen, diese Strafe, die unabänderlich ist, auf dein Haupt herabzurufen? Ich frage dich,« fuhr er sanfter, mit wohlwollendem Ausdruck fort, »obwohl ich ohne weitere Erörterung die Strafe verhängen könnte, – ich frage dich, weil du große Dienste geleistet hast und stets ein eifriges und tadelloses Mitglied unseres Bundes warst, – warum verweigerst du die Ausführung eines Befehls, dessen Nützlichkeit du einsiehst und in welchem du ein ehrendes Vertrauen erkannt hast? Sprich,« sagte er, zu dem jungen Mann herantretend und die Hand auf seine Schulter legend, »ich frage dich jetzt nicht als der Meister des Bundes, sondern als dein Freund, dein väterlicher und liebevoller Freund.«

»O, mein Meister,« rief Barbarino, indem sein Gesicht in wilder Bewegung zuckte, »ich habe mein ganzes Leben, alles, was ich bin und habe, unserem Bund und der heiligen Sache der Freiheit geweiht, ich werde niemals zögern, meinen letzten Blutstropfen für dieselbe hinzugeben. Eins aber, mein Meister, eins kann ich nicht opfern, eins muß ich für mich allein behalten, das einzige, was ich noch mein nenne auf Erden, – das ist meine Rache.«

»Deine Rache?« fragte der Fremde. »Sind wir denn nicht die Gesellschaft der Rächer? Ist es denn nicht ein Werk der Rache, der heiligsten Rache an der Tyrannei, zu der ich dich entsenden will?«

Barbarino schlug die Augen mit einem so flammenden Ausdruck furchtbarer, grimmiger Drohung auf, daß die Gestalt des andern in leichtem Schauder erbebte.

»O, mein Meister,« rief er, »Ihr wißt, wie tief dies Gefühl der heiligen Rache mich erfüllt, aber noch habe ich mich darum nicht ganz loslösen können von den eigenen und besonderen Gefühlen meines Herzens. Ebenso glühend wie die Freiheit, ja, wie ich gestehen will, glühender noch, heißer und überwältigender habe ich ein Wesen geliebt, dem meine ganze Seele entgegenflog, wie der Adler dem Sonnenlicht, ein Wesen, von dem ich das Glück meines ganzen Lebens erwartete. Dies Wesen, diese meine Geliebte ist mir gestohlen worden durch einen Fremden, durch einen jener Söldlinge der päpstlichen Tyrannei, der mit seinen gleißnerischen Worten ihr Herz vergiftete und zu sich lockte. Diese meine Hand,« rief er, in wilder Bewegung den Arm erhebend, »hat den Stahl in ihr Herz gestoßen, ihr Blut, von dem ich jeden Tropfen mit meinem Leben erkauft hatte, klebt an der Klinge meines Dolches, – er aber lebt, er atmet die Luft der Freiheit und des Glückes, er hat mich von der Leiche meiner Lorenza fort in den Kerker geführt, aus dem Eure Hand mich befreite. Und da, mein Meister, in jener furchtbaren Stunde, in der mein gequältes Herz die Tiefen des Abgrundes durchmessen hat, welchen die Priester für die gemarterten Seelen ersonnen haben, – in jener Stunde habe ich mir geschworen, auf den Stahl, der das Herz meiner Geliebten durchbohrte, nicht eher zu rasten, als bis das Blut jenes Verführers zu meinen Füßen die Erde tränkt. Und diesen Schwur werde ich halten und sollte mein Leben dafür der Strafe des Ungehorsams verfallen. – Habe ich mir je ein Verdienst erworben,« rief er, in flehendem Ton die Hände ausstreckend, »so bitte ich nur um die eine Gnade, die Strafe aufzuschieben, bis meine Rache erfüllt ist.«

»Und wie denkst du,« fragte der Fremde, der seine ganze Ruhe wiedergefunden hatte, indem er mit einem leichten Lächeln freundlich und teilnehmend auf den jungen Mann blickte, – »wie denkst du diese Rache auszuführen?«

»Ich habe ihn gesucht,« rief Barbarino, »den Räuber meines Glücks, – in tausend Verkleidungen bin ich nach Rom gegangen, – ich hätte ihn auf offener Straße niedergestoßen, unbekümmert um alles, was mit mir hätte geschehen mögen. Tagelang habe ich gewartet auf allen Plätzen, – in den Kirchen, – aber alles war bisher vergebens, noch hat sein Verhängnis ihn mir nicht entgegengeführt, – jetzt aber, mein Meister, jetzt, in wenigen Tagen, wird der Angriff auf Rom stattfinden, er gehört zu jener fremden Söldnerschar, welche aus allen Ländern zusammengeströmt ist zum Schutz des Papstes, – in diesem letzten Entscheidungskampf wird er auf dem Platz erscheinen, ich werde dort sein – als was man will, als Soldat, als Freischärler, – ich werde dort sein, – dort wird er mir nicht entgehen, dort wird mein Dolch sein Herz finden, dort werde ich endlich meinen Fuß auf seinen zuckenden Leichnam setzen!«

»Du wirst ihn nicht finden,« erwiderte der Fremde ruhig.

