Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Eitelkeit wird gewöhnlich nur zu den Thorheiten, nicht zu den Lastern der Menschen gerechnet. Sei es! daß sie aber oft, wenn nicht zum Laster selbst, doch zur Mutter desselben ward, sah ich nur alzudeutlich. Hat sie einmal im Herzen Plaz gefaßt; hat sie einmal bis zu einem gewissen Grade sich ausgebreitet; dann verfährt sie noch gelind mit ihrem Sklaven, wenn sie ihn blos hartnäckig, stolz, ungedultig bei iedem Widerspruch, taub gegen iede Warnung, trozzig auf sein eingebildetes Verdienst, und ungerecht gegen iedes fremde macht. – Gemeiniglich schreibt man diese Schwäche (um doch mit dem sanftesten Namen sie zu belegen!) dem schönen Geschlechte zu; und nicht ohne Grund. Von Jugend auf, als verzogne Schooskinder, durch Schmeicheleien verderbt, zum Stolz schon frühzeitig angehalten, glauben reizende Mädchen freilich zulezt, dieienigen Engel und Göttinnen würklich zu seyn, für welche sie so oft gepriesen wurden. Nur wäre er ungerecht, wenn man ihnen allein diese Eigenschaft zuschriebe; denn auch die Männer – wiewohl iene Entschuldigung nicht auf sie paßt – sind nur alzugern in eben diesem Punkte straffällig.
Sir George Hesley gehörte unstreitig zu den liebenswürdigsten und gebildetesten Männern seines Zeitalters. Mit viel Verstand und Kentnissen verband er Ehrgefühl, Edelmuth und ein weichgeschafnes Herz. Kurz, er hatte den gerechtesten Anspruch auf eine algemeine Bewunderung; nur Schade, daß er selbst davon ein wenig alzusehr überzeugt war. – Da eine (sogenante) gute Geburt, und der Besiz ansehnlicher Glücksgüter seinen Verdiensten, selbst in den Augen derienigen, die sich sonst aufs Verdienst nicht sonderlich verstehen, die Krone aufsezte, so geschahen ihm bald, wie er zu mänlichen Jahren kam, sehr annehmbare Heirathsvorschläge. Wer unter seinen Bekanten nur eine Tochter oder Schwester zu vergeben hatte, bewarb sich um seine öftere Gesellschaft. Manche Lädi hielt ihre besten Mienen für ihn in Bereitschaft, und verrieth durch die Blicke ihrer schönen Augen das geheime Schmachten ihres Herzens.
Doch wahrscheinlich eben deswegen, weil er unter so vielen zu wälen hatte, verzog er lange, eh er für einen Gegenstand sich bestimte. Höflich und galant gegen alle, machte er keiner Einzigen einen ernsthaften Antrag. Er wartete der einen beim Nachttisch auf; ging mit der zweiten auf die Maille-Bahn; speißte mit der dritten zu Mittag; nahm seinen Thee bei der vierten ein, und bezeugte der fünften im Schauspiel oder zu Vauxhall seine Achtung. Kurz, er vertheilte seine Aufmerksamkeit so gleich, daß keine auf die Gewalt ihrer Reize zu trozzen, und ihre Nebenbuhlerinnen gering zu schäzzen vermochte. – Doch diesen Muthwillen ihm so immer hingehn zu lassen, war die Liebe keineswegs gesonnen. Miß Jenny Meadows Augen ward der Sieg über sein Herz bestimt. In ihr glaubte er alle die Reize vereint zu finden, die er bei andern nur einzeln erblickt hatte.
Würklich war Miß Jenny ein liebenswürdiges Mädchen! Sowohl durch ihre körperliche Schönheit, als durch ein edles Herz, und eine ausgebildete Seele verdiente sie diesen Beinamen; nur ihre Vermögensumstände paßten nicht zu den Uebrigen. Denn durch Spiel und andre Ausschweifungen hatte ihr Vater ein ansehnliches Erbtheil dergestalt zu schmelzen gewußt, daß er beim Tode seinen vier Töchtern kaum so viel hinterlies, als sie zum standsmäßigen Auskommen brauchten. Zwei derselben waren gleichwohl an vermögliche Londner Kaufleute, und die dritte an den Besizzer eines kleinen Landgutes verehlicht; Jenny, die iüngste, und allein noch ledig, lebte abwechselnd bald bei dieser, bald bei iener Schwester; und da sie fast für keine andre Ausgabe, als für ihre Kleidung, zu sorgen hatte, so konte sie auch in diesem Punkte mit mehr Anstand, als sonst bei so geringen Einkünften möglich gewesen wäre, erscheinen.
