Gregor Samarow
Held und Kaiser
Gregor Samarow

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Neunundzwanzigstes Kapitel

Die Welt atmete auf von einem Ende Europas zum andern, – der Friede, der fast ein Jahr lang schmerzvoll sein Haupt verhüllt hatte, lächelte wieder auf die Welt herab. In der alten Kaiser- und Krönungsstadt zu Frankfurt am Main war der Traktat unterzeichnet, welcher der einigen Erhebung der deutschen Nation den herrlichen Siegespreis sicherte, welcher dem von allen Fürsten und Stämmen Deutschlands erkorenen und auf den Schild erhobenen Kaiser das schönste Recht gab auf den Ehrentitel seiner Vorgänger: Semper Augustus, allezeit – Mehrer des Reichs.

Frankreich richtete sich langsam auf, seine Wunden zu heilen und das schwer erschütterte Gefüge seines Staatslebens wieder zu kräftigen und zu neuen Ordnungen hinüberzuführen, – durch ganz Deutschland hallte der Siegesjubel wieder, und die Größe der nationalen Herrlichkeit tröstete und stärkte die vielen, vielen Herzen, welche brechen wollten im Jammer um die verlorenen Lieben.

Der König Wilhelm als Kaiser des wiedererstandenen deutschen Reichs in seiner Residenz Berlin, welche das Herz für alle Adern des nationalen Lebens werden sollte, – und die ganze Bevölkerung dieser merkwürdigen Stadt, die immer gegen ihre Fürsten frondiert und doch in Not und Gefahr immer zu ihnen gestanden hat voll opferfreudiger Treue, – rüstete sich, die Truppen zu empfangen, welche so beispiellose Siege erkämpft und das Recht erworben hatten, stolz erhobenen Hauptes unter der Viktoria des Brandenburger Tors einherzuziehen und an dem ehernen Bilde des Siegers von Roßbach vorbeizudefilieren.

Im Hause des Kommerzienrats Cohnheim herrschte unermüdliche Tätigkeit. Der Kommerzienrat war das eifrigste Mitglied seines patriotischen Vereins für die Vorbereitungen des Einzugs, und die Kommerzienrätin stand ihm ebenso eifrig zur Seite. Ihr Verhältnis zu der Familie des Herrn von Rantow war durch die Auflösung der Verlobung des jungen Barons nicht getrübt worden,– Frau von Rantow hatte dieselbe Herzlichkeit und Innigkeit gegen Fräulein Anna bewiesen, auch nachdem diese nicht mehr die Braut ihres Sohnes war, und mit gleicher Bereitwilligkeit die Stellung der Kommerzienrätin in den vornehmen Kreisen, in welche sie dieselbe eingeführt, aufrecht erhalten und geschützt, – die geschäftlichen Projekte zur industriellen Verwertung der Güter des Barons waren von diesem und dem Kommerzienrat wieder aufgenommen worden und versprachen unter den so günstigen Konjunkturen beiden reichen Gewinn; – so war alles Harmonie und Zufriedenheit.

Der junge Baron von Rantow war schon früher zurückgekehrt, – nachdem die Tätigkeit in den Lazaretten mehr und mehr zu ihrer regelmäßigen, immer mehr sich vermindernden Ausdehnung zurückgekommen war. Er hatte zunächst im Hause des Kommerzienrats einen Besuch gemacht und um eine Unterredung mit Fräulein Anna gebeten, – welche diese ihm sogleich ruhig und freundlich bewilligt hatte. Nach kurzer Zeit waren die beiden jungen Leute heiter und freudig zu ihren Eltern zurückgekehrt, und so oft sie sich begegneten, waren sie voll von freundschaftlicher Herzlichkeit gegeneinander, und ihr Verkehr schien freier und vertraulicher als zu der Zeit, da sie durch ein Band aneinandergefesselt waren, das den Herzen beider fremd war.

