Gregor Samarow
Held und Kaiser
Gregor Samarow

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Vierzehntes Kapitel

Am sanft absteigenden Ufer der Maas, einige Meilen von Metz, erhebt sich das alte Schloß von Villebois, ein prachtvoller Bau, im großen Viereck errichtet, – ein mächtiger Donjon in der Mitte, kleinere Türme und vorspringende Bastionen an den Ecken. Das Schloß trägt den Charakter eines jener großen, gewaltigen Herrensitze des Mittelalters, aber es zeigt zugleich, daß der Glanz der Familie, deren Namen es führt, in unseren Zeiten nicht erloschen ist, denn an keiner Stelle bemerkt man Spuren des Verfalls, und wenn auch vollständig im Geist des ganzen Bauwerks ausgeführt, so sind doch überall Reparaturen und Ergänzungen vorgenommen, um die großen, mächtigen Räume auch für unsere Tage bewohnbar zu machen.

Drohend und stark erheben sich die Bastionen, und auch Geschütze stehen noch auf denselben, aber aus den kleinen, hellpolierten Rohren derselben haben nur Freudenschüsse die Kunde fröhlicher Familienereignisse über das Land hingetragen, und von den Wällen herab ranken sich Zierpflanzen, deren Blätterwerk von kundiger Gärtnerhand geschmackvoll geordnet ist. Eine Wasserleitung von den Bergen her füllt die Gräben, welche das Schloß einschließen, aber dieses Wasser trägt die kleinen, zierlichen, schwimmenden Häuschen, welche die Schwäne beherbergen, die in weichen, anmutigen Bewegungen auf dem Schloßgraben auf und nieder ziehen am Fuß der hochragenden Mauern und der mit mächtigen Zinnen umgürteten Türme. Durch zwei weit vorspringende Bastionen gelangt man zu dem Hauptportal des Schlosses, über welchem, in Stein gehauen, das alte Wappen der Grafen und Herren von Villebois sich erhebt. In der Wölbung des Eingangs sieht man die starren Spitzen eines Fallgatters, und eine Zugbrücke an schweren Ketten liegt unmittelbar vor dem Tor über dem Graben.

Aber dies Fallgatter senkt sich nicht mehr wie in früheren Tagen, die Zugbrücke schneidet nicht mehr den Eingang ab, um den Schloßherrn vor seinen Feinden oder den trotzenden Lehensmann vor den Sendboten des Landesherrn zu schützen. Gastlich steht Tür und Tor offen, und willkommen sind alle Gäste, welche die steinerne Schwelle überschreiten. Wie auf den Wällen, den Mauern, den Bastionen jedes Stück Erde benützt ist, um entweder grünen, sammtweichen Rasenteppich oder farbenreiche Blumen, oder anmutig rankende Pflanzen darauf zu ziehen, so ist auch die Gartenkunst tätig gewesen, um im weiten Umkreis um das Schloß her eine ihrer anmutigsten Schöpfungen ins Leben zu rufen. Überall sind hochragende Bäume zu schönen Gruppen geordnet und mit kleinem Buschwerk umgeben, um dem Auge einen wohltätigen Ruhepunkt zu gewähren. Überall dehnen sich weite Rasenflächen aus, kleine Teiche mit geschmackvoll dekorierten Inseln tragen zierliche Gondeln, große Blumenparterres senden zu allen Jahreszeiten ihre reichen Düfte dem Nahenden entgegen, und überall sieht man jene so anmutige und elegante französische Gartenkunst, welche, ohne, wie in früheren Zeiten, der Natur Gewalt anzutun, doch sich von jener übertriebenen Freiheit der englischen Parks fernhält und durch kunstvolle Behandlung ruhige und harmonische Bilder vorführt, ohne die schaffende und ordnende Menschenhand verbergen zu wollen.

Die ganze Schönheit des Schlosses und seiner Umgebung hatte durch den Krieg, der so viele andere Gegenden Frankreichs grausamer Verwüstung preisgegeben, nicht gelitten. Die Schlachten und Gefechte hatten diese Ecke des Moseltales nicht berührt, von den durchmarschierenden Truppen waren nur wenige hierhergekommen, da die großen Straßen in einer ziemlichen Entfernung vom Schloß Villebois vorbeiführten, und nur einigemal war in das Schloß selbst Einquartierung gelegt worden, meist die Stäbe vorüberziehender Regimenter. Sie wurden bereitwillig und artig aufgenommen und hatten ihrerseits sorgfältig darüber gewacht, daß weder in dem Innern des schönen Baues, noch in dem umgebenden Park irgend etwas beschädigt oder zerstört werde.

So lag denn dieser prachtvolle Herrensitz wie eine Oase stillen Friedens inmitten des vom Krieg durchtobten Landes da, und wenn man in dem herbstlichen, aber immer noch mit sorgfältigster Sauberkeit gehaltenen Park den Donner der Kanonen vor Metz hörte, so hätte man sich fast der Täuschung hingeben müssen, es fände dort nur eines jener jährlichen Übungsmanöver statt, – so ruhig, so friedensvoll war die ganze Gegend.

Die Dienerschaft und die Beamten des Schlosses taten ihre Pflicht mit derselben Pünktlichkeit wie zu gewöhnlichen, ruhigen Zeiten, und in jedem Augenblick hätte die Herrschaft eintreffen können, um hier, wie sonst um diese Jahreszeit, zahlreiche Besuche von dem Adel der Umgegend, von Offizieren der Garnison von Metz und von Freunden aus Paris zu empfangen.