Sir George sah sie zuerst im Hause ihres ältesten Schwagers, der ein ansehnlicher Leinwandhändler, Melling mit Namen, war, und unsern Baronet zuweilen mit Holländischen Linnen und Kammertuch zu versorgen pflegte. Einst, als Sir George einer ähnlichen Bestellung wegen, in seinem Gewölbe vorfragte, wieß man ihn unter dem Angeben, daß der Herr vom Hause zwar weggegangen sei, aber auch gleich wiederkommen werde, ins Sizzimmer der Mistreß Melling, und diese, welche so eben mit ihrer Schwester an einem Stickrämen beschäftigt war, legte sofort, als der Baronet hineintrat, und sie ihn, als einen von ihres Mannes besten Kunden erkannte, ihre Arbeit bei Seite; unterhielt ihn mit vieler Artigkeit, und bat ihn, als ihr Gatte unvermuthet lang' ausblieb, eine Tasse Thee mitzutrinken. Sir George, dem Jennys Schönheit bereits stark aufgefallen, nahm, in der Hofnung sie näher betrachten zu können, diese kleine Höflichkeit mit gleich verbindlichem Tone an; und da er würklich mit Miß ins Gespräch kam, verdarb ihr Mundwerk dasienige keineswegs, was ihre Augen schon gutes bewürkt hatten. Ihre Reize hatten in einem Augenblick über sein Herz gesiegt; doch dauernde Fesseln legte erst ihr Verstand ihm an.
Als der Kaufmann endlich heimkam, Sir George sein Geschäfte besorgt und das Erkaufte nach Hause zu tragen befohlen hatte, muste er freilich auch Abschied nehmen; aber er that es von Herzensgrund ungern. Miß Jennys Bild ging mit, und eine Erinnerung, die ihm anfangs Vergnügen machte, – die Erinnerung an ihre Schönheit, ward mit ieder Stunde gewaltiger in seiner Seele; kam im Wachen und im Traum nicht aus seinen Gedanken, und machte, daß er bereits am dritten Tage wieder einen Vorwand hinzukommen suchte. Auch iezt stelte er sich, als ob er verschiedner Waaren bedürfe; da er aber diesmal Herrn Melling allerdings im Gewölbe fand, so ließ er sich, nachdem er verschiednes eingekauft, in ein freundschaftliches Gespräch mit ihm ein, und warf zulezt nur halb verloren die Frage hin: Ob es wohl erlaubt sei, Mistreß Melling auf ein paar Augenblick aufzuwarten, und sich ihren guten Rath, wegen einiger Wäsche, die er bestelt habe, auszubitten?
Der Kaufmann versicherte mit einem tiefen Bückling, daß seine Frau sichs zur Ehre rechnen würde; aber unglücklicher Weise sei sie vor einer halben Stunde erst ausgegangen. – »Und würde nicht vielleicht – erwiederte Sir George, dem dieses Ausgehn gar nicht ungelegen war, – die iunge Dame, mit welcher ich neulich das Vergnügen hatte, Thee zu trinken, so gütig seyn, mich zu belehren? Es war etwas so Gefälliges in ihren Gesichtszügen, daß ich fast glauben solte, sie schlüge mir diese kleine Bitte nicht ab.«
»Wahrscheinlich, Sir, rief Melling, meinen Sie meine Schwägerin?« – Wohl möglich, denn ich erinnere mich, daß die iunge Lädi ihrer Gemahlin glich. – »Richtig, richtig, Sir! Aber auch diese ist heute Morgen nach Kent verreist.« – »So! ich glaubte, sie wohnte bei Ihnen.« – »Nicht für immer! Ohngefähr ein Drittheil des Jahrs; und diesmal ist sie früher noch als gewöhnlich weggereist, weil ihre Schwester sich mit iedem Tage ihrer Niederkunft versieht.«
Einem Manne von Sir Georgens Weltklugheit war es nun leicht, dem ehrlichen, argwohnlosen Melling, der sich im schönsten Zuge des Erzälens befand, alles vollends abzufragen, was ihm noch von Miß Jennys Umständen zu erfahren nüzlich war. Da er, troz seiner heftigen Neigung, auf nichts weniger, als auf eine Heirath dachte, so hörte er mit heimlichem Vergnügen: daß seine Geliebte unbemittelt und gewissermaßen von ihren Verwandten abhängig sei. Auch die Reise aufs Land behagte ihm. Denn er hofte: es solle ihm leichter fallen, dort ihre Bekantschaft zu erhalten, und sie almälig nach seinen Wünschen zu stimmen, als in der Stadt, unter den Augen einer Schwester, die ihm selbst in iener einzigen kurzen Unterhaltung eine Frau von Kopf und Erfahrung zu seyn geschienen hatte.
