Prosper Mérimée
Der Novellen erster Teil
Prosper Mérimée

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Don Juan und das Fegefeuer

Les âmes du purgatoire

 

Frei übertragen von Arthur Schurig

Erstdruck in der Revue des Deux Mondes vom 15. August 1834. Quelle: Parodie auf Motive in den alten Schelmenromanen.


Cicero sagt irgendwo, ich glaube in seiner Abhandlung von der Natur der Götter, daß es unterschiedliche Zeuse gegeben habe, einen auf Kreta, einen andern in Olympia, weitere da und dort. Kurz, es besaß jede einigermaßen notable Stadt im alten Griechenland ihren eigenen Zeus. Aus allen diesen Zeusen hat man einen einzigen gemacht und ihm die erstaunliche Menge galanter Abenteuer aller Namensvettern aufgebürdet.

Die nämliche Verschmelzung hat bei Don Juan stattgefunden, einer Persönlichkeit, die kaum minder berühmt ist als Jupiter. Allein Sevilla bewahrt die Spuren zweier Helden dieses Namens; manch andrer Ort bescheidet sich mit einem. Jeder dieser Don Juans hatte ursprünglich seine besondre Legende; mit der Zeit sind sie ineinander verwachsen. Bei näherer Betrachtung bleiben nur zwei Ur-Don Juans bestehen. Es sind dies Don Juan Tenorio, den, wie jedermann weiß, bekanntlich der steinerne Gast in die bessere Welt abgeholt hat, und Don Juan de Maraña, dessen Ende völlig andrer Art war. Das Leben beider Helden unterscheidet sich wenig voneinander. Was die Wahrheit beider Erzählungen anbelangt, so ist die eine so unantastbar verbürgt wie die andere, und es hieße die Heimatsliebe der Sevillaner arg kränken, wollte man an der geschichtlichen Existenz der zwei Taugenichtse irgendwie zweifeln, sintemal sie sich in die Stammtafeln der edelsten Geschlechter eingeschlichen haben.

Man zeigt dem Fremden den Palast von Don Juan Tenorio, und jeder Kunstfreund, der nach Sevilla kommt, besucht die Kirche der Barmherzigkeit. Dort sieht man das Grab des Ritters von Maraña mit der Inschrift, die er in erhabener Demut (oder wenn man will: in unglaublichem Hochmut) selber verfaßt hat:

Hier ruht aller Welt
Schlimmster Sünder.

Kann man da noch an Don Juan zweifeln?

Das heißt, wenn einen der Sevillaner Cicerone vor beide Sehenswürdigkeiten geführt hat, pflegt man allerlei Anekdoten erzählt zu bekommen, zum Beispiel wie Don Juan (ich weiß nicht gleich, welcher) der Giralda, jener Erzfigur droben auf dem maurischen Turme der Kathedrale, einen sonderbaren Antrag gemacht, den die Giralda nicht abgeschlagen haben soll. Oder jene andre Geschichte. Don Juan hat ein Glas Sherry zuviel getrunken und lustwandelt am linken Ufer des Guadalquivir. Er will sich eine Virginia anstecken, hat kein Streichholz und erblickt drüben auf dem andern Gestade jemanden, der ebenfalls herumspaziert. Den bittet er um Feuer, und der streckt ihm seine brennende Zigarre entgegen. Sein Arm wird länger und länger – es ist natürlich niemand anders als der leibhaftige Teufel – und reicht über den Strom hinweg bis just vor Don Juan. Ohne mit der Wimper zu zucken, zündet sich der verstockte Sünder gelassen seine Zigarre an und gibt das Feuer mit verbindlicher Geste zurück. Es fiel ihm nicht ein, dies wundersame Ereignis als eine Warnung des Himmels aufzufassen und die nötige Lehre daraus zu ziehen.

Ich habe mich bemüht, jedem der beiden Don Juans zuzuteilen, was aus der gemeinsamen Fülle ihrer Schändlichkeiten dem einzelnen zukommt. In Ermangelung einer besseren Methode bin ich beflissen, von Don Juan de Maraña nur die Abenteuer zu erzählen, auf die Don Juan Tenorio, der sie sich sozusagen ersessen hat, keine Ansprüche haben kann. Mit andern Worten, was diesem durch Molières und Mozarts Meisterwerke verbrieft ist, gehört jenem und nicht meinem Helden.

*

Der Graf Don Carlos von Maraña war einer der reichsten und angesehensten Granden von Sevilla. Seine Familie war seit Urzeiten berühmt wie keine andere. Er selber hatte im Kriege wider die aufständigen Morisken zur Genüge dargetan, daß der Heldensinn seiner Vorfahren in ihm nicht erloschen war. Nach der Unterwerfung der Alpujaren kam er zurück nach Sevilla, mit einer mächtigen Schmarre über der Stirn und einem Dutzend Kinder, die er den Ungläubigen abgenommen hatte. Selbige ließ er taufen und verschacherte sie um bar Geld an christliche Häuser. Ungeachtet oder gerade wegen seiner Narbe, die ihm vorzüglich zu Gesicht stand, berückte er eine junge Dame aus erlauchtem Hause, die ihm unter der Schar ihrer Freier den Vorzug gab. Dieser Ehe entsprossen zuerst mehrere Töchter, die in der Folge teils Ehefrauen, teils Nonnen wurden. Schon war Don Carlos von Maraña in heller Verzweiflung, daß es ihm nicht gelingen wollte, einen Erben seines berühmten Namens zu erzeugen, da kam zu seiner unsäglichen Freude ein männlicher Maraña zur Welt, so daß er nunmehr auf Enkel und Urenkel hoffen durfte.

Don Juan, der heißersehnte Sohn, der Held dieser wahrhaftigen Geschichte, wurde von seinem Vater wie von seiner Mutter gründlichst verzogen, wie dies Alleinerben eines alten Namens und großen Vermögens in der Regel widerfährt. Kaum trug er Hosen, da erfreute er sich bereits unumschränkter Freiheit in Tun und Lassen, und im Bereiche der väterlichen Gewalt hätte niemand ihm etwas zu verbieten gewagt. Nun aber war es der Herzenswunsch der Mutter, ihn so fromm zu sehen wie sie selber war, während es der Lieblingstraum des Vaters war, sein Sohn solle ein tapferer Mann werden gleich ihm. Jene brachte es durch Liebkosungen und Leckereien zuwege, daß der kleine Don Juan die Litaneien, die Rosenkranzgebete und zuguterletzt sämtliche nötigen und unnötigen Gebete glatt auswendig wußte. Wenn er abends im Bette lag, las sie ihm noch eine Heiligengeschichte vor. Der Vater hingegen trichterte ihm die Romanzen vom Cid und von Bernardo del Carpio ein, erzählte ihm vom Aufstande der Morisken und hielt ihn an, daß er von früh bis abends mit der Lanze hantierte oder mit der Armbrust und sogar mit der Hakenbüchse auf ein ausgestopftes und hinten im Garten aufgestelltes Mannsbild in maurischer Tracht Schießübungen machte.

In der Hauskapelle der Gräfin von Maraña hing ein großes Gemälde, gemalt in der eckigen herben Art des Louis Morales, eine Darstellung der Qualen im Fegefeuer. Was der alte Meister an Schindereien und Torturen zu ersinnen vermocht hatte, war hier dermaßen bis ins Einzelne anschaulich dargestellt, daß selbst ein Folterknecht der Inquisition nichts daran hätte aussetzen können. Die Insassen des Fegefeuers tummelten sich in einer Art Höhlenhalle, die oben ein Zugangsloch hatte. Diese Öffnung hütete ein Engel, der einer den Schmerzensort verlassenden Seele die Hand reichte. Ihm zur Seite saß ein älterer Mann, einen Rosenkranz in den gefalteten Händen, inbrünstig betend; das war der Stifter des Bildes, das er seinerzeit für eine Kirche in Huerta hatte malen lassen. Bei ihrem Aufstand hatten die Morisken die Stadt in Brand gesetzt und die Kirche zerstört; wunderbarerweise aber war das Bild unversehrt geblieben. Der Graf von Maraña hatte es mitgebracht, und nun zierte es die Gebetsstätte seiner Ehegattin.

Stets wenn sich der kleine Don Juan in die Gemächer seiner Mutter begab, verblieb er eine Weile in ihrer Hauskapelle und betrachtete, starr dastehend, das Gemälde, das ihn zwar mit Grauen erfüllte, doch auch ungemein fesselte. Insonderheit vermochte er sich kaum loszureißen von einem Manne, dem eine Schlange an den Eingeweiden fraß, und der, von zwei eisernen Haken gehalten, über einem Becken mit feurigen Kohlen hing. Die angstvollen Augen des Gepeinigten waren auf das Luftloch gerichtet; offenbar flehte er um des Stifters Gebet, damit er von so viel Qual und Schmerz erlöset werde.

Niemals verfehlte die Gräfin, ihr Söhnchen darauf aufmerksam zu machen, daß der Unglückliche auf dem Bilde seine schreckliche Strafe erleide, weil er entweder den Katechismus schlecht gelernt oder einen Priester nachgeäfft oder in der Kirche öfters an dummes Zeug gedacht habe. Jene zum Paradies entlassene Seele aber – so erzählte die Gräfin ihrem Zögling – sei ein Sproß des Hauses Maraña, der zwar etliche Sünden auf seinem Gewissen trüge, indessen habe der Vater für ihn gebetet und der Kirche reichlich Geld gestiftet, um ihn aus dem Fegefeuer loszukaufen. Und so verdanke der Erlöste seinem Vetter das Paradies.

Juanito, pflegte die Gräfin in schmerzlichem Tone hinzuzufügen, weiß ich, ob ich nicht auch dereinst im Fegefeuer Äonen Jahre leiden muß wie dieser da, weil du vergessen wirst, Messen für deine Mutter, die dich genährt, lesen zu lassen, um mich von all den Qualen zu erlösen? Es wäre sehr schlecht von dir!

Dann weinte der Junge, und wenn er ein paar Groschen in seiner Tasche hatte, beeilte er sich, sie dem erstbesten Bettelmönch in die Sammelbüchse für die Seelen im Fegefeuer zu werfen.

Trat er in das Kabinett seines Vaters, so beschaute er voller Andacht das Panzerhemd, das da hing, von Hakenbüchsenkugeln durchlöchert, und die Stahlhaube, die der Vater beim Sturm auf Almeria getragen und auf der eines Muselmannes scharfe Axt ewige Beulen hinterlassen hatte. Lanzen, Krummsäbel, den Ungläubigen entrissene Fahnen und andre Siegeszeichen zierten das hohe Gemach. Dieser krumme Säbel, erklärte der Graf, gehörte einem Sarazenenfürsten, der mir drei Wunden beibrachte, ehe ich ihn ins Jenseits beförderte . . . Dieses Banner flatterte vor den Rebellen der Elviraberge. Sie hatten gerade ein Christendorf überfallen, da kam ich mit zwanzig Reitern. Viermal ward unsre Attacke abgeschlagen. Beim fünften Male rief ich: Hie Sankt Jago! – und die Heidenhunde wurden von uns in Grund und Boden geritten . . . Und siehst du dort den goldnen Kelch mit meinem Wappen? Ein Moriskenführer hatte ihn aus einer Kirche gestohlen und obendrein tausend Greuel darin begangen. Seine Gäule hatten Hafer auf dem Altare gefressen; seine Soldateska hatte die Gebeine eines Heiligen in alle vier Winde verstreut, und der Obrist hatte sich einen in Eis gekühlten Sorbet in diesem Kelche zurechtgemacht. Ich drang just in sein Zelt, wie er das geweihte Gefäß an seine Lippen setzte. Bevor er hätte Allah! rufen können, während der kühle Trank ihm noch durch die Kehle rann, sauste dies treffliche Schwert dort auf seinen glattgeschorenen Schädel und spaltete ihn bis in die Zähne. Zum Gedächtnis dieser gottseligen Rache hat Seine Majestät mir allergnädigst erlaubt, einen goldenen Kelch im Wappen zu führen. Ich erzähle dir dies, Juanito, damit du es dereinst deinen Kindern überlieferst, auf daß sie wissen, warum dein Wappen nicht genau mit dem deines Großvaters übereinstimmt, des Don Diego, das du dort unter seinem Bildnisse siehst.

Also verbrachte Don Juan seine jugendlichen Tage artig geteilt zwischen Gottesandacht und Kriegsvorbereitung. Mit Vorliebe trug er ein selbstverfertigtes Lattenkreuz umher, oder aber er raste mit einem Holzsäbel durch den Gemüsegarten und focht gegen die Kürbisse, die ihm turbanbedeckte Maurenköpfe vorspiegelten.

Mit achtzehn Jahren verstand er ein paar Brocken Latein; er ging eifrig zur Messe, focht Stoßdegen, und den Zweihänder handhabte er nicht minder gewandt als ehedem der Cid. Und da sein Vater der Meinung war, daß es einem Edelmanne aus dem Hause derer von Maraña wohl anstehe, auch in andern Dingen Bescheid zu wissen, so beschloß er, seinen Sohn auf die Hohe Schule nach Salamanca zu schicken.

Die Vorbereitungen zur Reise Don Juans dahin waren alsbald getroffen. Die Mutter packte ihm ein Päckchen Rosenkränze, Amulette und Weihmünzen in den Koffer. Auch lehrte sie ihn rasch noch einige Sondergebete, die ihm in den verschiedenen Lebenslagen fern dem Vaterhause nützlichen Dienst nicht versagen würden. Don Carlos aber gab ihm einen Degen, auf dessen Griff aus gehämmertem Silber das Familienwappen eingeätzt war, und sprach:

Bis heute hast du mit Kindern gelebt; fortan wirst du unter Männern leben. Vergiß eines nie! Das kostbarste Gut eines Edelmannes ist seine Ehre. Und deine Ehre ist die Ehre derer von Maraña. Eher mag der letzte Sproß unsers alten Geschlechts untergehn als daß seine Ehre besudelt werde. Nimm diesen Degen! Er soll dich verteidigen, wenn man dich angreift. Zieh ihn niemals früher als dein Gegner, und denke immer daran, daß deine Ahnen ihr Schwert nur in die Scheide steckten, wenn sie Sieger waren und nichts zu rächen hatten.

Derart mit geistlichen und weltlichen Waffen wohlgerüstet, schwang sich der junge Don Juan in den Sattel und verließ das Haus seiner Väter.

Die Universität von Salamanca stand damals auf dem Gipfel ihres Ruhmes. Nie ist die Zahl ihrer Studenten und die Gelehrsamkeit ihrer Professoren je wieder so groß gewesen wie damals. Nie aber auch haben die braven Bürger so viel zu leiden gehabt unter den Streichen der unbändigen Jugend, die in ihrer Stadt hauste oder vielmehr herrschte. Ständchen, Katzenmusiken und allerlei andrer nächtlicher Unfug, zur Abwechslung Entführungen (verheirateter und unverheirateter Weiblichkeiten), Prellereien und Raufereien, das waren die Elemente der studentischen Lebensführung zu Salamanca.

Die ersten Tage nach seiner Ankunft verbrachte Don Juan, indem er Empfehlungsbriefe bei Freunden seines Vaters abgab, seinen Professoren Anstandsbesuche machte, die Kirchen durchwanderte und sich die daselbst geborgenen Reliquien zeigen ließ. Einem der Professoren händigte er, väterlichem Befehle gemäß, eine beträchtliche Geldsumme ein zu Stipendien für arme Studiosi. Solche Freigebigkeit hatte den besten Erfolg; von allen Seiten strömten ihm Freunde zu.

Don Juan glühte vor Lernbegier. Er nahm sich fest vor, dem Munde seiner Professoren zu lauschen, als wäre es das Evangelium Christi, und sich kein Wörtchen entgehen zu lassen. Deshalb gedachte er möglichst nahe dem Lehrer Platz zu suchen. Wie er den Hörsaal betrat, in dem er die erste Vorlesung hören sollte, bemerkte er, daß dicht vor dem Katheder ein Platz frei war. Auf selbigen setzte er sich. Auf dem Platze rechts daneben saß ein unsauberer, schlecht gekämmter, zerlumpt bekleideter Studio, wie sie nicht selten an den Universitäten sind. Der in ein Buch vertiefte Bursche schaute einen Moment auf und blickte den Fremden in blöder Verwunderung an. Ihr setzt Euch auf diesen Platz? sagte er in geradezu entsetztem Ton. Ihr wißt wohl nicht, daß dies der Stammplatz von Don Garcia Navarro ist.

Don Juan erwiderte höflich, seines Wissens gehörten die Plätze im Hörsaal dem, der sich zuerst darauf setze, und da er diesen Platz leer vorgefunden habe, meine er ihn einnehmen zu dürfen, es sei denn, Don Garcia habe den Herrn Nachbar beauftragt, ihm den Platz regelrecht zu belegen.

Ihr seid hier fremd, wie ich sehe, erwiderte der Student, und gewiß erst jüngst eingetroffen, da Ihr Don Garcia nicht kennt. So laßt Euch denn sagen: Don Garcia ist der aller . . .

Hier ging der Student in den Flüsterton über, offenbar aus Furcht, von den andern verstanden zu werden.

Don Garcia ist der allerruppigste Bruder. Wehe dem, der ihm zu nahe kommt! Seine Friedfertigkeit ist ebenso kurz wie sein Rapier lang ist. Und Ihr könnt sicher sein, wenn sich einer auf einen Platz setzt, auf dem Don Garcia auch nur zweimal gesessen hat, so genügt ihm dies, um einen Streit vom Zaun zu brechen; denn er ist ungemein leicht reizbar und höchst argwöhnisch. Wenn er sich ärgert, zieht er vom Leder, und wenn er vom Leder zieht, liegt der andre schon auf der Strecke. Ich hab Euch gewarnt. Ihr werdet tun, was Euch beliebt.

Don Juan fand es gar nicht in der Ordnung, daß dieser Don Garcia Anrecht auf einen der besten Hörsaalplätze erhob, ohne ihn durch zeitiges persönliches Erscheinen zu verdienen. Zugleich nahm er wahr, daß ihn mehrere Studenten beobachteten, und er fühlte sich im voraus blamiert, wenn er den Platz, den er eingenommen, wieder räumte. Andererseits verspürte er nicht die geringste Lust, kaum in Salamanca angekommen, in Händel zu geraten, insbesondere mit einem so berüchtigten Burschen wie Don Garcia.

In solcher Verlegenheit befand sich Don Juan; er war sich unklar, wozu er sich entschließen sollte, blieb aber unwillkürlich auf seinem Platze sitzen. Da trat ein Student ein und kam geradenwegs auf ihn zu.

Das ist Don Garcia! flüsterte ihm der Nachbar zu.

Besagter Garcia war ein breitschultriger, kraftstrotzender junger Mann, sonnenverbrannten Gesichts, Hochmut im Blick und um den Mund einen Zug von Geringschätzung für die Mitwelt. Er trug eine schäbige Pekesche, die vor vielen Semestern einmal schwarz gewesen sein mochte, und einen ebenso alten Umhang. Eine goldne Halskette vervollständigte sein Kostüm. Dazu muß man wissen, daß die Studenten in Salamanca, wie überhaupt an den spanischen Hochschulen, von jeher sozusagen ihre Ehre darein setzen, in zerlumptem Kleid einherzustolzieren, wahrscheinlich als Zeichen, daß innerer Wert äußeren Schmuckes nicht bedarf, der doch nur auf Glücksgütern beruht.