Aber die Herrschaft kam nicht. Der Graf und seine Tochter waren, wie man wußte, in Metz, das von den Preußen eingeschlossen war, und wo nach den Nachrichten, die man hin und wieder vernahm, bereits Hunger und Not zu herrschen begannen. Der Vicomte hatte bei der Armee des Marschalls Mac Mahon gestanden, und niemand hatte nach der entsetzlichen Katastrophe von Sedan etwas von ihm gehört. Das machte sie traurig, diese alten, treuen Diener, deren Vorfahren meist schon seit Generationen in dem Dienst des Hauses von Villebois gestanden hatten. Traurig ordneten sie an jedem Tag von neuem die Parkanlagen, denen jeder Tag mehr ihren Blumen- und Blätterschmuck nahm; traurig lüfteten sie die Zimmer und zündeten an regnerischen Tagen leichte Feuer in den Kaminen an, – die Herrschaften kamen nicht, und mit finsteren Blicken, bittere Gefühle im Heizen, öffneten sie den fremden Offizieren die Zimmer des Schlosses, indem sie daran dachten, daß ihre Herren vielleicht jetzt Not und Mangel leiden müßten. Aber trotz dieser bitteren Gefühle, trotz ihrer finsteren Blicke wurden die Offiziere vortrefflich bedient, denn die Gastfreundschaft des Schlosses von Villebois war eine heilige Tradition auch unter der Dienerschaft, und ebenso hatten sie wie die Schloßherren jenes Gefühl ritterlicher Courtóisie gegen die Gegner im ehrlichen Krieg behalten; nur wenn die Offiziere der fremden, siegreichen Armee das Schloß verließen und durch reiche Gaben sich für die gewählte Aufnahme dankbar erweisen wollten, dann lehnten die Beamten mit finsterem Kopfschütteln jede Gabe ab und erklärten mit kurzen Worten, daß die Gastfreundschaft des Schlosses nicht käuflich sei, und daß die Diener des Grafen von Villebois von niemandem Geschenke anzunehmen gewohnt seien als von ihrem Herrn.

Der Herr von Rantow fuhr auf einem mit Stroh gefüllten Leiterwagen dem äußeren Eingang des das Schloß umgebenden Parks zu.

Neben ihm saß Fräulein Hortense von Villebois in der Tracht der barmherzigen Laienschwestern. Und in dem Stroh des Wagens gebettet lag ein junger, bleicher Mann in einem Uniformmantel der Artillerieoffiziere, der Vicomte Etienne von Villebois, welcher, schwer, aber nicht lebensgefährlich verwundet, dem väterlichen Schloß zugeführt wurde.

Zwei der Luxemburger Ärzte, welche Herr Regnier aus Metz herausgeführt, hatten sich dem Baron angeschlossen und saßen am hintern Ende des Wagens. Eine Abteilung Dragoner ritt vor und hinter dem Gefährt. Der Baron war vom Schloß Corny aus auf dem Weg, den Fräulein Hortense kalt und ruhig mit fester und sicherer Bestimmtheit angegeben hatte, vorwärts gefahren.

Nach einer Fahrt von etwa zwei Stunden war man in ein Dorf gekommen, das von einer kleinen Abteilung Preußen besetzt und mit Verwundeten belegt war. Mit schnellem, sicherem Blick hatte Fräulein Hortense den nur aus wenig Gehöften bestehenden Ort gemustert und dann vor einem Bauernhause zu halten befohlen. Sie war rasch und gewandt, noch bevor der Baron von Rantow ihr seine Hilfe bieten konnte, vom Wagen gesprungen und in das Haus eingetreten, während der vor demselben stehende Posten ihr ehrerbietig Platz machte, wie dies von den Soldaten der Ordenstracht der barmherzigen Schwestern und Diakonissen gegenüber stets geschah.

Die junge Dame, welcher der Baron von Rantow folgte, ging, als wäre sie mit den Örtlichkeiten genau bekannt, über den Hausflur und öffnete die Tür zu einem großen Raum, der früher als Wohnzimmer der Bauernfamilie gedient hatte und jetzt mit Strohmatten belegt war, die einer Anzahl von Verwundeten als Lager dienten.

Die Luft war trotz der geöffneten Fenster dumpf und schwül in diesem Raum, und ein Militärarzt, unterstützt von einem Chirurg, war beschäftigt, nacheinander den Verband der Wunden zu erneuern. Die junge Dame blieb einen Augenblick in der geöffneten Tür stehen und ließ den Blick ihrer großen Augen auf diesem traurigen Bild ruhen. Da hörte man aus einer Ecke des Zimmers von einem etwas erhöhten Lager her einen Aufschrei des Erstaunens und der Freude. Ein junger Offizier richtete sich ein wenig empor, und auf den einen Arm gestützt, streckte er den andern der so plötzlich erscheinenden barmherzigen Schwester entgegen, indem er rief:

»Hortense, meine Hortense, meine geliebte Schwester!«

Fräulein von Villebois war in einem Augenblick zwischen den Reihen der auf dem Boden liegenden Strohmatratzen hindurch zu dem Lager ihres Bruders hingeeilt. Sie sank neben demselben auf die Knie nieder, nahm seinen Kopf in ihre Hände, drückte ihre Lippen auf seine bleiche Stirn und rief:

»So habe ich dich gesehen, mein Bruder, – so mußte ich dich finden, – jetzt ist alles gut, – jetzt wirst du gerettet werden!«

Dann hatte man den Vicomte, der nicht lebensgefährlich verwundet war und vorzüglich unter dem Mangel der Pflege und dem Einfluß der schlechten Luft litt, auf den Wagen gelegt, um ihn nach dem Sitz seiner Familie zu bringen, und der Baron von Rantow hatte dem Arzt und dem Offizier, welcher die Bedeckung kommandierte, mitgeteilt, daß der Graf von Villebois sein in der Nähe liegendes Schloß zur Pflege der Verwundeten zur Verfügung gestellt habe.

Alle Anordnungen waren getroffen worden, um die armen Kranken, Franzosen und Deutsche, sobald als möglich nach dem Schloß zu bringen, und der Baron von Rantow hatte sich mit Fräulein von Villebois, ihrem Bruder und einem ihn begleitenden Arzt sogleich dorthin auf den Weg gemacht.

