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Das organische Leben auf der unabsehbaren Prärie war gestorben. So weit die Blicke reichten, dehnte es sich eintönig aus in der Farbe starrer Sandwüsten. Kein Baum, kein Strauch grüßte das Auge.
Obwohl schon Mitte September, brannte die Sonne noch immer sengend auf die gelbgraue Ebene nieder. Regungslos war die Atmosphäre, wie seit Wochen und Monaten. Nur hin und wieder eilte es gespenstisch über den durstigen Erdboden hin, wenn Wirbelwinde Staub, Grasreste und bis zur Gewichtlosigkeit ausgedörrte Stauden säulenartig in die Lüfte empordrehten, um nach kurzem Spiel alles wieder auseinanderzustreuen.
Einen gespenstischen Eindruck in der traurigen Einöde erzeugte es auch, als auf der Abflachung einer kaum zehn Fuß hohen, hügelartigen Bodenerhebung mit vorsichtiger, kaum wahrnehmbarer Bewegung ein schwarz behaarter Kopf sich aus dem steinigen Erdreich ins Freie schob. Kurze Zeit spähten zwei dunkle Augen nach allen Seiten über die weithin absehbare trostlose Ebene, dann folgten zwei breite, in verschlissenen grünen Kaliko gekleidete Schultern nach. Gleich darauf kauerte Fakit neben der engen Öffnung, die zwischen scharfkantigem, massivem Gestein hindurch in den Hügel hinabführte. Es war eines jener merkwürdigen Gipsnester, wie solche sich nach Süden hin weit über den Kanadian hinaus, wenn auch nur vereinzelt, wiederholen. Durch unterirdische Gewalten einst emporgetrieben, haben sich auf solchen Stellen kleinere und größere leere Räume in der Gipsformation gebildet, die beim Erhärten der weichen Masse sich noch erweiterten und Risse und Sprünge nach allen Richtungen entsendeten. Die wenigsten dieser Höhlen sind zugänglich; denn selbst da, wo sie durch breitere Risse mit der Außenwelt in Verbindung stehen, sind deren Wände so scharf gezahnt, daß sie eben nur den dort sehr zahlreichen Klapperschlangen und kleineren Nagetieren als Verkehrswege dienen.
»Es ist alles sicher,« sprach Fakit nach einer längeren Pause in die Höhle hinab. »Hier oben sitzen wir ebensogut, wie da unten. Steine genug vorhanden; Steine nehmen den Eindruck der Füße nicht an.«
Er streckte die Hand aus, um ein Fernrohr in Empfang zu nehmen, und wie er selber kurz zuvor, arbeitete sich jetzt Charon ins Freie hinaus. Ihm auf dem Fuße folgte Milford. Sie wie Fakit trugen im Äußeren die unverkennbaren Spuren einer langen, mühseligen Wanderung, auf der Pferde, abgesehen von dem überall herrschenden Futtermangel, ihnen ein Hindernis gewesen wären. In ihrer Begleitung befanden sich Jung Biber, der Sohn des berühmten Delawaren-Führers Sikito-Maker oder Schwarzer Biber, und Johnson, der Sohn Fakits, zwei schlanke, gewandte Burschen, die von der Jagd und abenteuerlichen Streifereien mehr hielten, als von den Arbeiten auf den Äckern ihrer Väter.
Zurzeit schliefen sie unten in der Grotte. Wie vorhergehenden Tages, waren sie auch heute erst beim Grauen des Morgens mit gefüllten Wasserbehältern zurückgekehrt, nachdem sie die Nacht zum ausgiebigen Kundschaften verwendet hatten. Nach dem gegen vier englische Meilen weit entfernten Arkansas waren sie hinübergewandert, in dessen tief gelegenem Tal eine Komanche-Abteilung von dreißig und einigen Zelten ihr derzeitiges Heim aufgeschlagen hatte. Ihre Aufgabe wurde dadurch erschwert, daß der beinahe volle Mond auf das baumlose Tal niederleuchtete, sie also keinen anderen Schutz für ihre Bewegungen fanden, als den Schatten des mit Gestrüpp bewachsenen Abhanges, der von der Ebene zu dem Tal niederführte. Was indessen möglich gewesen war, hatten sie geleistet. Sie hatten erspäht, daß die Komanche-Zelte in fast genau nördlicher Richtung von der Gipshöhle aufgeschlagen worden waren, die aus mehreren hundert Pferden bestehende Herde eine kurze Strecke stromaufwärts in einer Erweiterung des spärliche Nahrung bietenden Tales weidete, und endlich, daß Molly in der Tat bei den wilden Steppenreitern weilte und aufs strengste von ihnen bewacht wurde. Doch nicht in der Mitte des Zeltdorfes hatte man sie untergebracht, wo ihre Zauberkraft durch Belästigungen von Weibern und Kindern hätte gestört werden können; sondern stromabwärts in der Entfernung von ungefähr vierhundert Ellen vom Lager, wo das Tal sich zu einem schmalen Streifen verengte, war ein besonderes Zelt für sie errichtet worden. Bei ihr, sowohl als Wache, wie zur Pflege und Bedienung, befand sich ein Komanchemädchen. Außerdem hatte man ihr zur größeren Sicherheit einen als umsichtig bekannten Krieger beigegeben, der indessen ihr Zelt nicht betreten durfte. Dieser verbrachte die Nächte vor dem Eingang, wodurch es den beiden Kundschaftern unmöglich gemacht wurde, Molly zu sehen.
