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XXXV.
Verzweifelte Rhetorik in ein – freilich – ofnes Ohr.

Mancherlei zweifelhafte Dinge, gut und nicht gut zugleich – ie nachdem der Gebrauch sie nüzt, oder der Missbrauch sie entehrt! – hat die Natur hervor gebracht. Das zweifelhafteste aber unter allen ist doch wohl – die menschliche Zunge. Wer von uns möchte ihrer entbehren? Wer verdankt ihr nicht oft die süßesten seeligsten Minuten! Wer kann die Gaben zählen, die wir mit ihr zugleich empfingen? Eine stumme Menschheit – wie so traurig?

Und doch ist eben diese Zunge, (wie schon Aesop seinen erstaunten Zuhörern bewies, Salomon durch sein Zeugnis unterstüzte, und die Erfahrung täglich zu bestätigen fortfährt) die gefährlichste aller Waffen, vermögend allen Frieden, alle Liebe, alle Eintracht dieser Erde zu zernichten. Sie streut Zwist in Familien aus; sie zerreißt die freundschaftlichsten Bande der Herzen und des Blutes. Sie richtet Glück und guten Namen ihrer Mitmenschen zu Grunde. Sie ward der Urquell von tausendfachem Mord und Todschlag, von allen Verbrechen, die nur denkbar sind. Fürsten von gedungner Leibwacht umringt, Feldherrn an der Spitze siegender Heere, kamen doch mehrmals durch sie nur um. Sie untergräbt Thronen, und stürzet Staaten zu Boden.

Das Schlimste dabei ist: Nicht nur dann wird die Zunge oft ein Kriegsinstrument, mit tausend Dolchen bewafnet, wann Verläumdung, Neid, heimtückische Absicht sie lenken. Auch Unbedachtsamkeit, auch ein bloßes Ungefähr richten oft durch sie zehnfaches Unheil an. Ja, nicht selten verwunden wir, indem wir uns wohlzuthun bestreben. – Hang zur Plauderei, Sucht wieder zu sagen, was man sah und hörte, kann anfangs bloßer Leichtsinn seyn, doch seine Folgen wetteifern an Schädlichkeit oft mit der überdachtesten Bosheit eines – Höflings. »Ich glaubte, sagt ein Schriftsteller treffend, nur über mein Haus wegzuschiessen, und sieh, der Pfeil traf meinen Bruder.«

Unvorsicht dieser Art ist fehlerhaft, doch so strafbar ist sie keinesweges, als die Ausplauderung eines Geheimnisses, von welchem wir im Voraus sehen, es wird seinem Zuhörer Verdrus erwecken. Wohl möglich, daß auch hierbei dann und wann ein guter Wille zu Grunde liegt, aber ein misverstandner guter Wille bleibt es immer. Wenn der Andre noch vermögend ist, sich seines Schadens zu erholen, dann sei es Pflicht ihn zu warnen. Ist aber sein Verlust unersezlich: wohl ihm, wenn er ihn nie erfährt! Ein angenehmer Betrug ist dann so gut als gar keiner. Unser ganzes Glück besteht ia in der Einbildung. Glauben wir unsern Wunsch zu besizzen, so ist es gleichviel, als ob wir ihn würklich besäßen. Welche Grausamkeit ist es dann, den freundschaftlichen Vorhang uns wegzuziehen, der unsre Unfälle vor unsren eignen Augen verbirgt! Billig können wir hier mit Belkamiren im Schauspiel ausrufen:

Grausamer Freund, warum verscheuchst du mir den süßen Traum? Was wandelst du die Szene der Wonne-Täuschung in nur alzuwahren Verzweiflungs-Jammer um?

So manches Beispiel von übelangewandten Freundschafts-Diensten dieser Art ist auch mir, so lange ich den Gürtel nüzzen konte, aufgestoßen! Doch will ich von allen diesen nur eines, dessen Nuzanwendung leicht und von weitem Umfang ist, erzälen.

Meroveus und Deidamia – ich bediene mich dichterischer Namen, weil die ewigen Lord, Ladis, Baronets im Verfolg eben so steif und kalt in der Erzählung mir vorkommen, wie die meisten Besizzer hochadlicher Namen in der Gesellschaft selbst es sind! – Meroveus und Deidamia galten für ein so glückliches Paar, daß Hagestolze bei ihrer bloßen Erwähnung sich neidisch in die Lippe bissen, und die berüchtigsten Spötter vergebens nach Stof zu ihren Sarkasmen sich umsahen. Durch Stand und Glücksgüter weit über Mittelmäßigkeit erhaben, hatten sie doch frei von ieder Nebenabsicht, bloß aus zärtlichster Neigung sich miteinander verbunden; und, ein sichrer ununterbrochner Besitz, weit entfernt ihre wechselseitige Liebe zu mindern, schien sie noch alltäglich zu verstärken. Schon sieben Probeiahre hindurch hatte diese Ehe gedauert; doch würde sie ieder, der zuerst sie sah, für Braut und Bräutigam gehalten haben. Da auch die Güte ihrer Seele unbezweifelt, die Stärke ihres Geistes unverächtlich war, so versprach man sich von ihrer Zärtlichkeit, nicht ohne Grund, ein Ausdauern bis ins späteste Alter.