Die junge Dame war womöglich noch schweigsamer und abwehrender geworden. Sie saß stumm und unbeweglich neben dem Baron da, von Zeit zu Zeit nur sich umwendend und ihrem in das Stroh gebetteten Bruder einen freundlichen Blick oder ein tröstendes Wort sendend.

So war man an die Grenze des Schloßparks gekommen. Man fuhr durch ein von zwei steinernen Pfeilern gebildetes Tor in demselben ein, und die ermüdeten Pferde setzten sich auf dem breiten, glatten Kiesweg in eine schnellere Gangart.

Der Baron von Rantow war frappiert von der Schönheit und Großartigkeit der Anlagen und sprach dies der jungen Dame aus, erhielt jedoch auch jetzt wieder eine kühle, ablehnende Antwort, obgleich das Gesicht des Fräuleins beim Anblick des heimatlichen Sitzes mit einem freudigen Schimmer überglänzt wurde und ihre Blicke diese alten Bäume zu grüßen schienen, deren jeder der Vertraute einer Erinnerung aus der Kindheit war. Auch der Vicomte hatte sich mühsam erhoben, und den Arm auf sein Strohlager gestützt, verschlang er fast mit seinen Augen diese ganze so liebe und bekannte Gegend, welche er kaum wiederzusehen noch gehofft hatte.

Vor der Zugbrücke des Haupteingangs trat der Torwärter des Schlosses mit finsterem Gesicht an den Wagen. Er hatte die Dragoner der Bedeckung heranreiten sehen, er sah den preußischen Schnitt der Uniform des Johanniters und fragte, seine Mütze abnehmend, mit höflichen, aber kurzen und kalten Worten nach dem Begehr der Ankommenden. Da fiel sein Blick auf das Gesicht der jungen Dame, welche den Schleier ihrer Haube zurückgeschlagen hatte. Zugleich entdeckte er den jungen Offizier auf dem Strohlager des Wagens, und mit tiefem Erstaunen, aber im Ton jubelnder Freude rief er:

»Mein Gott, der Herr Vicomte – unser Fräulein! Welches Glück! Welches Glück!«

Andere Diener des Hauses, welche vor der Wohnung des Torhüters in der Bastion gesessen hatten, sprangen bei diesem Ruf heran, sie überzeugten sich bald von der wirklichen Anwesenheit ihrer jungen Herrschaften und eilten dem Wagen voran in den innern Schloßhof, so daß, als dieser langsam die Zugbrücke überschreitend in das Portal einfuhr, bereits alle Beamten und Diener des Schlosses versammelt waren und dienstfertig herantraten, um mit allen Zeichen glücklicher Freude Fräulein von Villebois vom Wagen zu helfen, während für den jungen Vicomte eine Tragbare hergerichtet ward.

»Mein Vater hat befohlen,« sagte die junge Dame dem Haushofmeister, welcher ehrfurchtsvoll mit dem Hut in der Hand neben ihr stand, »daß das Schloß zur Pflege der Verwundeten hergerichtet werden soll. Mein Bruder soll in sein Zimmer gebracht werden, und dieser Herr hier«, sagte sie, auf den Baron von Rantow deutend, »ist unser Freund, er wird mit der höchsten Aufmerksamkeit behandelt werden.«

Ein eigentümliches Gefühl erfüllte den Baron. Er gehörte der siegreichen Macht an und war der Herr der Situation, seinen Befehlen hatten eigentlich alle hier zu gehorchen, und dennoch trat dies junge, zarte Mädchen mit einer solchen Entschiedenheit und Sicherheit in die Rechte der Herrschaft des Schlosses ein, daß seine Gegenwart eigentlich nur durch ihre Befehle gerechtfertigt und geduldet erschien, – dies stolze Selbstbewußtsein der Tochter des alten Herrengeschlechtes imponierte ihm, und zu gleicher Zeit fühlte er sich verletzt durch den eiskalten, schneidend abweisenden Ton, in welchem Fräulein Hortense die Worte gesprochen hatte: »Dieser Herr hier ist unser Freund.« Diese Worte waren gut und freundlich, aber der Ton derselben richtete eine unübersteigliche Scheidewand auf zwischen der jungen Dame und dem Feind ihres Landes, mit dem sie nichts verband als die gemeinsame, allgemein menschliche und christliche Fürsorge für die Verwundeten und Leidenden.

Er hatte dies junge Mädchen erst vor ganz kurzer Zeit zum ersten Male gesehen, er hatte wenige Worte mit ihr wechseln können, und doch berührte es ihn peinlich, aus dem Klang ihrer Worte zu empfinden, wie unendlich fern und fremd er ihr gegenüberstand.

Nach kurzer Zeit war der Vicomte in seinem Zimmer installiert, der Arzt hatte ihm einen neuen Verband angelegt, und der Verwundete empfand die unendliche Wohltat einer sorgsamen Pflege, verbunden mit dem beseligenden Gefühl, in der Heimat und unter lauter Menschen, die ihm mit Liebe und Ergebenheit anhingen, sich zu befinden.

Fräulein Hortense hatte ihre Zimmer bezogen, und dem Herrn von Rantow war eine höchst elegante und behagliche Wohnung, aus zwei Salons und einem Schlafzimmer bestehend, eingerichtet worden.

Bald wehte auf dem Donjon des Schlosses an der hohen Fahnenstange ein weithin sichtbares Banner, – wo sonst das Wappen und die Farben des Hauses von Villebois sich zeigten, sah man die weiße Fahne mit dem roten Kreuz. Allmählich langten auf ringsumher requirierten Bauernwagen die Verwundeten aus dem nahe gelegenen Dorf an. Das große Erdgeschoß und ein großer Teil der Fremdenzimmer wurde von den Schloßbeamten zu ihrer Aufnahme hergerichtet. Die Ärzte begannen ihre Funktionen, die weiblichen Domestiken des Schlosses übernahmen die vorläufige Pflege, und nach zwei Tagen konnte der Baron von Rantow nach dem Hauptquartier melden, daß ein regelrechtes und vortreffliches Lazarett im Schloß von Villebois eingerichtet sei, dessen Räumlichkeiten zur Aufnahme von noch mehr Kranken ausreichten. Es wurden daher einige barmherzige Schwestern und Diakonissinnen dorthin nachgesendet.

