Gregor Samarow
Held und Kaiser
Gregor Samarow

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Siebenundzwanzigstes Kapitel

Die schweren Tage des Winters und der Belagerung waren über Paris hingegangen. Die Zeit der trügerischen Hoffnungen und der prahlerischen Proklamationen war verschwunden, um den Wochen der schmerzlichen Entbehrungen und bitteren Enttäuschungen Platz zu machen, während welchen den Parisern auf so harte und empfindliche Weise klar gemacht wurde, daß sie nicht unbesiegbar seien, und daß weder die in allen Teilen Frankreichs mit allerdings bewundernswerter Tatkraft ins Feld gestellten Armeen, noch die durch die Diplomatie der Verteidigungsregierung immer wieder angerufene Intervention der europäischen Mächte der ruhigen und unbeugsamen Beharrlichkeit der deutschen Heere Halt gebieten konnte. Vergebens hatte Viktor Hugo seinen Appell an das »brüderliche« deutsche Volk erschallen lassen, – vergebens hatte der General Trochu wiederholt verkündet, daß seine Ausfälle die feindlichen Linien durchbrechen würden, und daß der Gouverneur von Paris niemals kapitulieren werde. Das deutsche Volk hatte nur mit einem mitleidigen Achselzucken auf die klingenden Phrasen des in den Fieberwahnsinn politischen Deliriums versunkenen Dichters geantwortet, – die Ausfälle waren zurückgeschlagen, und unbeweglich umschloß der eiserne Gürtel der deutschen Armeen die zuckende und zitternde Riesenstadt, – endlich war der Augenblick erschienen, in welchem Jules Favre demütig und gebrochen nach Versailles hinausfuhr, um die Bedingungen des Siegers anzunehmen, welche er vor vier Monaten so stolz zurückgewiesen hatte, und welche seit jener Zeit in verhängnisvoller Weise gewachsen waren, um Frankreich an Geld und Gebiet so viel höhere Opfer aufzuerlegen. Der Gouverneur von Paris aber hatte seinen hochtönenden Proklamationen zum Trotz kapituliert und sich dann in die stille Verborgenheit zurückgezogen, nachdem er vorher seinen Plan, durch den er die Feinde sicher überwunden haben würde, hätte man seiner Ausführung keine Schwierigkeiten in den Weg gelegt, bei einem Notar in aeternam rei memoriam deponiert hatte.

Doch dieser so klägliche Ausgang, in welchem die Taten den Worten so wenig entsprachen, fällt wahrlich nicht dem französischen Volk zur Last. Dies Volk hat, nachdem seine regelmäßigen Armeen, aller heldenmütigen Tapferkeit unerachtet, durch die grenzenlose Unfähigkeit und verhängnisvolle Selbstgenügsamkeit der Generale und durch des Kaisers schwankende Schwäche zertrümmert waren, Wunder an patriotischer Opferbereitschaft getan, es hat Armeen aus dem Nichts entstehen lassen, welche den sieggewohnten deutschen Heeren schweren und ernsten Widerstand entgegenstellten, – es hat mit heldenmütiger Ergebung alle Härten des Krieges bis zum äußersten ertragen und Gut und Blut nicht gescheut, um dem Feinde bis zum letzten Augenblick den Sieg streitig zu machen. Dies zu verkennen, den edlen, hochherzigen Patriotismus des französischen Volkes herabzusetzen, – wie es leider zuweilen geschieht, – das heißt die Siege Deutschlands verkleinern, – denn wo läge der Ruhm, eine verkommene und verächtliche Nation in so langem und hartem Kampf besiegt zu haben? Nein, des bereits gebrochenen und tieferschütterten Volkes letzte Anstrengung war hoch ehrenvoll und fordert Bewunderung und Achtung. Wohl hatte Kaiser Wilhelm dies richtig erkannt und anerkannt, als er am Abend der Schlacht von Sedan dem Grafen Bismarck sagte, daß nun erst der schwerste und härteste Krieg beginne, – wohl erkennen das alle deutschen Offiziere an, welche den Franzosen in der Schlacht gegenüberstanden – und auch das ganze Deutschland sollte es anerkennen in Wort und Schrift, denn nicht durch des geschlagenen Gegners Erniedrigung ehrt man die eigene Kraft. Wohl aber muß die Geschichte ihr vernichtendes Urteil aussprechen über diejenigen, welche, um in doktrinärem Eigensinn ihre Parteimeinungen zur Geltung zu bringen oder um sich persönlich zur Herrschaft zu erheben und sich in derselben zu erhalten, des Volkes edle Aufwallung benützten zur Fortsetzung eines Kampfes, dessen endliche Hoffnungslosigkeit ihnen am besten bekannt war, über diejenigen, welche Frankreich in ein Meer unnütz vergossenen Blutes stürzten, um einige Zeit länger die Diktatur in ihren Händen zu halten und um von diesen Blutwellen die letzten Bollwerke des von ihnen so gehaßten und gefürchteten Kaiserreichs hinwegspülen zu lassen, – welche endlich in der Zerrüttung aller Ordnung jenen zerstörenden, furchtbaren Elementen den Weg öffneten, die nach so vielen und langen Leiden endlich noch in ihrer Schreckensherrschaft das unglückliche Paris mit Leichen und Trümmern bedeckten. Auf sie fällt die Schmach des letzten tiefen Falles einer so hochstehenden Nation zurück, – und wenn auch heute noch Parteihaß und Parteiverblendung die Blicke trübt, – die künftige unparteiische Weltgeschichte wird über sie ihr unwiderrufliches und erbarmungsloses Urteil fällen.

Die Marchesa Pallanzoni hatte die Zeit der Belagerung standhaft und mit festem, fast freudigem Mut durchgemacht. Ihre Mittel, mit denen sie klug und vorsichtig Haus hielt, setzten sie in den Stand, die Entbehrungen jener Zeit weniger zu empfinden und sogar durch manche Wohltaten, welche sie in wohlberechneter Verteilung den Armen ihrer Nachbarschaft spendete, sich eine gewisse Popularität und eine Art von persönlicher Klientel unter den unteren Klassen der Bewohner ihres Quartiers zu verschaffen, die sie in geschickter Weise zu benützen verstand.

Diese so sichere und in der Beherrschung ihrer selbst und anderer geübte Frau war in jüngster Zeit völlig verwandelt. Raoul Rigault, dieser junge Mensch, welcher ja tief unter den Kreisen stand, in welchen sie sich seit langen bewegte, dessen Erscheinung und Manieren so vieles hatten, das sie abstoßend berührte, über den sie vornehm hinweggesehen und dessen Annäherung ihr als eine fast lächerliche Anmaßung erschienen war, – er hatte mehr und mehr eine imponierende Gewalt über sie gewonnen. Sie hatte die Tiefen des Lasters ermessen in ihrem dunklen und vielbewegten Leben, – und um ihr Ziel, Geld und Herrschaft, zu erringen, wäre sie vor keinem Verbrechen zurückgebebt, – sie hatte mit Menschenschicksalen und Menschenherzen gespielt, und über ihre Opfer hinweg war sie kaltblütig dahingeschritten, um immer höher zu steigen auf der Leiter zu Herrschaft und Genuß, – aber es war dies Ziel, das sie lockte, das sie erzwingen wollte dem Schicksal zum Trotz, da das Schicksal ihr versagt hatte, was sie den Begünstigten des Glückes beneidete, – es gab Augenblicke, in denen noch ein Nachhall des reinen Klanges längst vergangener Zeit durch ihre Seele hallte, – in denen sie fast ein Gefühl der Reue, der Sehnsucht nach der Unschuld ihrer Kindheit überkam, – wenn sie auch ein solches Gefühl schnell als eine Schwäche zu verscheuchen suchte. In ihr lebte etwas von der Natur des gefallenen Engels, der dem Herrn der Schöpfung in wilder Auflehnung den Krieg erklärt, der gewaltsam die versagte Frucht brechen will, – der sich aber seiner Auflehnung bewußt ist und knirschend zusammenschauert bei dem Namen des Herrn und Meisters, dem er trotzig sich entgegenstemmt, den er aber zu verleugnen in seinem Innern nicht die Kraft hat.

In Raoul Rigault war keine Spur von dem gefallenen Engel, der den Himmel kennt und fürchtet, so tief er sich auch von ihm entfernen mag.