Dann hatte der junge Mann eine lange und ernste Unterredung mit seinem Vater und seiner Mutter gehabt, – infolge deren der alte Baron einen langen Brief an den Grafen von Villebois schrieb, in welchem er voll Selbstgefühl das Alter seiner Familie berührte und dem französischen Grand Seigneur erklärte, daß die Herren von Rantow seit unvordenklichen Zeiten der Ritterschaft des deutschen Reiches zugehörten. Dann legte er klar und offen seine Vermögensverhältnisse dar und bat für seinen Sohn um die Hand des Fräulein Hortense. Ohne Verzögerung traf die Antwort des Grafen ein, der in den artigsten Ausdrücken erklärte, daß er die Wahl, welche das Herz seiner Tochter getroffen, durchaus billige, und daß es ihm eine Ehre sei, mit der Familie des Herrn von Rantow in so nahe Beziehungen zu treten. Die menschlichen Herzen, fügte der Graf in seinem Schreiben hinzu, fänden sich über die Feindschaften und Kämpfe der Völker hinweg zueinander, – er freue sich, wenn das zu knüpfende Familienband dazu beitragen könne, wenigstens in kleinem Kreise Haß und Erbitterung zu versöhnen, – dennoch wünsche er, daß die Verlobung bis nach dem wirklichen und definitiven Abschluß des Friedens verschoben bleiben möge, damit kein Gefühl verletzt werde, – auch das seines Sohnes nicht, der die französische Uniform getragen. Dann wolle er selbst nach Berlin kommen, um die persönliche Bekanntschaft der Familie seines künftigen Schwiegersohnes zu machen.

Der alte Herr von Rantow war hocherfreut und glücklich. Sein aristokratisches Gefühl ließ ihn mit hoher Genugtuung diese Wendung begrüßen, und er wußte seinem Sohne Dank, daß er dem alten Stammbaum diese neue glänzende Allianz hinzugefügt habe. Je mehr aber dies Gefühl in ihm lebendig war, um so entgegenkommender und artiger war sein Benehmen gegen den Kommerzienrat Cohnheim, so daß auch nach dieser Seite die freundliche Harmonie durch nichts gestört wurde. Auch ein Brief von Fräulein Hortense an den jungen Herrn von Rantow war mit dem Schreiben ihres Vaters eingetroffen, – und er mußte viel Liebes und Freudiges enthalten, denn die blauen Augen des jungen Mannes, welche früher oft so unstet und hochmütig kalt umhergeblickt hatten, ruhten mit warmen, strahlenden Blicken auf den feinen französischen Schriftzügen, und als er in aufwallendem Gefühl den geliebten Namen unter denselben an die Lippen drückte, da sah ihn seine Mutter voll freudiger Rührung an, – sie dankte im Herzen derjenigen, welche ihrem Sohne die Tiefen der Empfindung und des innern Lebens erschlossen hatte.

Fräulein Anna hatte regelmäßig ihre Besuche bei dem Oberstleutnant von Büchenfeld, fortgesetzt und noch inniger und vertrauensvoller war die Beziehung des jungen Mädchens zu dem alten Mann geworden seit jenem Weihnachtsabend, der ihn so tief bewegt und ihr so viel neue Hoffnung in das Herz gegossen hatte, – niemals aber hatte sie den alten Herrn durch ein Wort oder durch einen Blick ahnen lassen, wie nahe sie seine Erzählung berührte und wie hoch sie durch seine Mitteilung beglückt sei, daß sein Sohn diejenige noch immer liebe, von der er sich betrogen glaubte.

Der alte Herr hatte sich immer mehr erholt, – er hatte mit dem Beginn der wärmeren Jahreszeit wieder begonnen, kleine Ausgange zu machen, – aber noch an keinem Tage hatte Fräulein Anna ihre Besuche ausgesetzt, – der alte Herr hatte sie mit fast kindlicher Schüchternheit gebeten, diese ihm so liebe Gewohnheit nicht zu unterbrechen, und täglich war sie, wenn auch nur auf kurze Augenblicke, gekommen, um mit ihm zu plaudern, ihm vorzulesen oder ihn zu einem Gange abzuholen, bei welchem er durch die im grünen Frühlingshauch schimmernden Alleen des Tiergartens, auf ihren Arm gestützt, hinschritt und ihr wieder und wieder sagte, daß sie ihn so glücklich mache in der Einsamkeit seines Alters, wie es eine eigene Tochter nur vermöchte.