Wie die Befreiung Mollys unter so schwierigen Verhältnissen ins Werk zu setzen sei, war den fünf Gefährten noch unklar. Sie wußten nur, daß in den nächsten Nächten etwas geschehen mußte, wenn das Ausgehen der Lebensmittel, die ausschließlich aus einem Säckchen fein geriebenen Maismehls, untermischt mit Zucker und Fleischpulver, für jeden bestanden, sie nicht zur Umkehr zwingen sollte. Doch Charon und Milford hätten mit weniger Innigkeit an Molly hängen, Fakit und die beiden jungen Leute weniger von deren segensreichem Einfluß auf ihre Herden und Felder überzeugt gewesen sein müssen, um nicht das Äußerste zu ihrer Befreiung aufzubieten. Wohl schwebte namentlich den beiden jungen Leuten vor, die Schildwache vor dem Zelt geräuschlos zu beseitigen, allein davon einen nachteiligen Eindruck auf seines Schützlings Gemütsstimmung befürchtend, nannte Charon dies den letzten Ausweg, nachdem alle anderen Pläne sich als nicht durchführbar erwiesen haben sollten.
Charon hatte sein Fernrohr zur Hand genommen und betrachtete die vereinzelten schmalen Rauchsäulen, die die Lage und Ausdehnung des Zeltdorfes bezeichneten.
»Besäßen die Komanches ebenfalls solch Glas, so möchten wir sie bald hier bei uns sehen,« bemerkte Fakit spöttisch.
Charon antwortete nicht, sondern das Fernrohr fester packend, spähte er mit verschärfter Aufmerksamkeit über den Arkansas hinweg nach der fernen Linie des Horizontes hinüber. Milford und Fakit errieten, daß dort irgendeine Erscheinung ihn befremde.
Endlich setzte er das Glas ab, und es Fakit reichend, bemerkte er wie von Zweifeln befangen: »Die in dem Zeltdorf mögen uns vorläufig nicht beunruhigen; allein da hinten, so weit, daß es für das schärfste nackte Auge nicht erkennbar ist, regt sich etwas. Ich halte es für Reiter, und zwar für einen sehr großen Trupp. Anders vermag ich die schwarze Linie nicht zu deuten.
Fakit, vollständig vertraut mit dem Fernrohr, stellte es für sein Auge und spähte lange hinüber. Als er es wieder absetzte, offenbarte sich Mißmut in seinen Zügen.
»Mein Freund Charon hat gut gesehen,« sprach er ruhig, »Reiter sind es freilich nicht. Eine Büffelherde wandert da drüben. Nimmt sie die Richtung auf uns zu und kreuzt sie den Arkansas, so sehen wir die Komanches bald genug in unserer Nähe.«
»Büffel?« fragte Milford ungläubig, »was könnte die Tiere dazu veranlassen, ihren Weg über die versengte Steppe zu nehmen?«
»Die Pawnees mögen sie schon am Nebraska aus ihrer Richtung gedrängt haben,« meinte Charon nachdenklich.
»Nicht die Pawnees,« wendete Fakit mit einer Miene der Überlegenheit zuversichtlich ein. »Nein, Frühlingstau weilt bei den Komanches; Frühlingstau hat die Büffel angelockt. Sie werden ihren Weg an dem Zeltdorf vorbei nehmen.«
Er spähte wieder durch das Fernrohr. Nach einer Pause sorgfältigen Beobachtens fuhr er fort: »Die Komanches sind rege geworden. Sie haben die Büffel entdeckt. Reiter auf Reiter kommen nach der Ebene herauf. Sie eilen stromaufwärts, um den Tieren nach dorthin den Weg zu verlegen. Auch stromabwärts reiten einige. Die Komanches sind schlaue Jäger. Sie verstehen es, den Bison zu jagen. Wir werden sie sehen, wenn unser Schatten nach der anderen Seite herumgeglitten ist.«
Abwechselnd spähten Charon und Milford nunmehr in der Richtung, in der die Komanches ihre Maßregeln zur Jagd trafen, dann wieder nach dem fernen Horizont hinüber, wo der schwarze Streifen, indem die Tiere dem Wasser zudrängten, schnell an Umfang gewann.