Keine menschliche Religion gibt in ihrer Mythe der Hölle schöpferische Kraft, die Finsternis ist nur die Verneinung des Lichtes, – der Abgrund kann sich nur bevölkern mit den Geschöpfen des Himmels, welche in Verblendung und Trotz von ihrem Ursprung sich abwenden. Aber bei diesem jugendlichen Agitator der Revolution konnte man den Gedanken fassen, daß dem Geiste der Verneinung die Kraft gegeben sei, Gott zum Trotz Leben zu erzeugen und ein Wesen zu schaffen, das in keiner Faser mit dem Himmel zusammenhängt, dessen Element das Laster und die Zerstörung ist.

Mit der Naivität eines Kindes und mit lachendem Munde sprach er seine furchtbaren Grundsätze über die Zerstörung der bestehenden Gesellschaft aus, und mit felsenharter Festigkeit zuckte er die Achseln über jede gute Regung der menschlichen Natur, und halb mit Verwunderung, halb mit beißendem Spott wies er die Marchesa zurecht, wenn zuweilen Furcht und Scheu vor dem entsetzlichen Vernichtungswerk, über welchem er sann, in ihr sich regte.

Diese Frau, welche gewohnt war, durch ihre Schönheit die Männer zu beherrschen und deren Gefühle auszubeuten, – sie fand keinen Hebel ihrer Herrschaft über Raoul Rigault, denn sie fand kein Gefühl in ihm, als die rein natürliche Freude am Bösen, – wie ein Kind sich instinktiv freut an Blumen, Sonnenlicht und bunten Schmetterlingen, so freute er sich an Leiden und Schmerzen, die er sah oder verursachte.

Er hatte eine wilde Leidenschaft für die Marchesa, – um so heftiger, als ein Weib wie sie ihm niemals nahegetreten war, – wenn sie aber glaubte, diese Leidenschaft als Zügel benützen zu können, um ihn zu lenken und zu leiten, so trat plötzlich eiskalter Hohn an die Stelle der glühenden Erregung, und mit verletzender Verachtung ließ er sie empfinden, daß ihre Schönheit und der Genuß, den sie ihm bieten konnte, das einzige Band sei, das ihn an sie fesselte, und daß er sie in derselben Stunde beiseite werfen würde, in welcher er anderswo höheren Genuß fände.

So war diese Frau, in welcher bisher jede Fessel nur den wilden Trieb erregt hatte, sie abzustreifen, mehr und mehr unter seine despotische Herrschaft geraten, Furcht und Entsetzen durchzitterte sie oft, wenn er seinen Arm um sie geschlungen hielt und ihr von seinen Zukunftsplänen erzählte, – dann plötzlich mit eigentümlichem Leuchten seiner starren Augen ihren schönen Hals betrachtete und ihr sagte, welchen Reiz es haben müßte, diesen schlanken Hals mit einem scharfen Beil zu durchschneiden, – aber unter dieser Furcht und diesem Entsetzen klammerte sie sich immer fester an ihn an, – sie fühlte die Übermacht seiner dämonischen Kraft, und seine zynische, gleichgültige Sicherheit gab ihr oft fast das Gefühl einer tröstenden Beruhigung, indem vor derselben auch die leisen Schatten von Reue und Gewissensunruhe, welche zuweilen noch durch ihre Seele flogen, schnell verscheucht wurden.

Die Belagerung war vorübergegangen, Paris war wieder geöffnet, – die Zeit der Entbehrungen hatte ihr Ende erreicht, aber an die Marchesa war damit eine neue Sorge herangetreten, denn ihre Mittel begannen zur Neige zu gehen, und jene Welt, in der sie früher gelebt, kehrte noch nicht in die ihres Glanzes und Reizes entkleidete Hauptstadt zurück, – auch würde sie nicht gewagt haben, ihre alten Verbindungen anzuknüpfen und aus ihren alten Quellen zu schöpfen, dennoch scheute sie mit instinktiver Furcht vor der Not zurück, der sie verfallen mußte, und doch hielt eine ängstliche Scheu sie zurück, mit Raoul Rigault über ihre Lage und ihre Besorgnisse zu sprechen, denn mit sicherer und triumphierender Zuversicht hatte er ihr verkündet, daß nun bald die große Ära der neuen Gesellschaft anbrechen werde, in welcher Reichtum und Genuß den bisher Darbenden und Elenden zufallen würden.

So war die Mitte des März herangekommen, – die Friedenspräliminarien waren unterzeichnet, und ganz Paris atmete unter dem milden Hauch des Frühlings neu auf in der Hoffnung, daß nun die langen Leiden des verhängnisvollen Krieges endlich beendet sein würden.

Raoul Rigault war seit einigen Tagen nicht in der Wohnung der Marchesa erschienen, und die junge Frau, seit so langer Zeit an den Luxus des eleganten Lebens gewöhnt, war nicht ausgegangen, – ihre Pferde waren während der Belagerung verkauft und gegessen, und eine Art von aristokratischer Empfindlichkeit gegen die Berührung der Massen hielt sie ab, sich zu Fuß und allein unter die auf den Straßen hin und her flutende Menge zu begeben. Sorge und Unruhe erfüllte sie, – das Ausbleiben ihres Geliebten ließ sie befürchten, daß er irgendeinem anderen Reiz gefolgt sei, und mit Zittern dachte sie daran, sich von dem verlassen zu sehen, auf den sie einst so hochmütig herabgeblickt hatte.

Da krachten, nachdem seit der Kapitulation das Ohr sich wieder an die friedliche, sichere Ruhe gewöhnt hatte, von neuem Kanonenschüsse über die Stadt hin, Gewehrsalven ließen sich von der Gegend des Montmartre her vernehmen, – und wildes, furchtbares Geschrei gellte dazwischen, während einzelne Bataillone der Nationalgarde eiligen Schrittes durch die Straßen marschierten. Voll Angst blickte die Marchesa von ihren Fenstern hinab, doch sah sie nichts als ängstlich auf und nieder eilende Menschen, welche in der unklaren Furcht vor einer neuen unbestimmten Gefahr ihre Häuser suchten, und auch ihre Kammerfrau, welche sie aussandte, konnte ihr nichts als die widersinnigsten und widersprechendsten Gerüchte bringen.

Endlich verstummte das Feuer, der Abend war herabgesunken, – allmählich begannen sich einzelne Neugierige auf die Straße zu wagen, bald aber erschienen größere und kleinere Trupps von wilden Gestalten, rote Mützen oder Lappen auf den Köpfen, – Weiber mit entblößten Schultern und fliegenden Haaren begleiteten sie, halberwachsene Kinder trugen rote Fahnen, und alle diese Haufen, welche mit trunkenen, heiseren Stimmen die Marseillaise brüllten, hatten ein so schreckliches, drohendes Aussehen, obgleich sie ruhig und ohne Exzesse durch die Straßen zogen, daß die Neugierigen bei ihrem Anblick schnell verschwanden.

Die Marchesa sah diese wilden Scharen vor ihrem Fenster vorbeiziehen, beleuchtet von einzelnen vorangetragenen Fackeln und den hier und da brennenden Laternen, und ein Strahl von entsetzlicher Freude erleuchtete ihr Gesicht. Das waren ja die Kohorten, welche ihrem Geliebten gehorchten, – wenn sie jetzt im Triumphzug durch die Straßen zogen, so mußte der Augenblick gekommen sein, den er ihr lange vorher verkündet, – der Augenblick, der ihr Macht und Herrschaft bringen sollte über das Gold und das Blut der alten Gesellschaft, eine Macht und eine Herrschaft, wie sie sonst die Herrscher auf den Thronen nicht gehabt hatten, und diese furchtbaren, aus der Tiefe heraufgestiegenen Reihen drohender Gestalten mit den hohlen, erbarmungslosen Blicken, vor denen der Schrecken einherschritt, bei deren Erscheinen die Straßen und Plätze sich leerten, – das waren die Prätorianer der neuen Herrschaft, – die roten Fetzen, welche sie emporschwangen, das waren die Banner des neuen Reiches der Vernichtung, in welchem sie Königin sein sollte, wie ihr Geliebter ihr versprochen.

Sie eilte vom Fenster hinweg und erleuchtete ihre Zimmer, indem sie die Kerzen auf allen Leuchtern und Kandelabern entzündete, dann ließ sie die Kristallflaschen mit feurigen Weinen des Südens füllen, eilte in ihr Schlafzimmer und kam bald zurück in einer weiten, faltigen Robe von schwarzem Samt, deren weit aufgeschlitzte Ärmel ihren weißen schlanken Arm bis zur Achsel herauf bloß ließen. Um den Kopf hatte sie ein blutrotes Tuch gewunden, und eine rote Schärpe fiel von ihrer Schulter bis unter die Hüfte herab.