Die Nachricht von der endlichen Beendigung der Kämpfe, welche dem alten Herrn die Sicherheit brachte, daß sein bis jetzt so glücklich bewahrter Sohn ihm erhalten bleibe, hatte dazu beigetragen, seine Genesung zu beschleunigen und seine Kräfte schneller wiederkehren zu lassen. Auf die inständige Bitte des jungen Mädchens hatte er seinem Sohne nichts von ihren Besuchen und ihrer so sorgsamen Pflege geschrieben, sie hatte sich das von ihm versprechen lassen, und er hatte sein Wort gehalten, um so leichter und um so lieber, als er seine Krankheit nur beiläufig und oberflächlich erwähnt hatte, um den jungen Offizier unter den Gefahren und Entbehrungen des Krieges nicht durch die Sorge um den Vater zu bekümmern. Schon war das Regiment des Leutnants in seine Garnison zurückgekehrt, – er selbst aber wurde noch immer zurückgehalten, er war zum Generalkommando der Okkupationstruppen kommandiert worden, da sein Diensteifer, seine Kenntnisse und seine Gewandtheit immer mehr und immer höher hinauf die Blicke seiner Vorgesetzten auf ihn gezogen hatten, und immer teilte der Oberstleutnant voll Freude und Stolz seiner jungen Freundin diese Nachrichten mit, welche ihm so glänzende Hoffnungen für die künftige Karriere seines Sohnes gaben.

Da endlich traf ein Brief ein, in welchem der Leutnant seine Ankunft anzeigte. Er hatte Depeschen zu überbringen und im Auftrage seines Chefs mündliche Berichte zu erstatten, – zugleich hatte er die fast gewisse Aussicht, auf die dringende Empfehlung des Generals von Manteuffel, zum Generalstabe kommandiert zu werden, und damit das Ziel seiner lange gehegten, sehnlichsten Wünsche zu erreichen.

Der Brief zitterte in des Alten Hand, als er dessen Inhalt dem jungen Mädchen bei ihrem Besuch mitteilte, – nur um einen Tag war die Nachricht der Ankunft des Sohnes vorausgeeilt, und am nächsten Vormittag schon sollte er wieder eintreffen nach so langer Abwesenheit, nach so vielen Leiden, Sorgen und Kümmernissen.

Fräulein Anna wurde bleich bei dieser Nachricht, tiefer Ernst, aber auch freudiger Mut lag auf ihrem Gesicht, – der Alte merkte es nicht, die Freude nahm ihn ganz in Anspruch, und heute schienen sie die Rollen getauscht zu haben, lebhaft plaudernd saß er in seinem Lehnstuhl, während Fräulein Anna schweigend und sinnend ihm zuhörte. Früher als sonst brach sie auf, und der Oberstleutnant hielt sie nicht zurück, – hatte er doch so viel zu ordnen für die Ankunft des Sohnes. Friedrich, der dem Oberstleutnant wegen dessen schwacher Gesundheit noch als Bursche gelassen war, hatte das Zimmer des Leutnants reinigen und lüften müssen, der alte Herr selbst füllte den Tabakskasten, stellte eine frische Kiste der vortrefflichen Zigarren, welche Herr von Rantow ihm aufgedrungen, auf den Tisch, und immer wieder kam er in diesen kleinen, bescheidenen Raum zurück, der morgen seinen Sohn wieder aufnehmen sollte, und den er so gern mit dem Besten und Schönsten geschmückt hätte. Er wußte nur nicht, wie er das anfangen sollte, und Fräulein Annas Beistand zu erbitten, hatte er nicht gewagt, – es schien ihm nicht passend, die junge Dame in das Zimmer seines Sohnes zu führen.

Endlich brach vor all der unfruchtbaren Unruhe seine Kraft zusammen, – er sank, unfähig, sich länger aufrechtzuhalten, auf einen Stuhl nieder, und Friedrich geleitete ihn sorgsam zu seinem Bett, – aber der Schlaf wollte doch so recht nicht kommen trotz der Erschöpfung, und fast jede Stunde hörte der alte Herr durch seinen Halbschlummer auf der Stutzuhr in seinem Wohnzimmer schlagen. – – –

Auch Fräulein Anna Cohnheim hatte eine schlaflose Nacht zugebracht. Die bittere Erinnerung der Vergangenheit zog durch ihre Seele, und fast zitterte sie nun vor dem Augenblick, der endlich Klarheit in alle die Dunkelheit bringen sollte, die auf ihr Leben herabgesunken war, – aber immer siegte die mutige, frohe Hoffnung über alle Zweifel, – er liebte sie noch und würde sie immer lieben, – dies Wort des Oberstleutnants klang hell in ihrer Seele wieder, – und wenn er sie noch liebte, dann mußte auch alles gut werden.