Eine Stunde noch dauerte es, bis die Büffel in geschlossener, langgestreckter Heersäule den Strom erreichten und plötzlich stockten. Die Leitstiere waren offenbar des vor ihnen liegenden Komanchelagers ansichtig geworden. Indem die ihnen folgenden Tiere bis auf die letzten Nachzügler vorwärts drängten, dehnte die bewegliche schwarze Masse sich weithin nach beiden Seiten aus. Sie war augenscheinlich unschlüssig, wohin sie sich wenden sollte. Doch der marternde Durst und der Anblick des Wassers führten eine schnelle Entscheidung herbei. Eine Weile wogte und wand es sich durcheinander, und stromaufwärts setzte der Zug, der gegen vierzehnhundert Stück zählen mochte, sich wieder in Bewegung.
Geraume Zeit verstrich, während die Tiere in dem Genuß des kühlen Wassers schwelgten und bevor die Führer ihre Riesenleiber den wirbelnden Fluten anvertrauten, um dem jenseitigen Ufer zuzustreben. Sie ließen sich die Gelegenheit zu einem Grasfutter im Tale des Arkansas nicht entgehen; die Komanchejäger hatten indessen den Zeitpunkt, in dem die Herde sich weidend zerstreute, zu ihrem Angriff gewählt. Denn als endlich die ersten Büffel eine halbe englische Meile unterhalb der Stelle, auf der sie zum Strom hinabgewandert waren, wieder oben auf der Ebene erschienen, da geschah es nicht in gewohnter bedächtiger Weise, sondern in wildem Lauf und, ein Zeichen jähen Schreckens, mit emporgeworfenen Schweifbüscheln. In der nächsten Minute war der Rand der Ebene mit einer Staubwolke bedeckt, aus der nur die vorderste Reihe der Flüchtlinge schwarz und formlos hervortrat. Aber auch Reiter spie das Tal gleichsam aller Enden aus, und was dann folgte, das verschleierte der von vielen Hunderten von Hufen in wildem Rennen aufgewirbelte Sand und Staub.
Gelassen bemerkte Fakit: »Sie nehmen die Richtung auf uns zu. Keine halbe Stunde dauert es, und wir betrachten die Tiere aus der Nähe. Es mag uns schaden, es mag uns Vorteil bringen. Ich denke, es bringt Vorteil. Frühlingstau hat die Büffel angelockt. Sie weiß es selbst nicht. Aber ihr Zauber wirkt. Er soll die Komanches aus dem Lager treiben, und das mag uns dienen. Aber hinunter jetzt. Jeder Atemzug bringt die Komanches näher. Finden sie uns, so werden wir ausgeräuchert, wie das Opossum aus einem hohlen Baumstamm.«
Keiner antwortete. Wie Aale glitten alle über den Rand der Öffnung in die Tiefe hinab. Fakits Befürchtung, daß die fliehenden Tiere ihren Weg zu beiden Seiten des Hügels vorbeinehmen, wohl gar in dessen unmittelbarer Nähe einzelne zu Fall gebracht werden würden, erfüllte sich glücklicherweise nicht. Näher als auf etwa dreihundert Schritt kamen sie nicht heran.