Don Garcia näherte sich der Bank, auf der Don Juan nach wie vor saß, und grüßte ihn ausgesucht artig. Hochverehrter Kommilitone, hob er an, Ihr seid ein Neuling unter uns alten Studiosi. Gleichwohl ist mir Euer Name keineswegs unbekannt. Unsre Väter waren gute Freunde, und mit Eurer Einwilligung werden es die Söhne nicht minder sein. Mit diesen wahrhaft herzlichen Worten bot er Don Juan seine Rechte dar, und dieser, der auf eine ganz andre Anrede gefaßt war, erwiderte Don Garcias Bewillkommnung auf das wärmste, indem er erklärte, die Freundschaft eines so ausgezeichneten Kavaliers sei ihm hohe Ehre.

Ihr kennt Salamanca noch nicht, fuhr Don Garcia fort. Wenn ich Euer Mentor sein darf, soll es mir ein Vergnügen sein, Euch die neue Heimat vom Größten bis zum Kleinsten vorzuführen.

Sodann wandte er sich an den Studenten, der Don Juan zur Rechten saß.

Periko, grobste er ihn an, auf und verschwinde! Ein Erztrottel wie du ist kein geeigneter Nachbar für den hohen Herrn Don Juan von Maraña.

Zugleich verabreichte er ihm einen festen Kunks und setzte sich auf den Sitz, den der Student schleunigst räumte. Wie die Vorlesung zu Ende war, reichte Don Garcia dem neuen Freunde seine Visitenkarte und nahm ihm die feierliche Zusage seines baldigen Besuches ab. Darauf grüßte er ihn mit anmutiger und vertraulicher Handbewegung, drapierte mit graziöser Geste seinen Umhang, der mehr Löcher aufwies als ein Kartoffelsieb, und schritt hoheitsvoll von dannen.

Don Juan, sein Kollegienheft unterm Arm, stand im Kreuzgange der Universität, in die alten Inschriften an den Wänden vertieft, als er bemerkte, daß der Student, der ihn zuerst angesprochen hatte, sich ihm näherte, anscheinend, um dasselbe zu tun wie er. Um ihm zu zeigen, daß er ihn wiedererkannt, nickte ihm Don Juan zu und wandte sich zum Weggehen. Da zupfte ihn der Student am Mantel und sagte:

Hoher Herr Don Juan, würdet Ihr mir allergnädigst eine kleine Unterredung gestatten, falls Ihr es nicht gerade eilig habt?

Gern! erwiderte Don Juan und lehnte sich an einen Pfeiler. Ich bin ganz Ohr.

Periko blickte sich voller Unruhe nach allen Seiten um, als fürchtete er, beobachtet zu werden. Alsdann trat er dicht an Don Juan heran, um ihm ins Ohr flüstern zu können, – eine offenbar unnötige Vorsichtsmaßregel; denn im langen gotischen Kreuzgang befand sich außer den beiden niemand. Nach einem Augenblick Schweigens hob Periko mit so leiser Stimme wie nur möglich und zitternd wie Espenlaub an:

Hoher Herr Don Juan, könnt Ihr mir wohl allergnädigst sagen, ob Euer hochzuverehrender Herr Vater wirklich den Vater des Herrn Don Juan Garcia Navarro gekannt hat?

Don Juan machte eine Geste der Verwunderung. Ihr habt eben vernommen, daß Don Garcia so berichtet hat!

Gewiß, fuhr der Student fort, seine Stimme noch mehr dämpfend. Aber habt Ihr je Euern hochzuverehrenden Herrn Vater sagen hören, er habe Herrn Diego Navarro gekannt?

Daran ist nicht zu zweifeln, entgegnete Don Juan. Mein Vater war mit ihm im Felde gegen die Morisken.

Mag wohl sein! Aber habt Ihr je Euern hochzuverehrenden Herrn Vater sagen hören, daß der hohe Herr Navarro einen . . . Sohn habe?

Offengestanden, so genau habe ich nie auf das gehört, was mein Vater mir hiervon erzählt haben mag . . . Was sollen diese Fragen? Ist Don Garcia nicht der Sohn des Herrn Navarro? Ist er Bastard?

Der Himmel ist mein Zeuge, daß ich solches nie gesagt habe! beteuerte der Student, mit einem erschrockenen Blick hinter die Säule, an die Don Juan sich lehnte. Ich möchte mir nur die Frage erlauben, ob Ihr Kenntnis von einer seltsamen Geschichte habt, die über besagten Herrn Don Garcia vielfach im Munde der Leute ist?

Davon weiß ich gar nichts.

Man munkelt – aber beachtet wohl: ich wiederhole nur, was ich habe sagen hören! – man munkelt, daß Don Diego Navarro einen Sohn gehabt hat, der im Alter von sechs oder sieben Jahren von einer so schweren und so merkwürdigen Krankheit befallen ward, daß die Ärzte kein Heilmittel dagegen wußten, worauf der Vater, der nur dies eine Kind hatte, mehrere Kirchen reichlich beschenkte und den Knaben Reliquien berühren ließ. Alles vergebens. In seiner Verzweiflung – so hat man mir versichert – habe der Vater eines Tages vor einem Bilde des heiligen Michael ausgerufen: Da du meinen Sohn nicht retten kannst, so will ich sehen, ob der dort, der unter deinen Füßen liegt, nicht mehr Macht hat als du!

Das war eine ganz abscheuliche Gotteslästerung! rief Don Juan, höchlichst entrüstet.

Bald danach ward der Knabe gesund. Und dieser Knabe, das ist Don Garcia!

Was besagen soll, rief eine Stimme hinter der nächsten Säule, daß Don Garcia den Satan im Leibe hat.

Es war Don Garcia, der jetzt hervortrat und sich vor Lachen den Bauch hielt. Offenbar hatte er das Gespräch gehört.

Sapperment, fuhr er fort, mit einem Blicke eisiger Verachtung auf den verblüfften Studenten. Du bist's, mein Bürschchen! Wüßt ich nicht, daß du die größte Klatschbase auf Gottes Erdboden bist, der Tebel hol mer, dir sollte die Dreistigkeit, von mir zu fabeln, ein für allemal gründlich vergehen! Und zu Maraña gewandt, sagte er: Hoher Herr Don Juan, sowie Ihr mich erst kennengelernt habt, werdet Ihr Eure Zeit nicht damit vergeuden, das Geschwätz dieses Bärenhäuters anzuhören . . . Sapperment, um Euch zu überzeugen, daß ich ein braver Kerl bin, besser als mein Ruf, bitte ich Euch, erweist mir die Ehre und begleitet mich zur Kirche San Martino. So wir dort unsre Andacht verrichtet haben, möchte ich mir untertänigst erlauben dürfen, Euch zu einem schäbigen Mittagsmahl im Kreise etlicher Kommilitonen aufzufordern.

Nach dieser Rede nahm er Don Juan unterm Arm. Tiefbeschämt, dieweil er ertappt worden war, Perikos merkwürdiger Geschichte sein Ohr geliehen zu haben, nahm er Aufforderung und Einladung des neuen Freundes ohne Verzug an, ihm zu beweisen, wie wenig ihm die eben vernommene üble Nachrede wert sei.

In der Kirche des Heiligen Martin knieten Don Juan und Don Garcia in einer der Kapellen nieder, zu der sich die Gläubigen in Scharen drängten. Flüsternd verrichtete Don Juan sein Gebet, und wiewohl er eine angemessene Zeit diesem frommen Geschäft widmete, fand er beim Wiederaufblicken seinen Kameraden noch in allertiefste Andacht versunken. Er sah, wie er langsam die Lippen bewegte. Offenbar war er über die Mitte seiner stillen Verzücktheit noch nicht hinaus. Voll Scham, selber so rasch fertig zu sein, begann er leise die Litaneien aufzusagen, die ihm einfielen; aber auch nach Erledigung der Litaneien rührte sich Don Garcia noch immer nicht. Kaum noch recht bei der Sache, gab Don Juan noch ein paar Stoßgebete zu. Als er dann aber den Kameraden immer noch unbeweglich sah, vermeinte er sich zum Zeitvertreib etwas umschauen zu dürfen, bis jener sein endloses Gebet verrichtet habe. Alsogleich zogen drei weibliche Gestalten seinen Blick an. Sie knieten auf türkischen Kissen.

Aus ihrem Alter, ihrer Brille und dem respektablen Umfang ihrer Haube zu schließen, konnte die eine nur eine Dueña sein. Die beiden andern hingegen waren jung und hübsch; sie hatten ihre Augen zwar auf ihre Rosenkränze geheftet; immerhin konnte man feststellen, daß diese Augen groß, lebhaft und wunderschön mandelförmig waren. Don Juan verspürte beim Anblick der einen reges Vergnügen, entschieden weit mehr Vergnügen, als er sich an einem heiligen Orte eigentlich hätte gestatten sollen. Dessenungeachtet, daß sein Gefährte beim Beten war, zupfte er ihn am Ärmel und fragte ihn leise, wer das Fräulein sei mit dem Rosenkranz aus Bernstein in den Händen.

Don Garcia, den die profane Ablenkung offenbar durchaus nicht störte, erwiderte: Das ist Doña Teresa von Ojeda, und die andre ist Doña Fausta, ihre ältere Schwester. Beide sind Töchter eines Auditors im Hohen Rate von Kastilien. Ich bin in die Ältere verschossen. Haltet Euch an die Jüngere . . . Achtung! fügte er hinzu, sie stehen auf und werden die Kirche verlassen. Beeilen wir uns, damit wir sie in den Wagen steigen sehen. Vielleicht ist der Wind uns günstig und lüftet uns ihre Röckchen, damit wir ein hübsches Bein oder ihrer mehrere zu sehen kriegen.

Doña Teresas Schönheit hatte es Don Juan derart angetan, daß er die Ungebührlichkeit dieser Rede überhörte. Er folgte Garcia zur Kirchentür und schaute zu, wie die edlen Jungfrauen in ihre Karosse stiegen, die alsbald die Plaza Mayor verließ und in eine der belebtesten Straßen einbog.

Als sie fort waren, stülpte sich Don Garcia seinen Hut quer über den Kopf und rief laut aus:

Reizende Mädels, was? Der Tebel hol mer, wenn die Ältere nicht meine Scharmante ist, ehe der Hahn zehnmal gekräht hat. Und Ihr, hoher Herr Don Juan, wie weit seid Ihr bei der Jüngeren?

Sapperment! entgegnete Don Juan in seiner Unschuld. Ich? Wie weit? Ich habe sie doch soeben zum ersten Male erblickt!

Der Tebel hol mer, wenn das ein stichhaltiger Grund wäre! Seid Ihr nicht Don Juan? Glaubt Ihr, daß ich Doña Fausta sieben Jahre kenne? Allerdings, heute habe ich ihr das erste Liebesbriefchen zugesteckt. Sie hat es regelrecht angenommen.

Ein Liebesbriefchen? Ich habe Euch doch gar nicht schreiben sehen!

Verehrter Kommilitone, ich habe deren immer ein halbes Dutzend fix und fertig bei mir. Dieweil bloß der Name einzufügen ist, sind die Dinger allezeit für alle Damen verwendungsfähig. Natürlich muß man sie so abfassen, daß spezialisierende Schmuckworte auf Haar- und Augenfarbe vermieden werden. Was das sonstige Gestöhn und Getön anbelangt, so klingt es jeglichem Weibe wunderschön, gleichgültig, ob sie braun oder blond, verheiratet oder ledig ist.

Derart plaudernd gelangten Don Garcia und Don Juan vor die Tür der Kneipe, wo das Mittagsmahl ihrer wartete. Es war echte Studentenkost, mehr reichlich als fein, kein langes Menü: eine tüchtig gepfefferte Wurstsuppe, hinterher Pökelfleisch, beides von vorzüglicher Wirkung auf den Durst. Dazu Weine aus der Mancha und aus Andalusien in Hülle und Fülle. Einige mit Don Garcia näher bekannte Studiosi hatten auf seine Ankunft gewartet. Man setzte sich sofort zu Tisch, und eine Weile hörte man nichts als Kauen, Messerklappern und Gläserklingen. Sowie der Wein die Schmausenden in gute Laune versetzt hatte, begann das Tischgespräch, das rasch zu lautem Lärm anschwoll. Man unterhielt sich von Paukereien, Liebschaften und Studentenstreichen. Der eine erzählte, wie er seine Wirtin geprellt habe, indem er in der Nacht vor dem Zahltage abgereist sei. Ein andrer gab zum besten, daß er im Namen eines hochehrwürdigen Professors der Theologie ein Dutzend Flaschen Valdepeñas bestellt, sie geschickt abgefangen und die Bezahlung oder Nichtbezahlung dem gelehrten Manne überlassen habe. Ein dritter hatte den Nachtwächter verprügelt, und ein vierter war trotz aller Vorkehrungen eines Eifersüchtigen auf einer Strickleiter in das Kämmerlein der Verehrten gedrungen.

Anfangs hörte Don Juan allen diesen Unfug mit gewisser Herzbeklemmung an. Doch der Wein, den er trank, und die Fidelitas der Tischgenossen entwaffneten nach und nach seine Ehrbarkeit. Die Geschichten, die man erzählte, reizten ihn zum Lachen, und schließlich beneidete er die Helden dieser Prellereien und Schandtaten um ihren Ruhm und Ruf. Alle seine artigen Grundsätze, die er auf die Universität mitgebracht hatte, gerieten ins Wanken und verfielen der Bewunderung der studentischen Lebensanschauung. Selbige gipfelte höchst einfach darin: gegen die Philister war alles erlaubt, das heißt gegen den nichtimmatrikulierten Teil der Menschheit. Wobei nur die eine Tatsache zu beachten war, daß dem Herrn Stadtrichter das rechte Verständnis für die heiligen Satzungen der Studentenschaft leider abging und er jede Gelegenheit wahrnahm, diese edle Körperschaft zu schädigen. Es galt also brüderlich zusammenzuhalten, sich gegenseitig zu helfen und unverbrüchliches Schweigen zu wahren.

Diese erbauliche Unterhaltung dauerte, bis die letzte Flasche leer war. Keiner hatte mehr einen klaren Kopf; alle waren schläfrig geworden. Da die Sonne noch tüchtig brannte, beschloß man, Siesta zu halten, und schied voneinander.

Don Juan nahm das ihm von Don Garcia in dessen Bude höflichst angebotene Ledersofa an. Kaum hatte er sich langgestreckt, da sank er vor Müdigkeit und Weinschwere in einen tiefen Schlaf voller wirren Träume.

Zuletzt war es ihm, als schaue er ein schönes Weib. Ihr Haar flatterte im Winde, ihre Augen glühten in überirdischem Feuer, und in der Hand hielt sie einen Blumenkranz, den sie ihm darbot. Mit einem Male schwand der Kranz; das Weib hielt ein blankes Schwert in der Hand, und wie er genauer hinsah, war die Schneide des Schwertes rot von Blut, und auch die Hand des schönen Weibes war rot . . . Entsetzt fuhr Don Juan aus dem Schlafe. Und wie er die Augen öffnete, da blitzte ihm das blanke Schwert entgegen, und er schrie laut auf.

Aber kein schönes Weib hielt dieses Schwert, sondern es war Don Garcia. Ihm war Don Juans Degen in die Augen gefallen, wie er an den Schlafenden herantrat, um ihn zu wecken. Er besah sich die merkwürdige Schmiedearbeit. Auf der Klinge war Namen, Wappen und Wahlspruch derer von Maraña eingeätzt; man las die Worte:

Üb immer Treu und Redlichkeit!

Ihr habt eine wahrhaft fürstliche Plempe, Kommilitone, sagte Don Garcia. Habt Ihr jetzt ausgeschlafen? Es ist Nacht. Machen wir einen kleinen Bummel! Sobald die Spießer in ihre Löcher gekrochen sind, werden wir, wenns Euch recht ist, unsern Feen ein schönes Ständchen bringen.

Eine Weile lustwandelten Don Juan und Don Garcia am Ufer des Tormes und musterten die Frauen, die da kamen und gingen, um die kühle Luft zu genießen und mit ihren Verehrern zu äugeln. Allmählich wurden die Spaziergänger spärlicher, und schließlich verschwanden sie ganz.

Jetzt beginnt die Zeit, rief Don Garcia, wo die Stadt lediglich den Studenten gehört! Kein Philister wagt uns in unsern harmlosen Belustigungen zu stören. Und was den Nachtwächter anbelangt, der uns in den Weg kommen könnte, so brauche ich Euch wohl nicht erst zu sagen, daß sich dieser Bärenhäuter in acht nehmen soll! Tauchen mehrere dieser Trottels auf, so daß wir die Beine unter den Arm nehmen müssen, so seid unbesorgt. Ich kenne alle Winkel der Stadt. Wenn Ihr nur treulich hinter mir bleibt, wird alles bestens verlaufen. Mit diesen Worten warf er sich den Umhang um die linke Schulter, wobei er sich den größeren Teil des Gesichts verdeckte; den rechten Arm behielt er frei. Don Juan tat das nämliche. So lenkten sie beide ihre Schritte der Gasse zu, in der Doña Fausta und ihre Schwester wohnten. Wie sie am Kreuzgang einer Kirche vorüberkamen, pfiff Don Garcia, worauf sein Lakai erschien, eine Gitarre in der Hand. Er nahm sie ihm ab und entließ ihn.

Als sie die Valladolider Straße betraten, sagte Don Juan: Ich sehe, ich soll Euer Ständchen eskortieren. Verlaßt Euch darauf, ich werde mir Euer Lob verdienen. Sevilla, meine Vaterstadt, soll mich verleugnen, wenn ich es nicht fertig bringe, Euch die Gasse von Lästigen frei zu halten.

Schildwache sollt Ihr gar nicht sein, erwiderte Don Garcia. Ich habe hier meine Scharmante und Ihr die Eure. Jedem das Seine! Still! Wir sind am Hause. Ich stelle mich unter dies Fenster, Ihr Euch unter jenes; Achtung!

Nachdem Don Garcia seine Gitarre gestimmt hatte, fing er mit nicht unangenehmer Stimme an, eine Romanze zu singen, die die solchen Liedern nicht abgehenden Tränen, Seufzer und andern Zubehör reichlich aufwies.

Bei der dritten oder vierten Strophe hoben sich die Jalousien der beiden Fenster ein wenig und ein leises Husten ließ sich hören. Das bedeutete, daß man zuhörte. Bekanntlich spielen Musikanten nicht, wenn man sie bittet oder wenn man ihnen zuhört. Also legte Don Garcia seine Gitarre auf einen Prellstein und begann im Flüsterton mit den beiden Lauscherinnen zu reden.

Don Juan blickte auf und gewahrte am Fenster über sich ein weibliches Wesen, das eifrig nach ihm auslugte. Er zweifelte nicht, daß dies Faustas Schwester sei, die sein persönlicher Geschmack und des Freundes Wahl zu seiner Coeurdame erkoren hatten. Allein, noch schüchtern und ohne Erfahrung, wie er war, wußte er nicht, wie er sich zu verhalten habe. Da fiel plötzlich ein Taschentuch von oben herab, und eine sanfte Stimme flüsterte: Jesses, mein Taschentuch ist hinuntergefallen!