Um keine Zeit zu verlieren, reiste er schon des andern Tages, mit einem einzigen vertrauten Bedienten nach Canterbury ab; denn dicht vor den Thoren dieser Stadt lag das Grundstück, wo Miß Jenny iezt lebte. – Ganz ohne Bekantschaft in dortiger Gegend, miethete er sich im besten Gasthofe ein; gab vor: er sei blos neugierig, die Merkwürdigkeiten dieser alten Stadt kennen zu lernen; besuchte fleißig ein nahgelegenes Kaffeehaus; und ward durch sein empfehlendes Aeußere, und durch die Artigkeit seines Betragen, eh noch drei Tage vergiengen, fast mit allen Personen bekant, die in der Stadt und ein paar Meilen rund herum in einigem Ansehn standen.
Unter diesen befand sich Sir Beechly, Miß Jennys zweiter Schwager, ein seelenguter, braver Mann, der aber freilich keine blendenden Geisteskräfte und überdies den kleinen Fehler hatte, die Weinflasche ein wenig liebzuhaben. Kaum zwei Stunden lang kante ihn der schlaue Sir Georg, so hatte er schon diese Schwäche weg, und beschlos sie, da ihm Beechlys Gunst so wichtig war, zu nüzzen. Schon diesen Abend ward eine Bowle Punsch, und des andern Abends ein halbes Duzzend Weinflaschen geleert. Sir Georgens Wiz glänzte dabei in Gesundheiten, Erzälungen und Einfällen unverbesserlich. Beechly gewann ihn binnen wenig Stunden unaussprechlich lieb. Als dieser Leztere auch beim zweiten Gelag etwas alzutief ins Glas geguckt hatte, drang ihm der besorgte Sir George seinen Bedienten zur Begleitung nach Hause auf, und ließ sich des andern Morgens nach seinem Befinden erkundigen.
Beechly, voll Vergnügen über diese Aufmerksamkeit, eilte sogleich selbst zu seinem neuen Bekanten; theils, um ihm zu zeigen: daß er auch Lebensart besizze; theils, um ihm durch den Augenschein von seinem Wohlsein und der Unschädlichkeit des gestrigen Rausches zu überführen. Zugleich fragte er an: Ob er ihm nicht gefällig sei, heute auf einen Rostbeef mit ihm vorlieb zu nehmen? – »Es ist zwar wahr, fügt er hinzu, daß meine Frau selbst nicht sichtbar sein wird. Die arme Närrin ist aller Augenblicke in Gefahr einer Hebamme zu bedürfen; und um diese Zeit sind, wie Sie wissen werden, die Weiber viel zu eitel, als ihre Taille gern vor Fremden aufzuführen. Doch es ist iezt ihre Schwester, ein nettes, braves Mädchen bei uns; und die soll Wirthin-Stelle vertreten.«
Das Herz unsers Baronets schlug fast sichtlich für Freuden bei dieser Einladung. Erst kurz vorher hatte er zu seinem großen Misvergnügen vernommen, daß Miß Jenny außer ihrer Wohnung nirgends sichtbar sei. Doch iezt kont' er hoffen, so mannichfache Mühe wohl, oder wenigstens nicht ganz umsonst angewandt zu haben. Mit beiden Händen nahm er daher Sir Beechlys Vorschlag an. Noch ein wenig vor der bestimten Zeit stelte er sich ein; schon an der Hausthüre empfing ihn sein Wirth mit einem herzlichen Wilkommen. Kaum war er ins Besuchzimmer eingetreten, so erschien auch Miß Jenny; ihr Schwager führte ihr den Sir George, als seinen iüngsten, aber bereits als einen seiner liebsten Bekanten auf.
