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XXVIII.
Etwas mindere Aufrichtigkeit war hier vielleicht besser.

Neugier, Mitleid und Freundschaft trieben mich des andern Tages bei guter Zeit wieder zum Alexis hin, und zwar diesmahl in sichtlicher Gestalt: Sehr natürlich beschloß ich, mich zu stellen, als wüste ich von allem, was vorgefallen sei, auch kein Wort. Er war ausgegangen; da man ihn aber alle Augenblicke zurück erwartete, und die Wirthin unsre Freundschaft kante, so nöthigte sie mich einstweilen in ihr Zimmer, empfing mich mit einer weitläuftigen Klage über das Unglück, welches vorgefallen sei; erzälte viel von der Unordnung, die dadurch im ganzen Hause verursacht werde, und hob den wichtigen Umstand, daß sie nebst ihrem Manne die ganze Nacht um den Schlaf gebracht worden, wohl dreimal merklich durch ihre Stimme heraus. Schon war meine, ohnedem nicht große, Gedult auf dem Punkte gänzlich zu verschwinden, als Alexis kam. Von meinem Dasein benachrichtigt, trat er mit wilder Unruhe in seinen Mienen hinein, faßte mich, ohne ein Wort zu reden, bei der Hand, führte mich auf sein Zimmer; warf sich da rasch an meinen Hals, und rief:

»O mein Freund, ich bin verloren! – Zu Grunde gerichtet für immer! Sie, die Schöpferin, Geberin und Genossin meines Glücks ist mir entrissen; entrissen durch einen wollüstigen, unmenschlichen Bösewicht! Gestern war ich noch der glücklichste aller Männer. Heute giebt es in der ganzen Natur kein so verworfnes, elendes Geschöpf.«

Er erzälte mir nun, was ich besser als er schon wuste. Nur fügt' er noch hinzu: daß alle von ihm selbst und seinem Bedienten angewandte Mühe fruchtlos gewesen sei; daß er noch iezt überall herum sende, doch ohne Hofnung zu finden, was er suche. In der Absicht, seinen Gedanken wenigstens einige Zerstreuung, seinen Wünschen eine Möglichkeit mehr darzubieten, rieth ich ihm in einige unsrer gelesensten Tagsblätter einen Aufsatz einrücken zu lassen, der Mathildens Gestalt und Kleidung so genau als möglich bezeichne, und demienigen eine ansehnliche Belohnung verspreche, der anzugeben vermöge, wohin ein solches Frauenzimmer, des Nachts zwischen zwölf und ein Uhr von einem blauen Domino, wahrscheinlich gegen ihren Willen gebracht worden? Auf diese Art werde Mathildens Name verschwiegen und unbeschimpft bleiben, indeß man doch auf der andern Seite die Lohnbegier irgend eines Kutschers, Bedientens oder Hauswirths auffodre.

Dieser Vorschlag behagte ihn so, daß auf einige Sekunden gleichsam ein Strahl von Ruh und Hofnung in seinem Gesichte wieder aufging. Er eilte sofort nach Feder und Tinte, folgte fast wörtlich meiner Angabe, und bestimte ein nahes Kaffeehaus wo der Angeber seine Belohnung finden solte. – Da er mich zu gleicher Zeit beschwor, ihn in seiner Noth so wenig, als möglich zu verlassen, so bracht' ich würklich einige Stunden bei ihm zu; that, was ich konte, seinen oft empor strebenden Schmerz zu lindern, und suchte durch manche ähnliche Beispiele, die zwiefache Hofnung, daß er Mathilden wieder, und zwar unverlezt, wieder bekommen könne, in ihm lebend zu erhalten. Ganz fruchteten meine Rednerkünste freilich nicht, doch ebenso wenig gingen sie ganz verloren. Ich brachte es unter andern doch dahin, daß er einige Speise zu sich nahm, und da es nachher schien, als ob ein wenig Schlaf, dessen er die ganze Nacht entbehrt, ihn anwandeln wolle, versprach er mir, sich ein Stündchen niederzulegen, mit dem Beding: daß ich indeß auf ienem von ihm bestimten Kaffeehause Acht geben solte, ob nicht vielleicht von Mathilden einige Nachricht einliefe.

