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XXXII.
Ein iunger Mann sehr in Nöthen!

Das menschliche Herz ist für mannichfache böse Neigungen höchst empfänglich, die, wenn Vernunft und fester Entschlus nicht zeitig und standhaft entgegen arbeiten, bald zur Gewohnheit und eben so bald zum würklichen Laster werden. Viele dieser Neigungen zwar scheinen einander grade zu widersprechen; doch kann man sie sämtlich unter zwei Klassen bringen. Einige nehmlich werden mit uns zugleich gebohren, und haben in unsrer eignen Natur ihren Grund. Andre hingegen würken vorzüglich durch den unseligen Einflus des bösen Beispiels; wurzeln allmälig fest, und können eben dadurch endlich zur zweiten Natur bei uns werden.

Jene, uns angeborne Triebe führen, wenn man sie befriedigt, ein gewisses heimliches Vergnügen bei sich, und berufen sich, vor den Richterstuhl der Vernunft gezogen, auf einen innern unwiderstehlichen Reiz, nicht selten wohl gar auf ein anscheinendes Recht. Der Wollüstling schüzt sich durch sein entzündbares Blut und durch die Zaubermacht der Schönheit. Der Ehrgeizige, wenn er, von Stufe zu Stufe, mit Gewaltthätigkeit und thörichter Anstrengung empor klimt, glaubt die Würde der menschlichen Vortreflichkeit zu behaupten. Der Geizhals, indem er seine Dukaten mustert, preißt sich seelig, als den Besitzer aller derienigen Güter, die er dafür – erkaufen könnte. Und der Schwelger, indem er fremde Welttheile plündert, um einige Minuten lang süßer seinen Gaumen zu küzzeln, macht blos einen weislichen Gebrauch von der allmilden und mannichfachen Natur.

Alle diese haben zwar keine gültige, doch eine scheinbare Entschuldigung! Aber was kann der Flucher, der heimtückische Verleumder, der Klätscher, der leidenschaftliche, oder wohl gar falsche Spieler, zu seiner Rechtfertigung aufbieten? An allen diesen, nur alzubald ins ofne Laster sich verwandelnden Fehlern hat die eigentliche menschliche Natur keine Schuld. Nicht unsre Sinne, nicht ein eigenthümliches lockendes Vergnügen, nur böse Beispiele und Gewohnheit verführen gemeiniglich dazu. Daß ich allen diesen, wo ich in meinen Wanderungen auf sie stieß, von ganzer Seele abgeneigt war, wird mir hoffentlich ieder Redliche aus gleichgestimmter Mitempfindung aufs Wort glauben; von einem recht vorzüglich herben Misfallen aber fühlt' ich mich dann ergriffen, wenn ich zuweilen an Spieltischen Jünglinge fand, die nicht nur das edelste aller Güter, die Zeit, nicht nur auch das weit geringere, ihr Geld, sondern zugleich sogar die Aussicht bessrer Zukunft verspielten; die in einer unglücklichen Stunde zur Dürftigkeit ohne Rettung, und nicht selten zur Verzweiflung herabsanken. Ich könte davon manche Schilderung entwerfen, die vielleicht getroffen, und eben dadurch warnend und lehrreich seyn würde; doch ich möchte nicht gern alzutraurige Gegenstände vor die Augen meiner Leser bringen, und ich wäle daher eine einzige Anekdote, wo in das, allerdings schon schwarze, schon traurig gruppirte Ganze, auch eine muntere Farbe, und ein drolligtes Finale sich mischten.