Wenn es iezt diesem Leztern schwer ward, seine innere Bewegung bei diesem Kompliment zu verbergen, so war Miß Jennys Erstaunen noch um ein gutes Theil größer. Zwar hatte Beechly zu Hause schon manches von dem artigen Kavalier aus der Hauptstadt erzählt, der, sich iezt zu Canterbury befände, und heute Mittags bei ihm speisen werde; doch da er nicht seinen Namen genant und sie eben so wenig darnach gefragt hatte, so war ihr Sir George auch mit keinem Gedanken eingefallen. – Schon beim ersten Gespräch hatte sie wohl, ienem feinem Tackte zufolge, den das schöne Geschlecht so vorzüglich besizt, gemerkt, daß sie einigen Eindruck auf ihn mache, und hatte seine Empfindung, wenn auch nicht mit gleichem Feuer, doch mit einem ähnlichen sanften Gefühl vergolten. Weil sie aber auch den großen Unterschied ihrer Glücksumstände kante, suchte sie schon in der Geburt eine Leidenschaft zu ersticken, von welcher sie sich nur die Stöhrung ihrer innern Ruhe, und wohl gar, wenn sie ruchtbar würde, den Spott ihrer Bekanten versprach. Doch iezt, bei dieser zweiten, so unvermutheten, und ihr gleichwohl nicht so ganz ungefähr scheinenden Zusammenkunft erwachten ihre Wünsche mit verstärkter Kraft. Eine noch nie gefühlte Freude durchbebte ihr Innerstes. Selbst beim Kompliment, das sie ihm, als einem Fremden machen muste, herschte in ihren Blicken, ihren Worten, eine gewisse rasche und doch in ihrer Art liebenswürdige Bestürzung.
Sir Georgens scharfem Auge entging keines dieser Merkmale; schon sah er sie als günstige Vorbedingungen an. Die Hofnung, die insgeheim sofort seine Seele füllte, belebte auch iede andre Kraft derselben; und gab allem, was er that und sprach, neues Feuer, neuen Reiz. Miß Jennys Neigung zu ihm wuchs natürlich eben dadurch mit iedem Augenblicke. – Zur Vergrößerung seines Glücks ward gegen das Ende der Tafel Sir Beechly eines Geschäfts halber abgerufen, und verweilte sich geraume Zeit in einem andern Zimmer mit iemanden, der ihn sprechen wolte. Diesen Zwischenraum nüzte Sir George, um seiner Gebieterin die Neigung seines Herzens zu gestehen; ihr mit wenigen Worten zu erklären, daß er nur ihrentwegen nach Canterbury gekommen, und keine Mühe, sie zu sehen, gescheut habe. Sie antwortete ihm auf eine anständige, bescheidne, doch seine Hofnung keinesweg niederschlagende Art. – Bald drauf kam Beechly wieder, und lenkte, ohne es zu wissen, das Gespräch auf einen ganz andern Gegenstand. Er führte Sir Georgen in seinen Garten, der ohne Bildsäulen, ohne viel Kunst und Pracht, doch einige recht artige Anlagen in sich enthielt. Sir Georg war mit Lobeserhebungen äußerst freigebig, und als sie zuletzt auf eine große schöne Wiese kamen, an welche nachher ein ziemlich dichtes Wäldchen stieß, rief er aus: »Ich wolte, ich könte dieses Pläzchen mit nach der Stadt nehmen; und Mall, Vauxhall und Ranelagh solten Jahre lang vor mir Ruhe haben.«
»Das Mitnehmen, erwiderte Beechly lachend, ist freilich nicht möglich, und möchte auch mir nicht ganz angenehm seyn. Aber wenn Sie, so lange Sie hier bleiben, von diesem Spaziergange recht oft Gebrauch machen wollen, so werden Sie mir höchst willkommen seyn.«
Sir George dankte höflichst für dies Erbieten, fügte aber doch hinzu: daß er es kaum anzunehmen wage. »Mein Spaziergang, sagt er, dürfte meistens in die Morgenstunden fallen; und da könt' ich leicht in Ihrem Hauswesen, wäre es auch nur durch den Bedienten, der mir aufmachen müste, eine Irrung machen.« – So klein auch eine solche Irrung wäre, erwiderte Beechly lächelnd, so soll doch dieser gleichfalls abgeholfen werden. – Diese Thüre hier geht aufs Feld. Den Schlüssel dazu brauch ich kaum alle Vierteliahre einmal; habe ihn doppelt, und durch ein Ohngefähr grade bei mir. Hier ist er; und wenn Sie nun noch Umstände machen, so werd' ich ihr ganzes Lob und ihren Wunsch für ein bloßes Kompliment annehmen. Sie können da aus- und eingehen, ohne irgend iemand zu stöhren, noch gestört zu werden.