Ich machte mich, so gering im Herzen meine Hofnung war, würklich dahin auf den Weg. Doch da ich an der zweiten Gassen-Ecke einem Freunde, der mancherlei Geschäfte mit mir abzuthun hatte, Rede stehn muste, so mochte wohl ein Viertelstündchen drüber verflossen seyn; und ich war nun grade im Begrif weiter zu wandeln, als eine Sänfte mit fest zugezogenen Vorhängen dicht bei mir vorüber getragen ward. Vermuthlich hätt' ich gar nicht auf solche gemerkt; doch da die Träger kaum zwei Schritte von mir stehn blieben; einer derselben den Deckel öfnete, und um Verzeihung bat: daß er nicht mehr wisse, ob Milädi in die rothe oder grüne Lampe verlange? da eine bange weibliche Stimme: zu den zwei grünen Lampen! antwortete; da ich an dieser Behausung und mehr noch an der Stimme sogleich Mathilden erkante; da regte sich freilich meine Neugier aufs baldigste zu erfahren: Wohin diese unglückliche Dame verschlagen worden? stärker als iemals in mir; und ich brante vor Begier, die Erzählung aus ihrem eignen Munde zu hören, den Empfang des Alexis mit meinen eignen Augen zu sehen. Weil alles dies in meiner sichtlichen Gestalt sein mannichfaches Hindernis, oder wenigstens die Miene der Zudringlichkeit gehabt haben würde, so sprang ich schnell in ein kleines offenstehendes Haus, fand im Hofe einen Winkel, wo ich meinen schon bereitgehaltenen Gürtel unbemerkt umgürten konte; und folgte dann iener Sänfte so hurtig nach, daß ich die Träger noch ein paar Schritt vor Alexis Wohnung einhohlte, und bei geöfneter Thüre leicht mit hinein schlüpfen konte.

Als iezt Mathilde aus ihrem Tragsessel stieg, da ward es mir schwer in ihr dieienige Person wieder zu erkennen, deren Reiz und Anmuth noch vor wenig Stunden mich so entzückten. Ein nachläßig um ihre zerstreuten Haare gebundnes Tuch, war die ganze Bedeckung ihres Kopfes; ihre Kleider waren hier und da zerrissen, ihre Augen von Thränen aufgeschwollen; ieder ihrer Gesichtszüge gleichsam verschoben. Bestürzung und Verzweiflung sprachen aus ihnen. Mistreß Soberton, die Frau von Hause, war ihr beim ersten Anblick der Sänfte entgegen geeilt. Sie wolte Mathilden, wiewohl sie auch die Befremdung über ihren Aufzug nicht ganz verbergen konte, einige Freude über ihre Rückkehr bezeigen; doch Mathilde hörte gar nicht drauf, sondern nachdem sie den Trägern einige Geldstücken zugeworfen, flog sie so hastig, daß Mistreß Soberton und ich ihr kaum zu folgen vermochten, die Treppe hinauf, in ihr Zimmer, warf sich in einen Sessel, und rief: »O wo ist mein Alexis? Wo ist er?«

»Ach, Madame! kreischte Mistreß Soberton. Wahrscheinlich hat er sich so eben niedergelegt. Sie können nicht glauben, in welche schreckliche Unruhe ihn und uns alle – –« Sie war vermuthlich Willens ihr die nemliche Litanei, die sie schon mir gehalten, zu wiederholen, als die Zimmerthüre von neuem aufging. Alexis, entweder gar noch nicht eingeschlafen, oder durch den ersten Laut seiner Gemalin erweckt, stürzte hinein. Mathilde flog ihm entgegen. Einen Augenblick hindurch sank sie in seinen Arm. Dann – ich wag' es nicht zu entscheiden, ob sie sich los riß, oder er selbst durch eine unwilkührliche Bewegung sie von sich entfernte. Kurz, sie warf sich wieder in ienen Sessel. Er gab die Pause eines stummen, und doch höchst sprechenden Anblicks. Mistreß Soberton empfand, daß eine dritte Person hier überflüßig sei, und entfernte sich. Nur ich blieb unsichtbar zurück, und auch mein wunderbares Taschenbuch that mir heute vorzügliche Dienste. Nie würde ich sonst ein Gespräch, wobei mein eignes Mitleiden so rege ward, zu behalten vermocht haben.