Bald entwickelte sich in dem großen, prachtvollen Herrensitz ein reges und bewegtes Leben. Fräulein Hortense von Villebois hatte nach ihrer Ankunft in das väterliche Schloß die Tracht der barmherzigen Schwestern, in welcher sie Metz verlassen, abgelegt und erschien in einer einfachen schwarzen Toilette, welche ihre eigentümliche, so vornehme und außergewöhnliche Schönheit noch mehr hervortreten ließ. Sie machte, ganz ihres Vaters würdig, die Honneurs des Schlosses, versammelte täglich in dem großen Speisesaal den Baron, die Ärzte, die barmherzigen Schwestern und Diakonissinnen, sowie die Offiziere der Bedeckung zum Diner und öffnete abends einige große Salons zur geselligen Vereinigung der hier zu gemeinsamen Liebeswerken verbundenen Personen. Bald hatten sich unter denselben auch freundliche persönliche Beziehungen gebildet, und trotz der ernsten Zeit, trotz der ernsten Aufgabe, welche alle hier Versammelten zu erfüllen sich vorgesteckt hatten, gewann doch eine gewisse gesellige Heiterkeit bei den Diners und den abendlichen Zusammenkünften Platz, an denen auch nach kurzer Zeit schon der schnell zur Besserung vorschreitende Vicomte von Villebois teilnahm und in welchen die allmählich genesenden Offiziere beider Armeen einen internationalen, von Haß und Bitterkeit freien Boden fanden.

Nur Fräulein Hortense blieb immer gleich ernst und unnahbar, die zarte Blässe tiefer Kränklichkeit verschwand nicht von ihrem Gesicht, der Ausdruck trauriger Erschöpfung und fieberhafter Erregung zugleich lag stets in dem Blick ihrer dunklen Augen, und obgleich der Arzt, welcher das in Villebois eingerichtete Lazarett leitete, verschiedene Mittel angewendet hatte, verfiel die junge Dame doch noch von Zeit zu Zeit in eine Art von tiefer nervöser Abspannung, welche von dem Arzt für eine Art somnambulen Schlafs erklärt wurde, der nur nach einer langen und vollständigen geistigen und körperlichen Ruhe wieder verschwinden könne.

Fräulein Hortense war aber dabei körperlich vollständig kräftig und imstande, fast unausgesetzt die oberste Leitung des ganzen Lebens im Schlosse zu führen. Doch tat sie dies mit einer gewissen kalten und gleichgültigen Passivität, und bei aller Höflichkeit und Artigkeit, mit welcher sie die Pflichten der Herrin des Hauses erfüllte und den Wünschen eines jeden auf das liebenswürdigste und gütigste entgegenkam, sah man doch fast nie ein Lächeln auf ihren Lippen schweben, fast nie hörte man ein Wort mehr aus ihrem Munde, als unumgänglich notwendig war, um die an sie gerichteten Anreden ohne Unfreundlichkeit zu beantworten. Nur beim Anblick ihres Bruders, den sie auch bei seiner Rekonvaleszenz unermüdlich und persönlich pflegte, zog ein Schimmer von Freude über ihr Gesicht hin, und wenn sie mit ihm, sorgsam und leise seinen verwundeten Arm stützend, durch den Park dahinschritt, den trotz der vorgerückten Jahreszeit in der nähern Umgebung des Schlosses der Gärtner noch immer mit frischen Blumen zu schmücken verstand, dann begann sie ein leichtes, fröhliches Geplauder von der Erinnerung an die Spiele ihrer Jugend, dann nickte sie rings den herbstlichen Blumen, die aus dem immer gelblicher sich färbenden Rasen hervorleuchteten, freundlich lächelnd zu, dann hörte man ihr reines, klares Lachen durch die Gebüsche schallen, – das alles war aber vorbei, sobald sie wieder im Schloß, wieder unter den Augen der Verwundeten und deren Pfleger war. Dann nahm ihr Gesicht wieder die kalte, unbewegliche Ruhe an, ihr Blick wurde wieder trüb und traurig, und wenn man den zwar sanften und weichen, aber doch dabei wieder strengen und kalt abwehrenden Ton ihrer wenigen, auf das Notwendigste beschrankten Worte hörte, so hätte man niemals glauben mögen, daß jenes helle, fröhliche Lachen da draußen in den Gebüschen des Parks aus demselben Munde gekommen sei, der diese Worte sprach.

Der Baron von Rantow befand sich in einer eigentümlichen Gemütsverfassung. Er saß täglich bei dem. Diner neben dem Fräulein von Villebois, die Oberaufsicht und Leitung über die ganze Krankenpflege im Schloß führte ihn vielfach mit der jungen Dame zusammen, von welcher jeder Befehl an die Dienerschaft des Hauses ausgehen mußte, denn so war es gehalten vom Tage der Ankunft an, die Dienerschaft hatte für jede Anordnung, die der Baron getroffen, erst die Bestätigung ihrer Herrin erwartet, und Herr von Rantow hatte niemals daran gedacht, seine Autorität dagegen geltend zu machen, sowohl aus natürlicher Galanterie gegen die junge Dame, als weil dieselbe auch dem kleinsten Wunsch, den er für die Pflege der Kranken aussprach, stets auf das bereitwilligste entgegenkam.