Mit tausend Dank nahm Sir George diesen Schlüssel, und betrachtete ihn im Geist als den Wegweiser zum Glück. Schon am nächsten Morgen, auf den Nothfall mit einem Buche versehn, erschien er hier. – »Vielleicht dachte er, erfährt Miß Jenny, was ich mit ihrem Schwager gesprochen, und Heil mir, wenn sie dann – doch nein, nein! Lieber will ich auf ein günstiges Ohngefähr mich verlassen; will Gelegenheit suchen, mich so nah als möglich, an das Gebäude, wo sie wohnt, zu schleichen; und wenn vielleicht ein schöner Morgen, die Einsamkeit dieses Spazierganges, iene Unruhe, die ich gestern bemerkte – kurz, ich will hoffen, und unermüdet um mich herumschauen. Für das übrige mag Glück und Liebe sorgen.«
Er hatte sehr recht, sich auf beide zu verlassen. Indem er die Gartenthür aufschloß, indem er hineintrat, war der erste Gegenstand, den er in einiger Entfernung erblickte – Miß Jenny selbst. Zwar wolte sie nie, selbst in der Folge, selbst im Rausch beglückter Liebe durchaus nicht, gestehen: daß sie den geringsten Gedanken ihn hier zu finden gehegt habe; aber um desto günstiger war dann der Zufall ihm gewesen. Ihre Schwester hatte einige Kräuter zu einem vom Arzt ihr vorgeschriebnen Tranke begehrt. Miß Jenny hatte es über sich genommen, sie zu holen. Indem sie solche noch pflückte, ging ienes Pförtchen auf. Daß Sir George rasch auf sie zueilte; daß sie über seine Erscheinung bestürzt zu seyn schien, und es auch vielleicht würklich war; daß sie ernstlich versicherte, iezt keine Zeit zu einem Gespräch zu haben; daß er sie kniend beschwur, dann wenigstens wieder zu kommen; daß ihr Ernst, ihr anscheinender Unwillen sich almälig milderte; daß sie endlich versprach: Wenn ihre Geschäfte und das Befinden ihrer Schwester es erlaubten, in einer halben Stunde vielleicht zurück zu kehren; daß dies Vielleicht nach manchem innern Kampf und Zweifel würklich sich zutrug, und daß Sir George ihr dann mit der Liebe feurigstem Enthusiasmus alles das weitläuftiger entdeckte, und mit zahlenlosen Schwüren bekräftigte, was er ihr gestern nur im Hui zugeflüstert hatte; – alles dies brauchte ich wohl dem grösten Theil meiner Leser nicht einmal zu erzälen, wenn ich es nicht der lieben Ordnung wegen thäte.
Die Geliebte, die einmal ihrem Liebhaber nachgegeben, berechtigt ihn gewissermaßen schon, dasienige nun zu fodern, was er das erstemal bitten muste. Miß Jenny stellte sich daher, sowohl durch eigne Neigung, als auch durch das Anhalten ihres Verehrers bewogen, des andern Tags wieder an eben demselben Orte ein. Dieser zweiten Zusammenkunft folgte eine dritte, der dritten eine vierte, und so ging es mehrere Morgen hinter einander. Immer fester und fester gewann er Plaz in ihrem Herzen; aber noch konte sie, selbst wenn sie mit innigstem Vergnügen die Betheurungen seiner Zärtlichkeit anhörte, sich eines Zweifels an deren Aufrichtigkeit nicht entbrechen; so oft sie nemlich über die Ungleichheit ihrer Glücksumstände nachdachte. – »Und was nennen Sie Glück? (rief er eines Tags voller Feuer aus, als sie ienes Mistraun blicken lies) Bei Gott, Ihr Herz ist ia alles, was ich mir wünsche.«
»Alles, George? Alles?« erwiederte sie, und blickte ihm starr ins Auge. Er wiederholte es: mit einer Glut, mit einer Wahrheit, der sie endlich traute; der sie glaubte gestehen zu müssen: er besizze schon, was er sich wünsche. – Es wäre unnöthige Arbeit, das Entzücken zu schildern, mit welchem er dieses Geständnis empfing; mit welchem er den ersten Kuß der Zärtlichkeit von ihren Lippen raubte; mit welchem er sie wol zehnmal noch um die Wiederholung eines ihm so beglückenden Ausspruchs bat. – Da sie indeß, selbst in diesem wichtigen Augenblicke, doch nicht so ganz, wie er es wahrscheinlich von ihr gehoft hatte, in seine Arme sank, so hielt er es für unumgänglich, seine wahren Absichten iezt ihr blicken zu lassen. Lobpreisungen ihrer Schönheit machten den Anfang. Betheuerungen, daß sie verdiene, in allem Glanz von Pracht und Größe zu erscheinen; ia, daß sie schon einen zu großen Theil ihrer Jugendiahre in einer unwürdigen Abhängigkeit von ihren Verwandten zugebracht habe, folgten drauf; und den Beschlus machte das Anerbieten eines sehr ansehnlichen, lebenslänglichen Einkommens, nebst den heiligsten Schwur, nie einer andern seine Hand zu reichen, wenn sie ihn mit ihrer Liebe beglücke; wenn sie in iedes Recht seiner Gemalin, bis auf den unwichtigen, nichts bedeutenden Namen, eintreten wolle.