Mathilde. (indem Mistreß Soberton zur Thür hinaus geht, einen Blick voll der bittersten Wehmuth auf Alexis werfend) O Alexis, warum musten Sie mich verlassen!

Alexis. O Mathilde, wie konten Sie den Siz verlassen, wo sie auf meine Rückkehr warten solten!

Math. Ich verließ ihn, und glaubte nur – Ihrem Befehl zu folgen.

Alex. Unseeliger Irrthum! Wie konten Sie sich aber so irren?

Math. Ach, ich hatte keinen Gedanken, daß ein Betrug hier nur möglich sei. Sein Anzug war ganz der Ihrige; seine Statur desgleichen; er sprach nur äußerst leise; aber selbst, wenn er das nicht gethan, befand ich mich eben damals über eine zudringliche, unverschämte Maske so in Verlegenheit, hatte so den innigen Wunsch wieder wegzukommen, daß ich vielleicht selbst einigen Unterschied überhört haben würde.

Alex. O mein Herz bricht! – Wohlan, ia, ia, nur mein Unglück, nicht Ihre Unachtsamkeit hat Schuld. – Aber wer ist der Bösewicht, der Sie so hinterging? Wo führt' er Sie hin? Reden Sie! Reden Sie aufrichtig!

Math. Ich wills, als ständ' ich vor Gottes Richtstuhl; aber auf beide Fragen weiß ich selbst keinen Bescheid. Er traf seine Vorkehrungen zu schlau, als daß ich errathen konte: wer er sei, und wo ich mich befände? Alles was ich weiß, ist – ich bin verlohren, auf immer verlohren!

Alex. Verlohren! Verlohren? Gerechter Himmel, und nicht einmal den Thäter zu wissen! Nicht zu wissen, wo er wohnt! Jeder Weg zur Rache versperrt! Ha, das ist grausamer, als Verlust und Tod. Doch vielleicht giebt Ihre Erzählung wenigstens einiges Licht. Vielleicht helfen Muthmaßungen endlich zur Gewisheit. Erzählen Sie mir alles, Mathilde! Alles, bis auf den kleinsten Umstand!

Math. Es werden Dolchstiche für mein Herz, – es wird Erneuerung meiner Schmach seyn. Sie selbst –

Alex. Keine Einleitung weiter! – Beantworten Sie meine Frage ohne Umschweif.

Math. Haben Sie wenigstens Gedult mit mir! O Alexis, wenn Sie so wild auf mich blicken, dann erstirbt iedes Wort auf meiner Lippe.

Alex. (sie hastig bei der Hand ergreifend.) Ich beschwöre Dich, Weib, rede! Brich wenigstens ohne lange vorherige Qual das Herz Deines unglücklichen Gatten!

Math. Wo soll ich anfangen – wo enden?

Alex. Da, wo ich Dich verließ – bis zum Schritt wieder ins Haus.

Math. Ja wohl verließ Alexis mich! Unter Ungestümen, die mich neckten, mit frechen Reden quälten! Schon damals reute mich der Gedanke, iemals einen Fuß an diesen Ort gesezt zu haben. Doch daß ich so ihn verfluchen würde, besorgt' ich nicht. Ich sah Dich kommen! – Dich? Ach leider war es nur ein Trugbild. Ich sprang auf, ich war so froh mich wieder unter Deinem Schuzze zu befinden. Er, der Deine Gestalt misbrauchte, gab mir seinen Arm, und führte mich durchs Gedränge. Ich bat ihn, ans Heimgehn zu denken. Er antwortete: sogleich. Dies war das einzige Wort, das ich von ihm hörte; woran ich unmöglich meinen Irthum erkennen konte. Ich erzählte ihm: daß mich ein häßlicher, tückischer Kerl indeß geängstigt habe. Er hörte, wie es schien, aufmerksam drauf, aber antwortete nichts. Auch das fiel mir nicht auf; denn ich schwazte fort. Wir saßen in der Kutsche. Sie flog fort. Er drückte mir zärtlich die Hand. Ich versicherte ihn, alle Maskeraden für Lebenslang genug zu haben. Er antwortete: Auch das! und hörte weiter auf meine Rede. Plözlich hielt der Wagen, und zwar an einem Hause, das voll Menschen war, wo eine Menge Leute mit Lichtern in Händen, bald hier, bald dorthin liefen, und sehr beschäftigt schienen. Ich stuzte und fragte: was wir hier wolten. Aber er war schon aus dem Wagen, und reichte mir die Hand, auch auszusteigen. Einem Kerl, der einem Aufwärter glich, zischelte er ein paar Worte ins Ohr, und führte mich die Treppe hinauf.