Und nun denke man sich des Publikums lebhaftes Erstaunen, als eben dieses so oft gepriesene, so oft beneidete Paar dennoch plötzlich unter sich zerfiel; als zwei Personen, die bisher nicht eine Woche entfernt von einander leben konten, sich gänzlich schieden; als sie es endlich, um das Wunder vollständig zu machen, thaten, ohne daß iemals ein Zwist, eine Beschwerde nur von ihnen kund geworden war. Montags früh glichen sie noch zwei sich zärtlich küssenden Turteltauben, und Dienstags Abends bezog Meroveus schon ein Quartier am entgegengesezten Ende der Stadt. Kein Bitten, kein Zureden seiner Freunde änderte seine Maasregeln; keine Frage erforschte sogar das eigentliche: Warum? – Das Raethsel des Oedipus hatte nicht mehrere Köpfe fruchtlos in Bewegung gesezt. Ich nur, – und noch vier oder fünf Menschen, wußten um das eigentliche Geheimnis; und auch ich hatte solches blos durch ein sehr zufälliges Ohngefähr erfahren.

Denn als ich eines Tages ganz allein auf Constitution-Hill spazieren ging, erblickte ich Deidamien im Gespräch mit einer Dame, die ich Eutracie nennen will. Diese, auch eine Lädi von Stand und Vermögen, war mir schon längst als Deidamiens vertrauteste Freundin bekant; in einer Kostschule mit einander erzogen, hatten sie damals schon sich innig geliebt, und noch iezt hegte keine vielleicht nur einen Gedanken, nur einen Wunsch, den sie nicht gern der andern aufzuschließen erbötig war. Da sie nicht nur sehr emsig mit einander sprachen, sondern auch oft sich umsahen, damit niemand in der Nähe sie behorche, so ward eben durch diese Sorgfalt meine Neugier rege. Ich schlich dicht an sie heran, und vom nachstehenden Gespräch entging kein Wort meinem Ohr und – meiner Schreibtafel.

Deidam. Nein, liebe Eutracie, ich lasse Dich nicht wieder los! Woltest Du Dein Geheimnis mir verschweigen, so war es Deine Pflicht, mich keines auch nur muthmaßen zu lassen. Eine ungewöhnliche Neugier foltert mich; keine Zeugen sind hier zu befürchten; Du must reden; oder Du bist – nur eine gewöhnliche Freundin.

Eutrac. Wohlan, meine Beste, ich will es! Nur must Du erst mir zwei oder drei Fragen aufrichtig beantworten; und mir Dein Wort dran geben, mit aller möglichen Fassung anzuhören, was doch vielleicht nur alzusehr Dich anzugreifen vermöchte.

Deid. Mich angreifen? Mich aus der Fassung bringen? In der That, ich wüste nicht, was Du oder irgend iemand in der Welt mir von der Art zu erzählen haben könte! Doch sprich – sprich und laß michs wissen!

Eutr. In den Augen der ganzen Stadt giltst Du für eine der glücklichsten Frauen. Sage, bist Du das würklich?

Deid. Ja, Liebe, ich halte mich selbst dafür. Gäbe mir ein Gott die Freiheit durch Wünsche mein Loos zu verbessern; ich dankte ihm für sein Geschenk; aber ich nüzte es kaum.

Eutr. Oft verbergen wir unsre innre Unruhe, weil die Klugheit es befiehlt! – Bist Du überzeugt von der Liebe Deines Gatten?

Deid. Wenigstens fand ich nie nur den geringsten Grund daran zu zweifeln; und doch, wie Du weißt, ist sonst das Auge einer zärtlichen Frau scharfsichtig genug. – Aber wozu diese Frage von Dir? Hättest Du vielleicht einen Anlaß zum Argwohn gegen ihn?

Eutr. Arme Deidamia!

Deid. Was wilst Du mit diesem Seufzer, diesem bedauernden Blick! Sicher hat ein nichtswürdiger Verläumder meinen Gemahl bei Dir verschwärzt.

Eutr. Nur noch eine Frage, und ich bin fertig. – Geht Dein Mann nicht zuweilen weg, ohne Dir zu sagen: wohin? Schläft er nie außerm Hause!