Als sie vor den Spiegel trat und im Schimmer des zitternden Kerzenlichtes ihre Gestalt erblickte, die schlanken, zarten Formen von den weiten Falten des Gewandes umwallt, – die in wildem, triumphierendem Stolz funkelnden Augen hervorleuchtend aus dem bleichen, von leiser Röte überhauchten Gesicht, das purpurrote Tuch wie eine königliche Binde um das glänzende Haar gewunden, – da erschien ein freudiges Lächeln auf ihren Lippen, – sie war zufrieden, – sie fühlte, daß sie keine Nebenbuhlerin zu scheuen habe, – denn kaum mochte Kleopatra in allem Glanz und Prunk der asiatischen Fürstin dem römischen Sieger hinreißender und verlockender entgegengetreten sein als diese Frau, welche sich anschickte, ihren Freund zu empfangen, der sich vermaß, die Ordnungen der Welt zu zerschlagen und ihre Trümmer in Blut hinwegzuspülen.

Sie hatte nicht lange zu warten. Bald hörte sie rasche Schritte die Treppe heraufeilen, – die Tür flog auf, und Raoul Rigault blieb auf der Schwelle stehen, – geblendet von dem hellen Licht und von dem Zauber der Schönheit, welche die Gestalt dieser Frau umfloß, die inmitten dieses Lichtschimmers dastand und ihm ihre weißen Arme entgegenstreckte. Dann eilte er mit einem Schrei des Entzückens zu ihr hin und drückte sie in wilder Zärtlichkeit an seine Brust.

Einen Augenblick stand sie so da, ihre Arme um seinen Nacken geschlungen und, den Kopf halb zurückgebeugt, die feuchten Blicke in seine Augen tauchend, – dann löste sie sich aus seiner Umarmung, füllte einen großen Kristallkelch mit funkelndem Wein von Syrakus, – benetzte ihre Lippen und reichte das Glas dem jungen Mann mit den Worten:

»Du bist Sieger, – ich weiß es, – ich fühle es, ohne daß du es mir sagst, – ich bringe dir den ersten Gruß, – ich bringe dir diesen Trunk flüssigen Feuers, – dem Rausch der Rache, – dem Rausch der Macht, – dem Rausch der Liebe und des Genusses!«

Er ergriff den Kelch und leerte ihn in langem Zug bis auf den Grund.

Dann schien der Rausch, auf den sie ihm zugetrunken, ihn in zitternden Wonneschauern wirklich zu erfassen, – Flammen schienen aus seinen Augen zu dieser schönen Frau hinzusprühen, welche mit über der Brust gekreuzten Armen vor ihm stand und lächelnd zu ihm hinüberblickte, klirrend entfiel das Glas seiner Hand, – schwankend fast stürzte er zu ihr hin und im Taumel rasend er Leidenschaft drückte er, schwer aufatmend, seinen Mund auf ihre brennenden Lippen. – – –

Die Kommune war eingesetzt auf dem Stadthause, die wilde Revolution war der zahmen, – die rote Republik der blauen, – die Männer der rücksichtslosen Tat und des Schreckens waren den Männern der Halbheit und der leeren Phrase gefolgt, wie das noch immer der Fall gewesen ist, ohne daß diese Lehre der Geschichte, wie so viele andere, jemals beherzigt wird. Raoul Rigault war Prokurator der Kommune geworden, er herrschte fast unumschränkt über das Leben der Einwohner von Paris und über das Gold, das in den öffentlichen Kassen vorgefunden war, – das vergossene Blut schien ihn zu berauschen, und nur die Zurückhaltung von Delescluze, Paschal Grousset und anderen Mitgliedern der Kommune, welche noch immer eine Verständigung mit den Provinzen und selbst eine Ausgleichung mit Versailles versuchen wollten, hielt ihn ab, ganz in die Fußstapfen seines Vorgängers und Vorbildes von 1793, Fouquier Tinville, zu treten. Mit einer kindischen Freude schwamm er in diesem Meer von Schmutz und Blut wie in seinem eigentlichen Element, und während er mit naiver Freude der Marchesa seine neugekauften Battisttaschentücher zeigte – er hatte noch nie welche besessen – erzählte er ihr zugleich mit entsetzlicher Genugtuung, daß er endlich die »Girondins«, wie er die gemäßigteren seiner Kollegen nannte, dazu bestimmt habe, alle zweifelhaften und gefährlichen Personen, namentlich die Priester und Magistratspersonen der alten Gesellschaft, als Geiseln in Haft zu nehmen, um der Versailler Regierung mit Repressalien zu drohen, wenn sie die Gefangenen der Kommune erschießen lasse. »Die Toren,« hatte er dabei gesagt, – »sie glauben zu drohen, sie haben immer noch eine törichte Scheu vor dem Blut, – und vor dem Blut der Priester insbesondere, – nun, – wenn wir die Geißeln nur erst in Verwahrung haben, – die Herren in Versailles werden es nicht daran fehlen lassen, einige der unserigen niederzuschießen, – dann werden wir die Vorstädte ein wenig echauffieren und unter den sogenannten Dienern Gottes und der Gerechtigkeit aufräumen. Das wird immer schon ein vortrefflicher, heilsamer Aderlaß sein, – die Hauptsache wird freilich zuletzt das Feuer und die Wissenschaft der chemischen und elektrischen Zerstörung tun.« Und dann setzte er mit kaltblütiger Genauigkeit seine Ideen über die Vernichtung der Gebäude und Monumente der Vergangenheit durch Petroleum und ätzende Säuren und über die Massenhinrichtungen durch riesenhafte elektrische Batterien auseinander, während er dazwischen wieder wohlgefällig das feine Gewebe seiner Battisttücher betastete und in einem großen Spiegel seinen neuen eleganten Anzug musterte, über welchen er eine dunkelrote seidene Schärpe geworfen hatte.

In der Tat waren der Erzbischof von Paris und viele Geistliche, – der Präsident des kaiserlichen Kassationshofes Bonjean, der Bankier Jecker und andere der Kommune oder einzelnen Mitgliedern derselben verdächtige oder mißliebige Personen gefangen genommen und als Geiseln in das Gefängnis von Mazas eingeschlossen. Zwar hatte Raoul Rigault erklärt, daß die Gefangenen in voller Sicherheit wären, als der Vorstand der Pariser Advokatur, Herr Rouffe, ihn darüber befragte, – allein schon nach kurzer Zeit begann die »Stimme des Volkes«, geleitet durch den Père Duchène und andere unter der Kommune entstandene Organe, welche ihre Vorbilder von 1793 noch überboten, die Hinrichtung der Geiseln zu verlangen.

Die Marchesa, welche nun die Bürgerin Pallanzoni hieß, lebte in einem immer wilderen Rausch. Die Herrschaft über Leben und Tod, welche sie durch ihren Geliebten in ihrer Hand fühlte, das Gold, welches dieser in unerschöpflicher Fülle in ihren Schoß warf, erfüllten ihre nach Macht und Genuß dürstende Natur mit einer wahrhaften Raserei des Glückes und Entzückens. In einem phantastischen Kostüm, das ihre Schönheit noch glänzender hervorhob, – einen Amazonenhut mit roter Feder auf dem Kopf, in einem schwarzen, kaum über das Knie reichenden Samtkleide, das auf zierliche faltige Stiefel herabfiel, ein Stilet an goldener Kette vom Gürtel herabhängend – besuchte sie die Klubs, welche sich zum Teil in den geplünderten Kirchen etabliert hatten, in denen von der Kanzel herab der Wahnsinn und die Lästerung ihre furchtbaren Phrasen vor einer trunkenen Menge ertönen ließen, – und überall, wo sie erschien, schallten ihr laute Jubelrufe entgegen, welche ebensosehr der Geliebten des allbekannten Prokurators der Kommune galten, in welchem diese sinnbetörte Menge die Verkörperung ihrer wildesten und blutgierigsten Instinkte verehrte, – als der wunderbaren Schönheit der Frau, die in Frankreich auch in den Zeiten der zügellosesten Revolutionen immer ihre Macht ausübt. Mochte diese Menge, die sie jubelnd umdrängte und jedem Wink ihrer Augen zu gehorchen bereit war, auch die tiefste Hefe der Menschheit sein, – sie fühlte sich doch als Herrscherin, sie fühlte alles in ihrer Hand vereinigt, was das Schicksal in der alten Gesellschaft ihr versagt hatte, und dazu noch die Macht, sich an jener alten Gesellschaft zu rächen, – auf ihren Trümmern in schrankenloser Freiheit genießen zu können, was sie sonst durch List, Verstellung und Erniedrigung sich hatte erringen müssen. Sie vergaß die Vergangenheit, – sie wies jeden Gedanken an die Zukunft zurück, sie trank in tiefen, durstigen Zügen die Gegenwart wie einen glühenden Feuertrank, der mit jedem Zug immer neuen, immer brennenderen Durst erzeugte.