Alex. Tod und Hölle! Und Sie gingen? War's iezt nicht Zeit zu rufen! sich loszureißen?

Math. Mich loszureißen vom Arm meines Gemals? Zu rufen, da ich bei ihm war? Denn noch hatte ich nicht den geringsten Argwohn, daß ich in fremden Händen mich befände. Es ist wahr, dieses Betragen befremdete mich ein wenig. Aber ich dachte entweder hätten Sie einen kleinen Ansatz von Rausch, oder wären gesonnen, einen kleinen Scherz mit meiner Unerfahrenheit zu treiben, aber wolten mich endlich an einen Ort führen, wo irgend etwas Neues zu sehen, an irgend einem schicklichen Vergnügen Theil zu nehmen sei. Selbst das befremdete mich noch nicht sehr, als ich mich in ein einsames Zimmer geführt sah. Warm im Gesicht vom langen Vorhalten der Maske, wolt' ich sie iezt abnehmen. Doch da eben ein Kellner kam, und Wein und Gläser brachte, winkte mir mein Begleiter verlarvt zu bleiben; und erst als iener Bursche weggegangen, und die Thüre hinter ihm zugeschlossen war, wandte sich derienige, der bisher immer noch für mich Alexis gewesen war, zu mir und sprach: »Nun, mein Engel, nun können meine Augen sich sicher an aller der himmlischen Schönheit weiden, die auch unter der Maske meine höchste Bewundrung auf sich zog! Nun sehen Sie einen Mann vor sich, der in diesem glücklichen Augenblicke, alles, was er ist und vermag, Ihren zaubrischen Reizen zu eigen giebt.« Indem er dies sagte, – indem ich mit einem Erstaunen, wozu ich keinen Ausdruck habe, eine Stimme vernahm, die ich noch nie gehört hatte, nahm er mir und sich die Maske ab; und beim Anblick eines ganz fremden Gesichts, wär' ich für Schrecken sogleich in Ohnmacht gefallen, hätte nicht Zorn und Angst meine Lebensgeister beim Bewußtsein erhalten.

Alex. Und was sagt' er, als er dies sah?

Math. Tausend romantische Lügen! Formeln, wie man im Schauspiel und in Novellen sie findet! – Eine geraume Zeit beantwortete ich sie nur durch ein verächtliches Stillschweigen. Als ich sah, daß dies keinen Eindruck auf ihn machte, nahm ich zu Thränen und Bitten meine Zuflucht. Ich beschwor ihn, wenn noch ein Funken Redlichkeit in seinem Busen glimme, mich wieder gehn zu lassen. Ich sagt' ihm, daß ich verheiratet sei; daß ich einen Gemahl habe, der mir theurer als das Leben selbst wäre; der ebenfalls nur in mir lebe; und fleht' ihn mit gerungnen Händen, nicht unsre Seeligkeit zu stören; nicht zwei Menschen, die ihn nie beleidigt, unglücklich zu machen!

Alex. Und blieb dies ohne Würkung?

Math. Ganz ohne Würkung! Der schändliche Bube lachte nur über meine Schwärmerei, – wie er es nante. Er schalt mich eine kleine Thörin, daß ich den eignen Vortheil meines Geschlechts und meiner Gestalt verkenne; er wolle, sagt er, mich eines bessern belehren, und glücklich machen – auch wider meinen Willen.

Alex. Ha verfluchter, – doch weiter! Was weiter?