Don Juan hob es sogleich auf, steckte es auf seine Degenspitze und hob es hoch. Dies vermittelte die Anknüpfung. Die Stimme von oben lispelte zunächst Dankesworte, sodann fragte sie, ob der so artige Herr Kavalier nicht mittags in der Kirche San Martino gewesen sei.

Don Juan erwiderte, er wäre dort gewesen, und seitdem sei all seine Ruhe dahin.

Wie dies geschehen sei?

Weil ich Euch geschaut!

Das Eis war gebrochen. Als geborener Sevillaner wußte er alle Balladen der Morisken mit ihrem Schatz an Liebesworten auswendig. So fiel es ihm nicht allzu schwer, beredt zu sein.

Das Gespräch dauerte eine volle Stunde. Schließlich rief Doña Teresa, sie höre ihren Vater kommen; man müsse sich zurückziehen. Doch die beiden Troubadours verließen die Gasse erst, nachdem unter den Jalousien zwei weiße Händchen zum Vorschein gekommen waren, und jedes ein Zweiglein Jasmin hinabgeworfen hatte. Von köstlichen Bildern umgaukelt, stieg Don Juan in sein Bett, während Don Garcia eine Kneipe aufsuchte, die er bis zum Morgengrauen mit seiner Gegenwart beehrte.

In der nächsten Nacht fanden Seufzer und Ständchen ihre Fortsetzung, und ebenso geschah es in den folgenden Nächten. Nach Ablauf des schicklichen Widerstandes willigten die Damen in den Austausch von Haarlocken. Bewerkstelligt ward diese gegenseitige Huldigung durch einen Bindfaden, der von oben herabgelassen und mit den ausgewechselten Liebespfändern wieder hinaufgeleiert wurde. Don Garcia, der mit Bagatellen nicht zufrieden war, sprach von Strickleiter und Nachschlüssel, aber man fand ihn verwegen, und sein Vorschlag mußte sich, wenn keine Abweisung, so doch Aufschub auf unbestimmte Zeit gefallen lassen.

Etwa vier Wochen girrten und flirrten Don Juan und Don Garcia so gut wie erfolglos unter den Fenstern ihrer Herzensdamen. In einer stockdunklen Nacht standen sie auf ihrem gewohnten Posten, und schon war das Gespräch zur Zufriedenheit aller Beteiligten im besten Gange, da tauchten am Eingang der Gasse sieben oder acht Männer in Mänteln auf, die Hälfte mit Musikinstrumenten ausgerüstet.

Bei der heiligen Jungfrau! rief Doña Teresa. Da kommt Don Cristoval und bringt uns ein Ständchen! Um Gottes willen, entfernt Euch oder es geschieht ein Unglück!

Es fällt uns beileibe nicht ein, unsern schönen Platz irgend wem einzuräumen, rief Don Garcia, und dem ersten, der sich ihm näherte, schrie er noch lauter zu: Kavalier, der Platz ist besetzt, und die Damen droben pfeifen auf Eure Katzenmusik. Sucht Euch gefälligst anderswo Euer Glück!

Das ist ein Bürschchen von der Universität, das sich anmaßt, uns den Weg zu sperren! rief Don Cristoval. Ich werde ihn lehren, was es auf sich hat, mir ins Gehege zu kommen.

Er zog blank, und im nämlichen Augenblick blitzten auch die Degen zweier seiner Begleiter. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit wand Don Garcia seinen Mantel um den Arm, zog vom Leder und schrie: Hierher, Studiosi!

Es war zwar nur ein einziger in der Nähe, aber aus Furcht, ihre Instrumente könnten im Handgemenge zerbrochen werden, machten die Musikanten kehrt und riefen nach dem Schutzmann, während die beiden Jungfrauen am Fenster alle Heiligen des Paradieses um Hilfe anflehten.

Don Juan, der unter dem Herrn Cristoval näheren Fenster stand, hatte sich zuerst seiner Haut zu wehren. Der Gegner war gewandt; obendrein hielt er in der Linken eine eiserne Tartsche, die dazu diente, die Stöße abzufangen, während Don Juan nur sein Rapier und seinen Umhang hatte. Arg bedrängt von Don Cristoval, erinnerte er sich just noch zu rechter Zeit an einen bestimmten Stoß nach dem Herzen, den ihn sein Fechtmeister Signor Uberti gelehrt hatte. Er ließ sich auf die linke Hand fallen, fuhr mit der rechten unter Don Cristovals Tartsche und traf ihn mit dem Degen da, wo die Rippen aufhören, mit solcher Wucht, daß die Klinge abbrach, nachdem sie eine Handlänge tief eingedrungen war. Cristoval schrie auf und fiel in die Lache seines Blutes.

Während dieses Vorganges, der sich rascher abspielte als er sich erzählen läßt, verteidigte sich Don Garcia erfolgreich gegen seine beiden Gegner, die Hals über Kopf davonliefen, wie sie ihren Führer auf das Pflaster sinken sahen.

Jetzt aber heißt es, sich aus dem Staube zu machen! rief Don Garcia. Der Tebel hol mer, zu Ergötzlichkeiten haben wir keine Zeit! So leb denn wohl, du meine Scharmante!

Mit diesen Worten zog er den Spießgesellen, der starr ob seiner Heldentat dastand, mit sich fort. Zwanzig Schritt vom Hause machte Don Garcia halt und fragte Don Juan, wo er seinen Degen habe. Meinen Degen? erwiderte Don Juan, der jetzt erst wahrnahm, daß er ihn nicht in der Hand hielt. Sapperment, ich weiß es nicht. Ich habe ihn wohl verloren . . .

Der Tebel hol mer! schimpfte Don Garcia. Ist nicht Euer Name auf dem Griff eingraviert?

In diesem Augenblick kamen Leute mit Fackeln aus den Nachbarhäusern und nahmen sich des Sterbenden an. Vom andern Ende der Gasse näherte sich im Laufschritt ein Trupp bewaffneter Männer. Das war offenbar eine Wachpatrouille, die durch die Rufe der Musikanten und den Lärm des Kampfes herbeigeführt worden war.

Don Garcia zog seinen Hut bis an die Augen ins Gesicht und bedeckte es von unten her mit seinem Mantel, um nicht erkannt zu werden. Ungeachtet der Gefahr drängte er sich mitten in den Menschenauflauf, in der Hoffnung, Don Juans Degen zu finden, der zweifellos den Schuldigen verraten mußte.

Don Juan sah, wie er nach rechts und links um sich schlug, die Fackeln zum Erlöschen brachte und alles, was ihm im Wege stand, über den Haufen rannte. Alsbald kam er zurück, laufend was er nur konnte, in jeder Hand einen Degen; die ganze Patrouille hinter ihm.

Sapperment! rief Don Juan und ergriff einen der Degen, die ihm Don Garcia hinhielt. Ich bin Euch zu ewigem Danke verpflichtet!

Rasch, rasch! Wir müssen fort! Folgt mir, und wenn Euch einer der Bärenhäuter zu nahe an den Leib rückt, so spießt Ihr ihn auf wie jenen!

Don Garcia, der Salamanca kannte wie seine Westentasche, verschwand wie der Blitz um die Straßenecken, während Don Juan, Neuling in solchem Manöver, die größte Mühe hatte, ihm auf den Fersen zu bleiben. Beide hatten kaum noch Atem, als sie am Ausgang einer Gasse auf einen Schwarm Studenten stießen, der unter Gesang und Gitarrenklang daherkam.

Sowie sie merkten, daß zwei Kommilitonen auf der Flucht vor Verfolgern waren, griffen sie nach Stöcken, Steinen und allen möglichen Kampfmitteln. Die Patrouille, die ebenfalls außer Atem war, machte kehrt, klug und weise, dieweil es sie unzweckmäßig dünkte, sich in ein Handgemenge einzulassen. Die beiden Missetäter flüchteten sich in eine nahe Kirche, wo sie sich eine Weile verschnauften.

Unter dem Portal wollte Don Juan seinen Degen in die Scheide stecken, da er es weder für schicklich noch christlich erachtete, mit gezücktem Schwert in das Haus Gottes zu treten. Aber die Klinge wollte nicht in die Scheide, und da merkte er, daß der Degen, den er hatte, nicht der seine war. In der Eile hatte Don Garcia den erstbesten genommen, den er auf dem Pflaster liegen sah. Es war der Degen des Toten oder eines seiner Genossen.

Der Fall war ernst.

Don Juan offenbarte Don Garcia die ärgerliche Entdeckung im Vertrauen auf dessen Findigkeit in jedweder Lebenslage.

Don Garcia zog die Brauen empor, biß sich auf die Lippen, schob seinen Hut hoch und lief auf und ab, während Don Juan wie ein begossener Pudel dastand, von Besorgnis und Reue gepeinigt.

Eine volle Viertelstunde zerbrach sich Don Garcia vergeblich den Kopf, ohne ein einziges Mal die Geschmacklosigkeit zu begehen und zu fragen: Wie kann ein Kavalier nur seinen Degen verlieren?

Plötzlich packte er Don Juan am Ärmel und sagte: Der Tebel hol mer, ich habs! Kommt!

In diesem Augenblick kam ein Priester aus der Sakristei, um auf die Gasse zu gehen. Don Garcia hielt ihn an.

Habe ich die Ehre, fragte er ihn unter tiefer Verbeugung, mit dem hochwürdigen Herrn Lizentiaten Gomez zu sprechen?

Ich bin noch nicht Lizentiat, erwiderte der Geistliche, sichtlich geschmeichelt, daß er für einen Lizentiaten gehalten worden war. Ich heiße Manuel Tordoya und stehe Euch ganz zu Diensten.

Hochwürdiger Herr Pater, fuhr Don Garcia fort, Ihr seid just die Persönlichkeit, deren ich im Augenblick bedarf. Es handelt sich um eine Sache des Gewissens. Wenn ich nicht falsch unterrichtet bin, seid Ihr der Verfasser des berühmten Traktats De casibus conscientiae. Madrid ist Eures Lobes voll.

Der Pfaffe, der ins Garn der sündigen Eitelkeit gegangen war, stammelte, er sei zwar nicht der Verfasser des genannten Buches (das in Wirklichkeit niemals existiert hat), immerhin habe er sich mit ähnlichen Materien gründlichst beschäftigt.

Don Garcia, der allen Grund hatte, hierauf weiter nicht einzugehen, fuhr fort: Hochwürdiger Herr Pater, die Sache, die ich Euer Hochwürden vorlegen möchte, ist ohne Umschweif folgende. Ein Freund von mir wird vor knapp einer Stunde auf der Straße von einem Manne angesprochen, der zu ihm sagt: Kavalier, ich habe in der Nähe ein Rencontre. Meines Gegners Degen ist länger als meiner. Wollt Ihr mir gütigst Euern borgen, damit die Waffen gleich sind? – Mein Freund tauscht mit ihm den Degen und wartet eine Zeitlang an der Straßenecke auf das Ende des Zweikampfs. Wie er keinen Klingenklang mehr hört, geht er näher – und was sieht er? Einen toten Mann, dem sein ihm ausgeborgter Degen im Leibe steckt. Seitdem ist er in Verzweiflung, macht sich Vorwürfe ob seiner Gefälligkeit und fürchtet, eine Todsünde begangen zu haben. Ich möchte ihn beruhigen. Ich halte es für eine verzeihliche Sünde, denn, hätte er seinen Degen nicht geliehen, so hätten sich zwei Menschen mit ungleichen Waffen auf Tod oder Leben geschlagen . . . Was denkt Ihr über diesen Fall, hochwürdiger Herr Pater? Seid Ihr nicht auch meiner Ansicht?

Der Priester, in der Kasuistik erst Anfänger, spitzte bei dieser Geschichte die Ohren und klopfte sich eine Weile die Stirn, wie jemand, der nach einem Zitat sucht.

Don Juan ahnte nicht, wo der geistliche Herr hinauswollte, und so schwieg er, um die Sache nicht zu verderben. Schließlich aber sagte er:

Hochwürdiger Herr Pater, der Fall ist offenbar verzwickt, da ein so großer Gelehrter wie Ihr die Antwort reiflich bedenkt. Wenn Euer Hochwürden gestatten, werde ich morgen wiederkommen, mir Euern Bescheid zu holen. Seid inzwischen so gütig, für die Seele des Toten einige Messen zu lesen oder lesen zu lassen.

Bei diesen Worten drückte er dem Priester zwei oder drei Dukaten in die Hand, was dessen gute Meinung von den beiden jungen Herren, die so fromm, gewissenhaft und vor allem so freigebig waren, endgültig festigte. Er versprach ihnen, am nächsten Tage am gleichen Ort den Bescheid schriftlich zu geben.

Don Garcia zerfloß in Danksagungen, und wie von ungefähr setzte er in harmlosem Ton hinzu: Wenn uns nun nur das Gericht nicht für diesen Mord verantwortlich macht! Daß Gott uns verzeihe, das erhoffen wir von Euch.

Was das Gericht anbelangt, erwiderte der Geistliche, so habt Ihr nichts zu fürchten. Da Euer Freund seinen Degen nur geliehen hat, trifft ihn im Sinne der Gesetze keine Schuld.

Gewiß, hochwürdiger Herr Pater, aber der Mörder hat die Flucht ergriffen. Man wird die Wunde untersuchen; vielleicht findet man den blutigen Degen. Kann man es wissen? Die Männer des Gesetzes sind furchtbar, heißt es.

Aber Ihr wart doch Zeuge davon, daß der Degen ausgeliehen ward?

So ists, hochwürdiger Herr Pater. Ich kann es vor jedem Gericht im ganzen Reiche beteuern . . . Übrigens, fuhr er schmeichlerisch fort, seid Ihr ja auch noch da, die Wahrheit zu bezeugen. Weit vor dem Ruchbarwerden des Vorfalles haben wir uns an Euch gewandt und Euern geistlichen Rat erbeten. Ihr könnt sogar den Tausch bestätigen . . . Hier ist der Beweis!

Er griff nach Don Juans Degen.

Seht diesen Degen! sagte er. Er paßt nicht in die Scheide.

Der Pfaffe nickte mit dem Kopfe ganz wie einer, der von der Wahrheit der ihm erzählten Geschichte voll überzeugt ist. Insgeheim wog er die Dukaten in seiner Hand, die ihm ein unumstößliches Argument zugunsten der jungen Leute waren.

Überdies, hochwürdiger Herr Pater, erklärte Don Garcia im Frömmlerton, was schert uns das irdische Gericht? Mit dem Himmel wollen wir versöhnt sein!

Auf Wiedersehen morgen, liebe Kinder! sagte der Priester und entfernte sich.

Als der Priester fort war, machte Don Garcia einen Riesenfreudensprung.

Es lebe der geistliche Schacher! rief er. Ich glaube, unsre Sache steht schon besser. Wenn das Gericht nach Euch fahndet, so ist dieser treffliche Pfaffe für die Dukaten, die er eingestrichen hat, und für die, die er uns weiterhin abzuknöpfen gedenkt, Zeuge, daß wir mit dem Tode des Kavaliers, den Ihr unlängst ins Paradies befördert habt, ebensowenig zu schaffen haben wie ein neugeboren Kind. Begebt Euch jetzt in Eure vier Pfähle! Seid aber ohne Unterlaß auf der Hut! Öffnet Eure Tür nur nach untrüglichem Vorzeichen! Unterdessen will ich die Stadt durchstreifen, um Neues in Erfahrung zu bringen.

Als Don Juan in seiner Behausung angekommen war, warf er sich in vollen Kleidern auf sein Bett. In der Nacht tat er kein Auge zu, immer nur an den Totschlag denkend, den er begangen hatte, und insbesondere an die möglichen Folgen. So oft er Schritte auf der Gasse vernahm, bildete er sich ein, Büttel kämen, ihn abzuholen.

Erst als die Sonne aufging, schlief er ein, todmüde wie er war, und mit dem schweren Schädel, den er vom Gelage der Studenten noch immer hatte.

Er ruhte etliche Stunden, als ihn sein Kammerdiener weckte, meldend, eine Dame im Schleier wünsche ihn zu sprechen. Im gleichen Augenblick trat eine weibliche Gestalt ins Zimmer. Sie war vom Kopf bis zum Fuß in einen langen schwarzen Mantel gehüllt. Nur ein Auge war unverdeckt.

Besagtes Auge richtete sie auf den Domestiken, sodann auf Don Juan, gleichsam mit der Bitte, ihr ohne Zeugen Gehör zu gewähren.

Der Diener verschwand. Die Dame nahm Platz und schaute unverwandt auf Don Juan. Nach einem Augenblick des Schweigens hob sie an:

Herr Kavalier, was ich tue, wird Euch verwundern und mich zweifellos nicht ins beste Licht bei Euch setzen. Wer aber den Grund weiß, der mich hierher führt, kann mich gewiß nicht tadeln. Ihr habt Euch gestern mit einem Kavalier aus hiesiger Stadt geschlagen . . .

Ich? rief Don Juan, bleich und blaß. Ich habe dies mein Zimmer gestern nicht verlassen.

Es ist zwecklos, sich mir gegenüber zu verleugnen; auch will ich mein Visier lüften . . .

Während die Verschleierte dies sagte, schlug sie ihre Mantilla auseinander, und Don Juan sah Doña Teresa vor sich.

Herr Don Juan, fuhr sie errötend fort, ich muß Euch gestehen, Eure Tapferkeit hat mich über die Maßen entzückt. Trotz meiner Erregung beobachtete ich, daß Euer Degen zerbrach und daß er Euch in der Nähe unsrer Tür entfiel. Während sich alle um den Verwundeten bemühten, bin ich hinabgeeilt und habe Euern Degengriff aufgehoben. Wie ich ihn mir näher besah, fand ich Euren Namen darauf und ward mir der Gefahr bewußt, in die Ihr kommt, wenn der Griff Eurem Feinde in die Hände gerät. Hier ist er!

Selbstverständlich machte Don Juan den sich geziemenden Kniefall, indem er sagte: Doña Teresa, Ihr habt mir das Leben geschenkt – und doch vergebens, denn ich werde aus Liebe zu Euch sterben.

Obgleich sie es eilig hatte und sich unverweilt wieder entfernen wollte, bereitete ihr Don Juans Rede doch dermaßen Vergnügen, daß sie den Rückzug aufschob. Schier eine Stunde verstrich unter Schwüren ewiger Liebe, Handküssen und zärtlichen Bitten auf der einen und schwachen Abweisungen auf der andern Seite.

Don Garcia, der plötzlich eintrat, unterbrach das Beieinander. Als Mann, den nichts in der Welt überrascht, tat er zunächst alles, um Doña Teresas Vertrauen zu gewinnen. Er pries ihren Mut und ihre Geistesgegenwart. Sodann bat er, sie möge bei ihrer Schwester ein gutes Wort für ihn einlegen, damit sie ihm einen geneigten Empfang bereite.

Doña Teresa versprach dies, hüllte sich wieder in ihre Mantilla und brach auf, nicht ohne die Zusage, sich am Abend im Verein mit ihrer Schwester an einem bestimmten Platz an der Promenade einstellen zu wollen.