Der junge Mann fühlte sich mächtig ergriffen von der Erscheinung dieses Mädchens, das so viel eigentümlicher Reiz umgab. Ihre wunderbare Schönheit, welche in ihren zarten Linien und in dem seinen Hauch ihrer Farben an den geheimnisvollen Duft der Feenmärchen erinnerte, konnte bei dem täglichen Zusammenleben ihren Eindruck nicht verfehlen, – dazu kam, daß dieses junge Mädchen, das unter allen Verhältnissen wohl geschaffen war, um das Herz eines Mannes zu bewegen, hier in allem Glanz einer hohen, fast fürstlichen Stellung erschien. Das alte, so großartige und so geschmackvolle Schloß, die zahlreiche, so wohlorganisierte Dienerschaft, welche eifrig jeden Wink ihrer jungen Herrin zu erfüllen bestrebt war, die unerschöpflichen Reichtümer, über welche dieses kaum dem Kindesalter entwachsene Mädchen mit so einfacher Natürlichkeit verfügte, – das alles imponierte dem jungen Mann ganz außerordentlich. Er war von Jugend auf in dem tiefsten Respekt vor altem Adel und reichem Besitz zugleich erzogen, und so vornehm seine Familie auch sein mochte, in so reichen Verhältnissen er auch seine Kindheit und Jugend verlebt hatte, so reichte doch das Maß eines wohlhabenden schlesischen Gutsbesitzers bei weitem nicht an die Höhe der alten Grund- und Lehensherren von Villebois heran, deren aus der Tiefe der Jahrhunderte hervorgewachsener Besitz selbst mit den Reichtümern der Finanzgrößen unserer Tage auf die Wagschale gelegt werden konnte, ohne daß er in die Höhe geschnellt worden wäre. Der Baron von Rantow fühlte sich also in den beiden Richtungen, welche, vor allem maßgebend, alle seine Auffassungen bestimmten, – Vornehmheit und Reichtum, – weit unter dem Geschlecht der Herren von Villebois stehend, – und dies Gefühl ließ ihm das junge, zarte Mädchen auf der Höhe dieser großen Familienstellung um so reizender, anziehender und bewundernswerter erscheinen. Der Baron war nachgerade von der Erscheinung des Fräuleins Hortense von Villebois so erfüllt und bezaubert, daß alle früheren Erinnerungen seines Lebens wie in einen unklaren Nebel zurücksanken und es ihm schien, als sei hier in dem alten Schlosse des französischen Grandseigneurs ihm zuerst ein Ziel erschienen, das des Strebens und Ringens würdig sei. Aber wie unerreichbar hoch stand dies Ziel vor ihm da! Die junge Dame, zu welcher sein so mächtig erwachtes Gefühl ihn hinzog, war Französin, und schärfer entwickelte sich mit jedem Tag die nationale Feindschaft zwischen Frankreich und Deutschland; dazu kam die Überlegenheit der Stellung der jungen Dame, die er sich, so schwer ihm das auch werden mochte, doch eingestehen mußte, – und endlich der Gedanke an seine Verlobung mit der Tochter des Kommerzienrats Cohnheim, zu welcher ihn niemals ein wahres Gefühl des Herzens, sondern nur die Rücksicht auf die »gute Partie« und der Reiz geführt hatte, diese vielumworbene reiche Erbin zu gewinnen. Das alles machte ihn traurig und niedergeschlagen und raubte ihm die überlegene, fast hochmütige Sicherheit, die ihn sonst erfüllt hatte. Mehr als das aber noch drückte ihn die Haltung nieder, welche Fräulein von Billebois ihm gegenüber beobachtete, ohne auch nur ein einziges Mal um ein Haar breit von derselben abzuweichen. Die junge Dame erwiderte alle Bemerkungen, die er an sie richtete, mit der feinsten und ausgezeichnetsten Höflichkeit, – er hätte auch nicht den Schatten eines Vorwurfs gegen sie erheben können, – und doch sprach sie nie ein Wort mehr als zur erschöpfenden, artigen Beantwortung seiner Worte notwendig war, – sie ergriff, wenn es nicht Gegenstände der Krankenpflege betraf, niemals die Initiative, und jede Konversation, die er versuchte, sank nach kurzer Zeit tot zu Boden, ohne daß sie seitens des Fräuleins von Villebois auf eine bemerkbare oder verletzende Weise unterbrochen worden wäre. Dennoch schien die schöne Hortense nicht ohne ein gewisses Interesse für den jungen Johanniter zu sein, mit welchem das Schicksal sie hier in so ereignisreicher, ernster Zeit zu gemeinsamem Liebeswerk verbunden hatte. Häufig, wenn er sich mit ihrem Bruder unterhielt, der dem deutschen Edelmann mit freundlicher Herzlichkeit entgegenkam, oder wenn er schweigend neben ihr saß, ruhte ihr Blick lange wie forschend und grübelnd auf ihm, mit jenem sinnenden und suchenden Ausdruck, mit dem man ein Bild betrachtet, dessen Zügen man einen Platz in seiner Erinnerung geben möchte, ohne sich klar darüber werden zu können, wo dieser Platz zu finden sei.

Wenn dann der junge Mann einem solchen wunderbar tiefen und durchdringenden Blick begegnete, so fühlte er sich wohl von einem wonnigen Gefühl freudigen, hoffnungsvollen Glückes durchdrungen, – versuchte er aber eine Unterhaltung einzuleiten, so begegnete er immer wieder jener höflich unfaßbaren Abweisung, – und nach wenigen Augenblicken saßen beide wieder schweigend nebeneinander.

Der Baron fühlte sich tief unbehaglich, ja oft ernstlich unglücklich in diesen Verhältnissen, und doch hatte er nicht den Mut, denselben ein Ende zu machen, indem er seine Versetzung von dem Lazarett in Villebois zu einer andern Johanniterstation beantragt hätte. Er fühlte sich hoffnungslos, gedrückt, unklar der Zukunft gegenüber und doch wieder schon glücklich, daß er nur täglich diejenige sehen durfte, deren Bild wachend und träumend seine ganze Seele erfüllte, wenn auch jeder Tag ihm von neuem die schmerzliche Überzeugung brachte, daß dies Rätsel seines Lebens, dem er hier begegnet, sich nie zu seinem Glücke lösen werde.