Keine zehn Minuten dauerte es, als, wie durch eine günstig gelegene Spalte hindurch zu unterscheiden war, auf der Stelle, wo eben die führenden Tiere vorüberrasten, das lichtere Ende des Zuges sichtbar wurde. Gegen achtzehn Reiter umschwärmten das Heer, lauter sehnige Gestalten, alle vollständig entkleidet, wie auch die Pferde weder durch Sättel noch durch Zaumzeug beschwert waren. Nur die Schlinge des nachschleifenden Lassos war ihnen um den Unterkiefer geschnürt worden. Er diente zum Lenken, zugleich als Mittel, beim etwaigen Stürzen des flüchtigen Tieres sogleich wieder habhaft werden zu können. Die Reiter aber saßen auf ihren nackten keuchenden Pferden, als ob sie mit ihnen verwachsen gewesen wären. Weit nach hinten flatterte das lange schwarze Haar. Die Faust, die den Bogen hielt, umklammerte mit diesem ein Bündel Pfeile, während der von den Hüften niederhängende Köcher neuen Vorrat barg; sogar zwischen die Zähne klemmte man in den Pausen Pfeile, um sie in entscheidenden Augenblicken schneller zur Hand zu haben. Und so war es eine Lust, zu beobachten, wie die wilden Steppenreiter immer wieder in die Herde eindrangen, bald dieses, bald jenes Tier abdrängten, ihm mit unglaublicher Gewandtheit einige scharf bewehrte Geschosse zwischen den Rippen hindurch in die Lunge sendeten und ohne Säumen jauchzend und gellend ein anderes Opfer ins Auge faßten. Auf das Fallen des Tieres wurde nicht gewartet. Man wußte aus Erfahrung, daß die infolge der Muskelbewegung fortgesetzt hin und her schneidende Eisenspitze die Ermattung schneller herbeiführte, als glatte Bleikugeln. Und so sah man, nachdem der Jagdzug vorübergerast war und der Staub sich gesenkt hatte, den von ihm verfolgten Weg in unregelmäßigen Zwischenräumen mit schwarzen Riesenleibern bestreut. Manche hatten sich bereits niedergetan, während andere noch standen und durch Spreizen der Beine den ermatteten Körper zu stützen trachteten. Nur wenige lagen verendet da. Doch während vorn infolge der Überanstrengung der Pferde von der Jagd abgelassen wurde, belebte vom Arkansas her die Ebene sich aufs neue. Weiber und Kinder, alles beritten, folgten den blutigen Spuren der Männer. Ältere Krieger begleiteten sie, um bei der Auswahl der Beute den Frieden aufrecht zu erhalten und dafür Sorge zu tragen, daß jedes einzelne Beutestück nur familienweise mit Beschlag belegt wurde. Und so dauerte es nicht lange, bis die Stätte des gierigen, grausamen Dahinschlachtens mit beinahe ebenso vielen Gruppen regsamer Menschen bedeckt war, wie auf ihr Büffel gefällt worden waren. Kam es bei der noch herrschenden sommerlichen Wärme doch darauf an, so schnell und so viel, wie nur irgend möglich, von dem im Übermaß vorhandenen frischen Fleisch als Wintervorrat herzurichten und nach dem Zeltdorf zu schaffen. Wenn aber die Männer die Tiere zerlegten, hier und da eine hervorragend schöne Haut zum Gerben sicherten und kleine Dörrgerüste herstellten, so beschäftigten die Weiber sich nicht minder eifrig damit, das Fleisch in dünne Scheiben und schmale Streifen zu schneiden und auf den Gerüsten auszubreiten. Unterhalb dieser glimmten dichten Rauch spendende Feuer, zu denen die Kinder den torfartig brennenden, ausgedörrten Büffeldung herbeitrugen. Der Abend brach herein, ohne daß das lebhafte Treiben nah und fern eine Wandlung erfahren hätte. Es wurde geröstet, gegessen und gedörrt. Schwerbeladene Pferde verfolgten die Richtung nach dem Zeltlager, um zu neuer Arbeit leer zurückzukehren. Die ganze Nacht sollte zum Bergen des unerwarteten Reichtums verwendet werden. –
Es mochte in der zehnten Stunde sein, als im matten Lichte des vom Himmel niederleuchtenden halben Mondes in dem Ausgange der Gipshöhle wiederum Fakits Kopf auftauchte. Aufmerksam sah er nach dem nächsten Feuer hinüber, in dessen mattem Schein sechs oder sieben Menschen sich lebhaft regten und deren Stimmen deutlich zu ihm herüberdrangen.
»Wir müssen es wagen,« flüsterte er nach einer Weile in die Höhle hinab. »Kommen wir unbemerkt von dannen, so haben wir halbe Arbeit, und morgen sind wir weit.«
Leise glitt er nach der Abflachung hinauf, wo er liegen blieb. Mit äußerster Vorsicht nahm er die ihm dargereichten Büchsen in Empfang, sie behutsam neben sich niederlegend; dann seine eigene ergreifend, kroch er auf der den Feuern abgekehrten Seite des Hügels hinunter. Dort wartete er, bis die anderen sich ihm zugesellt hatten. Von diesen gefolgt und dem Erdboden sich anschmiegend, suchte er seinen Weg langsam weiter, peinlich darauf bedacht, daß der Hügel zwischen ihnen und den Feuern blieb.
»Es war die höchste Zeit,« raunte Fakit den Gefährten gelassen zu, und weiter krochen alle, bis sie endlich glaubten, sich ohne Gefahr erheben zu dürfen. Eine größere Strecke legten sie noch eiligen Schrittes zurück, dann trennten sie sich voneinander. Johnson und Jung-Biber übergaben Fakit und Milford ihre Büchsen und Decken und schlugen, nur mit Beil und Messer bewaffnet, die nächste Richtung nach dem Arkansas ein, wogegen die anderen drei Männer sich weiter stromabwärts wendeten. – –