Kein Dolchstoß hätte Miß Jennys Herz schmerzlicher zu durchbohren vermocht, als dieses schändliche Erbieten. Sie war einige Augenblicke hindurch unfähig, auch nur ein Wort zu erwidern. Nur durch einen Strom von Zähren, nur durch ein unwillkührliches Ringen der Hände verrieth sie ihren innern Schmerz, oder ihre Verzweiflung vielmehr. Vergebens suchte Sir George, dem es ahndete, daß er zu rasch vorgegangen sei, mit den süßesten Worten, mit allen Kunstgriffen der Liebe und List zu besänftigen. Sie stieß ihn unwillig weit von sich hinweg; und indem endlich ihr edler Stolz selbst ihren Schmerz übermeisterte, indem sie die ganze Kraft der bittersten Verachtung in Blick und Ton zu bringen wußte, rief sie aus: »Betrügerischer unedler Mann, ist das deine Liebe? Ist Laster und Schmach das Loos, das du mir zubereitest? – Nein, Nichtswürdiger, auch nach dem mir entlockten Geständnis meiner Schwäche – nach diesem Geständnis, welches mich nun durchs ganze Leben schaamroth machen wird! – soll es dir nicht gelingen, mich zu so schändlichem Lüsten zu überreden. Nie – nie mag ich dich wiedersehen! Nie anders wenigstens, als mit Abscheu und Verachtung!«
Indem sie dies sprach, entfloh sie. Zorn und Schmerz beflügelten ihre Füße. Sir George wolte sie aufhalten; doch mit unglaublicher Stärke stieß sie ihn abermals von sich; und als er ihr doch noch nacheilen wolte, hinderte ihn der Anblick eines Mannes, der ohnweit davon in Beechlys Garten arbeitete. Sehr unmuthig über diesen plözlichen Glückswechsel ging unser Baronet von dannen; nur ienes erstere Geständnis ihrer Liebe gab ihm noch einen Schimmer von Hofnung: daß ihr Zorn bald sich legen werde. Er kam des andern Morgens wieder in den Garten; er wartete bis zur Mittagsstunde darinnen; keine Miß erschien. Er setzte drei Tage hindurch dieses Kommen und Warten fort; er schlich sich so nahe als möglich zu Beechlys Wohnung – und immer vergebens. Seine Ungedult, seine Reue, seine glüende Begier stieg mit iedem fruchtlos herangewarteten Mittag. Endlich bat er sich im Gespräch mit Beechly selbst wieder bei ihm zu Tische, und ward mit tausend Freuden von ihm empfangen; doch Miß Jenny erschien nicht. Zwei Minuten vorher, eh man zur Tafel sich sezte, – nachdem Sir George wohl zwanzigmal schon mit ängstlicher Miene nach der Thüre hingeblickt hatte, durch welche sie das erstemal eintrat, schickte sie und ließ sich bei ihrem Schwager durch ein heftiges Kopfweh entschuldigen.