»Nicht finden!« rief Barbarino, – »und wenn ich diese ganze Tyrannengarde Mann für Mann niederstoßen sollte, – und wenn er der letzte von allen wäre, – er soll mir nicht entgehen!«

»Du wirst ihn nicht finden,« sagte der Fremde, »weil er nicht da ist, – ich kenne die Geschichte deiner Liebe, ich kenne auch ihn, dem du Rache geschworen hast. Er ist nicht mehr in Rom, er hat den Dienst des Papstes verlassen und ist nach seiner Heimat zurückgekehrt.«

»O,« rief Barbarino, indem er die Hand des Fremden ergriff, – »wenn Ihr das wißt, wie Ihr ja alles wißt, sagt mir, wo ich ihn finde, – und wäre es am Ende der Welt ich will ihn entdecken und zu meinen Füßen niederwerfen!«

»Er ist,« sagte der Fremde, indem er scharf und forschend in das Gesicht Barbarinos blickte, »er ist bei den Armeen, welche in diesem Augenblick Frankreich besetzt halten und gegen welche der General Garibaldi den Volkskrieg organisieren soll.«

Barbarino blieb einen Augenblick schweigend stehen, mit großen, weitgeöffneten Augen blickte er vor sich hin, dann flog ein Schimmer wilder Freude über sein Gesicht.

»O, mein Meister,« rief er, »dann hält mich nichts mehr hier, – dann führt mich die Erfüllung meiner heiligen Pflicht gegen die Freiheit auch auf den Weg meiner Rache nach welcher meine ganze Seele dürstet! – Gebietet über mich, – ich bin bereit, Euch zu begleiten!«

»Ich habe dir gesagt,« erwiderte der Fremde, »daß ich nur als Freund mit dir gesprochen, und nur der Freund, nicht der Meister des Bundes, will es gehört haben, daß du einen Augenblick im Gehorsam schwanktest. Führe meine Befehle pünktlich aus, – dein Lohn soll sein, daß ich dich seinerzeit auf die Spur deiner Rache führen werde.«

Er reichte Barbarino die Hand, die dieser ehrerbietig drückte.

»Nun,« sagte er, »begleite mich. Von der nächsten Station aus sollst du nach Caprera abgehen, – aber nicht so,« fügte er hinzu, indem er den Anzug des jungen Mannes mit einem prüfenden Blick überflog, »du darfst kein Aufsehen erregen, deine Reise darf durch nichts gehindert werden.«

»Erlaubt mir, mich auf einige Augenblicke zurückzuziehen,« sagte Barbarino, der seine frühere kalte Ruhe vollkommen wiedergewonnen hatte, »ich werde sogleich bereit sein.«

Er zog sich hinter den seidenen Vorhang in den Hintergrund der Höhle zurück und erschien nach einer Viertelstunde wieder, in einen grauen Touristenanzug gekleidet, einen weichen Filzhut auf dem Kopf, einen Mantel über dem Arm, Stock und Regenschirm und einen kleinen, eleganten Reisekoffer in der Hand.

»Es ist gut,« sagte der Fremde, mit dem Kopf nickend, »hast du Geld?«

Barbarino zog eine seidene Börse aus seiner Tasche, durch deren Maschen starke Goldrollen funkelten.

»Das wird genügen,« sagte er. Der Fremde neigte abermals zustimmend das Haupt. »So laß uns aufbrechen!« Barbarino hob den schweren Teppichvorhang empor und trat mit seinem Begleiter in den freien, von Fackeln beleuchteten Raum. Mit der kleinen Pfeife, welche er jetzt an der Kette seiner Uhr befestigt hatte, gab er ein kurzes, laut schallendes Signal.

Eilig, mit der Pünktlichkeit militärischen Gehorsams, lösten sich die verschiedenen Gruppen, die umherliegenden Briganten sprangen auf und schlossen, schnell heraneilend, einen Kreis um ihren Führer, indem sie verwundert den Fremden ansahen, welcher so kaltblütig und gleichgültig dastand, als ginge ihn diese ganze Szene nicht das mindeste an.

»Ich werde einen Ausflug machen,« sprach Barbarino mit lauter Stimme, »der mich mehrere Tage von hier entfernen wird. – Giuseppe Zappa,« fuhr er fort, sich an denjenigen wendend, welcher vorher den Reisewagen im Wald angehalten hatte, »ich übertrage dir den Befehl, und ihr alle werdet ihm gehorchen wie mir selber; bis zu meiner Rückkehr werdet ihr euch ruhig hier an dieser Stelle halten, kein gefahrvolles Unternehmen soll begonnen werden, ich werde euer aller für ernste Dinge bedürfen.«

In ehrerbietigem Schweigen hörten die Räuber die Worte ihres Führers an.

»Wo ist der Wagen?« fragte Barbarino.

»Er steht noch an derselben Stelle im Wald,« erwiderte Giuseppe Zappa.

»Es sollen sogleich einige Leute vorauseilen und die Pferde wieder anspannen; wenn ich dort hinkomme, muß alles zur Abfahrt bereit sein.«

Mehrere Briganten eilten davon.

»Wenn es Euch nun gefällig ist,« sagte Barbarino, sich zu dem Fremden wendend, – »ich werde Euch führen.«

Giuseppe Zappa begleitete die beiden bis zum Ausgang des freien Platzes. Hier verabschiedete er sich von Barbarino. Einer der Briganten mit der Fackel trat voran, der Diener des Fremden folgte, und auf demselben Wege, den man gekommen war, unter dem Wasserfall hindurch, durch das dichte Waldgestrüpp hin, kehrte man zu der Stelle zurück, wo an der hölzernen Brücke über den Bergstrom der Reisewagen stand.

Die Pferde waren bereits wieder zur Stelle und einige Briganten mit dem Postillon beschäftigt, sie wieder an den Wagen zu spannen. Der Postillon schwang sich auf das Sattelpferd, der Diener bestieg den Bock. Barbarino setzte sich neben den Fremden, winkte noch einmal mit der Hand den Briganten, die ihm einen ehrerbietigen Abschiedsgruß zuriefen, und schnell fuhr das bequeme Fuhrwerk mit den beiden Reisenden auf der Landstraße dahin, welche bald von den Waldhöhen herab sich der Ebene zuwendete.


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