Als ich eines Abends durch ein enges, nicht eben alzuwohl berüchtigtes Gäßchen zu gehen und meinen Heimweg dadurch abzukürzen gedachte, liefen zwei Mannspersonen so schnell und so dicht bei mir vorüber, daß sie mich, troz meiner Unsichtbarkeit, bald umgeworfen hätten. Einer dieser Männer schien mir sehr nett, ia fast prächtig gekleidet zu seyn; den andern kante ich schon, seit geraumer Zeit, als den schädlichsten, verächtlichsten Bösewicht, der vielleicht in ganz London seines gleichen vergeblich suchen dürfte. Er hieß Makeplea; hatte anfangs als Schreiber bei einem Rechtsgelehrten gedient, und alda wahrscheinlich manches aufgefangen, was nicht zur Auslegung, sondern zur Verdrehung der Gesezze gehörte; war, als sein Herr gestorben, unverschämt genug gewesen, sich selbst zum Advokaten aufzuwerfen, und durch Gelehrigkeit in allen möglichen Ränken, durch viel Geschicklichkeit zum Bösen, und auch durchs Glück, – das allerdings zuweilen den Schelm zu Ehren, den redlichen Mann an den Galgen befördert, – hatt' er es endlich dahin gebracht, daß alle schlimme Händel zu ihm ihre Zuflucht nahmen, und daß er in hohem Solde bei einer großen Menge von Wucherern, Spielern, Betrügern von Range u. s. w. stand. – Ueberzeugt im voraus, daß auch sein iezziger Gang kein Gang auf guten Wegen seyn werde, und zugleich neugierig, wer sein Begleiter sei, folgte ich ihm rasch nach, und hörte ihrem Gespräche zu.

Mak. Sie haben von Glück zu sagen, lieber Herr Coaxum, daß ich eben zu Hause war. Die meisten meines Gleichen würden vielleicht Bedenken tragen, sich darein zu mischen. Ich meines Theils diene meinen Freunden gern, selbst wenn ein kleines Wagstück damit verbunden wäre.

Coax. Ich hoffe, Herr Makeplea, daß Sie bei unserer Gesellschaft nie gefährdet seyn sollen. – Wir sind nicht von der Art der Menschen, die nur ihren Kopf aus der Schlinge ziehen, und des Advocaten seinen im Stiche lassen.

Mak. Ja, ia! Erst kürzlich noch kam mir die Pillory verzweifelt nahe. Ein Schlingel, dem ich drei brave Zeugen geschaft hatte, empfand plötzlich Gewissensbisse, und gab seine Sache verloren.

Coax. Gewissensbisse sind die Krankheit nicht, woran wir leiden; auch werden Sie hier keinen ganz unbeträchtlichen Fang thun. Der iunge Geck verlohr wenigstens schon hundert Pfund in baarem Gelde, eh' er aufs Wort spielte, und unsre Bank ist bei hinlänglichen Kräften, um ihre Mühe nach Verdienst zu belohnen.

Mak. Gut, gut! Nur hof' ich, was den Revers anbetrift, man hat den Aussteller desselben doch auch genug geschröpft, um einen Schein des Rechts zu haben? Das heißt, die Summe, die er aufs Wort verlohren, steht doch auch in Verhältniß mit dem Gute, das er abtreten soll.

Coax. O ia! Ueber tausend Pfund, nebst einer Uhr, und einem Brillantring, auf den er viel zu halten scheint. Graf Codgy hat beide für einen sehr hohen Preis angenommen und auch wieder zurück zu geben versprochen. Das Gut trägt freilich vierhundert Pfund. Aber Dobertons Vater ist auch kaum funfzig Jahr alt und kann noch lange leben. – Ueberhaupt ist uns am Gute selbst wenig gelegen. Doberton, wie wir sicher wissen, ist der Bräutigam einer Miß, die viel Vermögen besitzt. Mit ihrem Gelde wird er wahrscheinlich die Verschreibung wieder einlösen.

Mak. Ah so, so! – Also mehr eine Verpfändung, als Verkauf! Und dabei waren?

Coax. Niemand, als Graf Codgy, Jack Trum, und Tom Wheadle.

Mak . Nicht gut! Diese taugen keineswegs zu Zeugen, weil sie wahrscheinlich selbst von der Parthie waren.

Coax. Wir spielen alle aus einer Kasse. Doch dem Anscheine nach gewann nur der Graf. Auch fehlt es uns an Zeugen nicht; der Hauswirth und sein Sohn sind gewiß willig dazu.