Der Tebel hol mer, unsre Sache macht sich! triumphierte Don Garcia, wie sie allein waren. Euch hat niemand in Verdacht. Der Stadtrichter, übelgesinnt wie er gegen mich ist, tat zunächst mir die Ehre an, mich für den Übeltäter zu halten. Er sei überzeugt, hat er zu mir gesagt, daß kein andrer als ich dem Don Cristoval den Garaus gemacht habe. Gleichwohl hat sich seine Ansicht geändert. Wißt Ihr, warum? Weil man ihm hinterbracht hat, daß ich den ganzen gestrigen Abend in Eurer Gesellschaft verbracht habe. Ihr aber, verehrter Kommilitone, steht in einem derartigen Geruche von Gottwohlgefälligkeit, daß jedermann, der mit Euch verkehrt, etwas davon abkriegt. Wie dem auch sei, wir kommen also nicht in Frage. Die famose Tat der lieben Teresina hat alle Gefahr verscheucht. Doch denken wir nicht mehr daran, sondern lediglich an unser Vergnügen!

Lieber Garcia, rief Don Juan in seiner Zerknirschung, es ist betrübsam, den Mord an einem Mitmenschen auf dem Gewissen zu haben.

Der Tebel hole mer, lachte Don Garcia, wenn es nicht beträchtlich betrübsamer wäre, wenn die lieben Mitmenschen uns beiden an den Kragen gehen könnten. Und etwas Drittes übertrifft an Betrübsamkeit Eins und Zwei; das ist ein Tag ohne Mittagsmahl. Darum erlaube ich mir untertänigst, Euch für heute zum Festmahl einzuladen mit ein paar Lebenskünstlern, die sich überaus freuen werden, Eure Bekanntschaft zu machen.

Damit empfahl er sich.

Nun war es die Liebe, die unsres Helden bittere Reue mächtig milderte, und die Eitelkeit brachte sie vollends um.

Beim Mahl erfuhr Don Juan, wes Geistes Kind Don Cristoval gewesen war, ein ob seiner Tollkühnheit und Gewandtheit berüchtigter, den Studenten verhaßter Raufbold. Also rief sein Tod lediglich helle Freude hervor, und wie Don Garcia kundtat, daß Don Juan sein Überwinder sei, ward dieser mit Lob und Glückwünschen überschüttet. Man pries ihn als die Blüte, die Zierde, die Stütze der Hochschule von Salamanca. Begeistert leerten alle Anwesenden den Humpen auf sein Wohl, und ein Student aus Murcia dichtete aus dem Stegreif ein Sonett auf Don Juan, darin er mit dem Cid und Bernardo del Carpio rühmlichst verglichen ward.

Als Don Juan sich vom Tisch erhob, verspürte er zwar noch immer ein wenig Herzdruck, aber wenn es in seiner Macht gelegen hätte, Don Cristoval von den Toten wieder auferstehen zu lassen, so bleibt es gleichwohl zweifelhaft, ob er von seiner Wunderkraft Gebrauch gemacht hätte, zumal wenn ihm der Ruhm und die Ehre, den Don Cristoval umgebracht zu haben, dadurch wieder verloren gegangen wären.

Bei Anbruch des Abends kamen beide Teile pünktlich zum Stelldichein am Ufer des Tormes. Doña Teresa nahm Don Juan und Doña Fausta Don Garcia bei der Hand (damals reichte man den Damen noch nicht den Arm). Nachdem man etliche Male auf und ab lustgewandelt war, trennten sich beide Paare höchst befriedigt mit dem gegenseitigen Versprechen, sich bei erstbester Gelegenheit unbedingt wieder zu treffen.

Wie die beiden Kumpane die beiden Schwestern verlassen hatten, stießen sie auf ein paar Zigeunerinnen, die umschart von Studiosi unterm Schlag ihrer Tamburine tanzten. Juan und Garcia mischten sich in den Schwarm. Die Tänzerinnen gefielen Don Garcia, und er beschloß, sie zum Abendessen einzuladen. Kaum hörten die Damen die Einladung, so war sie auch schon angenommen. Als fidus Achates schloß sich Don Juan nicht aus. Eine der Zigeunerinnen hatte die Bemerkung getan, er sähe aus wie ein neubackener Klosterbruder, was ihn arg verdroß, so daß er nichts unterließ, um den Spötterinnen zu beweisen, daß diese Bezeichnung schlecht auf ihn passe. Er fluchte, spektakelte, spielte und soff an jenem Abend für seine Person mehr, als zwei Studenten in vier Semestern vollbringen. So war es keine leichte Mühe, ihn nach Mitternacht in seine Behausung zu schaffen. Er war mehr als stockbezecht und dermaßen aus dem Häuschen, daß er sich verschwor, er wolle Salamanca an allen vier Ecken anzünden und den Tormes bis auf den letzten Tropfen austrinken, um den Spießern die Brandlöschung unmöglich zu machen.

Also ging Don Juan nacheinander aller der ruhmverheißenden Eigenschaften verlustig, die er seiner guten Natur und seiner vortrefflichen Erziehung zu verdanken hatte. Nach drei Monaten, unter der Führung des Don Garcia in Salamanca verlebt, hatte er die arme Doña Teresa gänzlich verführt. Sein Gefährte war übrigens bereits acht Tage früher glücklicher Sieger.

Zuerst liebte Don Juan mit all der Leidenschaft, die ein junger Mann der ersten Frau, die sich ihm ergibt, zu widmen pflegt; doch sehr bald brachte ihm Don Garcia ohne viel Mühe bei, daß Beständigkeit eine imaginäre Tugend sei. Überdies dozierte er dem gelehrigen Jünger, daß, wenn er sich wider den studentischen Komment benähme, er Teresas guten Ruf schädige. Nur robuste, kümmerliche Liebe, so sagte er, begnüge sich mit einem einzigen Weibe. Dazu wirkte Don Juans schlechter Umgang, der ihm nicht einen Augenblick Ruhe ließ. In den Hörsälen zeigte er sich selten, und erschien er hin und wieder, so war er von den Ausschweifungen tags zuvor dermaßen müd und matt, daß er bei der Vorlesung der berühmtesten Professoren einschlief. Auf der Promenade freilich war er der erste und der letzte, und was die Nächte anbelangt, so brachte er die nicht Doña Teresa gewidmeten in der Schenke oder an noch übleren Orten zu.

Eines Morgens hatte er von besagter Dame ein Briefchen erhalten, des Inhalts, das ihm für die Nacht verheißene Beieinander sei zu ihrem Leidwesen unmöglich geworden. Eine alte Tante war nämlich in Salamanca eingetroffen, und man hatte ihr Teresas Zimmer eingeräumt, während diese bei ihrer Mutter schlafen sollte. Dieser Strich durch die Rechnung verursachte Don Juan keinen besondern Kummer, und er nahm sich für den Abend einfach etwas andres vor. Wie er mit solchem Vorhaben auf die Straße trat, händigte ihm ein vermummtes Weib ein Briefchen ein. Es war abermals von Doña Teresa. Sie hatte es fertig gebracht, ein andres Zimmer zu bekommen, und zusammen mit ihrer Schwester alles zum Stelldichein vorbereitet. Don Juan zeigte den Brief Don Garcia. Eine Weile schwankten sie; dann aber erklommen sie beide wie sonst den Balkon ihrer Geliebten.

Doña Teresa hatte am Busen ein höchst sonderbares Muttermal, und es war eine Gunstbezeugung allerersten Ranges, als Don Juan die Erlaubnis erhielt, es sich anschauen zu dürfen. In der ersten Zeit betrachtete er es als das reizendste Ding der Welt. Manchmal verglich er es mit einem Veilchen, manchmal mit einer Anemone und manchmal mit einer Wunderblüte aus Tausendundeiner Nacht. Aber es dauerte nicht lange, da war er dieses Males überdrüssig, und das tatsächlich allerliebste Dingelchen hörte auf ihn zu betören. Es ist ein großer schwarzer Fleck, sagte er sich seufzend, und weiter nichts! Schade, daß es nicht woanders sitzt! Sapperment, es sieht aus wie ein Stück Speckschwarte. Hols der Tebel! Ja, eines Tages fragte er Teresa, ob ihr der Arzt kein Mittel zur Beseitigung verschreiben könne, worauf das arme Mädel, bis zu den Haarwurzeln errötend, stammelte, kein Mann außer ihm habe den Fleck je erblickt, und überdies habe ihr die Amme stets gesagt, solche Muttermale wären Glückszeichen.

An diesem Abend war Don Juan mit ziemlich schlechter Laune zum Rendezvous gekommen, und wie er das Mal zu sehen bekam, dünkte es ihn größer denn je. Sapperment, sagte er bei sich, das Ding schaut aus wie eine Riesenratte! Es ist wahrhaft eine Monstrosität. Ein Kainszeichen. Nur wer den Satan im Leibe hat, nimmt sich solch ein Weib zur Liebsten.

Nun war er gänzlich ungenießbar, fing ohne Grund Streit mit der armen Teresa an, quälte sie zu Tränen und empfahl sich bei Morgengrauen, ohne sie berührt zu haben.

Don Garcia, der zugleich mit ihm aufgebrochen war, ging eine Weile stumm neben ihm her. Plötzlich blieb er stehen und sagte: Gestehe, Don Juan, heute nacht haben wir uns mordsmäßig gelangweilt! Ich wenigstens habe die Sache übersatt und verspüre Lust, meine Scharmante bei der ersten Gelegenheit in Gnaden zu entlassen.

Das wäre unrecht von dir, erwiderte Don Juan, sintemal deine Fausta ein entzückendes Weib ist, weiß wie ein Schwan und immer guter Dinge. Sie liebt dich über die Maßen. Kurz, du bist ein Sonntagskind!

Weiß wie ein Schwan, entgegnete Don Garcia, der Tebel hol mer, das ist sie. Das ist aber ihre einzige Farbe, und neben ihrer Schwester Teresa kommt sie mir vor wie eine Schleiereule neben der Taube. Du, du bist das Sonntagskind!

Na, na, meinte Don Juan. Die Kleine ist ganz nett, aber sich vernünftig mit ihr zu unterhalten, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Die Ritterromane haben ihr den Kopf vernagelt, und von der Liebe hat sie die verrücktesten Ansichten. Du hast keine Ahnung, wie anspruchsvoll sie ist.

Don Juan, du bist noch zu jung und verstehst es nicht, dir deine Liebste zu dressieren. Siehst du, die Weiber sind wie die Gäule. Läßt man ihnen eine Unart durchgehen, treibt man ihnen nicht jedwede Mucke aus, so wird man mit ihnen schließlich überhaupt nicht mehr fertig.

Sage mir, Don Garcia, behandelst du deine Geliebte wirklich wie deinen Gaul? Nimmst du die Peitsche, wenn sie ihre Mätzchen macht?

Selten. Ich bin ein zu guter Kerl. Der Tebel hol mer, da kommt mir ein Gedanke. Willst du mir deine Teresa abtreten? Ich mache mich anheischig: in vierzehn Tagen ist sie um den Finger zu wickeln. Du bekommst dafür Fausta. Willst du noch etwas bar heraushaben?

Der Handel wäre schon nach meinem Geschmack, meinte Don Juan lächelnd. Ob aber die Damen darauf eingehen? Doña Fausta wird niemals auf dich verzichten. Sie käme bei dem Tausch zu schlecht weg.

Du bist zu bescheiden, Don Juan! Und nicht gleich Pessimist sein! Ich habe Fausta gestern derart in Wut versetzt, daß ihr der Erstbeste im Vergleich zu mir wie der Engel des Lichts neben einem zur Hölle Verdammten erscheint. Ich sage dir dies allen Ernstes.

Don Juan lachte. Wenn Don Garcia ernst wurde, war er immer besonders spaßig.

Dies erbauliche Gespräch ward durch das Erscheinen einiger Studenten unterbrochen. Das brachte die Gedanken der beiden Gesellen in andere Richtung. Abends aber, als sie vor einer Flasche Montilla nebst einer Schüssel Austern aus Valencia saßen, begann Don Garcia von neuem über seine Geliebte zu klagen. Soeben hatte er von Fausta einen Brief bekommen voll zärtlicher Beteuerungen und sanfter Vorwürfe, der ihre Schelmerei und ihren Hang, jedem Ding die drollige Seite abzugewinnen, nicht verhehlte.

Lies einmal! sagte Don Garcia, indem er die Epistel dem Freunde vor die Nase hielt und maßlos dabei gähnte. Noch heute abend soll ich kommen. Der Tebel hol mer, wenn ich es täte!

Don Juan las das Brieflein. Er fand es allerliebst. Sapperment, sagte er, wenn ich eine Scharmante hätte wie du, ich wollte sie zum glücklichsten Weib auf Erden machen!

Wer hindert dich daran, verehrter Freund? rief Don Garcia. Nimm sie dir! Stille deines Herzens Begehr! Ich trete dir meine Rechte ab. Noch besser! (Er stand auf, wie von plötzlicher Eingebung ergriffen.) Spielen wir um unsere Geliebten! Hier sind Karten! Machen wir eine Partie Ecarté. Ich setze Doña Fausta und du Doña Teresa . . .

Ein toller Vorschlag! Don Juan hielt sich den Bauch vor Lachen, ergriff die Karten und mischte sie. Und obgleich er gar nicht aufpaßte, gewann er. Don Garcia, der sich über den Verlust der Partie offenbar wenig grämte, fragte, wie er es schriftlich geregelt haben wolle. Sodann füllte er eine Art Wechsel aus, auf dem Doña Fausta regelrecht angewiesen ward, sich dem Überbringer gänzlich zur Verfügung zu stellen, grad als hätte er seinen Vermögensverwalter angewiesen, einem Gläubiger hundert Dukaten auszuzahlen.

Belustigt bot ihm Don Juan Revanche, doch Don Garcia lehnte sie ab.

Wenn du den nötigen Mut hast, sagte er, so nimmst du meinen Mantel und steigst zu dem dir wohlbekannten Pförtchen. Du wirst Fausta allein finden, denn Teresa erwartet dich nicht. Folge ihr, ohne ein Wort zu reden! Bist du in ihrem Kämmerlein, so ist sie vielleicht einen Moment überrascht; ja, unter Umständen vergießt sie ein paar Tränen. Das darf dich nicht weiter stören; zu schreien wagt sie sicherlich nicht. Nun zeigst du meinen Zettel! Sagst ihr, ich sei ein Lump, ein Scheusal ohnegleichen, und was dir sonst gerade einfällt! Eine bequemere und raschere Art, sich an mir zu rächen, kann sie nicht finden, und der Tebel hol mer, wenn sie die schöne Gelegenheit nicht prompt am Schopfe faßt!

Bei jedem seiner ruchlosen Worte drang der Satan tiefer in Don Juans Herz, ihm zuflüsternd, daß das, was er bisher als vagen Scherz aufgefaßt hatte, köstliche Wirklichkeit werden könne. Er hörte auf zu lachen, und der Purpur der Wollust durchflammte sein Antlitz.

Wenn ich nur wüßte, sagte er, ob Fausta auf diesen Weibertausch eingeht?

Selbstverständlich! beteuerte der Wüstling. Kamerad, du bist wirklich Anfänger, wenn du glaubst, ein Weib könne schwanken zwischen einem Liebhaber, den sie schon ein halbes Jahr hat, und einem, der sich ihr soeben bietet. Vorwärts! Morgen seid Ihr Besitzer von beiden Schwestern. Ich zweifle nicht daran und bitte mir nur die eine Gunst und Gnade aus: vergönnt mir, daß ich zu meiner Entschädigung Teresa den Hof machen darf!

Wie er sah, daß Don Juan bereits mehr denn halb überredet war, fügte er hinzu: Entscheide dich, denn ich für meine Person verzichte auf das Rendezvous mit Fausta heut abend. Wenn du keine Lust dazu hast, so bekommt der dicke Don Fabrizzio diese Anweisung, und, der Tebel hol mer, dann ist sie die seine.

Beim Heiligen Sebastian, komme was will! rief Don Juan und steckte das Schriftstück in die Westentasche.

Zur Stärkung seines Mutes hob er den vollen Humpen und trank ihn mit einem Zuge leer.

Die Stunde nahte. Don Juan, den das Gewissen noch immer ein wenig plagte, trank Glas auf Glas, um es gänzlich unterzukriegen.

Endlich schlug die Glocke.

Don Garcia hing Don Juan seinen Mantel um und geleitete ihn bis zur Tür der Geliebten. Dort ließ er den gewohnten Pfiff ertönen und zog sich zurück, ohne die mindeste Reue ob der üblen Tat, die er beging, zu verspüren.

Gleich darauf öffnete sich das Pförtchen. Doña Fausta hatte bereits geraume Zeit gewartet.

Bist du es, lieber Garcia? fragte sie leise.

Ja, Liebste! erwiderte Don Juan noch leiser, indem er sein Gesicht in den Falten des weiten Mantels verbarg.

Er trat ein, und sowie die Tür wieder verschlossen war, stieg er mit seiner Führerin die dunkle Stiege hinauf.

Nimm den Zipfel meiner Mantilla! sagte Doña Fausta, und folge mir so sachte wie du kannst!

Nach wenigen Augenblicken befand er sich in Faustas Kämmerlein. Eine Ölfunzel erhellte es einigermaßen. Ohne Mantel und Hut abzulegen, verblieb Don Juan nahe der Tür. Noch wagte er nicht, sich erkennen zu lassen. Fausta betrachtete ihn eine Weile, ohne etwas zu sagen; dann ging sie mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu. Jetzt warf Don Juan den Mantel ab und machte die gleiche Bewegung.

Was sehe ich? Ihr seid's, Don Juan? rief Fausta. Ist Don Garcia krank?

Krank? Ei bewahre! erwiderte Don Juan. Er kann nicht kommen und schickt mich zu Euch.

O weh! klagte Fausta. Das betrübt mich sehr. Doch sagt! Ists eine Andere, die ihn abhält zu mir zu kommen?

Ihr wißt, er ist ein lockrer Vogel . . .

Wie wird sich Teresa freuen, unterbrach sie ihn. Das liebe Kind glaubte, Ihr kämt nicht mehr. Ich will sie benachrichtigen . . . Laßt mich durch!

Es hat keinen Zweck, sagte Don Juan.

Ihr schaut so sonderbar aus, Don Juan? Ihr habt mir Schlimmes mitzuteilen! Sprecht, redet! Ist Don Garcia irgendein Unglück widerfahren?

Um sich peinliche Worte zu ersparen, reichte Don Juan dem armen Mädchen Don Garcias infamen Zettel.

Sie las ihn hastig, ohne zunächst daraus klug zu werden. Darum las sie ihn abermals, noch im Zweifel, ob sie richtig läse. Don Juan beobachtete sie aufmerksam. Er sah, wie sie sich abwechselnd die Stirn wischte und die Augen rieb. Ihre Lippen zuckten; sie ward totenbleich. Und sie mußte das Papier mit beiden Händen halten; sonst wäre es zu Boden geglitten. Schließlich richtete sie sich mit der Kraft der Verzweiflung hoch auf und rief:

Das ist alles unwahr! Eine gräßliche Fälschung! Derlei hat Don Garcia nun und nimmer geschrieben!