Schon früh war sie aufgestanden und hatte eine einfache Toilette gemacht, – sie hatte ihr Frühstück in ihr Zimmer bringen lassen, und als die Stunde kam, welche den lange Entfernten zurückbringen sollte, da blickte sie noch einmal in diesem Zimmer umher, aus welchem sie schon einmal voll froher Hoffnung hinausgegangen war, um schmerzlich getäuscht zurückzukehren, und in welchem sie dann in finsterer, starrer Verzweiflung alle jene Blumen und Schleifen, die Erinnerungszeichen an ihre erwachende Liebe, in Asche hatte versinken sehen; – dann nahm sie einen Karton, den ihre Kammerfrau ihr gebracht, stieg festen Schrittes die Treppe hinab und ging durch die Straßen, welche bereits mit den Vorbereitungen zur Einzugsfeier sich zu schmücken begannen, nach der Wohnung des Oberstleutnants von Büchenfeld.

Als sie in das Zimmer trat, blieb sie einen Augenblick betroffen an der Schwelle stehen.

Der alte Herr faß in seinem Lehnstuhl in voller Uniform mit Schärpe und Degen, den Helm auf dem Kopf, das Dienstauszeichnungskreuz und den roten Adlerorden vierter Klasse, die einzigen Dekorationen, welche seine Friedensdienstzeit ihm gebracht hatte, auf der Brust.

Friedrich, der Bursche, ebenfalls in voller Uniform, war beschäftigt, nach den Anordnungen des Oberstleutnants die letzte Hand an die Arrangements des mit einem weißen Tuch bedeckten Tisches zu legen, auf welchem kalter Aufschnitt, Brot, Butter, eine Pastete und in der Mitte eine noch verkorkte Champagnerflasche stand, – und zum erstenmal vielleicht wurde der alte Herr ungeduldig und heftig gegen den armen Burschen, der immer nicht die rechte Symmetrie in der Aufstellung aller dieser Dinge finden konnte, die er für die größten Herrlichkeiten unter den gastronomischen Genüssen hielt.

Als Fräulein Anna in der Tür erschien, erhob sich der Oberstleutnant, – freudige Überraschung erleuchtete sein Gesicht, schnell trat er dem jungen Mädchen entgegen und reichte ihr die Hand.

»Das ist schön,« rief er, – »das ist gut von Ihnen, daß Sie heute kommen, – ich wagte Sie nicht darum zu bitten, – das werde ich Ihnen nie vergessen!«

»Ich habe so viele Stunden der Leiden und Schmerzen mit Ihnen geteilt,« erwiderte Fräulein Anna mit leiser Stimme und niedergeschlagenen Augen, – »ich möchte auch in der Stunde des Glücks bei Ihnen sein, – ich hoffe,« fügte sie mit leisem Seufzer hinzu, »daß meine Gegenwart Ihrem Sohne die Freude des Wiedersehens nicht stören wird, – ich möchte auch ein wenig,« sagte sie dann rasch, die Erwiderung des alten Herrn abschneidend, »zum Schmuck dieser glücklichen Stunde beitragen!«

Sie öffnete den Karton, den sie in der Hand trug, er enthielt einen langen, schlanken Kranz von grünen Blättern, mit kleinen, zarten Blumen durchflochten.

Dann trat sie zu dem Bilde über dem Schreibtisch und streckte die Hand aus nach dem trockenen Kranz von Immergrün, der es umgab.

»Darf ich?« fragte sie mit einem bittenden Blick.

Die Lippen des alten Herrn bebten in tiefer Rührung.

»Da habe ich an all das Zeug da gedacht,« sagte er, auf den Tisch mit den Eßwaren deutend, – »um den Jungen zu empfangen, – aber daran habe ich nicht gedacht, daß an diesem Freuden- und Ehrentag auch das Bild der Mutter ihn aus frischem Blütenkranz anblicken soll, – doch dies liebe Kind denkt an alles!«

Er nahm ihr Haupt in seine Hände und drückte seine Lippen auf ihr glänzendes Haar. Dann, als sie abermals die Hand nach dem Bild ausstreckte, sprach er abwehrend:

»Doch lassen Sie den alten Kranz da, – er hängt um das Bild seit dem Tage, an dem sie von mir schied, – legen Sie die frischen Blumen darüber, – man muß den vergangenen Schmerz treu bewahren, auch unter den Blüten des gegenwärtigen Glücks, damit das Herz demütig bleibe und in vertrauensvoller Ergebung aufblicke zu dem, der die Blumen welken und immer wieder neu sich erschließen läßt im wechselnden Leben auf Erden!«

Mit gefalteten Händen sah er zu, wie Fräulein Anna leise und vorsichtig den Kranz um das Bild befestigte, und Friedrich, der stramm neben dem Tisch stand, dessen Symmetrie herzustellen er aufgegeben hatte, wischte sich mit der Hand über die Augen, indem er so tat, als sei ihm ein Staubkorn in dieselben geraten. Darauf wendete sie sich zu dem Tisch, und in wenigen Augenblicken war alles so zierlich und geschmackvoll geordnet, daß der gute Bursche sich nicht genug verwundern konnte, wie das so leicht und einfach sei, was ihm doch trotz aller Mühe nicht hatte gelingen wollen.