Während dieses Gesprächs kamen sie an die Thür, die sich beim ersten Anklopfen öfnete. Ein Aufwärter mit einem Gesicht, wie sie die Natur nur im Zorn erschaffen kann, leuchtete ihnen durch einen langen, engen, dunklen Gang in ein äußerst mittelmäßiges Gemach. Ich glaubte, so wie ich hinein trat, einen Aufzug aus Centlivers Spieler zu sehen. Der sogenante Graf Codgy saß mit untergestütztem Arme in einer nachläßigen Stellung am Tisch. Jack Trum spazierte im Zimmer auf und ab, indem er eine alte Opern-Arie halblaut herträllerte. Der iunge unglückliche Mann, der, wie ich gehört, Sir Doberton hieß, hatte sich mit halben Leibe über zwei Sessel gelehnt, und in seiner Miene sprach die helle Verzweiflung. Neben ihm stand Tom Wheadle, und tröstete ihn mit ohngefähr folgenden herzlichen Worten: »Ich bitte Dich, lieber Charles, sei doch nicht so ganz außer Dir. Ich habe wohl zwanzigmal in meinem Leben eben so viel verloren und wieder gewonnen. Zufälle dieser Art sind im Spielen nicht selten. Das Glück ist rund, und wechselt heute so, morgen anders. Es ist wahr, Du hast diesmal sehr unglücklich gespielt, doch ein einziger guter Abend bringt alles wieder.«

Sir Charles antwortete keine Silbe, und hörte vermuthlich auch gar nicht darauf. Erst, als man ihm meldete, Herr Makeplea sei da, und Graf Codgy ihn fragte: Ob er die Schrift nun aufsezzen wolle, sprang er auf; sah den Rechtsverdreher starr an, und fragte mit den Zähnen knirschend:

»Sind Sie der Feind, der meine Seele, oder vielmehr, mein Erbgut, in iene höllische Finsternis befördern will, aus welcher keine Erlösung sich findet?«

Mak. Wie meinen Sie das, Sir?

Codgy. O bildlich, das ist kein Zweifel. Sir Doberton ist heute ein wenig übler Laune. – Im Ernst, Charles, Sie sollten sich nicht so betragen. Sie haben etwas verloren; aber es geschah in einem ofnen, ehrlichen Spiel. Ich habe noch nie einen meiner Bekannten bevortheilt, und stehe auch Ihnen zur Revange bereit.

Jack Trum. Ich bin Bürge dafür, daß der Graf ieden Kunstgriff ärger, als den Tod selbst verabscheut.

Codgy. Vielleicht kann niemand in der ganzen Welt unglücklicher spielen, als ich selbst, wiewohl ich heut Abend gewann. Wie gesagt, Sir Charles, ich gebe Ihnen, wenn Sie wollen, Gelegenheit, alles und noch mehr wieder zu gewinnen. Auf Ehre, ich wollte lieber alles, was ich habe und besizze, aufs Spiel gegen ein Paar Schuhschnallen sezzen, als daß ein rechtschaffner Mann denken solte, ich hätt' ihn betrogen.

Coax. O nein, nein! Ueber so etwas sind Sie ganz hinweg.

Wheadle. Darauf kennen wir Sie alle.

Mak. Recht gut, meine Herren! Doch dieses Gespräch bringt uns nur um die Zeit, und iede meiner Minuten ist kostbar. Zwei vornehme Herren warten schon in der nächsten Taverne auf mich. Was hier geschehen soll, muß bald geschehen. Auf wie hoch soll ich die Verschreibung einrichten?

Codgy. Gleich davon ein mehreres, Sir! Doch muß ich erst diesem Herrn wiedergeben, was ihm gehört. Hier, Charles, sind Uhr und Ring. Den Werth davon hab' ich zu iener Summe geschlagen.

Mit einem tiefen Seufzer steckte Sir Doberton diesen an Finger und iene in die Tasche. Codgy wiederholte nun dem Advokaten, was er aufschreiben sollte; bei iedem Artikel ward Doberton gefragt, ob er einwillige? – Ich thu es, weil ich kein ander Hülfsmittel sehe! erwiederte dieser mit sichtlichem Unwillen. Makeplea, nachdem er seine Pflicht gethan, oder vielmehr nicht gethan hatte, begehrte nun Siegel und Unterschrift von ihm. Er leistete beides, doch mit so zitternder Hand, mit so merklicher Verzweiflung, daß mir das Herz bei diesem Anblick blutete. Dann überreichte er das Instrument dem Grafen, und sprach: Hier Sir! Mehr hoff' ich, verlangten Sie nicht! Kann ich nun gehen?