Deid. Aeußerst selten, und auch dies nur seit kurzem. Einer seiner besten Freunde bewirbt sich um eine iunge Lädi zu Hammersmith. Er ersucht dann zuweilen meinen Gemahl ihm Gesellschaft zu leisten; und da auf diesem Wege Reisende des Nachts schon oft geplündert wurden, so haben sie einigemal nach dem Abendessen dort übernachtet.

Eutr. Guter Himmel, wie leicht ist es doch, die Unschuld zu hintergehen! – Deidamia, dein Meroveus ist ein Bösewicht.

Deid. (erstaunt) Ein Bösewicht! Meroveus ein Bösewicht? Eutracie, aus iedem andern Munde, nur aus dem Deinigen nicht, würd' ich eine solche Benennung meines Gemals blos mit Verachtung erwiedern.

Eutr. Und doch könt' ich dann nur alzubald durch den Augenschein Dich eines andern überführen! – Arme Unschuldige, Lieb' und Ehrgefühl verblenden Deinen Blick; Er hingegen verlezt beide. Indeß Du mit zärtlicher Ungedult ihn zurück erwartest; indeß vielleicht Dein Seegen und Gebet ihn begleiten, schwelgt er in den Armen einer andern, und bricht die Treue, die er Dir so heilig zuschwur.

Deid. (noch ängstlicher) Schwelgt in den Armen einer andern? – Eutracie, weißt Du auch, was Du sprichst?

Eutr. Ja wohl, weiß ich es! Ich weiß, daß er sich eine Maitresse – wahrscheinlich irgend eine gemeine Dirne! – hält; daß er sie anbetet; sie als seine Gattin aufführt; bei ihr die Nächte hinbringt, wo Du zu Hammersmith ihn vermuthest. –

Ein plözliches Zittern, eine halbe Ohnmacht wandelte Deidamien bei Anhörung dieser Worte an. Wahrscheinlich wäre sie ganz zu Boden gesunken, hätte Eutracie sie nicht rasch untern Arm gefaßt, und zu einer nahen Bank mehr geschlept, als geführt. Ein iunger Bursche in der Nähe sah dies, eilte herzu, brachte auf Eutraciens Bitte etwas Wasser aus einem Springbrunnen herbei, und Deidamia, damit besprizt, erholte sich almälig wieder. Jezt erst schien ihre Freundin zu bedauren, was sie unvorsichtig ausgeschwazt hatte. Einige Thränen tröpfelten aus ihrem Auge, und sie rief:

Könt' ich doch meine Worte zurück nehmen! Hätt' ich vermuthet, daß diese Nachricht Dich so ganz außer Fassung sezzen würde, nie wär' eine Silbe davon über meine Lippen gegangen.

Deid. Und doch muß über eben dieselben nun noch mehr – muß alle, was Dir wissend ist, gehen! – O Du begreifst die unermesliche Angst nicht, mit welcher mein Herz schlägt. Entdecke mir Dein schreckliches Geheimniß! Entdeck' es mir ganz!

Eutr. Wirst Du mich aber auch mit Gelassenheit anhören können?

Deid. Wenigstens mit größerer, als ich diese Ungewisheit ertrage! Rede, ich bitte Dich, rede!

Eutr. Es sei! Ich will Dir alles erzälen. Du kenst, soviel ich weiß, Mistreß Flounceit, meine Modehändlerin?

Deid. Ja doch, ia! Ich sah sie erst neulich bei Dir.

Eutr. Diese Person steht in Verbindung mit einigen auswärtigen Kaufleuten, und kann daher ihre Kunden zuweilen mit verbotnen Waaren versorgen. Lezten Montag rühmte sie mir einige Stücke neumodischen Ziz, den sie eben erhalten habe; meine Neugier war so groß, daß ich es nicht erwarten konte, bis sie ihn zu mir brächte, sondern am nächsten Morgen selbst hinfuhr. Indem ich nun im Unterzimmer diese Waare betrachtete, hörte ich draußen eine Mansperson fragen: Ob der Wagen noch nicht da sei? Diese Stimme kam mir äußerst bekant vor, ohne mich doch genau auf sie besinnen zu können. Mechanisch wandte ich daher mein Gesicht, und sah, durch ein Fensterchen, das ins Haus hinausging – sah Deinen Mann, der ein Frauenzimmer die Treppe herab führte. Indem sie die lezte Stufe herabsteigen wolte, stolperte sie ein wenig; er erhielt sie aber sofort, und fragte mit äußerst besorgtem Tone: Ich hoffe doch, meine Theure, es ist Ihnen nichts geschehen? – »Und was solte mir wohl, erwiederte sie lächelnd, geschehen können, so lange mein Schuzengel mich begleitet?« Ich war über das, was ich sah und hörte, so bestürzt, daß ich kein Wort hervorzubringen vermochte; doch Mistreß Flounceit, als sie meine Augen auf diese zwei Personen gerichtet sah, erzälte mir ungefragt: daß dies ein noch ganz iunges Ehepaar sei, daß erst vor wenig Wochen sich geheirathet hätte; gewisser Ursachen halber aber noch seine Verbindung geheim halte. Sie habe, fügte sie hinzu, äußerst wenig Ueberlast von ihnen, und werde doch sehr reichlich dafür bezahlt. – Diese lezte Bemerkung gab mir Zeit, mich zu sammeln. »Wissen Sie denn auch gewiß, fragte ich, daß es Mann und Frau sind?« O ia, erwiederte sie, ein sehr braver Herr, der sonst bei mir wohnte, Sir David Townley, hat sie mir empfohlen.