Don Juan erwiderte: Ihr kennt seine Handschrift . . . Er weiß nicht, welch Kleinod er besessen hat, und ich, ich bin darauf eingegangen . . . weil ich Euch anbete.

Sie warf ihm einen Blick tiefster Verachtung zu, und mit der Aufmerksamkeit eines Advokaten, der ein gefälschtes Aktenstück vor sich zu haben vermeint, begann sie den Zettel zum dritten Male zu lesen. Ihre maßlos aufgerissenen Augen verschlangen geradezu das Papier. Hin und wieder entquoll ihnen eine dicke Träne, ohne daß die Wimpern zuckten, und floß die Wange hinab. Plötzlich aber lachte sie auf wie eine Irre und rief: Das ist ein Scherz! Nicht wahr, das ist ein Scherz? Don Garcia steht unten; gleich wird er hier sein?

Es ist durchaus kein Scherz, Doña Fausta, erklärte Don Juan. Und nichts ist wahrer als meine Liebe zu Euch. Ich wäre todunglücklich, wenn Ihr mir nicht glauben wolltet.

Elender! schrie Fausta. Wenn das wahr ist, was du sagst, dann bist du ein noch größerer Schurke als Garcia!

Die Liebe entschuldigt alles, schöne Fausta! Don Garcia ist Euch untreu. Tröstet Euch mit mir! Dort auf dem Bilde sehe ich Dionysos und Ariadne . . . Laß mich dein Dionysos sein!

Ohne ein Wort zu erwidern, ergriff sie ein Messer, das auf dem Tische lag, und stürzte mit erhobener Rechten auf Don Juan. Aber ihre Bewegung war ihm nicht entgangen. Er fiel ihr in den Arm, entwaffnete sie sonder Mühe, und dieweil er sich für befugt hielt, sie ob der Eröffnung der Feindseligkeit zu strafen, küßte er sie drei- oder viermal und versuchte sie auf den Diwan zu ziehen.

Doña Fausta war ein schwaches Weib, aber der Zorn verlieh ihr Kraft. Sie widerstand dem Angreifer und wehrte sich mit Händen, Füßen und Zähnen. Zuerst lachte Don Juan über etliche Stöße, die er erhielt, bald aber war seine Wut so groß wie seine Verliebtheit. Er drückte Fausta fest an sich, unbekümmert darum, ob er ihr die zarte Haut verletzte. Don Juan war ein grimmiger Streiter, der um jeden Preis Sieger sein wollte, und wenn er den Gegner dabei erdrückte.

Fausta nahm ihre Zuflucht zum letzten Mittel, das ihr blieb. Bis dahin hatte die weibliche Scham sie abgehalten, um Hilfe zu rufen; aber als sie merkte, daß sie nahe daran war, zu unterliegen, schrie sie, daß das ganze Haus hallte und schallte.

Don Juan merkte, daß es sich für ihn nicht mehr um einen erzwungenen Sieg handelte, daß er vor allem an seine eigene Rettung zu denken hatte. Er wollte Fausta zurückstoßen und die Tür gewinnen, aber die Wütende hielt ihn am Rockzipfel, und er kam nicht los. Schon vernahm er das Alarmgeräusch sich öffnender Türen. Tritte und Männerstimmen näherten sich. Es galt nicht eine Minute mehr zu verlieren.

Abermals machte er einen kräftigen Versuch, Doña Fausta abzuschütteln, doch sie hatte ihn so krampfhaft fest am Wams gepackt, daß er sich um sich selber drehte, ohne mehr erreicht zu haben als daß er woanders stand. Jetzt war Fausta nahe der Tür, die nach innen ging. Immer wieder stieß sie Schreie aus.

Da öffnete sich die Tür, und ein Mann, eine Hakenbüchse in der Hand, erschien auf der Schwelle. Ein Ausruf der Überraschung entfuhr ihm. Unverzüglich erfolgte ein Knall. Die Lampe erlosch, und Don Juan fühlte, wie sich Faustas Hände loslösten und etwas Warmes über die seinen rieselte. Fausta fiel; besser gesagt, sie glitt hin. Die Kugel hatte ihr das Rückgrat zerschmettert; ihr eigener Vater hatte sie, statt den Bedroher ihrer Ehre, gemordet.

Sowie sich Don Juan frei fühlte, stürmte er mitten durch den Pulverqualm zur Treppe. Zuerst erhielt er einen Kolbenschlag vom Vater, sodann einen Degenstich durch den ihm folgenden Lakaien. Weder dies noch jenes tat ihm viel an.

Mit dem blanken Degen suchte er sich Bahn zu brechen und dem Diener das Licht aus der Hand zu schlagen. Aus Schreck vor Don Juans entschlossener Miene wich letzterer zur Seite. Don Alonso von Ojeda aber, ein ungestümer und unerschrockener Mann, stürzte sich ohne Zaudern auf Don Juan. Der parierte einige Stöße, tatsächlich zunächst nur willens, sich zu verteidigen. Aber wie dies beim Fechten ist. Auf Verteidigung folgt Angriff; der Gegenstoß kommt wie von selber, unwillkürlich. Einen Augenblick später stöhnte Doña Faustas Vater laut auf und sank zu Tode verwundet nieder.

Kaum sah Don Juan seinen Weg frei, so flog er wie der Wind die Treppe hinab, durch die Haustür und hinaus auf die Gasse. Der Lakai, der um seinen sterbenden Herrn zu tun hatte, verfolgte ihn nimmer. Auf den Knall der Hakenbüchse war auch Doña Teresa herbeigeeilt. Angesichts der schauderhaften Szene sank sie neben ihrem Vater ohnmächtig hin. Ach, die andre Hälfte ihres Unglücks ahnte sie nicht!

Don Garcia saß bei der letzten Flasche Montilla, als Don Juan, kreidebleich und blutüberströmt, mit irren Augen, zerfetztem Wams und arg zerknitterter Halskrause in die Weinkneipe gestürmt kam, luftschnappend sich in einen Lehnstuhl warf und nach Worten rang. Sein Kumpan begriff, daß sich ein großes Malheur zugetragen haben mußte. Er ließ ihn dreimal tüchtig Atem schöpfen und fragte ihn sodann nach Näherem. Bei den ersten Worten war er im Bilde. Und da er seine Gemütsruhe nicht so leicht verlor, hörte er den stoßweisen Bericht des Freundes, ohne eine Miene zu verziehen, an. Wie der zu Ende war, füllte er ihm das Glas, schob es ihm zu und sprach:

Trink! Hast es nötig! Das ist eine böse Geschichte. Er trank einen ordentlichen Schluck und fuhr fort: Einen Vater töten, das ist ein ernster Fall. Zwar gibt es mannigfache Exempel und Beispiele. Man kann mit dem Cid anfangen. Dir fehlen nur leider Gottes die fünfhundert Mann, allesamt in weißen Kollern, allesamt nur dir vervettert und verschwägert, die dich vor den Schergen von Salamanca und der Sippschaft des Verblichenen schirmen und schützen . . . Doch beschäftigen wir uns vorerst mit dem Dringlichsten!

Er machte drei Rundgänge durch die Stube, um sein Gehirn in Schwung zu bringen.

In Salamanca, hob er sodann von neuem an, in Salamanca nach solch einem Skandal verbleiben zu wollen, wäre Blödsinn. Don Alonso von Ojeda war kein beliebiger Krautjunker, und der Lakai hat dich zweifellos erkannt. Und für den Moment zugegeben, du wärst unerkannt entronnen, so ist dein Ruf auf hiesiger Hochschule doch derart in die Binsen, daß man dir die Missetat des Unbekannten unfehlbar aufbürden wird. Der Tebel hol mer, du mußt fort, und je eher, desto besser! Du bist hier dreimal gelehrter geworden als es einem Gentleman aus gutem Hause ansteht. Nimm also Abschied von Minerva und versuche es ein wenig mit Mars! Bei ihm wirst du mehr Glück haben, denn du hast die nötige Anlage. In Flandern ist Krieg. Auf, töten wir Ketzer! Es gibt kein besser Mittel, unsere kleinen Sünden hienieden wieder gutzumachen. Amen! Meine Predigt ist zu Ende.

Das Wörtchen Flandern wirkte Wunder auf Don Juan. Spanien verlassen, sagte er sich, heißt zwar alles verlassen! Aber in den Gefahren und Strapazen des Krieges vergißt man das Andere. Nach Flandern, nach Flandern! jubelte er. Sterben wir in Flandern!

Von Salamanca bis Brüssel ist es weit, begann Don Garcia wieder in gewichtigem Ton, und bei deiner Lage wirst du guttun, möglichst bald abzureisen. Bedenke: wenn der Herr Stadtrichter dich erwischt, dürfte es dir schwer fallen, einen Feldzug anderswo mitzumachen als auf einer von S. M. Galeeren.

Nach weiterer, nicht lange mehr währenden Beratung mit seinem Vertrauten legte Don Juan kurz und bündig seine Studententracht ab. Er tauschte sie mit einer bordierten Lederjacke, wie sie die Herren Militärs damals trugen, setzte sich einen großen Hut mit herabgebogener Krempe auf und vergaß nicht, seinen Gürtel mit soviel Golddukaten zu füttern als Don Garcia hineinzustopfen vermochte.

Diese ganze Zurüstung dauerte nur wenige Minuten. Sodann machte er sich auf die Beine, schlüpfte ohne Behelligung durch das Stadttor und wanderte die Nacht hindurch bis weit in den Vormittag. Schließlich nötigte ihn die Sonnenglut, Rast zu machen.

In der ersten Stadt, durch die ihn sein Weg führte, kaufte er ein Pferd, schloß sich einer Karawane von Kaufleuten an und kam ohne Hindernis nach Zaragoza, woselbst er etliche Tage unter dem Namen Don Juan Carrasco verweilte.

Don Garcia, der Salamanca einen Tag später verließ, erreichte Zaragoza auf einer andern Straße. Lange hielten sie sich dort nicht auf. Nachdem sie im Vorübergehn in der Liebfrauenkirche ihre Andacht verrichtet, nicht ohne dabei mit den andalusischen Frauen zu liebäugeln, nahmen sie jeder einen guten Kammerdiener in Sold und begaben sich nach Barcelona, wo sie sich nach Civitavecchia einschifften.

Die Beschwerden der Reise, die Seekrankheit, das Neue um ihn sowie die ihm angeborne Leichtlebigkeit, alles das wirkte derart, daß Don Juan das Schreckliche seiner Vergangenheit rasch vergaß. Über den Ergötzlichkeiten, die den beiden Gefährten in Italien begegneten, setzten sie monatelang den eigentlichen Zweck ihrer Fahrt zurück. Wie ihnen aber das Geld knapper ward, gesellten sie sich einem Trupp von Landsleuten, die ebenso kriegslustig wie sie waren und noch weniger Schätze ihr eigen nannten. Man schlug den Weg nach Deutschland ein.

Schließlich erreichten sie Brüssel und ließen sich in einer Kompanie anwerben, deren Hauptmann ihnen besonders gefiel. Es war der Capitano Don Manuel Gomara, unter dem sie ihrer Feuertaufe entgegengehen wollten, einmal weil er Andalusier war und dann, weil es hieß, daß er nur zweierlei von seinen Soldaten verlangte, Mut und Waffen, die blankgeputzt und in Schuß waren. In Punkto Manneszucht galt er als höchst nachsichtig.

Befriedigt über ihre brave Haltung, behandelte Don Gomara die beiden Neulinge recht gut und durchaus nach ihrem Geschmack, das heißt, er verwendete sie bei allen gefährlichen Gelegenheiten. Fortuna war ihnen hold. Unternehmungen, die vielen Kameraden das Leben kosteten, bestanden sie mit heiler Haut, und so erregten sie die Aufmerksamkeit des Obristen und des Oberbefehlshabers. Die Folge war, daß sie am gleichen Tage beide zu Fähnrichen befördert wurden. Nunmehr, wo sie der Achtung und Gönnerschaft ihrer Vorgesetzten sicher waren, bekannten sie ihre wahren Namen und fingen ihre ehemalige Lebensweise wieder an; sie jeuten und zechten tagsüber, und nachts brachten sie in den Städten, wo sie im Winterquartier lagen, den hübschen Weibern Ständchen dar. Von zu Haus war ihnen Generalpardon zugegangen, was sie übrigens nicht sonderlich rührte, nebst Anweisung auf Kredit in einer Antwerpener Bank, wovon sie ausgiebig Gebrauch machten. Jung, begütert, tapfer und Draufgänger, wie sie waren, machten sie rasch zahlreiche Eroberungen. Sie im einzelnen zu erzählen, wäre zu weitschweifig. Es genüge dem Leser zu wissen, daß ihnen angesichts eines hübschen Weibes kein Mittel zu schlecht dünkte, um sie zu gewinnen. Versprechen und Schwüre waren den beiden schändlichen Wüstlingen Kleinigkeiten, und wenn Brüder oder Ehemänner an ihrer Taktik zu tadeln hatten, so gaben ihnen scharfe Klingen und kalte Herzen die Antwort.

Im Frühjahr begann der Krieg von neuem.

Bei einem Scharmützel, das für die Spanier übel ablief, ward der Hauptmann Gomara zu Tode verwundet. Don Juan, der ihn fallen sah, eilte zu ihm und rief einige Soldaten heran, damit sie ihn forttrugen; doch der treffliche Capitano rief unter Aufgebot seiner letzten Heldenkraft:

Laßt mich hier sterben! Ich fühle, es ist alle mit mir! Auf diesem Platze stirbt sich genau so gut wie eine halbe Stunde weiter hinten. Nehmt das Kommando! Eure Musketiere werden ordentlich zu tun haben, denn ich sehe, wie die Holländer in hellen Haufen anrücken . . . Jungens! fügte er hinzu, zu den Soldaten gewandt, die sich um ihn bemühten. Schart euch um eure Fähnriche und kümmert euch nicht um mich!

In diesem Augenblick kam auch Don Garcia. Auf seine Frage, ob der Capitano nicht einen letzten Willen habe, der nach seinem Tode vollstreckt werden solle, erwiderte selbiger:

Schockschwerenot! Was soll man sich in solchem Saumoment noch wünschen?

Er sann nach.

Niemals habe ich an den Tod gedacht, fuhr er sodann fort, und ich glaubte, er hätte lange Beine . . . Wie die Sache jetzt steht, wäre es mir nicht unlieb, wenn ein Priester zu mir käme. Man hat so mancherlei auf dem Gewissen. Aber die Herren Geistlichen sind samt und sonders ganz hinten beim Troß . . .

Nehmt mein Brevier! rief Don Garcia und reichte ihm seine Feldbouteille voll Rotspohn. Seht der Geschichte männiglich entgegen!

Die Augen des alten Landsknechts wurden immer trüber. Er überhörte Garcias lästerlichen Scherz; aber allen, die ihn hörten, war er doch ein wenig zu arg.

Don Juan, flüsterte der Sterbende, tritt näher, mein Sohn! Ich mache Euch zu meinem Erben. Nehmt diesen Säckel. Er enthält alle meine Habe. Besser, Ihr kriegt ihn als die verdammten Ketzer. Nur um das Eine bitte ich Euch. Laßt ein paar Messen für meine Seelenruhe lesen!

Mit einem Handdruck versprach es ihm Don Juan, während Don Garcia vor sich hinmurmelte: Der Tebel hol mer! Eine Memme, der in seinem letzten Stündlein anders denkt denn ehedem bei Spiel und Becher!

Etliche Kugeln, die vorübersausten, verkündeten den Ansturm der Holländer. Die Musketiere suchten ihre Plätze auf. Eilig nahm ein jeder Abschied vom Capitano und dachte nicht mehr an ihn. Es galt, den Rückzug in guter Form zu bewerkstelligen, was kein leicht Ding ist für eine erschütterte Kompanie auf verregneten Wegen und matten Beinen. Trotzdem gelang es. Die Holländer verzichteten auf nächtliche Verfolgung, ohne daß sie Fahnen erbeutet und unverwundete Gefangene gemacht hatten.

Hinterher, am Biwakfeuer, plauderten die beiden Freunde mit den Offizieren andrer Kompanien. Die Rede kam auf das überstandene Gefecht. Man bekrittelte die Befehle der Führung und wußte ganz genau, wie sie hätten sein sollen. Dann sprach man von den Toten und Blessierten.

Don Juan erklärte: Den Capitano Gomara werde ich mein Lebtag nicht vergessen. Das war ein tapferer Offizier, ein guter Kamerad und ein wahrer Vater seiner Musketiere.

Zweifellos! meinte Don Garcia. Nur muß ich gestehen, nichts hat mich mehr überrascht als seine Kümmernis, wie er keinen Schwarzrock sich zur Seite sah. Man pfeift auf die Seligkeit, solange man munter und guter Dinge ist, aber wenn es plötzlich ernst wird, da zeigt es sich, wer ein Maulheld war und wer als ganzer Kerl zu sterben weiß . . . Da fällt mir ein, der Hauptmann hat dir seine Geldkatze vermacht. Sag, was ist drin?

Don Juan öffnete sie – er hatte es bisher unterlassen – und zählte sechzig Goldfüchse.

Da wir nun Krösusse sind, sprach Don Garcia, der gewohnt war, unter Kameraden dem Mein und Dein keinen Unterschied beizumessen, sollten wir lieber ein kleines Spielchen machen statt gefühlsduslig um den toten Capitano zu flennen.

Der Vorschlag fand allgemeinen Beifall. Man schaffte eine große Trommel heran und breitete einen Mantel drüber. Das war der Spieltisch. Beraten von Don Garcia, übernahm Don Juan die gemeinsamen Einsätze. Ehe er das erstemal setzte, nahm er zehn Goldstücke aus dem Säckel, band sie in sein Schnupftuch und steckte sie in die Tasche.

Der Tebel hol mer! rief Don Garcia. Was soll das? Ein Soldat mit der Sparbüchse! Sapperment, ausgerechnet am Tage vor einer Schlacht!

Du weißt, Don Garcia, daß mir der Mammon nur zum Teil vermacht ist. Unser seliger Capitano hat ein Legat ausgesetzt – sub poenae nomine, wie wir in Salamanca zu sagen pflegten . . .

Der Tebel hol mer! rief Don Garcia. Ich glaube gar, du senkst die zehn Goldfüchse für den erstbesten Pfaffen, der uns über den Weg hüpft!

Warum nicht? Ich habs ihm versprochen.

Schweig! Beim Barte des Propheten, du machst mir Schande und, der Tebel hol mer, ich werde dich verleugnen!

Das Spiel begann. Zunächst sprang Frau Fortuna hin und her; bald aber kehrte sie Don Juan entschieden die Hinterseite zu. Es nutzte auch nichts, daß Don Garcia die Direktion übernahm, um das Glück zu zwingen. Binnen einer Stunde war alles Geld, das sie beide besaßen, dazu fünfzig Dukaten aus Don Manuels Vermächtnis, in die Kasse des Bankhalters geflossen. Don Juan wollte schlafen gehen, aber Don Garcia hatte einen heißen Kopf; er verlangte Revanche und wollte das Verlorene wiedergewinnen.