Math. Sie können sich leicht denken, daß so unanständige Reden mit gleichartigen Versuchen verbunden waren. – Ich widerstand seiner Frechheit mit aller nur möglichen Kraft. Ich rief Erd und Himmel zum Beistand an: doch niemand kam mir zu Hülfe. Länger als eine Stunde widerstrebte ich so. Mehr als zehnmahl versucht' er es, gewaltsame Hände an mich zu legen. Meine Kleider zerrissen; meine Aerme wurden blutrünstig; aber ich gab nicht nach. Mein Gewissen zeugt mir: ich würde mich minder vertheidigt haben, hätte es blos mein Leben gegolten. Endlich schien er zu ermüden. Er ließ ab. Er dachte ein paar Minuten schweigend bei sich nach. Ich nüzte diese Pause, um ihn mit Bitten und Flehn, mich gehn zu lassen, zu erweichen. Ich warf mich vor ihm aufs Knie, und beschwur ihn, eine schuldlose Fremde nicht so unwiderbringlich elend zu machen; er schien auf mich gehört zu haben; richtete mich auf, und sprach: »Wohlan, weil Sie es so haben wollen, so sei es! Ich will nachsehen, ob wir unbemerkt fortkommen. Ihr Geschrei dürfte Aufsehn gemacht haben. Nur fünf oder sechs Minuten halten Sie sich ruhig!« – Er ging, nachdem er sorgfältig hinter sich zugeschlossen hatte. Ein Hofnungsstral erwachte in mir. Ich Thörin glaubte, dieser Bösewicht habe noch menschliches Gefühl. Ich sah mich rund herum im Zimmer um. Vor dem Fenster waren Gitter. Ich horchte an der Thüre; und in dem Hause, welches mir beim Eintritt so lebhaft geschienen, war auch kein Knistern, kein Regen eines lebendigen Wesens zu spüren; vermuthlich, weil das Zimmer, was ich beim Hineingehn nicht einmal bemerkt, zu abgelegen war. Indem ich noch überall herum schaute, ob ich nicht durch eine frühere Flucht mich retten könne, und nirgends auch nur die geringste Möglichkeit spürte, kam er schon wieder zurück; aber wie ich deutlich hörte, nicht allein. Er schloß auf; gleich beim Eintritt stralte in seinem Gesicht eine – wie drück' ich es aus, – boshaft, wollüstig, alles dies ist zu wenig! – eine gleichsam teuflische Freude. Er trank ein Glas Wein, und bot auch mir eines dar. Als ich es ausschlug, als ich von neuem in ihm drang, mich wegzuführen, oder wenigstens wegzulassen, erneute er statt aller Antwort, erst seine Liebkosungen, dann seine Vorschläge, seine Versuche – und ich meinen Widerstand. – »Weil Sie mich dann zwingen!« rief er plözlich und schellte. Die Thüre ging auf. Ein großer Baumstarker Kerl, häßlich wie die Sünde, trat ins Gemach. –

Alex. (einfallend) Gott! Gott! auch das? Weiter! Weiter!

Math. O daß ich lieber verstummen müste auf immer, – als weiter sprechen. Jezt fiel ich aufs neue vor ihm nieder, und umklammerte seine Knie. – Er riß sich los. »Tragt sie dort aufs Bett, und bindet den rechten Arm ans Gestell ihr fest! Mit dem linken hof' ich fertig zu werden. Im höchsten Nothfall« – dies war das lezte Wort, welches ich hörte. Indem schon ienes Ungeheuer mich faßte, entwichen meine Sinne. Was weiter mit mir geschah, weiß ich nicht. Aber als ich meine Lebensgeister – o wären sie ewig ausgeblieben! – wieder erhielt, fand ich mich auf ienem Lager, zwar ungebunden, – doch (indem sie voll bittern Schmerzens ihr Gesicht verhüllt,) doch in seinen Armen – als – die Unglücklichste aller Weiber.