Herr Charles Lenoir, – der Bürger Lenoir war nach der Proklamation der Kommune bei ihr erschienen, – demütig, – gebeugt, – wie ein Sklave vor der Herrin über sein Leben, hatte er sie gebeten, ein Wort für ihn zu sprechen und ihm eine Verwendung bei der neuen Regierung zu ermitteln, – mit stolzer Genugtuung hatte sie für den, der einst ihr Gatte war, – den sie dann als lästigen Verbündeten ertragen hatte, und der nun ganz von ihr abhängig und ganz in ihrer Gewalt war, ein Wort der Empfehlung gesprochen. Raoul Rigault hatte ihn einen Augenblick durch sein Monokle angesehen und ihm dann die Überwachung der Verdächtigen in einem Distrikt der Chaussee d'Antin übertragen, indem er ihm eine Anweisung auf den Schatz der Kommune gab und mit kaltem Hohn sagte:

»Nimm dich in acht, mein Freund, daß du gute Dienste leistest, – denn auf einen Wink dieser schönen Hand werde ich dich ebenso leicht füsilieren lassen, als ich jetzt dies Gold in deine Hand rollen lasse.«

Demütig, wie er gekommen, hatte Herr Lenoir sich wieder entfernt, und seit jener Zeit war er der eifrige und unermüdliche Diener der Kommune und besonders der allmächtigen Freundin des gefürchteten Prokurators, welcher er ausführlich und regelmäßig über alles berichtete, was sich in Paris begab, insbesondere auch über die kleinen Seitenwege, auf welche sich die Neigungen ihres Geliebten zuweilen verirrten. Sie fürchtete diese Verirrungen nicht in der stolzen Sicherheit, die sie erfüllte durch das Bewußtsein, daß unter den Frauen, welche die jetzigen Herrscher von Paris umschwärmten und umgaukelten, wie sie es bei den früheren Machthabern getan hatte, keine ihr an die Seite treten und dauernd den an ihren Umgang Gewöhnten fesseln könne; dennoch war es ihr lieb, auch in dieser Beziehung stets genau unterrichtet zu sein, und sie fügte zu der Bezahlung, welche der Bürger Lenoir von der Kommune erhielt, manche Goldrolle hinzu, die er mit stets gleichem, demütigem Dank entgegennahm und durch immer eifrigeren Dienst vergalt.

Die Taten der Kommune gehören der Geschichte an; wie ein wahnsinniger Fieberparoxysmus eines durch die schwersten und niederschmetterndsten Unglücksfälle bis zur äußersten Überreizung getriebenen Volkes erscheint diese Zeit, welche alle Begriffe von Recht und Sitte durcheinanderwarf und die Freiheit und Brüderlichkeit durch den Despotismus der rücksichtslosesten Tyrannei zur Herrschaft bringen wollte, – dennoch aber war diese entsetzliche Episode nur der Ausbruch einer chronischen Krankheit, welche durch die Adern der menschlichen Gesellschaft schleicht und ihr Blut vergiftet, – dennoch bot dieser Ausbruch so schlagende Ähnlichkeiten mit der Schreckensperiode der großen Revolution, in welcher die Ideen, welche heute den Staat und das öffentliche Recht beherrschen, zum blutigen Sieg geführt wurden, – dennoch gab es und gibt es auch in Deutschland Parteien und ernste, unermüdliche Agitatoren, welche jene kurze Herrschaft der Kommune als das flammende Vorzeichen einer neuen Ära in der Entwicklung des Menschengeschlechtes betrachten und feiern.

Immer wilder tobte die Raserei in Paris, – wo jeder der Machthaber seine Doktrinen oder seine Interessen in seiner Weise mit allen Mitteln der unumschränktesten Gewalt zur Geltung zu bringen strebte und wo über allen diesen einzelnen kleinen Despoten der eine große allgemeine Tyrann, die Masse des in seinen Tiefen aufgewühlten Volkes stand, dieser Tyrann, vor dessen Launen alle jene anderen angstvoll sich beugten, denn er war stets bereit, bei dem geringsten Widerstand seine eigenen Götzen zu zertrümmern und in den Staub zu treten.

Immer näher rückten aber auch die Truppen der Versailler Regierung heran, voll grimmiger Erbitterung und voll heißer Begier, die Scharen der Kommune zu besiegen, welche, nachdem der äußere Feind die Macht und den Ruhm Frankreichs niedergeworfen hatte, nun auch noch das Glück, den Wohlstand und den Frieden des Vaterlandes zerstören wollte. Neue und immer neue Bataillone wurden aus den Arbeitern der Vorstädte und aus den gewaltsam ausgehobenen Bürgern von Paris gebildet, aber langsam und sicher drangen die Regierungstruppen vor, und immer näher hörte man das große und kleine Geschützfeuer erschallen, – den Machthabern eine furchtbare Mahnung an das Ende ihres Herrschaftstraumes, – den zitternden Bürgern von Paris das hoffnungsvolle Zeichen einer nahen Erlösung.

Die Bürgerin Pallanzoni war nach dem Montmartre hinausgefahren, um die dort stationierten Artilleristen der Kommune zu besuchen und zu mutiger Ausdauer anzufeuern, – man hatte sie, wie immer, mit jubelnden Rufen begrüßt, – aber trotz des Fiebers, das ihr Blut durchwallte und das selbst die Luft zu erfüllen schien, welche schwül und drückend über der Riesenstadt lag, – hatte sie doch ein Schauer erfaßt, als sie von den Höhen des Montmartre herab auf dies Paris niedersah, das wie eine einsame Insel dalag, umschlossen von einem Meer von Feinden, die Schritt vor Schritt als unerbittliche Rächer heranzogen, um diejenigen zu vernichten, welche, auf jener Insel eingeengt, es unternommen hatten, der ganzen menschlichen Gesellschaft den Krieg zu erklären. Schweigend und nachdenkend hatte sie ihren Geliebten nach dem Stadthause begleitet, wo in einer Sitzung der Kommune über die zu ergreifenden Maßregeln beraten werden sollte, und war dann nach Hause zurückgekehrt, wo sie in finsterem Brüten sich auf ihr Ruhebett niederwarf.

Sie hatte eine Zeitlang so dagelegen, während die schwarzen Fittiche düsterer Gedanken ihr Haupt umrauschten, – als plötzlich die Tür ihres Salons sich öffnete. Schnell aufblickend sah sie einen Mann in blauer Bluse mit kurzem, graugemischtem Vollbart, einen weichen Hut tief in das Gesicht gedrückt, dastehen.

Dieser Mann schloß die Tür und kam langsam dem Divan näher, auf welchem die junge Frau ausgestreckt lag. Schnell sprang sie auf und trat dem Unbekannten entgegen, – trotz seiner sonderbaren Art sich einzuführen, hatte sie keine Furcht, – sie glaubte einen Boten ihres Geliebten oder einen der zahlreichen Klienten vor sich zu sehen, welche so oft ihre Vermittlung und ihr Fürwort in Anspruch zu nehmen kamen.

Der Mann nahm seinen Hut ab, und die junge Frau taumelte zurück wie vor einer Geistererscheinung.

Sie sah vor sich das bleiche, edle Gesicht des Grafen Rivero, der sie aus seinen tiefen, dunklen Augen mit flammenden Blicken durchbohrte. Er streckte die Hand gegen sie aus, während sie wie gebrochen auf den Divan niedersank, und sprach mit tiefer Stimme:

»Also hat der Geist der Finsternis, dem Gott gestattet, in seine Welt heraufzusteigen, endlich seine wahre Gestalt angenommen, – Antonie von Steinfeld, deren Verbrechen ihre Mutter töteten, – Frau Balzer, die ein reines Leben durch gräßliches Gift zerstören wollte, – die Marchesa Pallanzoni, die in verwegenem Trotz die Verzeihung des Himmels zurückwies, – sie steht jetzt vor mir als die Priesterin des blutigen Dämons der Vernichtung, der in Leichenhaufen seine Altäre errichtet!«

Die Marchesa antwortete nicht, – sie schmiegte sich in sich selbst zusammen, ihre Augen erweiterten sich wie diejenigen des Tigers, der seine Beute vor sich sieht, mit einer leisen Bewegung näherte sie ihre Hand dem Stilet, das an ihrem Gürtel hing, – in einem Nu blitzte die glänzende Klinge in ihrer Hand, dann, wie von einer Feder emporgeschnellt, war sie mit einem einzigen Satz neben dem Grafen und stieß mit gewaltiger Kraft die dreifach geschliffene Klinge nach seinem Herzen.