Heraus mit der Reserve, Herr Vorsichtsrat! Der Tebel hol mer, wenn uns die letzten paar Kröten kein Glück bringen!

Bedenke, Don Garcia, was ich versprochen habe!

Kindskopf du! Was schert uns die Messe? Wäre der Capitano hier, er ließe eher eine Kirche plündern als die Karten unbesetzt. Heraus mit dem Zaster!

Hier sind fünf Dukaten! sagte Don Juan. Setze sie aber nicht auf einmal!

Wenn schon, denn schon! erwiderte Don Garcia und schob alle fünf Goldstücke auf den König.

Er gewann, ließ Einsatz und Gewinn stehen – und verlor.

Der Tebel hol mer! rief er blaß vor Wut. Die letzten fünfe her!

Don Juan machte Einwände, die kein Gehör fanden. Er gab nach und rückte weitere vier Dukaten heraus, die das Schicksal ihrer Vorgänger fanden.

Fuchsteufelswild warf Don Garcia dem Bankhalter die Karten ins Gesicht und sprang auf.

Don Juan, rief er, du bist doch sonst kein Pechvogel, und du weißt, der letzte Taler ist der Hecktaler! Er wird's machen!

Don Juan war nicht minder aufgebracht. An den Hauptmann, Versprechen und Messe dachte er nicht mehr. Er setzte den letzten Dukaten auf das As. Im Handumdrehen war er weg.

Zum Kuckuck mit Gomaras Seligkeit! Ich glaube, sein Geld war verhext!

Der Bankhalter fragte, ob die Herren weiterspielen wollten; aber da Leute, die früh nicht wissen, ob sie abends noch am Leben sind, keinen Kredit genießen, so blieb ihnen nichts andres übrig als die Spieler zu verlassen und sich bei den Zechern zu trösten.

Des armen Capitano Seele war gänzlich vergessen.

Einige Tage darauf, nachdem Verstärkung eingetroffen war, wiederholten die Spanier ihren Angriff. Beim Vorrücken überschritt man den Kampfplatz von neulich. Die Toten waren noch unbegraben. Don Garcia und Don Juan gaben ihren Gäulen die Zinken, um von den Leichen wegzukommen, die Augen und Nase zugleich belästigten. Da stieß ein Musketier, der vor ihnen marschierte, beim Anblick eines Toten, der im Graben lag, einen lauten Schrei aus. Sie sahen hin und fanden den Hauptmann Gomara. Er war kaum noch erkennbar. Seine verzerrten, in gräßlichem Krampf erstarrten Züge verrieten, daß seine letzten Augenblicke qualvoll gewesen waren.

Obgleich Don Juan mit derartiger Augenweide vertraut war, konnte er sich des Schauderns nicht erwehren angesichts dieser Leiche, deren erloschene, von geronnenem Blut erfüllte Augen starr und drohend auf ihn gerichtet waren. Er erinnerte sich an des armen Hauptmanns letzten Wunsch, den zu erfüllen er arg versäumt hatte. Zu seinem Glück war sein Herz dermaßen verhärtet, daß die Reue nicht lange währte. Sofort ließ er ein Grab schaufeln und den Hauptmann bestatten. Zufällig war ein Kapuziner in der Nähe, der rasch ein Gebet sprach. Der Tote ward mit Weihwasser besprengt. Dann warf man Erde und Steine über ihn.

Schweigsamer denn zuvor setzten die Musketiere den Vormarsch fort. Don Juan sah, wie ein alter Landsknecht lange in seiner Tasche wühlte, endlich einen Taler fand und ihn dem Kapuziner mit den Worten reichte: Hier! Lest dem Capitano Gomara eine Messe!

An diesem Tage war Don Juan besonders tapfer. Er setzte sich dem feindlichen Feuer dermaßen aus, daß es hieß, er suche den Heldentod. Mit leerem Beutel, meinte man, verrichtet man Wunderdinge!

Bald nach dem Tode des Hauptmanns Gomara war ein Rekrut in die Kompanie eingestellt worden, offenbar ein unerschrockener und zielbewußter Mann, aber verschlossner und tückischer Natur. Nie sah man ihn mit seinen Kameraden zechen oder spielen. Stundenlang hockte er auf einer Pritsche der Wachtstube, betrachtete die Fliegen oder spielte mit dem Hahn seiner Hakenbüchse. Die Soldaten, die ihn ob seiner Duckmäuserei hänselten, hatten ihm den Spitznamen Modesto gegeben. So hieß er in der Kompanie, und sogar seine Vorgesetzten nannten ihn nicht anders.

Der Feldzug schloß mit der Belagerung von Berg-op-Zoom, die bekanntlich mörderisch wie keine andre in jenem Kriege war, da sich die Belagerten auf das Erbittertste verteidigten. Einmal nachts hatten die beiden Freunde Dienst im Laufgraben, der dem Feinde schon so nahe war, daß der Posten als höchst gefährlich galt. Die Belagerten machten häufig Ausfälle, und ihr wohlgezieltes Feuer ruhte nie.

Der erste Teil der Nacht verging unter dauernden Beunruhigungen. Dann schien es, als seien beide Gegner in gleichem Maße ermattet. Hüben wie drüben hörte die Schießerei auf, und tiefe Stille verbreitete sich über die ganze Ebene. Einzelne Schüsse, die sie hin und wieder unterbrachen, hatten weiter keinen Zweck, als zu zeigen, daß man auch in der Kampfpause wohl auf der Hut war. Es war ungefähr vier Uhr morgens. Das ist die Zeit, um die einem nach durchwachter Nacht die Kälte besonders zusetzt; zugleich fühlt man sich seelisch bedrückt infolge von Ermattung und Schläfrigkeit. Jeder ehrliche Soldat gibt zu, bei solcher geistigen wie körperlichen Schwäche Anwandlungen gehabt zu haben, deren er sich nach Sonnenaufgang schämen mußte.

Der Tebel hol mer! rief Don Garcia, indem er Laufschritt auf der Stelle machte, um sich warm zu kriegen, und zog seinen Feldmantel fester um die Wampe. Mir ist zumute, als gerönne das Mark in meinen Knochen zu Eis. Wenn jetzt ein holländisch Knäblein käme, mit nichts denn einem Bierkrügel bewaffnet, ich glaube, es schlüge mich kurz und klein. Sapperment, ich kenne mich nicht mehr. Soeben hat mich ein Hakenbüchsenschuß zum Zitteraal gemacht. Der Tebel hol mer, wäre ich ein frommer Bursche, ich würde nicht verfehlen, den kuriosen Zustand, in dem ich mich da sehe, als einen Wink von oben anzuschaun.

Wer auch zugegen war, insbesondere Don Juan, war baß erstaunt, Don Garcia vom Himmelreiche reden zu hören, da er es sonst sehr wenig beachtete, und wenn er davon Notiz nahm, es in Spott und Hohn zu geschehen pflegte. Wie er nun wahrnahm, daß etliche bei seinen Worten lächelten, blies ihm die Eitelkeit das Lebenslicht einigermaßen wieder hoch, und er sprach:

Zumindest bitte ich mir aus, daß sich kein Kavalier beifallen läßt zu glauben, ich fürchtete mich vor den Holländern, vor Gott oder vorm Tebel, ansonsten würden wir nach erfolgter Ablösung aus dem Graben ein regelrecht Wörtlein miteinander reden.

Für die Holländer mag das gelten, meinte ein graubärtiger Hauptmann, dem ein Rosenkranz am Degen bammelte, was aber Gott und den Teufel anbelangt, so darf sie auch ein Kriegsmann respektieren.

Was können die beiden einem anhaben? fragte Don Garcia. Kein Blitz aber trifft so prompt wie eine protestantische Hakenbüchse.

Und Eure Seele? fragte der alte Haudegen, der sich bei so abscheulicher Gotteslästerung bekreuzte.

Larifari! Was meine Seele anbelangt . . ., erst möchte ich den Beweis sehen, daß man wirklich so ein Ding besitzt. Woher stammt der törichte Glaube, man habe eine Seele? Von den Pfaffen. Natürlich, denn diese Einrichtung verschafft ihnen so schöne Leibrenten, daß sie zweifelsohne ihre Urheber sind, genau so wie die Kuchenbäcker die Erfinder der Punschtorte sind, weil sie damit Geld verdienen.

Don Garcia, es wird ein schlechtes Ende mit Euch nehmen! mahnte der alte Hauptmann. Solche Reden soll man im Laufgraben nicht halten.

Im Laufgraben wie überall sage ich, was ich denke. Aber jetzt halte ich das Maul, denn meinem Kameraden Don Juan wird sogleich der Hut vom Haupte fallen, so sehr sträuben sich ihm die Haare. Der liebe Kerl glaubt nicht bloß an die Seele; er glaubt auch an die Seelen im Fegefeuer.

Don Juan lachte.

Ich bin kein Freigeist, erwiderte er, und zuweilen beneide ich dich um deine erhabene Wurstigkeit vor den Dingen des Jenseits. Auf die Gefahr hin, daß du dich über mich lustig machst, will ich eingestehen, daß es Augenblicke gibt, in denen mir vor dem, was man von den Verdammten in Hölle und Fegefeuer berichtet, ganz schauderhaft gruselt.

Der beste Beweis für die geringe Macht des Satans liegt allein darin, daß du noch leibhaft und lebendig im Laufgraben stehst. Sapperment, meine Herren . . . fügte Don Garcia hinzu, indem er Don Juan auf die Schulter klopfte . . . gäbe es den Tebel, er hätte diesen Bruder hier längst geholt. So jung er ist, ich sage Euch, er ist aller Welt schlimmster Sünder. Er hat mehr Weiber ins Unglück gestürzt und mehr Männer auf die Bahre gebracht, als es zwei Franziskaner und zwei Bravi aus Valencia zusammen je vermögen . . .

Wie er so redete, flog eine Büchsenkugel durch den Graben von der spanischen Seite her. Don Garcia fuhr mit der Hand nach der Brust und schrie: Der Tebel hol mer; ich bin verwundet!

Er taumelte, und schon sank er hin. Man sah, daß einer von dannen lief, aber die Dunkelheit entzog ihn alsbald den Leuten, die ihm nachsetzten.

Garcias Wunde war todbringend. Der Schuß war aus der Nähe abgegeben worden und das Gewehr mit mehreren Kugeln geladen gewesen. Aber die Charakterstärke des hartgesottenen Sünders verleugnete sich keinen Augenblick. Wer ihm vom Beichten sprach, bekam eine grobe Abfuhr.

Zu Don Juan sagte er: Ein Ding nach meinem Tode ist mir speifatal, nämlich, daß die Kapuziner dir einreden werden, das sei Gottes Strafgericht. Du mußt doch zugeben: nichts ist natürlicher, als wenn ein Soldat im Laufgraben einen Schuß abkriegt. Man sagt, der Schuß sei von unsrer Seite her gekommen. Wahrscheinlich war es ein rachegieriger Eifersüchtiger, der mich umgebracht hat. Solltest du den Meuchelmörder erwischen, so häng ihn ohne Federlesen auf! Höre mal, Don Juan! Ich habe zwei Scharmanten in Antwerpen, drei in Brüssel und etliche, ich weiß nicht gleich wo. Das Gedächtnis verläßt mich. In Ermanglung andrer Schätze vermache ich dir diese . . . Nimm auch meinen Degen . . . und vergiß vor allem den Stoß nicht, den ich dich gelehrt habe . . . Lebe wohl! Laß keine Messen für mich lesen . . . dafür gib den Kameraden nach meiner Beerdigung ein anständiges Zechgelage . . .

Das ungefähr waren seine letzten Worte. Der liebe Gott und das Jenseits kümmerten ihn so wenig wie ehedem im vollen Leben. Er starb mit einem Lächeln um den Mund; die Eitelkeit verlieh ihm die Kraft, die abscheuliche Rolle, die er so lange gespielt hatte, zu Ende zu führen.

Modesto war und blieb verschwunden. Jedermann im Heere war überzeugt, daß er Don Garcias Mörder war; nur über den Anlaß dieses Attentats war sich keiner klar.

Don Juan war trauriger, als er es beim Tode eines Bruders gewesen wäre. Er sagte sich (welch ein Tor!), daß er dem Hingegangenen alles zu verdanken habe, hatte er ihn doch in die Mysterien des Lebens eingeweiht, ihm die Welt unverschleiert gezeigt.

Was war ich, ehe ich Garcia kannte? fragte er sich, und seine Selbstgefälligkeit redete ihm ein, jetzt sei er ein Mensch, allen andern überlegen. Mit einem Worte, all das Schlechte und Schlimme, dem dieser Gottesleugner ihn nahegebracht hatte, verwandelte er ins Gute, und er war darob dankbar wie ein Schüler recht und billig seinem Lehrmeister.

Der trübe Schatten seines Todes lastete lange auf seinem Gemüt und veranlaßte ihn, mehrere Monate hindurch ein andres Leben zu führen. Aber allmählich kehrte er zu seinen alten Gewohnheiten zurück; sie waren allzu fest eingewurzelt, als daß ein unglückliches Ereignis sie hätte völlig tilgen können. Von neuem gab er sich dem Trunk und dem Spiele hin; wie zuvor karessierte er die Weiber und schlug sich mit den Ehemännern. Tag um Tag erlebte er neue Abenteuer. Heute war es eine Bresche, die er erstieg; morgen ein Balkon, den er erklomm; bei Morgengraun focht er mit Kavalieren seine Händel aus, und beim Sternenschimmer zechte er mit Dirnen.

Inmitten dieses tollen Daseins erfuhr er, daß sein Vater gestorben war. Seine Mutter hatte ihren Gemahl nur um etliche Tage überlebt, so daß er die beiden Todesnachrichten zugleich erhielt. Die Verwalter rieten ihm, und dies dünkte auch ihn das beste, nach Spanien zurückzukehren und sein großes Erbe in Besitz zu nehmen. Gerichtliche Schwierigkeiten wegen des Todes von Don Alonso von Ojeda, dem Vater der Doña Fausta, hatte er nicht mehr zu befürchten. Er hielt diese Angelegenheit für völlig erledigt. Dazu kam, daß er Lust verspürte, sich an einem größeren Schauplatze zu betätigen. Er dachte an die Herrlichkeiten von Sevilla und an die zahlreichen Schönen, die unbedingt längst auf seine Heimkehr warteten, um seine Opferbeute zu werden.

Also zog er den Feldrock aus und brach gen Spanien auf. Einige Zeit verweilte er in Madrid, erregte bei einem Stierkampfe durch sein reiches Kostüm und seine große Geschicklichkeit allgemeines Aufsehen. Auch machte er einige Eroberungen, aber er blieb nicht lange dort. In Sevilla angelangt, verführte er jung und alt, hoch und niedrig durch den Prunk und die Pracht, die er entfaltete. Tag für Tag gab er Feste, zu denen er die schönsten Damen von Andalusien einlud. Tag für Tag spendierte er in seinem prächtigen Palaste neue Vergnügungen und endlose Orgien. Er ward der König einer Schar von Wüstlingen, die, gegen jedweden andern ohne Rand und Band, allein ihm gehorchten mit jener Ergebenheit, die unter Bösewichtern nicht selten ist. Schließlich gab es keine Ausschweifung mehr, der er sich nicht ergeben hätte, und da ein reicher Sünder niemals bloß sich selber gefährlich ist, so verdarb sein böses Beispiel die andalusische Jugend, die ihn vergötterte und zum Musterbild erhob. Wenn die Vorsehung sein wüstes Tun und Treiben noch länger geduldet hätte, so wäre ein Feuerregen nötig gewesen, um Sevilla von der Zuchtlosigkeit und all den Übeltaten wieder zu reinigen.

Eine Krankheit, die Don Juan mehrere Tage aufs Bett warf, brachte ihm keine innere Einkehr; im Gegenteil, er bat den Arzt, ihm die Gesundheit wieder zu verschaffen, lediglich um neuen Tollheiten entgegenzugehen.

Während seiner Genesung vergnügte er sich damit, eine Liste aller Frauen aufzustellen, die er je verführt, unter Angabe ihrer rechtmäßigen Besitzer, denen er Hörner verehrt hatte. Diese Liste war übersichtlich angeordnet in zwei Kolumnen nebeneinander. In der einen standen die Namen der weiblichen Wesen mit kurzgefaßtem Personalbericht; in der andern die Namen der Ehemänner und so weiter. Es war keine leichte Mühe für Don Juan, sich aller der Unglücklichen zu entsinnen, und man darf wohl sagen, das Register war bei weitem nicht vollständig.

Eines Tages zeigte er die Liste einem Freunde, der ihn besuchte. Da ihm seinerzeit in Italien eine Dame ihre Gunst geschenkt hatte, die sich zu rühmen wagte, sie sei die Liebste Seiner Heiligkeit, so eröffnete ihr Name das Verzeichnis, und des Papstes Name glänzte zu oberst in der Hahnrei-Liste. Ihm folgten ein Fürst, etliche Herzöge, mehrere Marchesen und so weiter bis hinab zu Krämern und Handwerkern.

Du siehst, Verehrter, erklärte Don Juan, keiner hat mir zu entrinnen vermocht, vom Papst bis zum Schustermeister. Es gibt keine Klasse, die mir ihren Tribut nicht entrichtet hätte!

Don Torribio (so hieß der Freund) studierte das Register und gab es ihm mit der süffisanten Bemerkung zurück: Nicht komplett!

Was, nicht komplett? fragte Don Juan erstaunt. Wer fehlt auf meiner Liste?

Der liebe Gott! erwiderte Don Torribio.

Der liebe Gott? Sapperment, du hast recht! Es ist keine Nonne darunter. Doch bei meiner Ehre als spanischer Edelmann, Freund, ich schwöre dir, ehe vier Wochen dahin sind, soll der liebe Gott auf dieser Liste stehen vor dem Herrn Papst, und wir beiden werden regelrecht mit zwei veritablen Nonnen soupiert und karessiert haben. Sage einmal, in welchem Kloster von Sevilla gibt es die hübschesten Exemplare?

Wenige Tage darauf begann Don Juan seine Jagd. Er wurde Stammgast in den Kirchen aller Frauenklöster, und er kniete ganz dicht am Gitter, das die Bräute des Herrn von den weltlichen Frommen trennt. Von dort aus warf er seine schamlosen Blicke auf die scheuen Jungfrauen wie ein Wolf, der in eine Hürde eingedrungen ist und sich das fetteste Schaf zum nächsten Leckerbissen aussucht.

Es dauerte nicht lange, da hatte er in der Kirche Unsrer Frauen mit dem Rosenkranze eine junge Nonne von entzückender Schönheit erspürt, deren Antlitz durch einen Zug tiefer Schwermut besonders scharmant wirkte. Nie blickte sie auf, und sie sah nicht nach rechts und nicht nach links, versunken in das heilige Mysterium, das man vor ihr zelebrierte. Ihre Lippen bewegten sich sacht, und es war unverkennbar, daß sie mit mehr Andacht und Inbrunst betete als alle andern Schwestern.

Ihr Anblick rief in Don Juan alte Erinnerungen wach. Es war ihm, als habe er dies schöne Weib irgendwo schon einmal gesehen; aber es war ihm unmöglich, sich an Ort und Zeit zu erinnern. So viel Frauenbildnisse hingen, mehr oder minder verblaßt, in seinem Gedächtnisse.

