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XXXIII.
Briefe, die theils alzufrüh, theils gar nicht bestellt wurden!

Gleich anfangs, – so sehr ich sonst der Unart des Spiels abgeneigt zu seyn pflegte! – hatte mich Dobertons iugendliches Alter, das nicht über zwei und zwanzig Jahr hinaus sich erstrecken konte, und seine vortheilhafte Bildung zum innigsten Mitleiden bewogen. Jezt brachte mich sein schmerzensvoller, wiederholter Aufruf von dem Namen, Charlotte, sehr natürlich auf die Vermuthung: er müsse (wie schon Coaxum gesagt) mit irgend einem iungen Frauenzimmer in Verbindung stehen; und auch ihre Liebe, ihre Hand einzubüßen besorgen. – Mein Entschluß desfalls war – der gewöhnliche; nemlich des andern Morgens in seine Wohnung zu gehn, und mich auf Kundschaft, die nicht fehlen konte, zu legen.

Ich ging, und ziemlich zeitig. Eine an der Hausthür plaudernde Köchin half mir glücklich hinein. Ich verhoffte Doberton im ersten Stockwerk zu finden und irrte mich keineswegs. Er saß, als ich hineinschlüpfte am Schreibtisch und schrieb sehr emsig. Ein schon gesiegeltes, und an den Graf Codgy überschriebnes Billet lag vor ihm. Zu erfahren, was darinnen stehe, verbot mir zwar das Siegel; doch kont' ich es so ohngefähr errathen. Der Brief, der ihn noch beschäftigte, lautete also:

Meine einzige – mir immer und ewig
          theuere Charlotte!

»Tausend Seufzer, die mein Herz zerreißen – tausend Bangigkeiten, schrecklicher selbst als der Tod, begleiten iede Silbe dieses unseeligen Schreibens. Ich sehe im Voraus, es wird Sie betrüben, und eben diese Betrübnis ist eine neue Verstärkung meiner eigenen Quaal. – O Charlotte, ich werde, ich darf Sie nicht mehr sehen: – Diese Liebe, auf so manchen wechselseitigen Beweis reinster Zärtlichkeit gegründet, diese Liebe einer glücklichen Vereinigung so nahe – sie ist auf einmal nun zerstört – zertrümmert auf immer! Allen Ansprüchen auf iedes künftige Glück habe ich Sinnloser selbst entsagt; habe mich selbst in ein grundloses Verderben gestürzt. In wenig Stunden hören Sie – entweder, daß ich nicht mehr bin; oder daß ich ein Vertriebner ward, der verbannt von Vater und Vaterland, von allen meinen Freunden, und – ach! ach! auch leider von Ihnen, dem Tode sehnlicher, als einem neuen Tage entgegen blickt!

Kurz, theuerste Charlotte, ich habe mich selbst in die Nothwendigkeit gesetzt, Dinge zu thun, vor welchen sonst die Natur erbebt, – muß entweder mein eignes Leben opfern, oder dasselbige einem andern nehmen. Was von beiden geschehen soll, steht noch in der Hand des Schicksals. Doch eines wie das andre bringt mich um alles übrige irdische Glück. Nur das Entsezzen zu mindern, mit welchem Sie aus fremden Munde diese Nachricht hören würden, meldete ich es Ihnen selbst. Mehr kann ich nicht schreiben. Lebe wohl, liebenswürdigste, beste, theuerste Deines Geschlechts! Gönne in Deinem Gedächtniß wenigstens einen kleinen Raum

dem verlohrenen   
Charles Doberton

» N. S. Unwürdig durch mich selbst, auch nur einen Beweis Ihrer Zärtlichkeit zu besizzen, sende ich den Ring zurück, den Sie einst an einem seeligen Tage mir selbst an Finger steckten. Empfangen Sie noch einmal – zum lezten mal mein Lebewohl. Des Himmels reichster Seegen, grenzenloser noch – wenn dies möglich ist – als mein iezziger Schmerz, schwebe stets über Ihnen!«