Aber diese Klinge drang nicht ein, sie fand einen festen, zähen Widerstand, der Graf schwankte einen Augenblick, dann faßte er mit eisernem Griff den Arm der Marchesa und entwand ihr den Dolch, dessen Spitze sich gekrümmt hatte an den Maschen des Panzerhemdes, welches er unter der Bluse trug.

»Ich bin nicht zu der giftigen Schlange gekommen,« sagte er, die Waffe auf den Boden werfend, »ohne mich gegen ihren Stachel zu schützen.«

Die junge Frau trat einen Schritt zurück und sagte, die Arme untereinander schlagend, mit Blicken voll grimmigen Hasses:

»Ich weiß nicht, mein Herr, was Sie bewogen hat, von neuem in die Sphäre meines Lebens zu treten, – aber ich weiß, daß dies das letzte Mal ist, daß Sie mir begegnen. Ich hatte unrecht, mit eigener Hand mich von Ihnen befreien zu wollen, – aber ein Wort von mir wird Sie dem sichern Tod weihen, – von dem es keine Rettung für Sie gibt.«

»Ich weiß,« sagte der Graf kalt, »daß der Elende, der dich beherrscht, nachdem du deine Herrschaft über edle und treue Herzen zu Unheil und Verderben gemißbraucht, – in diesem Augenblick Gewalt über Leben und Tod hat, und deshalb bin ich hierher gekommen, um dich zu zwingen, zu einer Tat des Heils deine Hand zu leihen, – möge die ewige Barmherzigkeit dir diese Tat einst anrechnen bei dem Gericht über dein Leben.«

Sie sah ihn erstaunt an, die Zuversicht seines Tones schien sie zu verwirren.

»Sie vergessen, mein Herr,« sagte sie dann mit höhnischem Lächeln, »daß ich nicht mehr von Ihnen abhängig bin, – daß Sie jetzt in meiner Hand sind, – wie Sie früher glaubten, mich in der Ihrigen zu halten.«

»Ich verlange von Ihnen,« sprach der Graf ebenso kalt und ruhig, »daß Sie mir durch Ihren Geliebten die Erlaubnis des Zutritts zu allen Gefängnissen verschaffen, – geben Sie als Grund Verschwörungen der Versailler Regierung an, die durch einen zuverlässigen Mann überwacht werden müßten, – wenn Sie eines Grundes bedürfen.«

Es zog wie eine leise Befriedigung über ihr Gesicht, als sie diese Forderung hörte, – tief in ihrem Innern regte sich eine abergläubische Furcht vor diesem Mann, dessen weit reichende Macht sie oft empfunden hatte, und sie empfand eine gewisse Erleichterung, daß er nichts anderes von ihr verlangte.

»Und wenn ich mich weigere, dies zu tun?« sprach sie, indem sie den Ausdruck überlegenen Hohns auf ihren Zügen festzuhalten suchte.

»Wenn du dich weigerst, mir sogleich ein Billet an deinen Geliebten zu geben,« erwiderte der Graf, indem er einen Revolver aus seiner Tasche zog und auf ihre Stirn richtete, »so wirst du im nächsten Augenblick tot zu meinen Füßen liegen.«

Sie zuckte nicht mit den Wimpern.

»Und Sie werden vom Volk zerrissen werden,« sagte sie.

Der Graf zuckte die Achseln.

»Doch höre weiter!« sprach er, – »wenn du die Empfehlung, die ich jetzt von dir erzwinge, später widerrufst, – wenn ein Wort darüber, wer ich bin, über deine Lippen kommt, – wenn irgendein Schritt geschieht, der meine Freiheit oder mein Leben gefährdet, – so wird die Sonne des Tages, an welchem dies geschieht, nicht niedersinken, ohne daß du mit dem Tode gebüßt hast. Mitten in dem wilden Bacchanal, – in den Armen deines Geliebten, in der Mitte dieser Scharen, über die du gebietest, wird der Dolch, die Kugel oder das Gift dich finden und vernichten. Du hast meine Macht gefühlt, – obgleich du noch ihren ganzen Umfang nicht kennst, – fordere sie nicht heraus!«

Er zog aus den Falten seiner Bluse ein Kruzifix von geschnitztem Elfenbein hervor, das er an einer goldenen Kette um den Hals trug, und sprach mit feierlichem Ton, indem er die Spitze seiner Finger auf das Bild des Gekreuzigten legte:

»Sieh dieses Zeichen, das du verleugnet und gelästert hast und vor dem dennoch deine Seele in banger Scheu erbebt, – ich schwöre dir bei den Wunden des Heilandes, daß meine Worte Wahrheit sind, – daß, wenn ich falle, hundert Augen auf dich gerichtet sind und hundert rächende Arme bereit sind, dich zu vernichten.«

Sie schauerte zusammen und schien einen Augenblick unschlüssig.

»Glaubst du an meinen Schwur, – glaubst du an meine Macht, ihn zu halten?« fragte er.

Sie neigte schweigend den Kopf. Dann sah sie ihn durchdringend an und fragte:

»Wenn ich tue, was Sie von mir verlangen, – werden Sie mich der Versailler Regierung gegenüber schützen, wenn dieselbe siegreich in Paris eindringen sollte?«

Der Graf sah sie fast entsetzt an. Dann legte sich ein Zug unendlicher Verachtung um seinen Mund.

»So gut ich es kann,« sagte er, – »wenn ich dann überhaupt noch etwas vermag,« fügte er finster hinzu.

Sie sah ihn so scharf an, als wolle sie in seinem innersten Herzen lesen.

»Doch nun eilen Sie, – meine Zeit ist gemessen, – einen Brief an Ihren Geliebten, – ich will ihn noch auf dem Stadthause treffen.«

»Ich habe Besseres als das,« sagte sie, – »ich habe Blanketts mit seiner Unterschrift –«

Die Blicke des Grafen leuchteten vor Freude.

»Das ist in der Tat besser,« sagte er.

»Doch«, sprach sie, einen Bogen Papier auf dem Schreibtisch ausbreitend und dem Grafen eine Feder reichend, – »Zug um Zug! Schreiben Sie!«

Der Graf trat an den Schreibtisch, ergriff die Feder und blickte sie fragend an.

Sie diktierte:

»Die Marchesa Pallanzoni hat sich um die Wiederherstellung der gesetzlichen Ordnung große Verdienste erworben und mir wichtige Dienste geleistet. Ich empfehle sie dem Schutz und der besondern Anerkennung der Regierung zu Versailles, – und des päpstlichen Nuntius,« – fügte sie nach einigem Nachdenken hinzu.

»Das genügt,« sagte sie, – »unterzeichnen Sie.«

Der Graf setzte seinen Namen unter das Papier.

»Und das Blankett?« fragte er.

Sie nahm aus einem Schubfach ein weißes Blatt, unter welchem mit großen Zügen stand: »Raoul Rigault, Prokurator der Kommune von Paris.«

Der Graf nahm das Blankett und reichte ihr das von ihm beschriebene Papier. Dann trat er zur Tür und sprach: »Denke wohl daran, – die erste verdächtige Bewegung gegen mich ist das Zeichen deines Todes, – Gott wende dein Herz zur Reue und zur Buße!«

Schnell war er durch die leise geöffnete Tür verschwunden, und die Marchesa blieb in wunderbar gemischten Empfindungen allein. Die so urplötzliche und unerwartete Erscheinung dieses Mannes, der eine so mächtige Gewalt über ihr Leben ausgeübt hatte, ließ die Erinnerung an ihre Vergangenheit lebendiger als seit langer Zeit in ihr emporsteigen, und mit der Erinnerung kamen auch die Gedanken an die Zukunft, welche sie in dem wüsten Taumel dieser Tage verscheucht hatte und welche doch so unheilverkündende Mahnungen in den Salven der immer fester vordringenden Versailler Truppen ertönen ließ.

Sie verschloß das Blatt, welches der Graf Rivero ihr gegeben, in ein verborgenes Fach ihres Schreibtisches und blieb sinnend, den Kopf in die Hand gestützt, davor sitzen.