Man hörte einen Wagen heranfahren und am Hause halten.

»Der Herr Leutnant!« rief Friedrich, an das Fenster eilend, und schnell stürmte er die Treppe hinab, um den Sohn seines Oberstleutnants zu empfangen und sein Gepäck herauszutragen in das für ihn hergerichtete Zimmer, das unverändert geblieben war in seiner stillen Beschränktheit, während draußen die Welt krachend aus ihren Fugen gerüttelt wurde.

Hoch erglühend stand Fräulein Anna da, – der Oberstleutnant rückte die Schärpe zurecht und richtete sich militärisch empor, – aber seine Gestalt schwankte, – schwer atmend hob sich seine Brust.

»Wie doch die Freude so mächtig erschüttern kann!« sagte er mit gepreßter Stimme, – er streckte den Arm aus, wie eine Stütze suchend, – Fräulein Anna trat schnell zu ihm heran, er legte den Arm um ihre Schultern, und so auf sie gelehnt stand er da, die Augen starr und fest auf die Tür gerichtet.

Da eilten schnelle, leichte Schritte die Treppe herauf, – noch einige Sekunden – und herein stürmte der Leutnant von Büchenfeld in Mütze und schwarzem Militärüberrock, das eiserne Kreuz im Knopfloch, – das gebräunte Gesicht von kurzem, krausem Vollbart umrahmt.

»Mein Vater, – mein lieber Vater!« rief er, und in einem Satz flog er in die geöffneten Arme des alten Herrn.

Lange hielt dieser schweigend den Sohn umschlungen, – dann schob er ihn sanft zurück und schaute mit feuchten, glückstrahlenden Blicken in das so viel schöner und männlicher gewordene Gesicht des jungen Mannes. Dieser aber sah mit dem Ausdruck starrer, fast entsetzter Verwunderung zu dem jungen Mädchen hinüber, das zurückgetreten war und sich zitternd auf das Gesims des Fensters stützte.

»Nun habe ich den Sohn begrüßt,« rief der Alte, – »jetzt muß ich die Honneurs machen vor dem eisernen Kreuz, vor diesem herrlichen Ehrenzeichen, das meiner Jugend vorschwebte wie ein lichtes Symbol strahlenden Ruhms und das«, fügte er wehmütig hinzu, – »erst wieder erstehen sollte, nachdem mein Arm zu schwach geworden, um dem König und dem Vaterland zu dienen, – doch das tut nichts,« rief er wieder freudig, – »kann ich doch den Sohn als Ritter dieses edlen Ordens begrüßen!«

Er legte die Hand an den Helm und richtete sich militärisch auf, den Blick stolz auf das Kreuz gerichtet, das die Brust des jungen Mannes schmückte.

Dieser konnte kaum seine Verwirrung und seinen Schreck über die ihm unerklärliche Anwesenheit derjenigen unterdrücken, die er niemals wiederzusehen geglaubt hatte und bei deren Anblick die widersprechendsten Gefühle seine Brust durchwogten.

»Wohl ist es ein edles, herrliches Zeichen, mein Vater,« sagte er, sich gewaltsam fassend, – »aber«, fuhr er fort, auf das Dienstauszeichnungskreuz an der Brust seines Vaters deutend, »dieses da darf sich wahrlich vor ihm nicht verbergen, es belohnt die treue, stille Pflichterfüllung langer Jahre, – während das eiserne Kreuz in der Begeisterung des Augenblicks errungen wird, jene stille, verborgene Treue aber ist doch der Boden, aus welchem die Lorbeeren der Armee immer frisch hervortreiben! – Doch«, sagte er, mit einer Verbeugung sich zu Fräulein Anna hinwendend, – »ich –«