An zwei Tagen hintereinander kam er wieder, setzte sich jedesmal dicht ans Gitter, brachte es aber nicht zuwege, daß Schwester Agathe (so hieß sie, wie er erfahren hatte) die Augen aufschlug.

Die Schwierigkeit, ein durch seine Lebenslage und Zurückhaltung so wohlgehütetes junges Geschöpf zu erobern, verstärkte Don Juans heißes Begehren. Sich ihr nur bemerklich zu machen, war ihm schon ebenso schwer wie wichtig. In seiner Eitelkeit wähnte er, Schwester Agathens Augenmerk auf sich zu ziehen, sei bereits halber Sieg.

Um zu erreichen, daß die Schöne die Augen aufschlug, verfiel er auf folgendes Mittel. Ihr so nahe wie möglich kniend, benutzte er den Augenblick, wo die Hostie hochgehoben wird und sich alles niederwirft, um die Hand durch die Gitterstäbe zu stecken und vor die Betende den Inhalt eines mitgebrachten Fläschchens Peau d'Espagne hinzugießen. Der starke Geruch, der sich plötzlich verbreitete, veranlaßte die junge Nonne, das Haupt zu erheben, und da sich Don Juan ihr gerade gegenüber aufgepflanzt hatte, so mußte sie ihn bemerken.

Zunächst zeigte ihre Miene lebhaftes Erstaunen, sodann ward sie totenbleich. Sie stieß einen schwachen Schrei aus und sank ohnmächtig auf die Steinfliesen. Ihre Gefährtinnen bemühten sich um sie und trugen sie in ihre Zelle.

Höchlichst zufrieden zog sich Don Juan zurück.

Diese Nonne ist allerliebst, sagte er zu sich. Je öfter ich sie sehe, um so klarer wird es mir: sie muß auf meine Liste kommen.

Anderntags war er pünktlich zur Messe wieder am Gitter. Aber Schwester Agathe saß nicht auf ihrem gestrigen Platze in der ersten Reihe der Nonnen, sondern hinter ihren Genossinnen, geradezu versteckt. Gleichviel bemerkte Don Juan, daß sie öfters verstohlen auf blickte, woraus er die seiner Leidenschaft günstige Schlußfolgerung zog: die Kleine hat Angst vor mir; ich kriege sie bald kirre.

Als die Messe zu Ende war, sah er, daß sie nach einem der Beichtstühle ging; auf dem Wege dahin kam sie am Gitter vorüber, wobei sie wie aus Versehen ihren Rosenkranz fallen ließ. Don Juan war viel zu erfahren, als daß er an ein zufälliges Verlieren geglaubt hätte. Zuerst hatte er den Gedanken, es sei richtig, den Rosenkranz sofort an sich zu nehmen, aber er lag jenseits des Gitters, und um ihn aufzuheben, mußte er warten, bis alle Welt die Kirche verlassen hatte. Darauf wartend, lehnte er sich an einen Pfeiler in nachdenklicher Haltung, indem er eine Hand über die Augen hielt, jedoch die Finger etwas gespreizt, um alle Bewegungen der Schwester Agathe genau beobachten zu können. Wer ihn so sah, hielt ihn für einen braven, in frommes Sinnen versunkenen Christen.

Die Nonne verließ den Beichtstuhl und schritt nach dem Innern der Kirche; da bemerkte sie, vielmehr tat sie so, als bemerke sie den Verlust ihres Rosenkranzes. Sie schaute sich nach allen Seiten um und sah, daß er am Gitter lag. Da ging sie zurück und bückte sich, um ihn aufzuheben. In diesem Augenblick nahm Don Juan wahr, daß sich etwas Weißes unter dem Gitter vorschob. Es war ein kleiner, viermal gefalteter Zettel. Alsbald zog sich die Nonne zurück.

Rascheren Erfolg zu haben als er erwartete, war dem Wüstling geradezu schmerzlich. Gleichwohl hob er den Zettel auf und verließ die Kirche. Liebesbriefe pflegte er in Behaglichkeit zu lesen. Dieser lautete folgendermaßen:

Du, Don Juan? Also hast Du mich nicht vergessen? Ich war sehr unglücklich, aber allmählich hatte ich mich in mein Los gefügt. Nun bin ich hundertfach unglücklicher. Ich müßte Dich hassen, denn Du hast das Blut meines Vaters vergossen! Doch ich kann Dich weder hassen noch vergessen. Habe Erbarmen mit mir! Komme nicht wieder in dies Gotteshaus! Es bereitet mir zuviel Leid. Leb wohl, leb wohl! Für die Welt bin ich tot. Teresa.

Die Teresita, Sapperment! sagte sich Don Juan. Es war mir immer so, als hätte ich sie schon irgendeinmal gesehen.

Und er las den Zettel zum zweiten Male:

Ich müßte Dich hassen . . . das heißt: Ich sehne mich nach dir! – Du hast das Blut meines Vaters vergossen . . . Ximene sagt dasselbe zu Don Rodrigo! – Komme nicht wieder in dies Gotteshaus . . . das heißt: Ich erwarte dich morgen! Gut! Sie ist mein.

Er ging zum Mittagsmahle.

Am folgenden Tage stellte er sich pünktlich in der Liebfrauenkirche ein, ein fertiges Briefchen in der Tasche. Aber zu seiner großen Verwunderung blieb Schwester Agathe aus. Die Messe dünkte ihm greulich lang. Er war fuchsteufelswild. Nachdem er Teresas Zimperlichkeit eintausendunddreimal verwünscht hatte, machte er einen Spaziergang am Ufer des Guadalquivirs, um sich das Weitere zu überlegen. Danach tat er dies.

Das Kloster Unsrer Lieben Frauen mit dem Rosenkranze war unter Sevillas Klöstern berühmt wegen der vorzüglichen eingemachten Früchte, die von den Schwestern hergestellt wurden. Don Juan begab sich nach dem Sprechraume, fragte nach der Pförtnerin und ließ sich die Verkaufsliste der eingemachten Früchte geben.

Habt Ihr Zitronen à la Maraña?

Zitronen à la Maraña? wiederholte die Laienschwester. Herr Kavalier, von dieser Konfitüren-Sorte höre ich das erstemal in meinem Leben.

Man hat sie überall, log Don Juan, und es wundert mich, daß man sie hier nicht in Menge macht.

Zitronen à la Maraña?

A-la-Ma-ra-ña, buchstabierte Don Juan. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß eine oder die andre der verehrungswürdigen Klosterdamen das Rezept kennt. Stellt gütigst Nachfrage an, Schwester! Ich werde morgen wiederkommen.

Wenige Minuten später war im Kloster Unsrer Frauen vom Rosenkranze von nichts die Rede als von Zitronen à la Maraña. Die Konfitürenkundigsten hatten nie davon vernommen. Einzig und allein Schwester Agathe kannte die Bereitung. Man müsse Rosenwasser, Kirschenessenz und so weiter dazutun. Sie übernahm die Sache.

Als Don Juan wieder erschien, ward ihm ein Topf Zitronen à la Maraña dargereicht. Das Zeug schmeckte abscheulich, aber unter dem Deckel des Topfes fand sich ein Brieflein von Teresa. Es enthielt abermals die Bitte, von ihr zu lassen und sie zu vergessen.

Das liebe Kind machte sich da etwas vor. Die Religion, die Kindespflicht und die Liebe stritten sich im Herzen der Unglücklichen; schon aber begann die Leidenschaft zu siegen.

Anderntags schickte Don Juan einen Pagen mit einem Kistchen Zitronen ins Kloster mit der Bestellung, ihm diese Früchte à la Maraña zu bereiten, genau der gestrigen Probe entsprechend.

Auf dem Boden der Kiste lag verschmitzt versteckt die Antwort auf Teresas Briefchen. Darin stand:

Ich bin sterbensunglücklich. Ein unselig Verhängnis hat meinen Arm geführt. Seit jener Schreckensnacht habe ich nicht aufgehört, an Dich zu denken. Daß Du mich nicht hassest, das habe ich nie zu hoffen gewagt. Nun habe ich Dich doch wiedergefunden. Rede nicht von Deinem Gelübde! Ehe Du Dich dem Himmel verlobtest, warst Du die Meine. Dein Herz gehörte mir, Du durftest nicht darüber verfügen. Ich kann nicht auf ein Gut verzichten, das mir teurer ist als mein Leben. Entweder gehe ich zugrunde, oder Du gibst mir wieder, was mein ist! Morgen werde ich im Sprechraum nach Dir fragen. Ich habe nicht gewagt, dies zu tun, ohne Dich zuvor in Kenntnis zu setzen, denn ich fürchtete, Deine Verwirrung könne Dich verraten. Wappne Dich mit Mut! Sage mir, ob die Pförtnerin gewonnen werden kann.

Zwei Wassertropfen, geschickt auf das Papier praktiziert, stellten die heißen Zähren vor, die der Briefschreiber angeblich vergossen hatte.

Einige Stunden später brachte ihm der Klostergärtner Antwort und bot ihm seine Dienste an. Die Pförtnerin sei unbestechlich; Schwester Agathe willige ein, in den Sprechraum zu kommen, unter der Bedingung, daß es zum Abschied auf immer sei.

Die unglückliche Teresa erschien im Sprechraume mehr tot als lebendig. Sie mußte sich mit beiden Händen am Gitter festhalten. Gelassen und gefühllos weidete sich Don Juan an der Verwirrung, in die er sie gestürzt. Um die Pförtnerin zu täuschen, sprach er anfangs in harmlosem Tone von den Freunden, die Teresa in Salamanca zurückgelassen hatte, und von denen er Grüße brachte. Dann benutzte er einen Augenblick, wo die Hüterin abwesend war, um Teresa zuzuflüstern:

Ich bin entschlossen, alles zu versuchen, um dich zu befreien, und wenn ich das Kloster anzünden müßte, ich setze es in Flammen. Keine Einwände! Du gehörst mir. Binnen wenigen Tagen bist du die Meine, oder ich gehe unter. Aber zugleich mit mir werden viele untergehen . . .

Schon kam die Pförtnerin wieder. Doña Teresa rang nach Atem; sie brachte kein Wort hervor. Indessen redete Don Juan in gleichgültigem Tone von Eingemachtem und von den Nadelarbeiten der Nonnen. Er verhieß der Pförtnerin einen in Rom geweihten Rosenkranz und dem Kloster ein Brokatgewand, damit die hehre Patronin der Nonnen an ihrem Festtage eines anständigen neuen Kostüms nicht entbehre.

Nach einem halbstündigen Gespräch dieser Art grüßte er die Schwester Teresa voll Würde und Ehrerbietung und ließ sie in einem Zustande unbeschreiblicher Erregung und Verzweiflung zurück. Eilends schloß sie sich in ihre Zelle ein. Ihre Hand, die ihr folgsamer war als ihre Zunge, brachte eine lange Epistel zu Papier, erfüllt von Vorwürfen, Bitten und Klagen. Dabei konnte sie nicht umhin, ihre Liebe einzugestehen; sie entschuldigte sich mit dem Gedanken, diese Sünde sei dadurch gesühnt, daß sie sich dem Geliebten versage.

Der Gärtner, der den frevlerischen Briefwechsel besorgte, brachte alsbald Antwort. Don Juan drohte weiterhin mit dem Äußersten. Er habe hundert Bravi in seinem Dienst. Er schrecke selbst vor Sakrileg nicht zurück. Mit Freuden wolle er sterben, wenn er nur noch einmal die Geliebte in seine Arme geschlossen habe.

Kann sich ein schwaches Mädchen eines angebeteten Mannes erwehren? Teresa weinte alle Nächte hindurch, und tagsüber vermochte sie nicht einmal zu beten. Don Juans Bild verfolgte sie allerwegen. Auch wenn sie mit ihren Genossinnen der Andacht oblag, vollführte wohl ihr Leib wie ein Automat die Bewegungen einer betenden Person, aber ihr Herz lebte und webte in der unseligen Leidenschaft.

Nach ein paar Tagen hatte sie keine Kraft mehr zum Widerstand. Sie vermeldete dem Geliebten, sie sei zu allem bereit. Wie es auch kommen mochte, sie hielt sich für verloren, und wenn sie Sterben gegen Sterben erwog, so zog sie den Untergang vor, der ihr noch einmal einen Moment des Glücks bot.

Don Juan war voll der höchsten Freude. Alles ward nun zur Entführung gerüstet. Er wählte eine mondlose Nacht. Der Gärtner brachte Teresa eine seidne Strickleiter, mit der sie über die Gartenmauer des Klosters kommen sollte. An einer bestimmten Stelle im Garten werde sie ein Paket mit einem Straßenkleide finden, denn in Nonnentracht könne sie natürlich im Freien nicht erscheinen. Don Juan warte vor der Mauer. Unweit davon stünde ein Wäglein, gezogen von kräftigen Maultieren, das sie rasch nach einem Landhause brächte. Jeder Verfolgung entrückt, warteten ihrer ebendaselbst friedsame und glückliche Tage bei dem Geliebten.

Das war Don Juans bis ins Kleinste ausgetüftelter und wohlvorbereiteter Plan. Um allen Verdacht zu vermeiden, brach er am Tage vor der Ausführung nach dem Schlosse Maraña auf, wo er seine Kindheit verlebt hatte. Er war sehr lange nicht dort gewesen.

Bei sinkender Nacht kam er an. Zunächst tafelte er gut und reichlich. Sodann ließ er sich entkleiden und begab sich zu Bett. Im Zimmer brannten zwei hohe Wachskerzen, und auf dem Nachttische lagen des göttlichen Aretino Gespräche. Er las ein paar Seiten darin, und wie er sich dem Einschlafen nahe fühlte, klappte er das Buch zu und blies eines der Lichter aus. Wie er das zweite auslöschen wollte, fiel sein Blick von ungefähr auf das große Gemälde über dem Kamin. Es stellte die Seelen im Fegefeuer dar. Wie oft hatte er es als kleiner Junge betrachtet! Nachdenklich schaute er hin. Der Mann, an dessen Eingeweiden die große Schlange fraß, kam ihm noch schrecklicher vor denn damals. Unverwandt starrte er hin; er vermochte den Blick nicht abzuwenden.

Und merkwürdig: die Gestalt beschwor eine andre herauf, den Capitano Gomara mit entsetzlich vom Tode verzerrten Zügen.

Ihn schauderte; das Haar stand ihm zu Berge. Aber er raffte sich zusammen und blies die letzte Kerze aus, in der Hoffnung, die Dunkelheit werde ihn von der scheußlichen Vision befreien.

Im Dunklen ward ihm nur noch bänglicher zumute. Noch immer suchte sein Blick das Bild. Er konnte es nicht mehr erkennen, aber im Geiste sah er es um so deutlicher. Es kam ihm vor, als leuchteten die Gestalten, als loderten die Flammen des Fegefeuers. Seine Erregung ward schließlich so mächtig, daß er nach seinem Kammerdiener schellte, um das Gemälde zu entfernen.

Wie der Diener ins Zimmer trat, schämte sich Don Juan seiner Schwäche. In unauffälligem Tone befahl er, die Kerzen wieder anzuzünden. Sodann entließ er den Diener und begann von neuem zu lesen. Seine Augen eilten über die Blätter, aber sein Geist blieb dem Bilde verfallen. So verbrachte er die Nacht in schlafloser Erregung.

In der kommenden Nacht traf er eine Stunde früher als nötig war vor der Stadt ein. Er war allein geritten. Am Lloro-Turm stieg er ab und gab das Pferd einem Diener, der ihn dort erwartet hatte. Auf seine Frage meldete man ihm, Wagen und Maultiere stünden am bestimmten Orte bereit.

Eine volle Stunde war noch Zeit. Der Diener hing ihm einen weiten braunen Mantel um die Schultern. Das Gesicht verdeckt, betrat Don Juan durch das Triana-Tor die Stadt.

Es war heiß und stockdunkel. Müde setzte er sich auf eine Bank. Eine Melodie fiel ihm ein; er trällerte sie vor sich hin.

Plötzlich schlugen feierliche ernste Klänge an sein Ohr; es war Begräbnismusik. Und ein Zug bog um die Ecke in die einsame Straße und näherte sich ihm. Vor einer Bahre, die mit einer schwarzen Samtdecke umhängt war und von altmodisch gekleideten Männern in weißen Bärten getragen wurde, schritten zwei lange Reihen Büßer mit brennenden Kerzen daher. Den Schluß bildeten abermals zwei lange Reihen Büßer mit brennenden Kerzen. Der ganze Zug kam langsam und würdevoll heran. Die Gestalten glitten dahin; ihre Tritte verursachten keinen Lärm, und ihre Gewänder waren steif und unbeweglich wie aus Stein.

Vor diesem Schauspiele empfand Don Juan zuerst jenen gewissen Widerwillen, den der Gedanke an Tod und Begräbnis in jedem Epikureer erregt. Er stand von seiner Bank auf und wollte sich entfernen, aber die große Menge der Büßer und der stumme Pomp des Zuges reizte seine Neugier.

Die Spitze des Zuges betrat eben eine nahe Kirche, deren Tor sich geräuschlos öffnete. Da zupfte Don Juan einen der Kerzenträger am Ärmel und fragte ihn höflich, wen man da zu Grabe trage.

Den Grafen Don Juan von Maraña!Das Motiv, daß jemand seinem eigenen Requiem beiwohnt, hat auch Stendhal verwendet in seiner Novelle San Francesco a Ripa, entstanden Ende September 1831 (Deutsch in der Inselbücherei Nr. 65, Stendhal, Römerinnen, S. 76 ff.).

Don Juan glaubte zu träumen, als er die unheimliche Antwort des blassen Büßers vernahm. Es gruselte ihn, aber seine Kaltblütigkeit verließ ihn nicht.

Er lächelte.

Insgeheim sagte er bei sich: Ich habe mich verhört – oder der Mann ist nicht im Bilde.

Er schloß sich dem Zuge an und trat in die Kirche. Unter dröhnendem Orgelgebraus begann man das Requiem anzustimmen. Don Juan gab sich alle Mühe, ruhig zu erscheinen, aber er fühlte, wie ihm das Blut gerann.

Er trat zu einem der Sänger und fragte:

Wer ist der Tote, den man hier beisetzt?

Der Graf Don Juan von Maraña! antwortete der Büßer mit hohler gräßlicher Stimme.

Don Juan lehnte sich an einen der Pfeiler; sonst wäre er umgefallen. Er war einer Ohnmacht nahe, und all sein Frevelmut war dahin.

Derweil ging die Totenfeier weiter. Die hohen Gewölbe verstärkten den Orgelklang und den Ton der Stimmen, die das Dies irae . . . sangen. Es war ihm, als vernähme er die Engelschöre beim Jüngsten Gericht.

Endlich nahm er sich zusammen und faßte einen Priester, der vorbeiwandelte, an der Hand. Die Hand war kalt wie Marmor.

Pater! rief er aus. Um des Himmels willen, für wen betet Ihr?

Für den Grafen Don Juan von Maraña! erwiderte der Priester, indem er ihn mitleidsvoll ansah.