Würklich übertrieb der Unglückliche Sir Charles die Schilderung seines Schmerzens nicht. Die innere Bewegung seines Herzens war – das verrieth ieder Blick, iedes Zucken seines Körpers! – größer, als Worte fassen können. Nachdem er den Ring wohl zehnmal noch geküßt hatte, schloß er ihn mit ins Couvert, rief seinem Bedienten, und sprach: »Diesen Brief gib Miß Charlottens Kammermädchen; sie soll ihn ihrer Herrschaft beim Aufstehn einhändigen. Dieser an Graf Codgy aber erfordert Antwort; warte drauf!« Der Bediente entfernte sich. Mit starken, gleichsam eilenden Schritten ging Doberton lange Zeit in seinem Zimmer auf und ab; warf sich dann auf einen Stuhl, und im tiefsten Nachdenken versunken, schien er eine halbe Stunde lang mehr einem Todten, als einem Lebenden gleich. Plözlich wurden wieder seine Geberden, sein ganzes Wesen, nur alzu lebendig. Mit tobender Wuth, mit stampfendem Fuße, mit einem Eifer, der nur ausbrechender Verzweiflung verzeihbar ist, rief er:

»Welch ein unglückliches Geschöpf ist der Mensch! Selbst die Vernunft, worauf er sich so brüstet, macht ihn noch unglücklicher. Das vernunftlose Thier, von Leidenschaften und Sorgen frei, fühlt keine Gewissensbisse, und keine Furcht vor der Zukunft. – Was wird die arme Charlotte zu meinem Briefe sagen? Wie manche Thräne werd' ich ihr – und ach, meinem unglücklichen Vater kosten? – Ha, ich Elender! Ward ich gebohren dazu, dieienigen in Jammer zu stürzen, die ich mehr, als mich selbst liebe?«

Die Zurückkunft seines Bedienten unterbrach dieses Selbstgespräch, und er fragte hastig, ob er Antwort vom Graf Codgy bringe?

»Nein, Sir. Ich ging zwar zuerst zu ihm; aber man sagte: er und sein Bedienter schliefen noch. Um nicht fruchtlos die Zeit zu verwarten, ging ich daher indeß zu Miß Charlotten und gab ihrem Mädchen den Brief. Kaum war ich aber die halbe Straße hinunter, so kam mir im vollen Galopp ein Bedienter nach und rief, seine Lädi wolle mich sprechen.«

Sir Charles. Charlotte schon wach! – Sonderbar! Nun, und du kehrtest um?

Bed. Allerdings. Sie fragte mich, ob Sie zu Hause und allein wären? Da ich beides beiahte, meinte sie: es wäre schon gut. – Nun ging ich nochmals zum Grafen. Sein Kammerdiener war auf: Aber sein Herr, versicherte er, könnte wohl noch ein paar Stunden schlafen, denn er sei erst nach ein Uhr heimgekommen. Ich solte, sagte er, den Brief nur dort lassen; aber ich meinte ein Gang mehr sei besser, als etwas unrecht machen.

Sir Charles. Gut! Gut! Gebt mir den Brief wieder. Ich will nachher selbst hingehn. – (nachdem der Bediente weggegangen) Das will ich, und das ist auch besser! Einer schriftlichen Ausfoderung hätt' er vielleicht ausbeugen können; bei einer persönlichen soll er es wohl bleiben lassen. – Ich will sogleich meine Pistolen laden.

Er that es; aber noch war er mit der zweiten nicht fertig, als man vor der Thür draussen eine weibliche Stimme hörte. »Nein, nein! sprach sie, es braucht hier keines Meldens!« – Doberton kehrte sich hastig bei diesem Tone um. Aber eh er noch einen Schrit thun, oder seinen Bedienten rufen konnte, ging auch die Thür schon auf; und Charlotte – denn sie war es selbst! – trat mit Unruh im Blick, in einem Anzug, der höchste Eilfertigkeit verrieth, aber doch zugleich für mich, der ich sie noch nie gesehen, mit unbeschreiblich vielem Reiz ins Zimmer hinein.