»Mein Gott,« fiel der alte Herr ein, – »kann denn die Freude so vergeßlich und undankbar machen? – da spreche ich von allen andern – und vergesse, – du mußt wissen, mein Sohn,« sagte er ein wenig zögernd, »daß ich krank war, – sehr krank, – ich habe dir das nicht geschrieben, um dir keine Sorge zu machen, – es ging mir recht schlecht, – mein Friedrich wäre wohl nicht recht mit meiner Pflege fertig geworden, – da ist Frau von Rantow zu mir gekommen, – und mit ihr diese junge Dame da, – dieses liebe, gute Kind,« sagte er, Fräulein Anna die Hand reichend und sie zu sich heranziehend, – »sie hat bei mir gesessen, – bei mir, dem alten kranken Mann, – sie hat mich gepflegt, – sie hat mir vorgelesen, – den Archenholz, – du weißt, mein liebstes Buch, – ihr Blick«, sagte er weich, »ist der Sonnenschein gewesen, der mir wieder Gesundheit und Leben brachte, – und heut ist sie gekommen und hat diesen frischen Kranz um das Bild deiner Mutter da gewunden, – ich sage dir, mein Junge, ich habe dich von Herzen lieb und bin stolz auf dich, – aber ihr, meinem guten, freundlichen Engel, mußt du einen Platz in meinem Herzen abtreten, – und es ist ein großer, großer Platz!« fügte er mit zitternder Stimme hinzu, indem er das junge Mädchen fest an sich drückte, das mit glänzenden Blicken bittend und fragend zu dem jungen Offizier aufsah, der in heftiger Bewegung den Worten seines Vaters gefolgt war.

Es zog wie ein Schimmer lichten Glücks über sein Gesicht, – dann zuckten wieder finstere Schatten darüber hin, und mühsam die Worte suchend, sprach er:

»Du warst krank, mein Vater, – dein Leben war in Gefahr, – und Sie, mein Fräulein, – Sie haben meinen Vater gepflegt, Sie finde ich hier, – Ihnen danke ich seine Rettung –«

Erstaunt und forschend ruhte der Blick des alten Herrn auf dem Gesicht seines Sohnes, aus dessen Worten freudige Hoffnung sich mit tiefer Bitterkeit mischte.

»Du kennst Fräulein Anna?« fragte er ernst.

Der junge Mann schlug die Augen nieder und stand schweigend da.

»Ja,« sagte das junge Mädchen, indem sie die Hand auf ihr Herz legte, als wolle sie dessen gewaltsame Schläge bewältigen, – »ja, Herr Oberstleutnant, – Ihr Sohn kennt mich! Sie haben mir,« fuhr sie fort, während der alte Herr in düstere Gedanken zu versinken schien, – »von einer Dame erzählt, von der er sich betrogen und verhöhnt glaubte –«

»Das hast du getan, mein Vater?« rief der Leutnant im Ton des Vorwurfs.

»Von einer Dame,« fuhr Fräulein Anna fort, »die Ihr Sohn dann beleidigt hat, – beleidigt, wie man nie eine Dame beleidigen sollte, – die man doch geliebt hat –« sagte sie leise.

»Mein Fräulein, ich bitte Sie!« rief der Leutnant.

»Nun, Herr Oberstleutnant,« sprach das junge Mädchen weiter, – »diese Dame, – der auch Sie in Ihrem Herzen zürnten, – diese Dame bin ich!«

»Sie?« rief der alte Herr, – »Sie sollen eine falsche Kokette sein? – Sie sollen ein Herz betrügen und verhöhnen können, das Ihnen liebend vertraut? – Mein Sohn,« sagte er in strengem Ton, – »dieser Engel hier, der tröstend in meinen Leiden mir zur Seite stand, ist wahr und rein wie das Sonnenlicht, kein Falsch haftet an dieser Seele, – bitte, daß sie dir verzeihe, was du an ihr gefrevelt!«

Der Leutnant stand starr und finster da, – er schlug das Auge nicht auf.