Alex. (mit verbißner Wuth) Ja, wohl unglücklich – wohl! – (voll ausbrechenden Zorns) Ha daß ich ihn hier hätte, diesen Schändlichen. Ihn und seinen Helfershelfer! Wär' er noch furchtbarer gerüstet als der Tod selbst – ohne Wehr, ohne Waffen, mit diesen Händen, wolt' ich ihn erdrosseln; müßt' er, oder ich – Nein! das ist mehr, als noch ie ein Mann ertrug! – Gedult! Gedult, Alexis! (nachdem er einigemal auf und abgegangen, wandte er sich schnell wieder zu seiner iammernden Gattin.) Nun – und auch dann noch, als er alles hatte, was er wünschen konte – auch dann noch erlaubt' er Ihnen nicht, wieder wegzugehn? Auch dann blieben Sie noch?

Math. (äußerst gekränkt) Ob ich blieb? O Alexis, dieses Wort ist grausam! Würd' ich den Anblick meines unmenschlichen Ehrenräubers auch eine Sekunde nur länger erduldet haben, als ich muste! Hätten Sie die Flüche gehört, mit welchen ich mich abermals losriß, das Jammergeschrei, die ängstliche Bitte, mich wenigstens iezt – Ach, ich hasse mich selbst wegen der Schmach, die ich erdulten müssen. Doch ich seh' es, ich sehe es, Sie hassen mich noch stärker.

Alex. Nein, Mathilde, nein! das thu ich nicht; das werd' und kann ich niemals thun. – Arme Taube, unter den Klauen eines solchen Geiers kontest du freilich nichts thun, als fruchtlos dich sträuben! – Aber vergieb mir auch meinen Schmerz; er ist eben so natürlich, wie dein Unterliegen. – Doch wie entkamen Sie endlich?

Math. Er suchte iezt meinen Jammer durch Zureden, durch neue Betheurungen seiner Liebe, durch Schmeicheleien und Versprechungen zu lindern. Er trieb seine Niedrigkeit so weit, daß er sich stelte, als reue ihm eine That, wozu nur das Uebermaas der Leidenschaft ihn verleitet habe; aber ich merkte deutlich genug, daß er durch alles dies mich nur zu gewinnen, nur zur willigen Theilnahme seiner schändlichen Wollust zu verleiten suche, und ich erwiederte seine Reden stets mit dem Tone, den sie verdienten. – Alexis, theuerster Alexis, fodern Sie nicht erst, daß ich mit einer Umständlichkeit, die mich so unendlich viel kostet, und doch Ihren Schmerz nicht lindert, doch meine Ehre nicht rettet, Ihnen erzähle: wie er unterm Vorwand, daß ich ausruhn möchte – wahrscheinlich, um durch den Schlaf sich selbst neue lasterhafte Kräfte zu erwerben, mich zwar ein paar Stunden allein ließ, aber auch dann zuvor alles, was einem Metall nur glich, die Lichtscheer sogar, hinweg nahm; wie er ein weibliches Ungeheuer hinein rief, und ihr meine Bedienung, oder meine Bewachung vielmehr auftrug; wie diese fruchtlos mich, mit tausend Vorstellungen, daß ich selbst mein Glück mit Füßen träte, quälte; wie ich alles versuchte, Bitten und Versprechen, um diese auf meine Seite zu bringen, doch leider umsonst; – wie er wieder zum Frühstück kam, und Erfrischung, Speise, Trank mir anbot; wie ich alles dies verschmähte; wie er mir neuen Drohungen – – o Gott, Gott! Warum konten diese Arme nicht Riesenkraft bekommen! Diese Nägel nicht zu Dolchen werden! (sie verbirgt wieder schluchzend ihr Gesicht.)

Alex. Ha, ich verstehe! – Mathilde, mein Gehirn, – mein Herz! – Nur, wie Sie entkamen! Weg über iede Zwischenzeit.