»O Charles – Charles! rief sie, und flog auf ihn zu: welchen grausamen Brief haben Sie mir geschrieben, und in welcher traurigen Vorbereitung überrasche ich Sie! – Was geht mit Ihnen vor? Ich beschwöre Sie, eröfnen Sie mir alles, oder ich sterbe für Furcht.«

Sir Charles. (mit schmerzhaften Tone) O Charlotte – sonst immer meinen Blicken so erwünscht, – warum musten Sie in diesen fatalen Augenblick kommen? – Warum muß ich noch einmal diese reizende Gestalt sehen, um ganz zu fühlen, welchen Himmel ich verlieren soll!

Charlotte. Quälen Sie meine Seele nicht durch den Anblick dieser Verzweiflung, ohne mir wenigstens die Ursache derselben zu entdecken! Schon hab' ich das Recht die Genossin, Ihres Kummers sowohl als Ihrer Freuden, zu seyn. Sprechen Sie – ich beschwöre Sie! lassen sie mich alles wissen.

Sir Charles. Ich kann nicht!

Miß Charlotte. O so liebten Sie mich auch nie! Der schrecklichste Unfall quält nicht halb so stark, als Ungewisheit es thut. Werden Sie heitrer! Sprechen Sie frei heraus! Weg aus meinen Augen mit diesen mörderischen Waffen! – (indem sie die Pistolen wegnehmen will, erblickt sie ienen noch gesiegelten Brief an Codgi) Ha! was ist das? Die Aufschrift von Ihrer Hand. Die Adresse an einen schon bekannten Taugenichts? – Ich errathe, was da vorgegangen seyn mag! Sicher ein Zwist, den sie mit diesen da (auf die Pistolen deutend) ausmachen wollen. Karl, ich muß das lesen?

Sir Charles. Es sei! Sie ersparen meiner Zunge wenigstens ein Theil von dem, was – sie nie erzälen könnte.

Rasch, wiewohl mit zitternder Hand erbrach sie das Billet; über ihre Achseln blickend, las ich es mit. Er lautete also:

Mein Herr,

Troz der Verwirrung, worinnen ich mich gestern Abend befand, erinnere ich mich doch, daß sie mir Revenge versprachen. Diese begehre ich iezt, und erwarte sie in einer Stunde, mit Pistol und Degen bewafnet, bei Mary-le-bon. Da Sie nichts, als das bloße Leben mir übrig ließen, so brenne ich für Begier, auch dieses aufs Spiel zu sezzen. Kommen Sie aber ohne Sekundant! Denn ich kenne keinen rechtschaffenen Mann, dem ichs zumuthen dürfte, mit Ihren nichtswürdigen Zunftgenossen sich zu messen. Sollten sie iedoch diese Aufforderung, die nur noch alzustark Sie ehrt, nicht annehmen wollen, so werde ich sobald und wo ich Sie nur sehe, an Ihnen eine Rache ausüben, die Sie zum warnenden Beispiel aller Betrüger und Räuber machen soll. Antwort erwarte ich durch den Ueberbringer dieses.

Charles Doberton. Esq.

Miß Charlotte. Vortrefflich! Schlagen wollen Sie sich also? Sind sogar der Ausforderer? Wollen ein Leben, das mir so kostbar ist, muthwillig aufs Spiel setzen, weil man vielleicht um eine nichtige Summe Geldes Sie betrog? Wieviel verloren Sie denn?

Sir Charles. Alles! – Alles, was ich habe, und iemals erwarten durfte!

Miß Charlotte. Reden Sie deutlicher, lieber Charles!