»Herr Leutnant von Büchenfeld,« rief der alte Herr mit funkelnden Blicken, – »Sie sind Offizier und Edelmann, – beugen Sie Ihr Knie vor dieser Dame, die Sie beleidigt haben!«

»Halt!« sagte Fräulein Anna mit sanfter Stimme, – »nicht dem Befehl des Vaters soll dies stolze Herz sich beugen! – Herr von Büchenfeld,« fuhr sie fort, indem sie zu dem jungen Mann sich wendete, der noch immer unbeweglich, gesenkten Blickes vor ihr stand, – »ein unglückliches, verhängnisvolles Mißverständnis hat über uns gewaltet, – ich habe Sie damals nicht gerufen, um das Wort der Trennung zu sprechen, sondern um das, was damals, – damals zwischen uns bestand, für immer, – für das Leben festzuknüpfen, – es war ein Zufall, daß Sie mich in der Begleitung des Herrn von Rantow fanden, ein Zufall, welchen zu erklären Sie mir keine Zeit ließen.«

Der Leutnant schlug die Augen zu ihr auf, – er sah ihre Blicke in feuchtem Glanze schimmern, – ein tiefer Schmerz malte sich in seinen Zügen.

»War' es möglich, – wäre es wahr?« fragte er mit unsicherer Stimme.

»Es ist wahr,« rief Fräulein Anna, – »ich schwöre es Ihnen – bei dem Geist Ihrer Mutter!«

Sie erhob die Hand gegen das bekränzte Bild.

Der Leutnant sah immer mit demselben tiefschmerzlichen Ausdruck in ihr erregtes Gesicht.

Dann trat er zu ihr hin, beugte das Knie und sprach ernst und traurig:

»Verzeihen Sie mir, mein Fräulein, was ich gegen Sie in der Aufwallung meines Gefühls begangen, – und behalten Sie eine gute, freundliche Erinnerung an mich – und an die Vergangenheit!«

Er ergriff ihre Hand und führte sie ehrerbietig an seine Lippen.

»So soll«, sagte sie errötend, mit glücklichem Lächeln, »die Erinnerung das einzige Band bleiben, das zwischen uns besteht?«

Er blickte zu ihr empor und sagte:

»Kann es ein anderes geben? Ist nicht unwiederbringlich alles zerstört und vernichtet durch jenes unglückselige Verhängnis?«

»Herr von Rantow,« sprach sie fast flüsternd, »ist der Verlobte einer französischen Dame, – ich bin frei –«

»O mein Gott!« rief er aufspringend, – »könnte der Himmel so viel Glück über mich ergießen! – Doch nein – nein,« sagte er dann, finster zurücktretend, – »was damals mich zurückhielt, steht auch heute als unübersteigliche Schranke noch zwischen uns, – Sie die Tochter des Millionärs, – und ich, der arme Offizier, – der so leicht wiegt in der Wagschale jener Welt, der Sie angehören, – es ist unmöglich!«

»Wo wäre meines Vaters Reichtum,« rief Fräulein Anna, – »wenn unsere Heere nicht des Landes Grenzen geschützt hätten! – dies,« fuhr sie in begeistertem Ton fort, indem sie auf das eiserne Kreuz deutete, – »dies wiegt Millionen auf, – soll ich,« sagte sie, wie unwillig den Kopf schüttelnd, »meinen Vater bitten, mich zu enterben, um die Kluft auszufüllen, welche stolzer Eigensinn für unüberwindlich hält?«

Der Oberstleutnant hatte bis jetzt schweigend zugehört, – seine Blicke wendeten sich von einem zum andern, immer freundlicher und heiterer war sein Gesicht geworden.

»Sie haben mich beleidigt, – öffentlich beleidigt,« fuhr Fräulein Anna fort, immer eifriger sprechend, »so sehr man überhaupt eine Dame beleidigen kann, – ich habe Ihre Beleidigung vergeben, – vergessen und vergeben, – und Sie wollen mir nicht vergeben, daß mein Vater Millionen besitzt, nach denen so viele jagen und ringen?«

Der Leutnant bebte, – fragend blickte er auf seinen Vater.

»Junge,« rief der alte Herr, – »wärest du so zaghaft vor den feindlichen Batterien gewesen, so hättest du das Kreuz nicht erhalten.«

»Aber du selbst, mein Vater,« sagte der junge Mann, – »du urteiltest so streng über ungleiche Verbindungen –«

»Ungleiche Verbindungen!« rief der Alte beinahe zornig. Er schlang seinen Arm um das junge Mädchen und zog sie an seine Brust. »Hier«, sagte er, »ist der Platz meiner tröstenden Pflegerin, – und ich sage dir, – die gleiche Liebe ist für euch beide hier in meinem Herzen, – wenn nicht«, fügte er hinzu, – »diese kleine Zauberin mich meinem eigenen Fleisch und Blut abwendig macht.«