Math. Als er endlich überzeugt seyn mochte, daß Verführung nie auf mich würken werde; als er auf ieden seiner Schwüre, iede seiner Anerbietungen die bitterste abschlägige Antwort bekam, sprach er mit spöttischem Lächeln: »Weil Sie dann Ihren Gemahl gar so zärtlich lieben, – weil Ihr Herz noch viel mühsamer, als Ihr Körper zu erobern seyn dürfte, so sollen Sie wieder zu ihm gebracht werden. Aber merken Sie sich, daß Sie es einst bedauern werden, mir nicht gefolgt zu haben. Der beste Ehmann ist ein Tirann. Daß der Ihrige indeß Spaß verstehen werde, hof' ich.« – Er klingelte, befahl eine Kutsche zu holen, verband mir mit einem Schnupftuch die Augen, führte mich selbst die Treppe hinab, und stieg mit in die Kutsche. Unterwegens sprach er kein Wort. Wir fuhren lange – sehr lange! Endlich hielt der Wagen. Er befahl mir auszusteigen, und dem Kutscher, zu fahren, wo er hergekommen sei. Indem ich das Schnupftuch wegriß, flog der Wagen schon davon. Ich stand in einem einsamen Gässchen. Als ich um die Ecke desselben kam, eine arme gemeine Frau erblickte, und fragte: wo ich sei? sagte sie: Nicht weit von Covent-Garten. Ich sah von fern eine Chaise; sezte mich hinein und befahl mich hieher zu tragen.

Alex. (gen Himmel die Augen gerichtet) Wenn du ihn nicht findest, alsehender, algerechter Richter – (schnell wieder gegen Mathilden) Doch wie? Können Sie nicht wenigstens seine Gestalt, sein Gesicht, irgend eine Kentlichkeit an ihn mir beschreiben?

Math. Ach, ich sorge, selbst diese Beschreibung wird nur sehr unvollständig ausfallen. Die unsägliche Angst, in welcher ich mich immer, seitdem er sich entlarvte, befand, hinderte mich natürlich, ihn genau zu betrachten. Soviel weiß ich, daß er sehr schwarze Augen, und eine hohe, freie Stirne hatte. So abscheulich er mir durch sein Betragen ward, so ist es doch leicht möglich, daß er bei andern meines Geschlechts für einen schönen Mann gilt.

Alex. Jung ohne Zweifel?

Math. Vielleicht ein fünf oder sechs und zwanziger, nach dem Anschein zu urtheilen.

Alex. Schien es ein Mann von Rang und Vermögen zu seyn?

Math. Ganz gewiß! Seine eigne Reden, und einige Worte ienes schändlichen Weibsbildes, das mich bewachte, verriethen es. – Wer er eigentlich sei, verbarg er iedoch sorgfältig. – Erinnern Sie sich einer Jäger-Maske auf der Redoute?

Alex. (rasch) Die uns immer nachging? Volkommen! – War dies Ihr Räuber?

Math. Eben er! Wie er mir selbst sagte, war ich gleich beim Eintritt ihm in die Augen gefallen. Als Sie mich allein ließen, war er schnell nach einem Domino, der dem Ihrigen glich, gegangen; hatte sofort den Plan mich zu täuschen gefaßt, der ihm, leider! ach nur zu gut, gelang.

Alex. Gut! Gut! Vielleicht wäre das ein Mittel, auch ihn aufzuiagen.

Ein flüchtiges Feuer funkelte bei diesen Worten in Alexis Augen. Er stand nachdenkend ein paar Minuten da; wandte sich dann schnell zu seiner, fast immer noch in Thränen zerfließenden Gattin, und befahl ihr: auf ihr Schlafzimmer zu gehn, und zu versuchen: Ob sie ein wenig Ruhe finden könne. – Mathilda entschuldigte sich mit der noch frühen Tageszeit; doch er erwiederte nicht ohne Grund, daß diese bei einer Person, die so lange gewacht, und so viel erduldet habe, nicht in Betrachtung komme, und erneuerte seinen Befehl.

»Und werden Sie mit, oder bald nach kommen?« fragte die Unglückliche mit einem halb bittenden, halb trostlosen, für iede Beschreibung unerreichbaren Blick.

Alex. Warten Sie nicht auf mich! Ich habe noch tausenderlei zu denken, und muß allein seyn.

Math. O Alexis, Sie hassen mich nun!

Alex. Nein. Aber es stürmt in meiner Seele, und es braucht Zeit sie zu beruhigen. – Vielleicht bin ich morgen gefaßter! – Nur diese Nacht, ich bitte Sie, lassen Sie mir meine Freiheit!