Deid. (aufschreiend) Guter Gott! Sir David Townley? – Eben dies ist der Freund, mit welchem mein Mann nach Hammersmith zu fahren vorgiebt.

Eutr. Vortreflich! Also sein Vertrauter bei diesem Liebes-Handel!

Deid. Nein, noch kann ich es nicht glauben! Ein Mann sieht dem andern ähnlich. Bist Du auch gewiß, daß es mein Meroveus war?

Eutr. Eben so gewiß, als daß ich iezt mit Deidamien spreche! – Schlief er nicht die Nacht vorm lezten Dienstag außer Hause?

Deid. Ja!

Eutr. Trug er nicht einen dunkelbraunen samtnen Rock, mit schwarz atlas West' und Hosen?

Deid. Ja wohl, ia wohl! Ich kann augenscheinlichen Beweisen nicht länger widersprechen. Die traurige Wahrheit ist nur alzu klar, und ich bin die Elendeste aller Weiber.

Eutr. Nicht doch! Quäle Dich nicht so! – Sprich im Ton einer beleidigten Frau mit ihm; überführ' ihn von seiner Schuld; mache, daß er sie bereut und Dich um Verzeihung bittet.

Deid. Ach mit einer Liebe, wie die unsrige war, hätt' es so weit nie gedeihen sollen.

Eutr. Noch kann dem allen abgeholfen werden. Deine gerechten Vorwürfe werden ihn zur Schaam und Reue über seine iezzige Thorheit bringen; er wird noch mehr, als hätt' er nie gewankt, – wird ganz der Deinige werden. Sobald er wieder eine Reise nach Hammersmith vorwendet, laß mich es wissen!

Deid. Leider ist dies schon iezt der Fall! Grade zwei oder drei Minuten vorher, eh Du zum Spaziergang mich abholtest, kam er auf mein Zimmer; erzählte, daß Sir David um seine Begleitung gebeten habe, und daß er erst Morgen Vormittag zurück kommen werde.

Eutr. Wohlan, so soll er an einem Orte, wo er nicht hingehört, auch Gäste finden, die er sich nicht vermuthet! – Unterm Vorwand einer neuen Kundin bring' ich Dich Morgen früh zu Mistreß Flounceit. Dort findest Du dann gewiß Gelegenheit Dich von der Schuld Deiner Gemals zu überzeugen, und zu thun, was – Dir gut däucht.

Deid. Auch das, was für mich gut ist? – Wie soll ich mich betragen? Wie mich selbst regieren? Wird nicht Liebe, – Schmach, – Zorn, – grausamer, grausamer Mann, mustest du so meine Zärtlichkeit, mein argwohnloses Herz hintergehen? Wie soll ich den Anblick der Nichtswürdigen aushalten, die mich um Ehre, Glück, um die Ruh meines Lebens und – ach, um die Liebe meines Gatten bringt?

Hier brach sie in einen Strom von Zähren, und dann abermals in einen Schwall von Ausrufungen und von Klagen aus, die ich unmöglich erst in meine Schreibtafel aufnehmen konte. Tausendmal gedacht' ich an das, was der Dichter Lee von den weiblichen Leidenschaften überhaupt sagt;

Sie schreckt ein ferner Bliz, sie iagt ein rauschend Blatt;
Ihr schönes Aug' erlischt, sobald ein Degen flimmert.
Doch wenn die Eifersucht in ihrer Brust erwacht,
Dann wird die Schwäche Wuth, und heißt den Donner rollen.

Einige Personen, die von weiten auf unsre zwei Damen zukamen, machten, daß Deidamia, wenn auch nicht ruhiger, doch stiller ward, und daß man heimzufahren beschlos. Eutracie, die Bedenken trug, ihre Freundin in gegenwärtigem Zustand allein zu lassen, erbot sich diese Nacht ihre Schlafgenossin abzugeben. Ein Vorschlag, der mit Freuden – wenn anders die Bekümmerte iezt Freude zu fühlen vermochte! – angenommen ward; und der Wagen fuhr fort.


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