Wir beten für die Seele dieses Todsünders, fuhr er fort; wir sind die Seelen derer, die durch die Messen und Gebete seiner frommen Mutter aus den Qualen des Fegefeuers erlöst worden sind. Wir zahlen dem Sohne, was wir der Mutter schulden. Doch diese Messe ist die letzte, die wir für die Seele des Grafen Don Juan von Maraña abhalten dürfen.

In diesem Augenblicke schlug die Turmuhr der Kirche die zur Entführung von Doña Teresa festgesetzte Stunde.

Die Stunde schlägt! rief eine Stimme aus einem dunklen Winkel der Kirche. Die Stunde schlägt! Ist er der Unsrige?

Don Juan wandte sich um und schaute eine entsetzliche Erscheinung. Don Garcia, bleich und blutbefleckt, kam daher. Neben ihm der Hauptmann Gomara, in dessen Gesicht es noch immer gräßlich zuckte.

Beide schritten an die Bahre.

Ist er der Unsrige? fragte Don Garcia, indem er den Deckel des Sarges aufstieß.

Herr Jesus! rief Don Juan und fiel ohnmächtig auf die Fliesen der Kirche.

Als er wieder erwachte, fand er sich in seinem Hause.

Wo bin ich? fragte er den Kammerdiener, der vor seinem Bette stand. Wo ist Don Garcia? Wo ist der Capitano Gomara? Ist die Totenfeier zu Ende?

Der Diener glaubte, sein Herr habe den Verstand verloren. Er reichte ihm einen herzstärkenden Likör.

Wie sich Don Juan einigermaßen erholt hatte, ließ er sich ein Kruzifix reichen und küßte es inbrünstig unter tausend Tränen.

Ganz Sevilla staunte, denn seine Gottlosigkeit war allbekannt. Mehrere Priester, die von Don Juans Leuten gerufen wurden, weigerten sich zu kommen, denn sie glaubten, er werde sie mit einem schlechten Scherz empfangen. Schließlich kam ein Dominikaner.

Unter vier Augen warf sich ihm Don Juan zu Füßen und erzählte ihm seine Vision. Sodann beichtete er. Bei jeder seiner zahllosen Sünden stellte er die Frage, ob ein so großer Sünder wirklich jemals die Verzeihung des Himmels erlangen könne.

Der Mönch antwortete, Gottes Gnade und Barmherzigkeit sei ohne Grenzen. Da erklärte ihm Don Juan, er sei entschlossen, der Welt, der er so viel Ärgernis gegeben, zu entsagen, um seine Schandtaten in Buße und Reue zu sühnen.

Bereits am nächsten Tage schenkte Don Juan die Hälfte seines Hab und Guts armen Verwandten und bestimmte, vom andern Teile solle ein Krankenhaus und eine Kapelle errichtet werden. Ferner stiftete er den Armen eine beträchtliche Summe und ließ eine große Zahl Messen für die Seelen im Fegefeuer lesen, vornehmlich für den Hauptmann Gomara sowie für die Unglücklichen, die ehedem im Zweikampfe mit ihm ihr Leben hatten lassen müssen.

Bevor er in das Kloster, das er sich zum Zufluchtsorte gewählt, eintrat, schrieb Don Juan an Doña Teresa. Er gestand ihr seine schändliche Absicht, erzählte ihr sein Leben und seine Bekehrung; und zum Schlusse bat er sie um ihre Verzeihung, indem er sie aufforderte, aus seinem Beispiele zu lernen und ihr Heil in Buße und Reue zu suchen. Diesen Brief vertraute er dem Dominikaner an.

Die arme Teresa hatte in jener Nacht lange auf das verabredete Zeichen gewartet. Erst als schon der Morgen graute, kehrte sie voll Schmerz und Betrübnis in ihre Zelle zurück. Daß Don Juan ausgeblieben war, schrieb sie tausend Gründen zu; keiner kam der Wahrheit nahe. So vergingen etliche Tage, ohne daß eine Botschaft ihre Verzweiflung linderte.

Endlich brachte ihr der Dominikaner den Brief ihres reuigen Verführers. Während sie ihn las, ward sie wechselweise feuerrot und leichenblaß. Schweißtropfen rannen ihr von der Stirn, aber mutig las sie zu Ende.

Er hat mich nie geliebt! stöhnte sie.

Rasendes Fieber ergriff die Unglückliche. Weder ärztliche Kunst noch geistlicher Zuspruch vermochte zu helfen. Nach drei Tagen hauchte sie ihre enttäuschte Seele aus, und zwar unter Wiederholung der Worte:

Er hat mich nie geliebt!

Aufgenommen ins Kloster, bewies der Novize Don Juan die Ehrlichkeit seiner Bekehrung. Keine Bußübung, keine Kasteiung, nichts empfand er schwer und schmerzhaft genug. Oft mußte der Abt ihm befehlen, Maß zu halten.

Wie die Probezeit vorüber war, legte Don Juan das Gelübde ab und war fortan als Bruder Ambrosius durch seine Frömmigkeit und Bußfertigkeit Zierde und Vorbild des Klosters. Unter seinem groben Wollkittel trug er ein Büßerhemd aus Roßhaar. Eine Kiste, in die er sich kaum einzwängen konnte, diente ihm als Bett. In Wasser gekochtes Gemüse war seine ganze Nahrung, und nur an Fest- und Feiertagen verstand er sich auf strengen Befehl des Abtes dazu, in zerknirschter Andacht ein Backhuhn zu verzehren. Den größeren Teil der Nacht brachte er mit Wachen und Beten zu, wobei er seine Arme in Kreuzform ausstreckte. Kurz, er war jetzt ebenso das Muster eines frommen Christenmenschen wie früher ein Vorbild für Wüstlinge.

Als in Sevilla eine furchtbare Seuche ausbrach, pflegte er die in das von ihm gegründete Krankenhaus Aufgenommenen. Er ging in die verlassenen Häuser, begrub die halbverwesten Leichen und verrichtete viel Gutes. Wo er sich zeigte, segnete man ihn, und da ihn die Epidemie verschonte, so glaubten die Abergläubischen, der liebe Gott verrichte durch ihn biblische Wunder.

Mehrere Jahre bereits hauste Don Juan als Bruder Ambrosius im Kloster, und sein Leben war nach wie vor eine gottgefällige Kette von Gebeten und Kasteiungen. Seine Vergangenheit verblich ihm nimmer im Gedächtnis, aber seine tiefe Reue ward allmählich verklärt durch das Bewußtsein seines inneren Wandels.

Eines Tages zur Zeit der Siesta, wo die Hitze am allerstärksten drückt, gönnten sich sämtliche Klosterbrüder die übliche Ruhe. Einzig und allein Bruder Ambrosius arbeitete im Garten im Schweiße seines Angesichts, barhäuptig, in der Sonne; das war eine der Bußen, die sich diese fromme Seele auferlegt hatte.

Über seinen Spaten gebückt, erblickte er plötzlich den Schatten eines Mannes, der unweit vor ihm stehengeblieben war. Im Glauben, es wäre einer seiner Confratres, der durch den Garten lustwandle, begrüßte er ihn, ohne sich in seiner Arbeit stören zu lassen, mit einem Ave-Maria! Aber kein Gegengruß ertönte. Verwundert ob der Unbeweglichkeit des Schattens, schaute er auf und gewahrte vor sich einen schlanken jungen Mann, der hochgereckt dastand. Sein Mantel reichte schier zur Erde, und sein Antlitz war zur Hälfte von einem Hut bedeckt, den eine weiß und schwarze Feder beschattete. Selbiger Mann betrachtete unsern Bruder Ambrosius mit unverhohlen boshafter Freude und unsäglicher Verachtung. Etliche Minuten lang starrten sich die beiden unverrückt an. Schließlich trat der Fremde einen Schritt näher, lüftete seinen Hut, um sein Gesicht zu zeigen, und hob an:

Erkennt Ihr mich nicht, Don Juan?

Der Befragte schaute scharf hin, jedoch vergebens. Er vermochte sich nicht zu besinnen.

Erinnert Ihr Euch an die Belagerung von Berg-op-Zoom? begann der Unbekannte von neuem. Habt Ihr den Landsknecht Modesto gänzlich vergessen?

Don Juan zuckte zusammen.

Der Fremde fuhr gelassen fort: Jenen Soldaten namens Modesto, der Euern edlen Kumpan Don Garcia mit einem Büchsenschusse, der Euch zugemessen war, versehentlich niedergestreckt hat? Jener Modesto steht vor Euch! Ich habe noch einen andern Namen. Ich heiße Don Pedro von Ojeda. Bin der Sohn des Don Alonso von Ojeda, den Ihr gemordet habt. Bin der Bruder der Doña Fausta von Ojeda, die Ihr ermordet habt! Bin der Bruder der Doña Teresa von Ojeda, die Ihr ermordet habt!

Vielgeliebter Bruder! rief Don Juan, vor ihm in die Knie sinkend, ich bin ein elender armer Sünder. Um meine Schuld zu sühnen, trage ich diese Kutte und habe der Welt entsagt. Gibt es irgendein Mittel, Eure barmherzige Verzeihung zu erlangen, so nennt es mir! Die härteste Buße soll mich nicht erschrecken, wenn ich zuwege bringe, daß Ihr mich nicht verflucht.

Don Pedro lächelte bitter.

Lassen wir alle Heuchelei, Herr von Maraña! Ich verzeihe nicht. Und mein Fluch? Er wird Euch nicht verfehlen; nur dauert es mir zu lange, seine Wirkung abzuwarten. Ich habe da etwas bei mir, was wirksamer ist als Fluch und Vermaledeiung.

Bei diesen Worten warf er seinen Mantel ab, und es kamen zwei lange Stoßdegen zum Vorschein. Er zog sie aus den Scheiden und spießte die beiden nackten Klingen in die Erde.

Wählt, Don Juan! sagte er. Man sagt, Ihr seid ein weltberühmter Fechter, und auch ich bilde mir ein, etwas von dieser Kunst zu verstehen. Erproben wir, was Ihr leistet!

Don Juan schlug flugs ein Kreuz und erwiderte:

Vielgeliebter Bruder, Ihr vergesset das gottgefällige Gelübde, so ich getan. Ich bin nicht mehr Don Juan, den Ihr gekannt habt; ich bin Bruder Ambrosius.

Einerlei, Bruder Ambrosius, Ihr seid mein Feind, gleichgültig unter welchem Namen. Ich hasse Euch, und es gelüstet mich, Rache an Euch zu nehmen.

Abermals sank Don Juan vor Don Pedro in die Knie.

Wenn Ihr mein armselig Leben begehrt, rief er aus, vielgeliebter Bruder, es ist Euer! Schlagt mich, spießt mich auf, haut mich in tausend Stücke, ganz wie es Euch gefällt!

Verlogener Feigling, willst du Komödie mit mir spielen? Wenn ich dich totstechen wollte wie einen tollen Hund, hätte ich mir dann die Mühe gemacht, diese Degen mitzubringen? Greif schleunigst zu! Tritt an! Verteidige deine Knochen!

Vielgeliebter Bruder, ich wiederhole es Euch: schlagen kann ich mich nicht, aber zu sterben bin ich bereit!

Elender Bärenhäuter, rief Don Pedro wütend. Man hat mir gesagt, Ihr hättet Courage. Ich merke nichts davon. Ihr seid ein feiger Säbelraßler.

Courage, vielgeliebter Bruder? Der Allmächtige möge mir Mut verleihen, die Verzweiflung zu überwinden, die mich ohne göttlichen Beistand in Erinnerung an meine alten Sünden zu ergreifen droht. Lebt wohl, vielgeliebter Bruder! Ich retiriere mich, denn es entgeht mir nicht, daß mein Anblick Euch kein Vergnügen bereitet. Aber die Stunde kommt, wo Ihr an der Wahrhaftigkeit meiner Reue nicht mehr zweifeln werdet . . .

Er tat etliche Schritte rückwärts, in der Absicht, den Garten zu verlassen. Da packte ihn Don Pedro am Ärmel.

Ihr oder ich! schrie er. Nur einer von uns beiden kommt lebendig aus diesem Garten heraus. Nehmt einen dieser Degen! Der Henker hole mich, wenn ich auch nur ein Wort von all Eurer Jeremiade glaube!

Don Juan warf ihm einen steinerweichenden Blick zu und versuchte abermals die Gartenpforte zu gewinnen, aber Don Pedro nahm ihn am Kragen und hielt ihn fest.

Du bildest dir doch nicht etwa ein, Mordbube infamer, du könntest meinen Händen entrinnen? Nein! Ich werde dir deine Heuchlerkutte in tausend Fetzen reißen, damit deine Teufelsklauen sichtbar werden. Vielleicht hast du dann genug Courage, dich mit mir zu schlagen.

Mit diesen Worten stieß er ihn derb gegen die Mauer.

Hoher Herr Pedro von Ojeda, rief Don Juan, tötet mich, wenn Ihr wollt, doch mit Euch schlagen tu ich mich nie und nimmer!

Dabei verschränkte er die Arme und blickte seinem Gegner mit Seelenruhe und nicht ohne Stolz in die Augen.

Ja, ich werde dich töten, elender Wicht, aber zuvor traktiere ich dich deiner Feigheit gemäß.

Und er verabreichte ihm eine Maulschelle, die allererste, die Don Juan je in seinem Leben bekommen hatte. Sein Gesicht ward purpurrot. Wie einst in seinen Heldentagen blähten Stolz und Zorn seine edle Seele. Ohne ein Wort zu sagen, stürzte er auf die Degen und ergriff einen. Don Pedro nahm den andern und stellte sich bereit. Wutentbrannt griffen sie einander an, in gleichzeitigem Ausfall, mit gleichem Ungestüm. Don Pedros Klinge verfing sich in der Wolle von Don Juans Rock und fuhr den Leib hinab, ohne ihn zu verletzen, während Don Juans Stahl bis zum Griff in Don Pedros Brustkorb versank.

Er war sofort tot.

Wie Don Juan seinen Gegner lang vor sich liegen sah, betrachtete er ihn eine Weile stumm und starr, mit höchst dummem Gesichte. Nur allmählich kam er zu sich und erkannte die Größe seiner jüngsten Untat. Er warf sich über den Leichnam und versuchte alles mögliche, um ihn wiederzubeleben. Ach, er hatte allzuviele Wunden gesehen, als daß er nur einen Augenblick hätte zweifeln können, ob diese tödlich wäre. Der blutige Degen, der zu seinen Füßen lag, bot sich ihm unverkennbar zur Selbstbestrafung. Doch auch diese abermalige Versuchung des Satans wies er standhaft zurück. Spornstreichs lief er zum Abt. Völlig verstört stürzte er in dessen Zelle und berichtete ihm unter einem Strom von Tränen das Entsetzliche, so sich soeben abgespielt hatte.

Anfangs wollte es der Abt gar nicht glauben, und sein erster Gedanke war, die schweren Kasteiungen, die sich Bruder Ambrosius hatte auferlegt, könnten selbigen um den Verstand gebracht haben. Allein das Blut, das von Don Juans Kutte und Händen tropfte, verbot ihm jedweden Zweifel an der grausigen Wahrheit. Als Mann von Geistesgegenwart wußte er sofort, welch ungeheurer Skandal dem Kloster entstehen müsse, wenn dies Abenteuer ruchbar würde. Niemand hatte dem Zweikampfe zugesehen. Somit war es ihm gegeben, ihn vor jedermann geheim zu halten, auch vor den Insassen des Klosters. Er befahl Don Juan, ihm zu folgen, und im Verein mit ihm schaffte er den Toten in ein Kellerloch, dessen Schlüssel er an sich nahm. Nachdem er Don Juan in seine Zelle eingesperrt hatte, machte er sich auf den Weg zum Stadtrichter, um ihm den Vorfall zu vermelden.

Es erscheint vielleicht sonderbar, daß Don Pedro nach seinem ersten Versuche, Don Juan hinterrücks zu erschießen, nicht abermals einen heimtückischen Anschlag unternommen, sondern sich seiner im offenen Zweikampfe zu entledigen getrachtet hatte. Indessen war dies nichts weiter als wohlberechnete höllische Rache. Don Pedro wußte, welch sittenreines Leben Don Juan führte, und der Ruf seines gottgefälligen Wandels war bereits so weltberühmt, daß Don Pedro sich sagen mußte: Du beförderst Deinen Erzfeind schnurstracks in den Himmel, wenn du ihn meuchlings ermordest! Wenn er ihn hingegen herausforderte und ihn nötigte, sich mit ihm zu schlagen, so durfte er hoffen, ihn bei einer Todsünde zu töten und mit Leib und Seele der ewigen Verdammnis zu überliefern. Man hat gesehen, wie sich der teuflische Plan gegen seinen Urheber gekehrt hat.

Es war nicht schwer, das Begebnis zu vertuschen. Der Stadtrichter verständigte sich mit dem Abt, und der Verdacht ward abgelenkt. Die Mönche glaubten, der Tote sei im Kampfe mit einem in der Gegend unbekannten Kavalier gefallen.

Was Don Juan anbelangt, so vermesse ich mich nicht, seine Reue schildern zu wollen. Freudig unterwarf er sich allen Bußen, die der Abt ihm auferlegte. Bis in sein letztes Stündlein hing der Degen, den er Don Pedro durch den Leib gerannt hatte, über seinem Bette, und niemals vergaß er bei seinem Anblicke für Don Pedros und der Seinen Seelenheil inbrünstig zu beten. Um den Rest weltlichen Hochmuts in Don Juans Brust auszurotten, hatte der Abt ihm anbefohlen, sich jeden Morgen halb fünf Uhr zum Klosterkoch zu begeben und sich eine Maulschelle verabreichen zu lassen. Man kann sich denken, daß der so früh Geweckte sein Nebenamt nicht allzu sanft erfüllte. Bruder Ambrosius jedoch, nachdem er seine Ohrfeige in Empfang genommen, verfehlte nicht, dem Küchenmeister auch die andere Backe darzubieten und ihm demütiglich zu danken, wenn er ihn doppelt gezüchtigt hatte.

Don Juan waren noch zehn Lebensjahre im Kloster beschieden, ohne daß seine Buße je von einem Rückfall in die lästerlichen Sünden seiner Jugend heimgesucht worden wäre. Als er starb, genoß er bereits, sogar bei denen, die von seinem früheren schlimmen Lebenswandel wußten, die hohe Verehrung eines Heiliggesprochenen. Auf seinem Totenbett erbat er sich als Gnade, man möge seinen Leichnam unter der Kirchenschwelle verscharren, damit jedweder fromme Bittgänger ihn mit Füßen trete. Dazu wünschte er sich die bekannte Grabschrift:

Hier ruht aller Welt
schlimmster Sünder.

Aber man erachtete es nicht für recht und billig, diese Bestimmungen allzu großer Demut völlig zu erfüllen. Don Juan ward am Hauptaltar der von ihm gestifteten Kapelle beigesetzt. Die Inschrift allerdings, die er selber verfaßt hatte, erlaubte man in den Stein zu meißeln, der seine sterblichen Überreste deckt, aber darunter setzte man einen lobesamen Bericht von seiner Bekehrung. Murillo hat die Kapelle mit einem seiner Meisterwerke ausgeschmückt, der Heimkehr des verlorenen Sohnes.


 << zurück weiter >>