Der arme Sir George! So unschmackhaft war ihm wohl in seinem ganzen Leben noch kein Mittagsmahl vorgekommen. Mehr als hundertmal hörte er nicht, was man ihn fragte; oder gab eine Antwort, die kein Mensch verstand. Als er endlich wieder auf sein Zimmer kam, grif er zur Feder, und schrieb zwei Stunden lang an einem Briefe, der zehn Zeilen lang und keinen Penny werth war. Dann übergab er ihn seinem Bedienten mit dem Befehl, in Beechlys Haus zu gehen, doch so, als käme er ohne Vorwissen seines Herrn, und dort so lange zu schwazzen und sich aufzuhalten, bis er Miß Jenny gewahr werden, und dies Billet ihr unbemerkt einhändigen könne. – »Dieser Auftrag hat seine Schwürigkeiten (fügte er hinzu,) aber zeige dich nicht wieder vor meinen Augen, bis du ihn ausgerichtet hast. Bringst du mir vollends eine Antwort zurück, so sind drei Guineen dein!«
Der Kerl zuckte mit den Achseln und ging. Zwei Stunden lang sah ihm sein Herr alle Minuten durchs Fenster entgegen. Endlich kam er. – »Sie hatten Recht, Sir, sprach er, daß diese Verrichtung schwer war. Aber ich hoffe nun auch mein Botenlohn verdient zu haben. Ich paßte Miß auf der Treppe auf. Kaum daß sie mir Stand hielt. Als sie den Brief schon in der Hand hatte, drehte sie ihn wohl noch zwanzigmal herum, und schien unentschlossen, ob sie ihn annehmen solle. Endlich befahl sie mir zu verziehen, ging in ihr Zimmer, blieb da ein guten Weilchen, brachte mir dies, und sagte: Hier ist die Antwort auf seines Herrn Brief.« – Freudig warf Sir George sechs Guineen hin; erbrach das Billet und fand – sein eignes wieder darinnen! Unerbrochen, ohne eine Silbe zur Begleitung, blos unter einem neuen Umschlag!
Nie hatte er noch gefühlt, was er in diesem Augenblick fühlte. Nie war seine Eitelkeit schmerzlicher gekränkt worden; und doch mußte er mitten im Gefühl seines Schmerzens diese ihn verschmähende Tugend bewundern. Bisher hatte er Jenny geliebt; iezt betete er sie an! Jezt erkante er alle Volkommenheiten in ihr, die sie würdig machten, selbst seine Gemalin zu werden. – Seine Gemalin! Ach, auf der andern Seite war schon der bloße Gedanke der Ehe ein Schreckbild für ihn. Er wuste, daß er dies in eben dem Augenblicke zu seyn aufhöre, wenn er als Ehmann erscheine. Er konte sich nicht entschließen, iener ihm so theuern, so algemeinen Achtung zu entsagen, und konte doch auch eben so wenig ohne Jenny leben. Es war ein harter, ein langer Kampf. Aber endlich siegte die Liebe doch über seine Eitelkeit; ein lezter, knapper Zufluchtswinkel – wir werden bald hören, welcher? – blieb dieser leztern noch übrig. Er entschloß sich Miß Meadows seine Hand anzubieten. Doch selbst hierzu sah er lange keinen schicklichen Weg. Er war überzeugt, daß sie auch einen zweiten Brief abweisen werde. Der Zufall, der schon mehrmals seine Schuzgottheit gewesen war, half ihm auch iezt über diese Schwürigkeit.
Mistreß Beechly kam in eben dieser Nacht mit einem Sohne nieder. Der Vater selbst hinterbrachte unserm Baronet am andern Morgen diese frohe Nachricht. Halb lachend bot der Leztere sich zum Taufzeugen an, und mit Freuden ward dieser scheinbare Scherz als Ernst aufgenommen. Schon der andre Nachmittag ward zur Verrichtung einer so feierlichen Handlung anberaumt. Miß Jenny konnte sich unmöglich entbrechen, dabei zu erscheinen; aber sie betrug sich mit solcher Zurückhaltung, hütete sich so sehr, ihn auch nur anzusehen, daß ieder Mann mit einem besseren Gewissen sich durch ein solches Betragen höchst beleidigt gefühlt haben würde. Sir George ließ sich nicht abwendig machen; als er einmal alle übrige Anwesende im Gespräch begriffen sahe, nüzte er die Minute, und flüsterte Miß Jenny zu: »Madame, ich fühle Ihren Zorn tiefer, als Worte ausdrücken können. Aber ich beschwöre Sie, lassen Sie durch einen übereilten Vorschlag sich nicht zu einem unversöhnlichen Groll hinreißen. Ich bereue unsäglich und innigst meinen Fehltritt; und hege die redlichsten, die unsträflichsten Absichten ihn wieder auszusöhnen.«
Sie schien einen Augenblick gar nicht antworten zu wollen. Endlich erwiederte sie doch: Sir, ich werde nie glauben können, daß es ein Mann gut mir mir meine, der einmal schon so schimpflich von mir dachte. – »Ich verdiene diesen Vorwurf, Miß, verdiene noch tausendfach schärfer. Aber ich flehe Sie nur um die einzige Gnade an, mir noch ein Gespräch zu gewähren. Kann das, was ich da zu sagen habe, mir nicht Ihre Verzeihung erwerben, so will ich noch an eben demselben Tage Canterbury und vielleicht die Welt zugleich verlassen.« – Er konte iezt nicht weiter sprechen, denn Beechly brachte ihm so eben ein volles Deckelglas aufs Wohlsein des iungen Christen zu. Aber ehe er wegging, fand er doch noch Mittel, einigemal seine Bitte zu wiederholen, und der Blick und Ton, womit er es that, waren so rührend, daß endlich Miß Jenny wenigstens nicht Nein sagte, als er eine Zusammenkunft auf Morgen vorschlug.