Tritte erschallten auf der Treppe, – laute Rufe und helles Lachen drangen herauf, – die Marchesa sprang empor und eilte den Kommenden entgegen, an deren Spitze Raoul Rigault, die rote Schärpe um die Schulter, einen Schleppsäbel an zierlichem Gehänge an der Seite, schnell in das Zimmer trat.

» La fleur du panier!« rief er, seine Geliebte umarmend, – »wir kommen, die Reinsten der Reinen, die Rötesten der Roten, um den Sieg zu feiern, den wir über die Halben, die Lauen, die Verräter gewonnen haben. Wir haben den Beschluß durchgesetzt,« rief er triumphierend, »daß die gefangenen Geiseln, die Priester insbesondere, diese Diener des sogenannten Gottes, in das Gefängnis von La Roquette gebracht werden. – Sie werden dort sicherer sein,« fügte er mit entsetzlichem Hohn hinzu, – »und bald wird zwischen Paris und Versailles ein Strom von Blut fließen, den alle diese Feiglinge und Heuchler nicht werden überbrücken können.«

Hinter Raoul Rigault waren die wildesten Mitglieder der Kommune und einige jener Frauen eingetreten, welche in dieser Schreckenszeit eine so furchtbare Rolle spielten und an Fanatismus und Blutdurst den schauerlichen Gestalten der großen Revolution nicht nachstanden.

Hier sah man Urbain, den ehemaligen Schullehrer, einen schlanken, magern Menschen in schwarzer, gesucht einfacher Kleidung, mit dem scharf geschnittenen, aber starren Gesicht, den halb tückischen und halb blöden Augen, dem selbstgefälligen Lächeln auf dem breiten Mund mit den schmalen, blutlosen Lippen und mit dem glattgescheitelten, dünnen Haar auf dem flachen, platten Kopf. Seine ganze Erscheinung zeigte Überspannung und geckenhafte Eitelkeit, – Robespierre war sein Vorbild, in kalter Grausamkeit war er bereit, Tausende hinzuschlachten, um die unverstandenen sentimentalen Theorien Rousseaus zu verwirklichen. An seinem Arm hing eine junge Frau von einundzwanzig Jahren, die Witwe Marie Leroy, ebenso einfach gekleidet als er, – ihr stilles, bleiches Gesicht, ihre ruhige, anmutig bescheidene Haltung schien nicht zu der Gesellschaft zu passen, in der sie sich befand, aber in dem Blick ihrer Augen lag eine solch tiefe, krankhafte Schwärmerei, ein solcher fieberglühender Fanatismus, daß diese Blicke in Momenten der Erregung wie vom Wahnsinn belebt schienen und Furcht einflößten.

Cluseret, der General der Kommune, folgte mit der sechsundzwanzigjährigen Beatrice Guvrée, einer vollen, imposanten Gestalt von üppigen Formen, das Gesicht stark, aber von klassisch reinen Zügen, die Augen groß und kühn blickend, das reiche dunkelblonde Haar in griechischer Weise rückwärts gekämmt und von einer goldenen, mit Edelsteinen besetzten Spange in einem Knoten festgehalten, – dann der Oberst Brunel, ein kräftiger, großer Mann mit vollem, dunklem Bart und blitzenden Augen, – an seinem Arm Marie Bonnard, eine junge Person, auffallend gekleidet, mit geschminkten Wangen und untermalten Augen, der Typus der gewöhnlichen Demimonde, – endlich Varlin, dieser finstere und unversöhnliche Kämpfer gegen die Bourgeoisie, welcher die Internationale den Händen des idealen Tolain entwunden hatte und jetzt die Kommune für seinen Haß und seine Zerstörungsarbeit benützte, während Tolain in Versailles war und gegen die royalistische Strömung der Nationalversammlung ebenso vergeblich ankämpfte, wie er es einst gegen die roten kommunistischen Elemente in der Internationale getan. Varlin hatte sich nicht verändert, weder in seiner Kleidung und Haltung, noch in dem düstern, verschlossenen Ausdruck seines Gesichtes mit den kalt beobachtenden Augen.

»Jetzt,« rief Raoul Rigault, – »meine Freundin, öffne deinen Keller und gib uns das Feurigste und Beste, was er enthält, – bald werden wir auf der Höhe unseres Zieles sein und nachholen können, was Marat versäumt hat, – ich bin gewiß, meine treuen Kohorten von Belleville und St. Antoine werden den armen Erzbischof nicht lange in La Roquette schmachten lassen!«

Bald waren die Tische mit Flaschen aller Art, mit kalten Speisen und Früchten bedeckt, – auf einem in die Mitte des Salons gerückten Divan saß Raoul Rigault, den Arm um seine Geliebte geschlungen, – die übrigen gruppierten sich um den Tisch, der Champagner schäumte in großen Pokalen, – die glühenden Weine Spaniens und Italiens flossen in Strömen und ergossen immer neues Feuer in das Blut dieser von kochenden Leidenschaften erhitzten Menschen. »Ich bin nicht damit einverstanden, Bürger Rigault,« sagte die blasse Marie Leroy mit sanfter, klarer Stimme, »daß dieses Oberhaupt der heuchlerischen Priesterzunft einfach und in der Stille getötet wird. Wir haben öffentlich und feierlich die Vendômesäule niedergerissen, dieses Denkmal der kaiserlichen Tyrannei, – öffentlich und feierlich wollen wir den Erzbischof, diesen letzten Vertreter der noch viel schlimmern Tyrannei des sogenannten Gottes vernichten, – in derselben Weise, wie einst die Könige ihre Feinde vernichteten, – wir sollten ihn vierteilen.«

»Gut, gut,« lachte Raoul Rigault mit schon etwas schwerer Zunge, – »ich werde ihn dir überweisen, Bürgerin Leroy – – aber diese Priester sind zäh, – und unsere Pferde haben sich noch nicht wieder von der Hungerzeit der Belagerung erholt –«

»Und dazu«, fiel Marie Leroy ein, »sollte man einen großen Scheiterhaufen errichten und auf demselben alle Nonnen von Paris verbrennen –«

»Nicht doch,« rief Beatrice Euvrée, – »wozu diese Armen strafen, die ja selbst Opfer sind der priesterlichen Willkür und meist gegen ihren Willen in die Zellen der Klöster gesperrt wurden, – man soll sie befreien, man soll sie verheiraten –«

»Verheiraten,« rief Cluseret, – »die Bürgerin Beatrice will dem Verbrechen der Ehe das Wort reden, – die Ehe, welche die erste Fessel ist, in welche die Priester die Menschheit geschlagen –«

»Nein,« rief Beatrice, – »ich bedarf dieser Fessel nicht, um dich zu halten, mein Kleiner, – denn siehst du, wenn du mir untreu werden wolltest –«

Sie faßte mit den Spitzen ihrer Finger sein Ohr und kniff dasselbe mit solcher Gewalt, daß der General erschrocken aufschrie und auf die weitere Entwicklung seiner Ideen verzichtete.

»Ich finde überhaupt,« sagte Marie Bonnard mit heiserer Stimme, »daß es sehr töricht ist, die Kirche und die Religion abzuschaffen, – wir wollen das alles behalten, – aber wir, die Frauen, wollen Priester und Bischöfe sein, – ich würde ein vortrefflicher Erzbischof werden, – die Gläubigen müßten mich täglich neu mit Kostümen von Goldstoff, mit Perlen und Edelsteinen bekleiden, – und ich würde es so gut verstehen, den Wein für alle zu trinken, während ich ihnen das trockene Brot lasse.«

Sie füllte einen großen Kelch mit Wein von Alicante, und die Haltung des Priesters bei der Kommunion parodierend, stürzte sie den feurigen Trank auf einen Zug hinunter.

Lautes Lachen antwortete auf die Lästerung, – immer höher stieg der Rausch in den Köpfen, die Glut in den Adern, – immer stierer wurden die Blicke, immer entsetzlicher die Reden, welche in abgerissenen Worten aus den zuckenden Lippen hervordrangen. Nur Varlin saß still und in sich versunken da, – sinnend und brütend, und Raoul Rigault hatte den Kopf auf die Schulter der Marchesa sinken lassen, mit halbgeschlossenen Augen umherblickend und nur zuweilen auf irgendeinen lustigen Scherz oder auf eine besonders entsetzliche Gotteslästerung mit einem schweren, rauhen Lachen antwortend.