Es war ein schöner, milder Abend im Monat Oktober, – der glänzende Vollmond übergoß mit seinem um diese Jahreszeit schon so weißen Licht die mächtigen, zum nächtlichen Himmel ansteigenden Umrisse des Schlosses von Villebois und die hohen Bäume des Parks, deren teilweise schon kahle Zweige und deren gelbes Laub, von dem weißschimmernden Licht überstrahlt, wie mit silbern glänzendem Schnee überdeckt schienen. Der Baron Rantow hatte mit dem Arzt die einzelnen Krankenzimmer besucht, sich überall überzeugt, daß es nirgends an der sorgfältigsten Pflege fehle, und alle Anordnungen, die für die Nacht nötig waren, getroffen, und da die Stunde, zu welcher die geselligen Salons des Schlosses sich öffneten, noch nicht gekommen war, so schritt der junge Mann, tief die frische, weiche Abendluft einatmend, in den Park hinaus, um hier mit seinen Gedanken und Gefühlen, welche seine Brust zum Zerspringen füllten, allein zu sein und zu versuchen, wie er es schon so oft und immer vergeblich getan, ob es ihm gelingen möchte, zur Klarheit zu kommen über seine Entschlüsse und seine Wünsche, – die er zu seinem Schmerz nicht zu Hoffnungen emporschwingen konnte.

Es war ihm ein eigentümlich süßer Reiz, in den Gängen dieses Parks einherzugehen, in welchem jeder Stein im Kies des Weges, jeder Baum, jedes Gebüsch ihm von der schönen Hortense sprach, – hier war sie ja so oft auch einhergegangen, diese leblosen und unbeweglichen Gegenstände alle, die ihn hier umgaben, hatten sie gesehen als fröhliches, lachendes Kind, das von einem Frühling zum andern immer mehr emporblühte zur sinnenden, träumenden Jungfrau, wie er sie jetzt gefunden und wie sie sein ganzes Wesen beherrschte. Sinnend und träumend! – worüber sinnend – wovon träumend, – das hatte er sich schon oft in banger Unruhe gefragt, – und von neuem stiegen unruhige Zweifel in ihm auf; – lebte ein Gefühl in ihrem Herzen, das sie so ernst, so schmerzlich bewegte, das sie gleichgültig und unempfänglich machte für alles, was sie umgab? Hatten diese Bäume, diese Bosketts sie etwa nicht allein hier wandeln gesehen, – hatten sie ihre Stimme vernommen in leisem Geflüster, vermischt mit einer andern Stimme, hatten sie ihr so kaltes, ruhiges Auge, erglühend in zitterndem Blick, sich schüchtern erheben sehen zu einem andern Auge? –

Eine Wolke legte sich vor seine Blicke, ein heißer Blutstrom schoß zu seinen Schläfen hin, hörbar in der tiefen Stille des Abends schlug das Herz in seiner Brust. Er nahm hochaufatmend die Mütze ab und preßte die kalte Hand an seine brennende Stirn.

»Und wenn es wäre?« sagte er leise, – »wäre es nicht natürlich, – wäre es nicht wunderbar, wenn es anders wäre? – und was,« sprach er dann traurig, mit einem bittern Lächeln, – »was verlöre ich dabei, – ich, der ich ihr nichts, gar nichts bin, – ein Fremder, mit dem man gleichgültig zusammenlebt, – den man gleichgültig verläßt, wenn die zufällig gekreuzten Schicksalswege sich wieder voneinander wenden? – ich, – der ich gebunden bin für das Leben! – Doch diese Fessel wäre zu lösen, – wenn ich hoffen könnte, – aber –«

Er schwieg und blieb einige Augenblicke in tiefen Gedanken stehen.

Dann, als wolle er seinen schmerzlichen Gefühlen entrinnen, eilte er mit raschen, kräftigen Schritten auf dem breiten Weg weiter.

Bald öffnete sich dieser Weg nach einem halbrunden Platz hin, der von hohen und dichten Taxushecken umgeben war. In der Mitte des Platzes erhob sich auf einer schlanken Säule eine schön gearbeitete Vase von Marmor, aus welcher dunkelgrüne Ranken von Efeu lang herabfielen. Am Fuß der Säule befand sich ein großes, etwas erhöhtes Blumenbeet, welches in sorgfältiger Auswahl noch mit späten Herbstblumen geschmückt war, – gegenüber an der Taxuswand, hinter welcher die Kronen mächtiger Eichen zum Himmel aufstiegen, stand eine breite und bequeme Bank von Gußeisen, und mit einem leichten Ausruf des Erstaunens erblickte der Baron von Rantow auf dieser Bank, in einen weiten schwarzen Schal eingehüllt, Fräulein von Villebois. Die junge Dame war halb liegend gegen die hohe, geschwungene Rücklehne zurückgesunken, ein schwarzes Spitzentuch war halb von ihrem Kopf herabgefallen und umgab, wie ein dunkler Grund, das Bild dieses schönen, zarten Gesichts, welches im vollen, glänzenden Mondlicht weiß wie die vom Efeu umrankte Marmorvase erschien. Die Augen waren geschlossen, wie geblendet vom hellen Mondstrahl, und auf dem Gesicht der jungen Dame lag nicht die gewöhnliche gleichgültige Kälte, – ein Schimmer von Glück und Freude strahlte von den lieblichen Zügen, und ein weiches, süßes Lächeln öffnete die sonst so streng geschlossenen Lippen des feinen Mundes.

Der Baron blieb am Eingang des Platzes betroffen stehen und blickte auf dieses Bild hin, das so unerwartet ihm sich zeigte und in der eigentümlichen Mondscheinbeleuchtung von feenhaftem Zauber umgeben erschien.