Ein solches Schweigen ließ hoffen; und als Sir George des andern Tags eine Stunde gewartet hatte, sah er sein Hoffen erfüllt. Die Folgen dieser Unterredung konte man voraus sehen. Miß Jenny vergab das Geschehene, und Sir George verpflichtete sich mit den heiligsten Schwüren, ihr vorm Altar seine Hand zu reichen, wenn und so schnell sie wolle; ia, er drang sogar in sie, diesen Zeitpunkt seines höchsten Glücks zu beschleunigen; aber er fügte hinzu: daß gewisse Familien-Angelegenheiten, und vorzüglich sein Verhältnis gegen einen Onkel, dessen fast unermesliches Vermögen ihm zwar im Testamente schon zugetheilt, dessen Eigensinn aber nur almälig zu gewinnen sei, es erforderten: daß man die Heirath noch eine Zeitlang geheim hielte. – Warum Sir George dieses alberne, seiner selbst unwürdige Märchen vorgab, ist meinen Lesern kein Räthsel; und eben so gewiß ist es, daß Miß Jenny, wenn sie bei ihrem erstern Ernste geblieben, auch diese lezte Schuzwehr seiner Eitelkeit darniedergerissen haben würde. Doch auch aus einer Schwäche, die dem Frauenzimmer dann am gewöhnlichsten ist, wann sie wenigstens in einem Punkte durchgedrungen haben, gab Jenny den ersten Tag hierauf keine entscheidende Antwort; und am zweiten Morgen ließ sie, bei abermaliger Zusammenkunft, durch sein innigstes Bitten, hierinnen nachzugeben, sich bewegen.
Uebrigens ward unter ihnen verabredet, daß er, um allen doch vielleicht aufsteigenden Verdacht zu vermeiden, nachdem er noch, gleichsam des Umsehns halber, einige kleine Reisen in der Nachbarschaft gemacht, in wenig Tagen nach London zurück kehren, und sie ihm dahin folgen solle, sobald nur das Befinden ihrer Schwester eine solche Trennung schicklich mache.
Alles dies geschah! Sir George, ohngefähr vier Wochen drauf, durch einen Brief von Miß Jenny benachrichtigt, daß sie an einen bestimmten Tage von Canterbury abreisen werde, kam ihr in eigner Equipage bis Greenwich entgegen, und brachte sie in ein sehr schönes Quartier, welches er in einer der besten Straßen, ohnweit Bloomysbury-Plaz gemiethet, und auch mit aller gehörigen Bedienung, wie es nur immer einer Lädi geziemte, versehen hatte. Da sie anfangs zweifelhaft schien, ob sie auch, vor der priesterlichen Einseegnung noch, seinem Schuz sich anvertrauen solte; und er ihr Bedenken leicht errieth, so suchte er sie nochmals durch die feierlichsten Schwüre zu beruhigen: daß der morgende Tag bereits ihr Trauungstag seyn, und seine ganze Person ihr dann durchs künftige Leben so eigen verbleiben solte, als es vom ersten Augenblick ihrer Bekantschaft an sein Herz gewesen sei; zeigte ihr auch den schon gelösten Trauschein, und die fertigen Ringe. Als sie hierauf sich entschlos, ihm zu folgen, speißte er zwar des Abends mit ihr; aber, gleich nach aufgehobener Tafel empfahl er sich ihr mit allen Anzeichen ächter Ehrerbietung, und überließ es ganz ihrer Willkühr: ob sie mehr der Ruhe nach verrichteter Reise, oder des Nachdenkens bei einem so nahen und wichtigen Schritte bedürfe?