Da öffnete sich die Tür, und in dieser von der Glut des Weins und von blutigen Phantasien erhitzten Gesellschaft erschien eine Frau in dunkler, einfacher Kleidung, ein schwarzes Tuch um den Kopf, Kummer und Angst auf den bleichen Zügen, die Augen gerötet von Tränen. Sie führte einen kleinen Knaben von sechs bis sieben Jahren an der Hand und blieb einen Augenblick an der Tür stehen. Dann ging sie schnell, das scheu und furchtsam umherblickende Kind mit sich führend, auf Raoul Rigault zu.

»Bürger Rigault,« sagte sie im Ton rührender, angstvoller Bitte, – »ich habe Sie lange – überall gesucht, – man sagte mir, daß ich Sie hier finden würde, – warum haben Sie meinen Mann verhaftet, – warum wollen Sie ihn töten lassen, wie man mir sagt, – ich kann es nicht glauben, – er ist doch wahrlich ein treuer Freund der Republik, – Sie wissen es am besten, da Sie ihn so lange kennen, – er war Ihr Freund, – er hat Ihnen oft Dienste geleistet, – ich beschwöre Sie, lassen Sie ihn frei, – geben Sie mir den Gatten, – geben Sie meinem Kinde den Vater wieder.«

Raoul Rigault richtete sich empor, – sein stumpfer Blick belebte sich beim Anblick dieser Frau, – der drückende Rausch, welcher seine Sinne gefangen hielt, schien zu verfliegen bei dem Anblick ihrer Angst und ihres Leidens.

»Ah, Madame Chaudey,« sagte er mit einem Lachen, das nichts Menschliches mehr hatte, – »Sie sind hier, Sie wollen, daß ich Ihnen Ihren Mann zurückgebe? – Sie haben unrecht, er ist ein langweiliger Bursche, Sie sollten mir danken, daß ich Sie von ihm befreie, – es gibt so viele, die jünger und schöner und weniger Pedanten sind als er, – und die Ihnen ebenso hübsche Kinder verschaffen werden, als dieser kleine Bursche da ist. – Toinette, ein Glas für die Bürgerin Chaudey, ich will mit ihr anstoßen auf ihre Befreiung!«

Dumpfes Schweigen herrschte einen Augenblick in dem Zimmer; in dieser ganzen Gesellschaft, welche Gott und alles Heilige verhöhnte, regte sich kein menschliches Gefühl bei dem Anblick dieser Mutter, welche für das Leben des Vaters ihres Kindes bat.

Entrüstung und edler Zorn blitzte aus den Augen der Frau Chaudey, – sie kämpfte ihre Gefühle nieder und führte den Knaben ganz nahe an Raoul Rigault heran.

»Sieh, mein Sohn,« sprach sie mit bebender Stimme, – »dieser Bürger hier hält das Leben deines Vaters in seiner Hand, – bitte ihn um Gnade für deinen Vater, – bitte ihn bei dem Andenken seiner Mutter.«

Das Kind blickte mit großen Augen angstvoll empor, während es seine Hände bittend faltete.

Raoul Rigault nahm diese Hände in die seine und streichelte freundlich den Kopf des Knaben. Freudige Hoffnung erschien auf dem Gesichte der hinter ihrem Sohne stehenden Frau.

»Du liebst also deinen Vater sehr, mein Kleiner?« fragte Raoul Rigault.

»Ach ja, mein Herr,« erwiderte das Kind, – »er ist so gut und liebt mich auch, – und ich möchte so gern wieder bei ihm sein –«

»Nun,« sagte Raoul Rigault mit fürchterlichem Lächeln, – »dann denke morgen früh an ihn, – da wird man ihn füsilieren.«

Madame Chaudey fuhr zusammen wie von einem Blitzschlag getroffen. In hastiger Bewegung riß sie das Kind zurück, – und mit flammensprühenden Blicken, die Hand gegen Raoul Rigault ausstreckend, welcher lachend sich in den Divan zurücklehnte, rief sie:

»Ich habe den Priestern nicht geglaubt, wenn sie vom Teufel sprachen, – jetzt sehe ich ihn vor mir, – aber wenn der Teufel lebt und auf Erden umhergeht, – so muß auch Gott leben und die beleidigte und verhöhnte Natur rächen! Gott übergebe ich meine Rache und meinen Fluch!«

Und das zitternde Kind mit ihrem Arm umschlingend, ging sie hinaus.

Raoul Rigault sendete ihr ein lautes Hohngelächter nach, – die übrigen schwiegen, selbst Marie Leroy, welche alle Nonnen von Paris auf einem großen Scheiterhaufen verbrennen wollte, blickte leise zitternd in ihren Schoß nieder.

»Das hätten Sie nicht tun sollen, Rigault,« sagte Cluseret. »Chaudey hat viele Freunde, – und im Grunde ist er doch ein guter Republikaner –«

»Er ist ein Affe der Tugend,« rief Raoul Rigault, – »den ich hasse, – er ist ein Pedant, – er scheut das Blut, – er predigt abgeschmackte Theorien von Gerechtigkeit, – und wenn er Freunde hat,« rief er mit wilder Drohung, – »so können seine Freunde ihm folgen!« »Nun, – wir können ja morgen darüber weiter sprechen, sagte Cluseret beschwichtigend, während Varlin still vor sich hin lächelte.

Raoul Rigault füllte einen Kelch mit Champagner und reichte ihn seiner Geliebten, damit diese, wie sie zu tun pflegte, den Wein mit ihren Lippen berühre.

Sie zögerte, in unwillkürlichem Entsetzen zusammenschauernd.

»Trink!« rief er, – »oder ich glaube, daß du mir Gift reichst!«

Sie tauchte zitternd ihre Lippen in den perlenden Wein. Raoul Rigault leerte den Kelch bis auf den Grund und versank dann in stilles Sinnen, während die anderen in lärmender Orgie den Eindruck der eben stattgefundenen Szene zu verwischen suchten.

Nach einiger Zeit stand er auf und verschwand hinter der Portiere des Boudoirs, – die Marchesa blickte ihm unruhig nach, doch wagte sie nicht ihm zu folgen.

Er aber verließ durch den ihm bekannten Seitenausgang die Wohnung, stieg unsichern und schwankenden Schrittes die Treppe hinab, rief auf der Straße einen vorüberfahrenden Fiaker an und befahl demselben, ihn nach dem Gefängnis von Sainte-Pelagie zu fahren.

Hier angekommen, ließ er den Wagen warten, läutete am Eingangstor und trat durch den Hof des Gefängnisses in das Wachtzimmer.

In demselben befanden sich etwa fünfundzwanzig Mann von den Föderierten der Vorstädte, teils uniformiert, teils in blauen Blusen, mit kurzen Seitengewehren oder Schleppsäbeln bewaffnet, die Gewehre lehnten an der Wand, – geleerte Flaschen und halbvolle Gläser standen auf einem großen Tisch, der durch eine trübe brennende Lampe erleuchtet war.

Als Raoul Rigault eintrat, von einem lauten Rufe der wachhabenden Mannschaft begrüßt, kam aus den inneren Räumen des Gefängnisses Vermesch, der Redakteur des Père Duchesne, dieses Blattes, das den »Ami du Peuple« Marats nachahmte und auf seiner Titelvignette einen Arbeiter in einer phrygischen Mütze auf einer Barrikade zeigt, vor der am Boden zerbrochene Kronen, Bischofsmützen und Szepter liegen, während daneben ein brüllender Löwe, den Zorn des Volkes darstellend, sich erhebt. Vermesch, ein Mann von etwa dreißig Jahren, kalt, starr und gemessen in dem Ausdruck seines Gesichts und in seinen Bewegungen, bleich, mit strengen Blicken, ohne Gefühl und Erbarmen, kam von einer Inspektion des Gefängnisses zurück; in seiner Begleitung war der Schließer und der Brigadier Gentil, eine wilde Erscheinung mit struppigem Bart und rotem Gesicht, zwei Revolver im Gürtel, einen klirrenden Säbel an der Seite.

»Guten Abend, Vermesch,« rief Raoul Rigault, als er seinen Kollegen und sinnverwandten Genossen erblickte, – »es fügt sich gut, daß ich dich hier treffe, – ich habe ein Geschäft, das dir gefallen wird! – Auf, Bürger Schließer, führen Sie mich in die Zelle des Gefangenen Chaudey!«

»Der Narr,« sagte Vermesch, »hat mich soeben mit seinen Redensarten von Gerechtigkeit, Freiheit und Gesetz gelangweilt, – was soll's mit ihm?«

»Du wirst sehen,« erwiderte Raoul Rigault, – und mit noch immer unsicheren Schritten folgte er dem mit einer Laterne voranschreitenden Schließer in den Zellengang, indem er seinen Arm in den von Vermesch legte. Der Brigadier Gentil folgte.