Einige Augenblicke stand er so, in den Anblick des jungen Mädchens verloren, – dann trat er schnell mit festen Schritten, um ein Zeichen seiner Anwesenheit zu geben, in den von den Taxushecken umschlossenen Raum. Obgleich der Kies unter seinen Füßen laut knirschte, machte Fräulein von Villebois keine Bewegung, – schlug auch die Augen nicht auf, – nur schien ihr Kopf in fast unmerkbarer Wendung sich dem Baron entgegenzuneigen, und das Lächeln auf ihren Lippen wurde noch süßer, noch weicher und schien dem Nahenden einen Gruß zu senden.

In zögernder Verlegenheit war Herr von Rantow vor ihr stehen geblieben.

»Mein Gott, – mein Fräulein, – Sie hier!« sagte er, voll Verwunderung diese schöne, unbewegliche Gestalt vor sich betrachtend, – »ich bedaure, Ihre Einsamkeit zu stören, – aber«, fuhr er, mit Besorgnis zu ihr herabblickend, fort, – »sollte die kühle Abendluft Ihrer Gesundheit nicht schaden?«

»Ich bin gesund und glücklich,« sagte Fräulein von Villebois mit einer so weichen, hingebungsvolle Liebe atmenden Stimme, wie er sie noch nie von ihr gehört, – »ich bin gesund und glücklich, wenn du bei mir bist, mein teurer Freund, – ich sah dich kommen, – und meine ganze Seele flog dir entgegen! – Gib mir deine Hand,« fuhr sie fort, »damit ich die heilsamen Strahlen aufsauge, die von dir ausströmen, und die mir wonnevolles Glück und gesunde Kraft bringen.«

Der Baron stand starr in tiefster Bestürzung vor ihr. Es zog wie eine goldene Wolke vor seinen Blicken hin, – er fand keine Erklärung für diese so unerwartete Anrede, und doch machte ihn dieselbe unendlich glücklich, denn er hörte ja aus diesem geliebten Munde so süße, berauschende Worte, wie er sie zu hoffen und zu träumen nicht gewagt.

Er blickte zu der glänzenden Mondscheibe, zu den dunklen Wipfeln der Bäume empor, – er atmete tief die reine, kühle Luft ein, um sich zu überzeugen, daß nicht alles ein Traum sei.

»So gib mir deine Hand,« sagte Fräulein Hortense mit ungeduldigem Ton, – »ich dürste darnach, den Strom des Lichtes und der Kraft zu trinken, der von dir ausströmt!«

Herr von Rantow beugte sich zu ihr herab und ergriff ihre Hand, welche unbeweglich auf ihrem Schoß lag.

Ihre Finger schlossen sich eng um die seinigen, – ein leises Zucken flog durch ihren Körper, eine glückselige Verklärung erschien auf ihrem Gesicht.

»O, welches Glück, – welche Wonne!« hauchte sie mit tiefen, vollen Atemzügen, – »wie strömt das Licht, die Wärme, die Kraft durch mein ganzes Wesen, – ich sehe das Herz in deiner Brust wie eine leuchtende Sonne, – ihre Strahlen durchdringen mich, – sie flammen in mein Herz hinein, – sie werden dies schwache, kranke, leidende Herz genesen machen, – o, verlaß mich nicht, mein Freund, – lege die andere Hand auf meine Stirn und denke daran, daß du mir helfen, – daß du mich heilen willst, – du wirst es tun,« sagte sie mit einem Ton kindlich treuherziger Zuversicht, – »denn du liebst mich, – o, ich weiß es, – du liebst mich!«

Der Baron war keines klaren Gedankens fähig, – seine Begriffe verwirrten sich, – er fand sich einer Märchenwelt gegenüber, und ein Gefühl unendlichen, unerklärbaren Glückes war das einzige, was er empfand.

Mechanisch gehorchte er den Worten des jungen Mädchens und legte seine Hand auf ihre Stirn.

Abermals fühlte er das leise Zucken ihres Körpers.

Sie blieb einige Augenblicke stumm, wie unter dem Eindruck eines überwältigenden Wohlgefühls.

»Verzeih' mir, mein teurer Freund,« sagte sie dann, indem sich ihre Hand noch fester um die seine schloß, – »verzeih' mir, wenn ich kalt und fremd gegen dich bin, – ich bin krank, – alles Leben, alle Wärme, alle Liebe ist tief in mein Herz zurückgezogen, dort schläft der edelste, der beste Teil meines Wesens, – und ich lebe ein Traumleben, ein kaltes, starres Leben, das ich selbst nicht verstehe und das niemand versteht, – die Ärzte geben mir ihre Mittel, aber diese Mittel gleiten ab an der Erstarrung meines innern Lebens, – nur der weiche, klare Strahl des reinen, sanften Lichtes, das jetzt auf mich herabscheint, hat die Macht, diese innere Erstarrung zu lösen und das gefesselte Leben in meinem Herzen zu erwecken, – dann aber versinken die äußeren Sinne in Schlaf, – und so bleibe ich immer getrennt von der Welt, die mich umgibt, und die ich doch so gern erfassen möchte mit meinem innern Leben.«

»Du allein,« fuhr sie fort, während der Baron, berauscht von Glück, an ihren Lippen hing und jedes ihrer Worte verschlang, – »du allein, mein teurer Freund, hast die gleiche Kraft in dir, wie jenes reine Gestirn dort oben, – du hast die Kraft, durch deine Berührung die geschlossene Blume meines tiefinnersten Lebens zu öffnen, – und deine Kraft ist größer und höher noch, – denn sie kann – sie wird es bewirken, daß das äußere und innere Leben sich ausgleicht, – daß alles, was jetzt verborgen in mir lebt und webt, heraustreten wird, um sich der Welt sichtbar zu machen, um mich wieder warm und glücklich zu verbinden mit allem Schönen, Lieben und Guten, das mich umgibt, – du wirst dem Sonnenlicht wieder den Weg öffnen zu meinem kranken, schlummernden und träumenden Herzen! Nicht wahr, mein Freund, du willst, – Du wirst mir helfen?« fragte sie mit ängstlich demütigem Ausdruck.