Sie nahm ein Licht und ging. Doch in ihrem Auge, ihrer Miene, ihrem Gang, war eine so unsägliche Aufforderung zum Mitleid, daß ein Maler, der die Verzweiflung malen wolte, sie nach diesem Original hätte kopiren sollen.

Er hingegen, nachdem er Mistreß Soberton gerufen und unterm Vorwand, daß seine Gemalin vom Schreck etwas unpäßlich sei, gebeten hatte, ihr, wenn sie etwas begehre, zur Hand zu seyn, suchte sich Hut und Stock; und da ich leicht draus schließen konte, daß er noch auszugehn gedenke, so schlüpfte ich zur Thüre mit Mistreß Soberton zugleich hinaus; band meinen wunderthätigen Gürtel ab, und stelte mich in sichtbarer Gestalt zehn oder zwanzig Schritte von Alexis Wohnung, um ihm beim Austritt zu begegnen. Alles geschah, wie ich es dachte. Auf meine anscheinende Verwunderung ihn noch ausgehend zu treffen, erzälte er mir mit wenig Worten, aber aufrichtig, alles, was seitdem vorgefallen war, und beschwur mich, ihn bei der Untersuchung, die er iezt anzustellen Willens sei, zu begleiten. – »Da iener Bösewicht, (sagt' er) den blauen Domino, den er so glücklich gemisbraucht, erborgt, und zwar äußerst schnell erborgt habe, so müsse er ihn nothwendig bei einem von denienigen Verleihern genommen haben, die im Redouten-Hause selbst ihren Handel trieben; vielleicht sei hier auf eine Spur, wer es gewesen sei, zu kommen.«

Dieser Plan hatte allerdings einige, – ich will nicht sagen, Wahrscheinlichkeit, aber wenigstens – Möglichkeit des Gelingens für sich. Ich war daher zum Mitgehn bereit; und nach einigen vergeblichen Erkundigungen trafen wir auch würklich auf eine Verleiherin, die uns sagte, daß eine Jäger-Maske sehr eilig einen blauen Domino von ihr erborgt, und kaum vor einer halben Stunde erst ihn zurückgesendet habe. Doch hiermit schnitt sich auch plötzlich aller weitre Weg zur Aufklärung ab. Denn als wir nun nach dem Namen oder Stand dieses Erborgers forschten, war ein kahles: Ja, das wisse sie nicht! ihre ganze Antwort; und als Alexis mit einiger Wärme weiter fragte: Wer ihn denn wenigstens zurück gebracht habe? lächelte die Verleiherin; versicherte im Gespräch mit einer dritten Person gar nicht drauf geachtet zu haben; und fügte hinzu: Ihre ganze Sorge sei, ob man sie auch richtig bezale, nicht aber: Wer es thue.

Wahrscheinlich sprach diese Person ohne Hinterlist; denn sie blieb selbst dann auf ihrer Unwissenheit, als Alexis durch Schüttelung einer ansehnlichen vollen Börse ihre Stimme zu ändern suchte. Wie schmerzhaft aber es ihm fiel, diese seine Hofnung vereitelt zu sehn, das sah man nur alzudeutlich in seinen Mienen; und blos mein vieles Zureden, mein nochmaliges Versichern, daß gleichwohl ienes Avertissement noch zu einiger Nachricht ihm helfen könne, bewog ihn endlich zum Heimgehn. Voll Besorgnis, sein Jammer könne zu irgend einer raschen That ihn verleiten, begleitete ich ihn auch hier bis an seine Wohnung. Mit tiefem, sich nun verschließendem Gram sprach er den ganzen Weg kein Wort. Erst dann, als er an seine Hausthüre schon angeklopft hatte, blickt' er gen Himmel empor. Es war eben eine der kältesten Winternächte, und das Firmament mit Sternen gleichsam übersäet. – »Ach, rief er, wie viel hundert Sterne funkeln hier, und doch ist keiner davon mein und der unglücklichen Mathilde Freund!« – Es lag ein unaussprechliches Gefühl für mich in diesen wenigen Worten. Ich umarmte ihn und eilte heim. Mit welchem Mitleid, brauch' ich wohl keinem zu sagen, der selbst ein menschliches Herz im Busen fühlt.


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