»Anna,« rief der Leutnant, indem er abermals zu ihren Füßen niedersank, – »Anna, – verzeihen Sie mir, – nehmen Sie mein Herz, mein Leben hin, mein Stolz ist gebrochen, machen Sie mit mir, was Sie wollen, – o, Sie wissen nicht –«

»Ich weiß,« sagte Fräulein Anna lächelnd, – »daß Sie diejenige, der Sie so sehr zürnten, immer noch liebten, – auch das hat mir Ihr Vater verraten, – und daß ich dies wußte, das hat mir den Mut gegeben, nun ein Herz zu erobern, das sich – so fest verschanzt hat.«

Sie streckte ihm beide Hände entgegen und zog ihn zu sich empor, – er breitete die Arme aus, und voll inniger Liebe zu ihm aufblickend, sank sie an seine Brust.

Friedrich trat ein.

»Das Gepäck vom Herrn Leutnant,« begann er in dienstlicher Haltung zu melden, – da fiel sein Blick auf die Gruppe der beiden jungen Leute, über deren Häupter der Oberstleutnant segnend seine Hände breitete, – seine Augen erweiterten sich unnatürlich, – sein Mund öffnete sich zu einem glückseligen Lachen, – ein lautes Hurra drang schallend aus seiner Brust hervor, – dann schlug er die Absätze gegeneinander und bemühte sich, ein so gleichgültiges Gesicht zu machen, als ob er sich nicht erklären könne, woher der plötzliche laute Jubelruf gekommen sei.

»Rufe du nur noch einmal Hurra,« sagte der Oberstleutnant freundlich, »denn der liebe Gott hat deinem alten Herrn große Freude gegeben, – doch – öffne die Flasche, damit wir alle mitrufen können!«

Friedrich ergriff die Champagnerflasche und löste nach der vorher schon ihm erteilten Anweisung den Draht. Mit lautem Knall flog der Kork heraus.

»Hole noch ein Glas!« befahl der alte Herr, – »auch eines für dich, – du treue Seele hast auch deinen Anteil an dem heutigen Fest verdient.«

Im Nu hatte Friedrich die Gläser gebracht und füllte sie mit dem schäumenden Wein, den er mit ehrfurchtsvoller Scheu betrachtete.

Der Oberstleutnant ergriff sein Glas und streckte es gegen die jungen Leute aus, welche mit glückstrahlenden Blicken vor ihm standen.

Plötzlich aber ließ er die Hand wieder sinken.

»Das wäre doch das erstemal in meinem Leben,« flüsterte er vor sich hin, dann richtete er sich militärisch auf, legte die Hand an den Helm und sagte mit voller Stimme:

»Es lebe Seine Majestät unser allergnädigster König und Kriegsherr, der Kaiser Wilhelm, hoch!«

»Hoch!« riefen der Leutnant und Fräulein Anna, während die Gläser gegeneinander klirrten, und »Hoch!« schrie Friedrich, indem er sich noch gerader streckte, – dann aber ergriff ihn infolge des prickelnden Weins, den er auf einen Zug hinuntergestürzt hatte, ein so hartnäckiger Hustenanfall, daß er völlig seine parademäßige Haltung verlor.

Die Gläser wurden wieder vollgeschenkt und auf das Wohl des jungen Paares geleert, – der Oberstleutnant blickte mit wehmütigem Kopfnicken nach dem Bilde hinüber, in welchem aus dem frischen Blumenkranz die Züge der heimgegangenen Gefährtin seines Lebens ihn grüßten.

»Seien Sie meinem Sohn, was sie mir war,« sagte er mit tränendem Blick.

Fräulein Anna aber beugte sich nieder und drückte einen innigen Kuß auf seine Hand, bevor er dieselbe, erschrocken abwehrend, zurückziehen konnte.

»Jetzt sind der Herr Oberstleutnant gut besorgt,« rief Friedrich im Ton inniger Überzeugung, – »wenn ich jetzt abkommandiert werde, so ist das gnädige Fräulein ja immer da, – da brauchen der Herr Oberstleutnant keinen Burschen mehr –«

Ein erneuter Hustenanfall schnitt die weitere Ausführung dieser vergleichenden Parallele ab, und so gut als möglich seine erschütterte Haltung bewahrend, ging der Bursche hinaus.

Draußen schmückte man die Straßen mit Kränzen und Fahnen zum Empfang der siegreichen Truppen, – niemandem aber war ein glücklicheres Heimkehrfest beschieden als dem Leutnant von Büchenfeld in dem einfachen, ärmlichen Wohnzimmer seines Vaters.


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