Bei Gott!« rief er, kaum seiner selbst mächtig, – »bei Gott, mit dem letzten Tropfen meines Blutes, – aber wie, – was kann ich tun?«

»Du wirst täglich wie heute, mein teurer Freund,« erwiderte sie, »deine Hand in die meine legen und meine Stirn berühren, damit der Lebensstrom mich durchdringe und heile, – wenn du zu mir kommst und ich mich auflehne gegen deine Herrschaft über mein inneres Leben, dann strecke die Spitzen deiner Finger in dem festen Willen, mir zu helfen, gegen mein Herz aus, und der Widerstand meiner kranken Nerven wird sich deinem Willen beugen, – täglich eine halbe Stunde, – nicht länger, laß mich das Licht und die Kraft trinken, die dir entströmt, – und in kurzer Zeit wird die Harmonie in meinem Wesen wiederhergestellt sein, – die Blume, die tief verborgen in meinem Herzen schläft, wird sich erschließen. – Wirst du mir beistehen, mein Freund?« fragte sie innig, – wirst du die Blüte erwecken, damit sie dir ihren Duft sende? – Versprichst du mir zu tun, was ich von dir erbitte?«

Herr von Rantow sank auf die Knie nieder, drückte die Hand des jungen Mädchens in glühendem Kuß an seine Lippen und rief:

»Alles, alles will ich tun, – befiehl über mich, – mein Leben gehört dir, meine einzig Geliebte, – meine süße, angebetete Hortense –«

»Hortense«, flüsterte sie, leise zusammenzuckend, und ihr Gesicht nahm einen Ausdruck an, als horche sie auf einen fernen, weit, weit herüberdringenden Ton.

Dann verschwand das weiche, glückselige Lächeln von ihren Lippen, ihre Züge wurden allmählich ernst und kalt, wie sie es gewöhnlich waren, – sie entzog ihre Hand dem Baron, der ganz erschrocken und bestürzt die Veränderung auf ihrem Gesicht bemerkte, – hob ihre Hand empor, strich über ihre Stirn und bedeckte einen Augenblick ihre Augen. Dann hob sie langsam den Kopf von der Lehne der Bank empor und schlug die Augen auf.

Voll tiefen, grenzenlosen Erstaunens fiel ihr erster Blick auf den vor ihr knienden jungen Mann, dessen Gesicht noch in glühender Erregung flammte.

Rasch stand sie auf. Ein Blitz des Unwillens zuckte aus ihrem Auge auf Herrn von Rantow herab, – ein kaltes, höhnisches Lächeln kräuselte ihre Lippen, – kaum wäre es möglich gewesen, in diesen Zügen das weiche, liebeatmende Bild wiederzuerkennen, das der junge Mann noch wenige Augenblicke früher vor sich gesehen hatte.

»Wie kommen Sie hierher, Herr Baron?« fragte sie mit eisiger, schneidender Kälte, – – »ich hatte einen kleinen Gang bei dem schönen Mondscheinabend gemacht, – hier an meinem Lieblingsplatz, wo ich oft in früheren Tagen gesessen, hatte mich ein leichter Schlummer überrascht, – und Sie, – mein Herr, – wie kommt es, daß ich Sie bei meinem Erwachen hier – vor mir finde?«

Der Baron blieb einen Augenblick sprachlos dieser so plötzlichen und schroffen Veränderung gegenüber.

Er erhob sich und sagte mit unsicherer Stimme:

»Ich kam zufällig hierher, mein Fräulein, – ich fand Sie schlafend auf diesem Platz, – ich befürchtete eine Ohnmacht, – die kalte Nachtluft, – ich wollte versuchen, Ihnen beizustehen –«

»Ich werde nicht so leicht ohnmächtig, mein Herr,« sagte sie kurz und trocken, – »die Nachtluft tut mir wohl, – lassen Sie uns zurückkehren.«

Sie schritt, ohne ihn weiter anzublicken, auf dem Wege nach dem Schloß hin. Der Baron ging neben ihr, von den widersprechendsten Gefühlen bewegt. Er war tief niedergeschlagen bei dem Gedanken, daß all das süße Glück, das ihn soeben noch erfüllt, nur die Täuschung eines krankhaften Traumes gewesen sein sollte; – doch hatte sie ihm ja auch gesagt, daß das, was heute noch Traum war, bald Wirklichkeit werden würde, – und mit hoffnungsvoller Ungeduld schlug sein Herz der Zukunft entgegen, die ihm dies wunderbare Rätsel lösen sollte.

Schweigend kehrten sie zum Schloß zurück, und bald versammelte sich der gewöhnliche Abendzirkel in den Salons.

Fräulein von Villebois war heute noch kälter und ernster als gewöhnlich, und in den Antworten, die sie, wenn es notwendig war, dem Baron gab, lag eine stolze, fast hochmütige Strenge, ohne daß die äußere Form der Höflichkeit verletzt wurde.

Zuweilen blickte sie in tiefem Sinnen vor sich nieder, als suche sie eine Erinnerung, ein fernhin verschwindendes Bild zu fassen und zu halten, – und mit einer gewissen Anstrengung riß sie sich aus diesem träumenden Grübeln heraus, wenn eine an sie gerichtete Bemerkung sie zwang, an der Konversation teilzunehmen.

Früher als sonst ging man auseinander, und lange noch lag der Baron von Rantow in seinem Fenster, in den hellen Mondschein hinausblickend und zuweilen die Augen schließend, damit vor seinem innern Blick jenes holdselig lächelnde Angesicht voll Liebe und Hingebung wiedererscheinen möge, das seine Seele mit so berauschendem Glück und so seliger Hoffnung erfüllt hatte.


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