Der Schließer öffnete eine Zelle, – das Licht der Laterne fiel in den dunklen Raum, in welchem Chaudey auf einem Strohbette lag.

»Was gibt es, – warum stört man mich schon wieder?« fragte der Gefangene von seinem Lager.

»Auf, Chaudey, auf!« rief Raoul Rigault, – »ich bin es, der Bürger Rigault, – es ist Zeit, – die Gerechtigkeit, die Sie anrufen, ist da!«

Chaudey erhob sich von seinem Lager und trat halb angekleidet in den Lichtkreis, welchen die Laterne am Eingang der Zelle umherwarf.

Sein Gesicht war bleich und eingefallen, seine sonst so scharfen und geistvollen Augen blickten trübe und krank, sein Haar und sein Backenbart waren ungeordnet, sein Kinn unrasiert.

»Sie sind es, Rigault,« sagte er, streng und vorwurfsvoll den jungen Menschen anblickend, der hohnlachend in der Tür der Zelle stand, – »Sie sprechen von Gerechtigkeit? – Sie wissen am besten, daß ich meine Pflicht getan habe, – daß ich kein Gesetz verletzt habe, – und daß ich der Kommune große Dienste geleistet habe, – indem ich ihren Frieden mit dem gebildeten Bürgerstande vermitteln wollte, – freilich, Sie wollen keinen Frieden, keine Vermittlung.«

»Sie find ein Narr,« rief Rigault, indem er sich, um seine Haltung zu bewahren, mit der Hand an den Türpfosten stützte, – »ein Feigling, – ein Verräter!« schrie er, sich selbst zu immer größerer Wut aufregend. »Ich bin nicht gekommen, um Ihre Vorlesungen anzuhören, sondern um ein Ende mit Ihnen zu machen.«

»Wo ist Ihr Auftrag, – wo ist mein Urteil?« fragte Chaudey.

»Mein Auftrag?« rief Raoul Rigault, – »ich bedarf keines Auftrags, – ich bin Prokurator, – Ihr Urteil, das geht mich nichts an, – es bedarf keines Urteils, mein Befehl genügt.«

Chaudey wurde noch bleicher. Er schien zu fühlen, daß er in den Händen unerbittlicher Feinde sei, – rettungslos ihrer Willkür preisgegeben.

Eine augenblickliche Schwäche überfiel ihn, – er zitterte, die Luft war kühl und feucht in dem Zellengange, – er zog einen Überrock an, trat dann wieder nach der Tür hin und sprach mit weicher, wehmütiger Stimme:

»Rigault, – ich habe ein Weib und ein Kind, – Sie wissen es!«

»Gewiß weiß ich es,« rief Raoul Rigault, – »denn ich habe beide soeben gesehen, – sie haben mich daran erinnert, daß ich eine Abrechnung mit Ihnen habe, und ich habe Ihrem Sohne gesagt, daß ich Sie füsilieren lassen würde. Freilich erwartet er das erst morgen früh, – aber warum soll ich Sie diese Nacht noch auf dem schlechten Bett da schlafen lassen? – Also vorwärts, – Vermesch, holen Sie ein Peloton, – dort neben der Kapelle ist ein runder Platz, – vorwärts, vorwärts, – ich habe keine Zeit zu verlieren.«

Chaudey warf einen Blick voll kalter Verachtung auf ihn und ging festen Schrittes durch den Gang nach der Rundmauer der Kapelle zu. Raoul Rigault folgte ihm, auf den Arm des Brigadiers Gentil gestützt, – Vermesch war nach der Wache am Eingang geeilt und kam bald mit neun Mann von der wilden, blutgierigen Truppe der Föderierten zurück.

Chaudey, ohne ein Zeichen von Schwäche mehr zu geben, stellte sich einige Schritte von der Mauer auf, ihm gegenüber rangierte der Brigadier Gentil die Schützen.

Raoul Rigault stand zur Seite, mit funkelnden Blicken sein Opfer betrachtend.

»Ihr tötet mich ohne Mandat, ohne richterliches Urteil, – das ist keine Hinrichtung, – das ist ein Mord!« sagte Chaudey mit fast volltönender Stimme.

»Feuer!« rief der Brigadier Gentil.

Die wilden Soldaten der Kommune, ergriffen von den Worten und der Haltung Chaudeys, standen unschlüssig und ließen, zögernd, die Gewehre wieder sinken.

»Feuer!« rief Raoul Rigault mit heiserer Stimme, seine Augen traten fast aus ihren Höhlen hervor, Schaum stand auf seinen Lippen, – er zog den Degen, stürzte zu den Soldaten hin und schwang seine Klinge über ihren Köpfen, indem er in rasender Wut wiederholte: »Feuer! – Feuer! – feige Memmen, – Verräter, wenn ihr nicht schießt, werde ich meine Leibgarde von Belleville holen und euch in Stücke reißen lassen!«

Diese Männer des Schreckens, deren Empfindung abgestumpft war gegen alles, was sonst menschliche Herzen mit Entsetzen erfüllt, – sie zitterten bei dem Anblick dieses, einem Raubtier gleich auf sie eindringenden jungen Menschen, der die Macht hatte, seine Drohung wahr zu machen, – sie hoben ihre Gewehre empor. – »Feuer!« rief Raoul Rigault nochmals, – da krachten die Schüsse, – aber sie waren zu hoch gezielt, – mit dem Ruf: »Es lebe die Republik!« sank Chaudey gegen die Mauer zurück, aber er war nur in den Arm und in die Schulter getroffen, er richtete sich wieder auf und ging taumelnd einen Schritt zur Seite.

»Ich will dir deine Republik aus dem Kopf treiben!« rief der Brigadier Gentil, – schnell sprang er zu dem Verwundeten hin, setzte seinen Revolver an dessen Kopf und entlud drei Schüsse gegen die Hirnschale, welche in Stücke sprang, während der Körper schwer mit dumpfem Ton auf die Steinplatten des Hofes niederschlug.

Raoul Rigault hatte unbeweglich dagestanden und mit freudiger Befriedigung den grauenvollen Vorgang mit angesehen.

Als alles vorüber war und die Soldaten des Pelotons in finsterem Schweigen fortgingen, trat er zu der am Boden liegenden Leiche hin, zog ein weißes Battisttuch aus seiner Tasche und tauchte einen Zipfel desselben in die Blutlache, welche sich um den toten Körper gebildet hatte.

»Gehst du mit?« fragte er Vermesch, – »ich habe Gesellschaft bei meiner Geliebten.«

»Nein,« erwiderte Vermesch, – »ich will die übrigen Gefängnisse revidieren, man muß vorsichtig sein, – die Versailler sind tätig und haben viele Agenten ausgesendet.«

»Adieu dann,« sagte Raoul Rigault, indem er ihm flüchtig die Hand drückte. Leichten Schrittes, eine Operettenmelodie zwischen den Zähnen pfeifend, schritt er durch den Gang, an der Wache vorbei und ließ sich das Tor des Hofes aufschließen, und den Fiaker zur Eile antreibend, fuhr er nach dem Hause der Marchesa Pallanzoni zurück.

Als er in das Zimmer trat, fand er die junge Frau allein inmitten der Reste des wüsten Gelages.

Sie saß da, die Hände auf dem Schoß gefaltet und den Blick zu Boden gesenkt.

Als er eintrat, kam sie ihm langsam entgegen und streckte ihm mit einer gewissen Scheu die Hand entgegen.

Sein Rausch war verflogen, klar und ruhig wie gewöhnlich blickten seine Augen, aber große dunkle Ringe lagen unter denselben und ließen sie unheimlich aus dem blassen Gesicht hervortreten.

»Sind sie fort, die elenden Schwächlinge,« rief er, – »die sich durch Weiber und Kinder aus der Fassung bringen lassen? – Nun, um so besser, – so wollen wir allein dem flammenden Altar des Weines und der Liebe unser Opfer bringen! – Weißt du, was das ist?« fragte er, sein Battisttuch hervorziehend und auf einen dunkelroten Fleck in demselben deutend.

Sie blickte ihn fragend an, – ein unbestimmtes Gefühl der Furcht ließ ihr Herz schneller klopfen.

»Das ist das Blut Chaudeys,« sagte er, »den ich soeben in Sainte-Pelagie füsilieren ließ.«

Er schlang seine Arme um ihren Nacken, und eisige Schauer durchrieselten sie, als sein Kuß auf ihren Lippen brannte.


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