Er erzählte ihr nun alles, was wir schon wissen. Je näher er zum Ende kam, ie heitrer ward wieder Charlottens Miene; und endlich am Schlus rief sie mit dem Ton scherzender Munterkeit aus:

»Und das – nichts mehr, als das, konte Sie so schrecklich beunruhigen?«

Sir Charles. Nichts mehr, als das? Charlotte ist dies Ihr Ernst? Bin ich nun nicht ein Betler? Ein Betler ohne Aussicht und Hülfe.

Miß Charlotte. Wie ist es Ihnen nur möglich so zu sprechen! Wenn tausend Pfund diesen ganzen Revers wieder lösen – vergessen Sie denn, daß ich wenigstens acht bis zehnmal so viel besizze; und daß binnen wenig Tagen nicht nur dieses Vermögen, sondern auch meine Wenigkeit obendrein, Ihrer Willkühr ganz zugehört?

Sir Charles. Ich meine Charlotte plündern? Nimmermehr! Gerechtigkeit, Lieb' und Ehre verbieten dies. Eh will ich sterben.

Miß Charlotte. (halblächelnd) Und grade dies verbitt' ich mir. Sie müssen, Karl, Sie müssen dies kleine Opfer von mir annehmen.

Sir Charles. Nimmermehr! Könnt' ich das Uebermaas Ihrer Güte, theure Charlotte, misbrauchen, so wär' ich nichtswürdiger noch, als der Bösewicht, der mich auszog.

Miß Charlotte. Dennoch nehm' ich durchaus keine abschlägige Antwort an. Verweigern Sie mir Gehorsam, so geh ich in eigner hohen Person hin. Ich zale das Geld und löse Ihre Verschreibung.

Sir Charles. Dann würden Sie mich zwingen, dieienigen Waffen gegen mich selbst zu richten, mit welchen ich meinen Räuber zu strafen gedachte.

Miß Charlotte. (gekränkt und bittrer als bisher) Pfui, Charles! Fühlen Sie nicht, daß diese Drohung mich beleidigen muß? Ziemt es wahrer Liebe, dem geliebten Gegenstand keine Verbindlichkeit schuldig sein zu wollen? Ist mein Vermögen, – zumal ein so kleiner Theil desselben! – ein größres Geschenk, als ich Ihnen mit meiner Person zu machen gedachte? – Doch halt! Wie wär' es, wenn ich Ihren Revers Ihnen zurückschafte, ohne Blutvergiessen – ohne Unkosten auf meiner und Ihrer Seite?

Sir Charles. Ohne Wunder dürfte dies nicht möglich seyn!

Miß Charlotte. Und doch! Ein Gedanke, der mir so eben durch den Kopf fuhr, lässt mich viel hoffen. – Aber kommen Sie, lieber Charles! Hier lange bei Ihnen zu bleiben, ziemt keinem Mädchen, selbst Ihrer Verlobten kaum. Sie allein zu lassen, trau ich nicht. Fahren Sie mit zu mir! Unterwegens ordnet sich mein Plan. Darauf aber geben Sie mir gleich iezt die Hand, daß Sie den Vorsaz, sich zu schlagen, wenigstens für heute fahren lassen.

Er sträubte sich noch ein Weilchen; sie drang immer heftiger drauf, und er gab endlich nach. Er forschte genauer nach ihrem Plan, und sie antwortete immer: Unterwegens, Karl, unterwegens! Sie bot ihm wohl zehnmal den Arm, um sie herunter zu führen. Zuletzt vermocht' er es nicht länger auszuschlagen. Freilich hätt' ich es auch gern gesehen, wann sie iezt schon ihre Gedanken wegen Zurückschaffung des Reverses von sich gegeben hätte; denn Doberton selbst konte nicht viel neugieriger als ich seyn. Doch mußte ich mich drein schicken, und war entschlossen ihrem Wagen nachzufolgen. Ehe sie einstieg, hörte ich genau zu, wo sie den Kutscher hinzufahren beföhle. Es gelang mir; ich hoffte nun bald nachzukommen, und das Genauere zu erfahren.


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