»Nein, Sir Charles! Noch müssen wir ein paar Flaschen und ein paar Schüsseln zusammen ausleeren, zum Beweis, daß wir Freunde bleiben.«

Jack Trum. Auch zum Mädchen müssen wir noch einen Gang machen. Ich weiß eines so iung, frisch und schön, als es nur iemals deren in Coventgarden gab.

Sir Doberton. Verdammt sei Flasche, Mädchen und Spiel! Ich entsage ihm und Euch und der ganzen Welt.

Bei diesen Worten griff er nach Stock und Hut und entfernte sich schnell. Auch ich hatte so wenig Lust, wie er, länger unter diesen Blutegeln zu verweilen; und da ich ienen iungen Mann sonst noch nie gesehen hatte; da ich selbst, troz seines deutlich ausbrechenden Unwillens, in seinen Gesichtszügen Spuren eines sonst edlen und gebildeten Geistes zu entdecken glaubte, so war ich um so neugieriger zu sehen, wie er sich dann betragen würde, wenn er sich allein, ohne Zeugen glaube. – Es kostete warlich nicht viel Mühe, ihn einzuholen, wiewohl er einen kleinen Vorsprung hatte. Denn alle Augenblicke blieb er stehn, und nie hat vielleicht ein Mensch in der ganzen Welt – selbst iener berühmte vierzigiährige Heerführer in der Wüste nicht – seinen Weg auf eine so sonderbare Art gemacht. Wohl hundertmal durchkreuzte er die Straßen im Umfang einer halben Viertelmeile. Bald schoß er vor sich hin, als würde er geiagt; bald stand er wieder still. Blos die Finsternis der Nacht verhinderte, daß man ihn nicht für wahnwizzig hielt.

Zulezt wandte er sich in einer Gasse, auf die Wasserseite zu; blieb an einem Hause, ohngefähr in der Mitte der Straße stehen, und faßte schon den Thürklopfer mit der Hand, als er ihn plözlich wieder, ohne anzuschlagen fahren ließ, ans Ende der Straße eilte, alda über ein Geländer hinab in Strom sah, ohngefähr zwei oder drei Minuten in der nachdenkendsten, traurigsten Stellung verharrte, und endlich ausrief: »Ha, wie kühl und tief! Wie feierlich schweigend ist diese Szene! Wie einladend für mich, mein Elend, meine Schmach auf immer zu enden! Hier im Busen dieses freundschaftlichen Elements könt' ich meine Thorheit und mein Misgeschick für immer dem Geschwäz der Welt entziehn.«

Aus Besorgnis, er möchte würklich seinen Vorsaz ausführen, naht' ich mich ihm so dicht als möglich, entschlossen, diesmal doch aus dem passiven Zustande des bloßen Zuschauers hervorzutreten, und erforderlichen Falls ihn aufzuhalten. Schon wollte ich ihn fassen; und hätt' ich es gethan; hätt' er von einer unsichtbaren Hand sich zurückgezogen gefühlt; sieh da – so gäbe es sicher ein Wunder mehr, einen Beweis mehr von der Einwirkung schüzzender Geister in den Jahrbüchern der Erde. Doch noch bedurft' er meines Beistandes nicht; denn nach dem stummen Kampf einiger Augenblicke sprach er von neuem also:

»Nein! Nein! Noch darf ich dies nicht thun! Noch liegt mir ein wichtiges Geschäft ob; – Rache an dem Bösewicht, der mich so schändlich betrog! Auch die Liebe hat noch ihre Ansprüche an mich! Doch wie – wie soll ich diese gewaltige Schuld vergüten? Charlotte! Charlotte! welchem Unwürdigen hast du dein Herz geschenkt?«

Mit einem Seufzer, der seine Brust zu sprengen drohte, wurden die lezten Worte ausgestoßen. Rasch sprang er von dem Geländer hinweg, und eilte dem Hause wieder zu, vor welchem er schon früher stehen geblieben war. Gleich beim ersten Anklopfen ward ihm aufgethan; so hurtig, daß ich nicht einmal Gelegenheit mit hinein zu schlüpfen hatte. Auch war es mir für heute genug; denn ich wußte nun ia, wo ich ihn wieder aufsuchen könne.


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